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Vorwort der Herausgeber

Die Halbstarken

Wir befinden uns in der Zeit des Wirtschaftswunders, ganz Deutschland (ganz Deutschland?) ist von dem Gedanken an ökonomischen Erfolg beherrscht: Wohlstandsorientierung wird zum gesellschaftlichen Leitbild, man will die Schrecken von Naziherrschaft und Zweitem Weltkrieg vergessen und sich etwas leisten können, und dafür ist man bereit, hart und viel zu arbeiten. Ziel dieser Anstrengungen ist die Familie, die noch unangefochten und autoritär vom Vater geführt wird: Gehorsam, Ordnung und Disziplin sind die selbstverständlichen Sekundärtugenden, die den Kindern und Jugendlichen abverlangt werden. Politisch ist das noch im Wiederaufbau befindliche Land fest in der Hand Konrad Adenauers. Als Stichworte sollen hier Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland (Nato-Beitritt sowie Gründung der Bundeswehr), Anwerbung von Gastarbeitern und Kalter Krieg genügen.

Allerdings wird gegen die verkrustete Gesellschaft auch Protest seitens der Jugend laut, die den Rock ‘n‘ Roll als Medium der Rebellion für sich entdeckt. Insbesondere Elvis Presley, aber auch Chuck Berry und Little Richard, oder dann Peter Kraus und Ted Herold sind die Helden einer neuen, körperbetonten und wilden Musik, die – so wie sich das noch immer gehört hat – von den Eltern als minderwertig abgetan wird: Nur so macht Rebellion schließlich Spaß...

Neben die musikalischen treten v.a. auch Kinohelden, sie heißen Marlon Brando und James Dean. In Filmen wie Denn sie wissen nicht, was sie tun (Rebel Without a Cause, Nicholas Ray 1955) oder Die Saat der Gewalt (Blackboard Jungle, Richard Brooks 1955) werden diese Leinwandrebellen zu Vorbildern für viele junge Männer. Für die Frauen sind Marylin Monroe und Brigitte Bardot Stilikonen: Natürlich findet die Auflehnung gegen das prüde Nachkriegsdeutschland auch in der Mode ihren Ausdruck, Blue Jeans und Lederjacken sowie Petticoats sorgen für große Augen bei der Elterngeneration; insbesondere ruft ein freizügigeres Körperkonzept konservative Kritiker auf den Plan. Und wie auch in der Musik zieht im Kino der American Way of Life die Jugendlichen magisch an – ein Grund mehr für die Eltern, die neue transnationale Jugendkultur zu beargwöhnen. Das alte Lied vom Niedergang der Kultur wird eben in jeder Generation von neuem angestimmt. Dazu passt dann auch ein moderner flapsiger Jugendjargon, der bildungsbürgerlichen Sprachpflegern ein Dorn im Auge ist. Freilich dauert es andererseits nicht lange, bis diese Jugendkultur als Wirtschaftsfaktor identifiziert wird und man Musik und Film kommerziell verwässert; auch diese Geschichte ist nicht neu…

Georg Tresslers (1917-2007) Klassiker Die Halbstarken aus dem Jahr 1956, dessen Drehbuch er zusammen mit Will Tremper (1928-1998) schrieb, trägt den zeitgenössischen Schmähbegriff für die aufsässige Jugend im Titel. Wir begegnen den als Typen gezeichneten Jugendlichen und ihrem charismatisch-großspurigen Anführer Freddy Borchert zunächst im Hallenbad (siehe Drehbuchauszug, ab Einstellung 5), wo sie noch kindlich-verspielt gestohlene Uhren darauf testen, ob sie wasserfest sind. Hier treffen sich auch der vom Vater aus dem Haus geworfene Freddy und sein Bruder Jan wieder; die anschließende Schlägerei mit zwei Bademeistern lässt sich noch als jugendlicher Übermut abtun. Der Ernst der Lage wird aber spätestens deutlich, als Freddy eine Pistole kauft (siehe Drehbuchauszug, Einstellung 174). Das Geschehen eskaliert dann nach dem misslungenen Überfall auf ein Postauto, weil in der Jugendbande Hierarchiekämpfe ausbrechen, die Freddy, der wie ein waidwundes Tier reagiert, nur noch schwerlich kontrollieren kann. Das erkennt auch Freddys intrigante »Braut« Sissy Bohl, die nun auf Jan setzt, der sich als nüchterner Entscheider präsentiert hat (siehe Drehbuchauszug, Einstellung 455). Von ihr geht die in die Katastrophe führende Idee aus, das Haus des italienischen Barbesitzers Garezzo auszurauben; noch dazu hetzt Sissy die Brüder gegeneinander auf. Während des Einbruchs kommt es schließlich zum Konflikt zwischen Sissy und Freddy, in dessen Folge Sissy sowohl auf den Vater des Hausbesitzers als auch auf Freddy schießt. Die Szene endet mit dem Eintreffen der Polizei. – Im Drehbuch sah das übrigens noch etwas anders aus… (siehe Drehbuchauszug, Einstellungen 542 bis 544).

