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Die Marzipan-Lise.

Friedrich Halm.

Vorwort

Eligius Franz Joseph Freiherr von Münch-Bellinghausen, Sohn des Staatsrats Freiherrn Cajetan von Münch-Bellinghausen, wurde am 2. April 1806 zu Krakau geboren, begann schon 1819 seine "philosophischen" Studien an der Wiener Hochschule und trat, erst zwanzig Jahre alt, zugleich in den Staatsdienst und in den Ehestand. Seinen poetischen Neigungen, die er bisher in großer Einsamkeit gepflegt hatte, nahm sich um diese Zeit der Dichter Michael Enk in väterlicher Freundschaft an und führte den jungen Dichter in das spanische Theater ein, dessen Einfluss durch alle Folgezeit in den Vorzügen und Schwächen Halms erkennbar blieb. Am 30. Dezember 1835 debütierte er mit Glanz am Burgtheater (Griseldis), für welches er eine Reihe sehr erfolgreicher, mehr durch geschickte und effektvolle Anlage, als durch charakteristische Lebendigkeit bedeutsame Dramen dichtete. Die Reihe dieser allbekannten Werke, von denen "der Sohn der Wildnis" und "der Fechter von Ravenna" einen Weltruhm erlangten, soll hier eben so wenig aufgezählt werden, als es unsere Aufgabe sein kann, die lyrischen Dichtungen Halms, die über Österreich hinaus nur wenig bekannt geworden sind, einer kritischen Würdigung zu unterziehen. An dieser Stelle muss vor Allem der merkwürdigen Erscheinung gedacht werden, dass aus dem Nachlass des Dichters (er starb am 22. Mai 1871) eine Anzahl Novellen ans Licht gezogen worden sind, die den vielangefochtenen Dramatiker und Lyriker als einen reifen und innerhalb des ihm gemäßen Stiles musterhaften Novellisten darstellen, von dessen Meisterschaft auf diesem Gebiet bei seinen Lebzeiten nur wenige Eingeweihte Kunde hatten. Denn obwohl die Erzählung "die Marzipan-Lise" bereits in Gußkows "Unterhaltungen am häuslichen Herd" veröffentlicht worden war, hatte Halm dennoch Bedenken getragen, als Novellist hervorzutreten, vielleicht um den Anstoß zu vermeiden, denn gerade die bedeutendste dieser Dichtungen, "das Haus an der Veronabrücke", vielfach erregt haben würde.

Auch wir haben es uns versagen müssen, dies sein Meisterstück unserem Novellenschatz einzuverleiben. Die souveräne Kunst, mit welcher der Dichter ein höchst verfängliches und in der Tat sittlich empörendes Thema behandelt hat, ohne die Grenzen weltmännischer Feinheit zu verletzen, kann doch nicht fällig mit dem Widerwärtigen des Stoffes selbst aussöhnen, der Rücksichten zu geschweigen, die ein Sammelwerk wie das unsere auf ein sehr gemischtes Publikum zu nehmen hat. Von der Art und Kunst des Erzählers gibt auch die geringere Arbeit, die wir aufgenommen haben, hinreichendes Zeugnis. Es möge uns gestattet sein, aus dem geistvollen Vorwort des Herausgebers Emil Kuh die Worte anzuführen, in denen der Stil dieser Novellen auf das Treffendste geschildert wird.

"Ein herber Anstrich ist den meisten dieser Erzählungen eigen. Wir können diese Herbheit zum Teil auf den Umstand zurückführen, dass unserem Dichter das Tragische seit jeher in der Gestalt des Grausamen aufgegangen ist. Immer mehr gewann eine dunkle Welt- und Lebensanschauung in Halm die Oberhand, und als Zeugen derselben dürfen wir ohne Weiteres seine Erzählungen ansehen, die in den fünfziger und sechziger Jahren entstanden sind. Im Übrigen weist schon der fünfte Akt der "Begum Somru" und Halms Beschäftigung mit Brevio' Novellen "von der Erbärmlichkeit des menschlichen Lebens" auf solche Anschauung hin.

