Читать книгу Evolution? Es kommt wie es kommt - Nur ganz anders - Willi M. Dingens - Страница 7

Archaeus Xtrmo

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Das ist die Geschichte einer wahren Liebe, einer, im wahrsten Sinne des Wortes, inniglichen Liebe, wie sie ihresgleichen sucht, nur noch drei oder viermal in der Geschichte des Lebens auftrat.

Es ist die Geschichte von Archaeus Xtrmo und Azzurro Cyano, recht unterschiedliche Typen und doch miteinander in Liebe und Freundschaft, unerschütterlicher Treue und tiefempfundener gegenseitiger Achtung verbunden. Das war natürlich damals, eher noch weit vor damals, also schon vor sehr langer Zeit, klar, denn wo würde man so etwas heute noch finden.

Es geschah zu einer Zeit, da die Evolution noch wenig Ahnung vom Leben hatte und überhaupt keine Übung darin, das ordentlich zu organisieren. Das Land war öde und farblos, ziemlich unbewohnt, bestrahlt von ultraviolettem Licht, eingehüllt in eine stinkende Atmosphäre und in giftigen Rauch aus diversen Vulkanen, die sich nicht scheuten, dazu auch noch in großen Mengen glühendes Gestein auszuspucken.

Ja, so sah das damals aus auf der Erde, kein Halm, kein Strauch, kein Baum, keine Wiese, kein Wald, kein Park; und schon damals kaum Parkplätze. Selbst der Spreewald war noch kein Spreewald, denn es fehlte ihm sowohl am Wald als auch an der Spree. Die Insel Rügen war gerade erst aus dem Erdmantel in die Erdkruste aufgestiegen. In der Hoffnung, später mal etwas darzustellen, gab sie sich alle Mühe, möglichst schnell abzukühlen. Wie wir heute wissen, gelang ihr das auch ganz gut.

An den Menschen dachte die Evolution noch gar nicht, auch nicht an Schildkröten, Regenwürmer oder Suppenhühner. Noch nicht einmal Wesen gab es, die mehr als eine Zelle ihr eigen nennen konnten. Es gab nur Einzelzeller. Das war logisch, denn das Leben braucht für alle Fälle, erst mal eine Zelle. Die vereinzelten Zellen versuchten, sich so gut es ging im Meer einzurichten. In der dunklen Tiefe des Meeres tummelten sie sich, aber auch schon in den helleren und wärmeren Gegenden des Meeres, also in den flacheren Regionen.

Azzurro Cyano war ein Wesen aus dem großen Geschlecht der Blaualgen, nicht sehr groß, eher klein, sehr schlank, ein einzelner Einzeller nur, ohne markante äußere Kennzeichen. Auch die Innenausstattung war nicht sehr üppig, eine locker in der Zellflüssigkeit herum schwappende kurze Kette mit den Desoxyribonukleinacid-Bausteinen, von Eingeweihten auch DNA genannt, eine Handvoll Ribosomen, die, unbeholfen noch, aber durchaus schon in der Lage waren, Aminosäuren zu brauchbaren Ketten zu ordnen, wodurch sie zu Proteinen wurden, die ein Zelle für verschiedene Zwecke einsetzen konnte; eine Membran mit Kanälen, die Notwendiges von außen durchlassen konnten, ebenso Überflüssiges, wenn es innerhalb der Zelle nicht benötigt wurde, nach außen entließ.

Im Prinzip ist damit schon mit einem unübersichtlichen Schachtelsatz in verständlicher Kurzfassung die Struktur und Arbeitsweise einer Zelle unverständlich kurz beschrieben. Das alles gab es also schon damals, eher noch weit vor damals bei den Blaualgen.

Das heißt, den Begriff Blaualgen hatten sie sich als Pseudonym zugelegt, als Tarnung, um von ihrem wahren Charakter abzulenken. Niemand weiß, warum sie das als notwendig erachteten. Blaualgen, so ein Unsinn aber auch. Sehr wirksam war der Tarnname auch nicht, von wegen Algen, schon bald wurden sie enttarnt und als Bakterien identifiziert. Ist ja auch nicht weiter schlimm.

Azzurro lebte mit Billionen Verwandten in den oberen Regionen des Urmeeres, also in den Land-, nein Meeresschaften mit wärmeren Wasser und mehr Licht, als in den tiefen Tiefen. Er lebte da friedlich vor sich hin und dachte an nichts Böses. Das konnte er gar nicht, denn Denken war nicht sein Ding, er wollte nur leben. So fern ist uns das gar nicht, oder?

In der Tiefe des Meeres lebten auch einzellige Einzeller. Sie waren etwas größer, robuster, an unwirtliche Bedingungen gewöhnt, wurden mit extremer Kälte und Hitze, mit viel Druck, mit salzigem Wasser, Dunkelheit und schlechtem Wetter leicht fertig. Die an der Oberfläche waren etwas schwächlicher, empfindlicher, sie liebten das Sonnenlicht und die Wärme und ein ruhiges Leben.

Aber beide, die Tiefseetaucher und die Oberflächenplanscher hatten etwas Wichtiges gemeinsam, nämlich C10H16N5O13P3.