In diese Kriminalhandlung sind zwei Beziehungsdramen eingelassen: Das erste spielt sich zwischen Freddy und seinem ‚schwachen‘ Vater ab, einem frustrierten Kriegsheimkehrer, der durch eine Bürgschaft verschuldet ist und dem es so verwehrt bleibt, am Wirtschaftswunder zu partizipieren. Seinen Frust lässt er zunächst an Freddy aus, später auch an Jan, so dass die Familie zerrüttet wird. Das Filmende deutet, übrigens weniger deutlich als das Drehbuch (siehe Drehbuchauszug, Einstellung 549), dann eine mögliche Versöhnung in diesem Generationenkonflikt, bei dem der Krieg als Politikum noch keine Rolle spielt, zumindest an. Ein zweites Beziehungsdrama spielt sich zwischen Freddy und Sissy ab, die sich von ihrem Freund einen möglichst schnellen sozialen Aufstieg erhofft; dazu sind ihr alle Mittel recht. So entpuppt sich das berechnende Mädchen auch als eigentlicher Motor der Eskalation, zumal sie Freddy mehr oder weniger kontrolliert; im Roman heißt es: »Er verfiel ihr immer mehr. Mit ihren erhöhten Ansprüchen wuchsen sein Wagemut und sein rücksichtloses Vorgehen.« Innerhalb dieser beiden Beziehungskomplexe ist zudem das Verhältnis der Brüder Freddy und Jan zu verorten, weil Jan nicht nur Freddys Position in den Konflikten mit dem Vater einnimmt, sondern auch, weil Jan von Sissy nach dem gescheiterten Postraub als Freddy-Ersatz ins Auge gefasst wird. Die Erzählung deutet eine Dreiecksgeschichte inklusive wechselseitiger Eifersucht aber schon früher an.

Die Halbstarken zielt zwar in der Organisation der Rezeption auf die viel diskutierte Jugendbewegung in den 1950er Jahren (Stichwort »Halbstarkenkrawalle«) und macht die Rebellion der Jugendlichen gegen die Gesellschaft zum Thema, allerdings steht die kriminelle Energie der Gang im Vordergrund. Es geht dem Film auf der Basis eines Zeitphänomens also darum, eine spannende Geschichte zu erzählen, nicht eigentlich um Zeitdiagnostik. Außerdem bleibt der durchaus reißerische Film seinen amerikanischen Vorbildern verhaftet. Insofern ist die Frage nach der ‚Authentizität’ des Werkes doch sehr eine Frage der Perspektive und kann eher aus heutiger Sicht positiv beantwortet werden. – Im Vorspann heißt es: »Dieser Film berichtet über die Taten einzelner Jugendlicher und ihres kriminellen Anführers, im Zwielicht von Erlebnisdrang und Verbrechen.« Diese zeittypische Berichtfiktion wird zudem pädagogisiert, indem man den Film als »Warnung« verstanden wissen will »für alle jungen Menschen, die in Gefahr sind, auf Abwege zu geraten« (vgl. zu solcher Art expliziter Pädagogik im Hollywoodfilm The Wild One). Freilich hat dies nicht nur mit Erziehung im Medium des Films zu tun, sondern man kann so unter dem Deckmantel der Warngeschichte auch in einer prüden Zeit relativ explizit eine reißerische und durchaus provokative Story erzählen, die von Auflehnung, Erotik, Gewalt, Sex, Waffen und schnellen Autos handelt (FSK: ab 16 Jahren).

Dieser partielle Aufstand vollzieht sich (noch) unter gesellschaftskonformen Vorzeichen, denn der naive Traum, den die Jugendlichen hier träumen, ist ein kleinbürgerlicher von sozialem Aufstieg und Familienleben (siehe Drehbuchauszug, ab Einstellung 307). Die eigene Kriminalität wird dabei durch das Verhalten der Eliten entschuldigt und zudem ‚pseudosozialdarwinistisch‘ legitimiert, wenn Freddy Jan erklärt: »Sieh‘ mal, mit den Brüdern musst‘e so umgehen, das ist Pädagogik, verstehst‘e? Wenn Du weiterkommen willst im Leben, dann darfst Du Dich nicht unterkriegen lassen. Wenn ich dem nicht auf den Kopf trete, dann tritt er mir auf den Kopf.« – Zehn Jahre später wird sich eine ganz andere Bewegung formieren…

Unter formalen Gesichtspunkten ist es Tressler, der für seinen auch kommerziell erfolgreichen Film 1957 das Filmband in Silber als bester Nachwuchsregisseur gewann, relativ überzeugend gelungen, das Lebensgefühl der Jugendlichen einzufangen. Abgesehen von dem pseudo-pädagogischen Vorspann setzt sein Jugend-, Kriminal- und Berlinfilm in medias res ein und stellt uns die Clique vor. Geschickt nähern wir uns der erzählten Welt aus der Perspektive eines Außenseiters: Zusammen mit Jan werden wir in das Gangleben (wie man heute sagt) rund um Freddy eingeführt. Die Figuren sprechen die Sprache der Zeit, ihr Jargon dynamisiert eine Handlung, die auf einen Samstag in der Großstadt Berlin verdichtet ist.