Den künstlerischen Charakter dieser Erzählungen bezeichnet vor allem das Hervortreten des Unerhörten der Begebenheit, das mit dem Begriffe der romanischen Novelle verknüpft ist. Wem die italienischen Fabulisten geläufig sind, der wird den Zögling derselben in Halm sofort erkennen: in dem Eigensinn, womit er einsetzt, der pastösen Farbe, sowie in der Wahl verfänglicher Themen. Wo jedoch der Italiener, so ernst sein Blick auch ist, nur spielt und mit einer graziösen Leichtfertigkeit die Entwicklung locker hält, dort zeigt sich unser deutscher Erzähler gründlich, dort spinnt er lange psychologische Fäden, welche nicht selten das Bündnis der schaulustigen Phantasie mit grübelnder Verstandesarbeit verraten.

Seine Neigung: die Wirkungen des merkwürdigen Vorfalls, auf den er den Ton legt, dialektisch in die Seelen seiner Helden zu verpflanzen, ferner die Art seiner Darstellung erinnern an Heinrich von Kleist. Der Dichter des "Kohlhaas" und der "Marquise von Oh." hat ihm eingestandenermaßen als Muster vorgeschwebt. Wie Kleist bringt er die heftigen und detaillierten Gemütsbewegungen seiner Personen in einen auffallenden Kontrast zu dem anteillosen, der Relation verwandten Vortrage, setzt er das Unaufhaltsame des Schicksalsganges in ein unheimliches Gleichgewicht mit der Gelassenheit des epischen Berichts. Nicht weniger deutlich machen sich die Unterschiede Beider bemerkbar. Wenn Kleist uns durch die Naturgewalt der Leidenschaften erschüttert, so reizt Halm unsere Einbildungskraft, indem er seltsame Charakterrätsel aufgibt; wenn Kleist eine reine und unschuldige Menschheit malt, welche nach Tiecks schönem Worte durch die Finsternisse uns anblickt, so stellt Halm in das Zwielicht von Unglück und Schuld entschlossene oder verstockte Menschen, welche unsere Reflexion lebhafter in Anspruch nehmen, als unsere Empfindung; wenn endlich Kleist durch die Trauer über die Gebrechlichkeit der Welt, die von seinen Bildern auf uns übergeht, in uns jene Wehmut erzeugt, die unsere Spannung gelinde löst, so starrt uns in Halms Erzählungen ein tückisches, schadenfrohes Schicksal an, das den Dichter selbst mit dämonischer Freude zu erfüllen scheint. Mit Einem Worte: Kleist bringt das einfach Menschliche in ungewöhnliche Lagen, die seinem Wesen nichts anhaben können, während Halm verwickelte Seelenzustände und außerordentliche Vorgänge beziehungsvoll ineinander verflicht. Aber für die mangelnde Naivität des Dichters entschädigt uns in Halm die gesammelte Kraft des Künstlers, und für die geringere Macht des Tons leistet die Vornehmheit des Anschlags Ersatz. Über alles Künstliche hebt er uns mit der Geschicklichkeit des Artisten hinüber, und den einzelnen psychologischen Fehlgriff gleicht die Virtuosität der ganzen Zeichnung wieder aus. Das Originelle dieser Erzählungen beruht auf dem innigen Verweben der landschaftlichen, architektonischen, nationalen, geschichtlichen Besonderheiten und Zustände mit den Charakteren und Situationen, wobei man an Beschreibung auch nicht von Ferne denken darf. Klima, Stammesart, Epoche und lokale Umgebung üben auf die Personen dieser Erzählungen einen bestimmenden Einfluss. Der Dichter hat das Sittenkostüm und die Staffage zu treibenden Motiven erhöht. Hierin sind diese Erzählungen geradezu einzig."

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Deutscher Novellenschatz 21

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