Der von Wenzel Lüdecke produzierte, nicht immer klischeefreie Schwarzweißfilm kann als temporeich erzählt bezeichnet werden, der Einsatz der Musik ist pointiert. Die modernen Songs charakterisieren den Lebensstil der Jugendlichen, auch wenn sie eher Dixie als Rock ‘n‘ Roll bevorzugen. Symptomatisch steht der Marsch, der versehentlich von den Jugendlichen in der Jukebox angespielt wird, für die Elterngeneration, über die man lacht. Filmisch sticht besonders die Kameraarbeit von Heinz Pehlke hervor, auch lebt das Werk von seinen guten und gutaussehenden Darstellern, allen voran von Horst Buchholz (1933-2003) und der Laienschauspielerin Karin Baal (*1940).

Die Halbstarken reloaded

Im Jahr 1996 erlebte das Werk eine Renaissance, wurde es doch unter der Regie von Urs Egger neu verfilmt (Produktion: Bernd Eichinger). Der Fernsehfilm orientierte sich aber zu präzise am Original und fand kaum eigene Zugänge zur Thematik. Bei dieser von der Kritik geschmähten Produktion handelt es sich nicht um eine formale oder inhaltliche Aktualisierung, sondern um eine rein auf Unterhaltung zielende nostalgische Hommage. Folgerichtig beginnt das Werk, nach einer cineastischen Verbeugung vor Horst Buchholz, im Kino. Und als Hommage funktioniert der Film gut; dazu trug auch die damals erste Riege deutscher Jungschauspieler bei.

Bemerkenswert sind – neben einigen mehr oder weniger gelungenen kleinen Abweichungen – zwei Veränderungen in der nun in Köln spielenden Handlung: So stirbt die weniger intrigant gezeichnete Sissy im Handgemenge am Ende des Films: »Freddy«, sagt sie, »ich glaube, wir haben verloren.« Dazu kommt die formale Abweichung, dass die Geschichte von zwei Voice-Over-Erzählern aus der Rückschau kommentiert wird, nämlich der toten Sissy und dem ‚halbtoten‘ Freddy, der nach seiner kleinkriminellen Karriere tatsächlich als Briefträger bei der Post angeheuert hat und dessen Träume im Spießertum untergegangen sind.

Die Halbstarken. Ein packender Zeitroman

Will Trempers Erzählung Die Halbstarken aus dem Jahr 1956 liegt dem Drehbuch zugrunde. Es gibt große Gemeinsamkeiten zwischen Erzählung, Drehbuch und Film; einige der Unterschiede sind schon durch die Drehbuchauszüge aufgezeigt. Auch nimmt der Film deutlicher als der Roman den pädagogischen Warntopos an einigen Stellen im Erzählerkommentar auf und legt Wert auf eine Wandlung der Mitglieder der Gang. So zeigt am Ende der Handlung auch Freddy deutlich Reue: »‘Das…, das wollte ich nicht…, das… nicht…‘, würgt er mühsam hervor.«

Formal handelt es sich um ein Produkt der Arbeit im Medienverbund, das mit Szenenphotos aus dem Film in der Reihe Der bunte TOXI Film-Roman im Langhelm-Verlag (Hannover) veröffentlicht wurde. Der Roman ist (auch im Vergleich zum Film) konventionell strukturiert, aber handwerklich solide gearbeitet und ebenfalls temporeich. Besonderes Augenmerk wird auf die erzählte Zeit gelegt, gliedern doch 28 exakte Zeitaufrufe (von 15.22 bis 2.05 Uhr) den Text (bei dem man besser von einer Erzählung als von einem Roman spricht). Ähnlich wie den Film zeichnet den »Zeitroman« eine große Dynamik aus, die auch durch die Sprache erzeugt wird: Das Werk entfaltet sich aus einer Mixtur von im Stil einer Reportage berichtender Erzählerrede und von am Jugendjargon orientierten Figurendialogen. (Störend nimmt sich für den heutigen Leser allerdings die lautsprachliche Nachbildung der Rede nicht-muttersprachlicher Figuren aus.)

Die Halbstarken ist der erste Titel in der neuen E-Book-Reihe Filme zum Lesen, die es sich zur Aufgabe macht, literarische Werke, die Filmklassikern zugrundeliegen, in Form eines neuen Mediums wieder in den Blick zu nehmen. Das E-Book folgt dem ungekürzten Text der Erstausgabe von 1956, die in der Reihe Der bunte TOXI Film-Roman im Langhelm-Verlag (Hannover) erschienen ist. Der Text wurde behutsam der aktuellen Rechtschreibung angepasst.

Einen guten Überblick über den Kontext von Die Halbstarken bietet der Aufsatz von Jürgen Felix: Rebellische Jugend. Die „Halbstarken“-Filme: Vorbilder und Nachbildungen. In: Schauding, Michael (Hrsg.): Positionen deutscher Filmgeschichte. 100 Jahre Kinematografie: Strukturen, Diskurse, Kontexte. München: Diskurs-Film-Verlag: 1996. (Diskurs Film. 8.) S. 309-328.

Die Halbstarken

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