Das werden Sie vielleicht gar nicht so kennen. Das gibt’s auch nicht bei Rossmann oder im ALDI, auch nicht bei Amazon, aber es ist ein wahres Wundermittel, ein Lebenselixier für alle lebenden Zellen, Natur-Doping. Jede Zelle benutzt es permanent und lebenslang. So'ne Zelle hat viel von einem Motor. Sie benötigt Energie, um den Betrieb am Laufen zu halten und dafür wiederum Treibstoff. Dazu muss das, was in der Außenwelt an Brauchbarem aufzutreiben ist, umgewandelt werden in das, was die Zelle dann verwenden kann.

Schon zu Beginn, also als gerade die ersten Anfänge des irdischen Lebens irgendwie stattfanden, hatte die Evolution beschlossen, C10H16N5O13P3 einzusetzen. Das war offensichtlich Absicht. Es hätte ja auch C2H5OH, der ziemlich gemeine Trinkalkohol sein können. Da wäre das Leben bestimmt ganz lustig geworden, vielleicht aber auch allzu schwankend. C5H12O3 wäre eventuell auch gegangen, obwohl ich Diethylenglycolmonomethylether kaum aussprechen kann und auch nicht weiß, was das im Normalsprech bedeutet. Aber um mich geht es ja hier auch gar nicht.

Es wurde also C10H16N5O13P3 . Das ist ein bunter Cocktail aus einem Schnipsel Adenin, einer Prise Ribose und drei Phosphaten, weshalb es von Kennern auch Adenintriphosphat genannt wird. Bekannter ist es als ATP.

Die Einzelzeller hatten entdeckt, dass sie mittels bestimmter Enzyme ATP zerlegen konnten. Dabei wurde das freigesetzt, was die Zelle für ihren Betrieb benötigt, Energie. Anschließend konnte die Zelle durch Hinzufügen bestimmter Moleküle das ATP wieder rekonstruieren. Die Tiefseezellen setzten dafür einen Gärungsprozess ein, bei dem anorganische Stoffe zersetzt wurden.

Die Oberflächenpaddler waren auch auf die Vergärung angewiesen. Auf Dauer passte ihnen die aber nicht so recht. Häufig aufstoßen zu müssen ist schon lästig. Aber die permanenten Blähungen sind, wenn man dicht gedrängt in Kolonien lebt, unerträglich.

Auf einem Meeting diskutierten die Cyanos sehr offen die Situation. Einige machten darauf aufmerksam, hier oben scheine doch häufig die Sonne, gibt es viel Licht, und das sei doch pure Energie. Und die Strahlung käme noch ziemlich ungehindert durch die Atmosphäre hindurch. Warum nutzen wir nicht, fragten sie in die Runde, die Energie der Sonne? Da müssen wir nicht mal Gebührenerhöhungen durch den Energiekonzern befürchten, der muss uns die Energie kostenlos liefern, das steht so in den Allgemeinen Liefer- und Geschäftsbedingungen der Firma Solarzon.

Und so erfanden die Cyanos die Photosynthese, bei der das energetisch eher unbedeutendes Kohlendioxid und das auch energiearme Wasser mittels Sonnenenergie in energiereiche Kohlenhydrate umgewandelt werden. Ein erstaunlich effizienter Prozess.

Der Mensch versucht sich auch in der Nutzung des Energielieferanten Sonne. Er muss dazu heute mehr oder weniger große Flächen mit spiegelnden Quadraten belegen und auf die Dächer der Häuser oder in die Landschaften setzen und klopft sich für diesen Erfindungsgeist lobend auf die eigenen Schultern. Die frühen Zellen erfanden ein Energie-Umwandlungssystem, für das Sonnenlicht, Kohlendioxyd und Wasser notwendig sind, mehr nicht. Drei reichlich vorhandene Komponenten; genial. Warum fällt unseren Wissenschaftlern eigentlich so etwas nicht ein?

Aber es ist ja oft so, dass gute Lösungen eben auch unangenehme und nicht direkt gewollte Nebenwirkungen haben. So genial die Erfindung der Photosynthese war, sie hatte eben auch eine dunkle Seite. Der Prozess setzte nämlich einen Stoff frei, der für die Cyanos ein tödliches Gas war: Oxygenium.

Das wussten die Cyanos freilich nicht, denn der Begriff ist aus dem Altgriechischen abgeleitet und die alten Griechen gab es in der jungen Erdzeit noch gar nicht, junge Griechen auch nicht. Das mit dem Begriff ist sowieso so eine Sache. Er ist aus zwei Begriffen zusammengesetzt, oxys bedeutet soviel wie spitz oder scharf, gennáo steht für erzeugen oder gebären. Warum man den Stoff, den die Cyanos da erzeugten, aber Säureerzeuger nennen musste, ist schon schleierhaft. Der deutsche Begriff ist mit Sauerstoff auch nicht viel besser. Oxygen ist völlig farb-, geruch- und geschmacklos, und dann heißt es Sauerstoff? Aber das ist nicht den Cynaos anzulasten, die photosynthesierten unermüdlich vor sich hin und dachten sich nichts Böses dabei.

Zunächst war das ja auch kein großes Problem. Sauerstoff ist zwar im Universum das dritthäufigste Element und wird fleißig in den Sternen produziert, aber er ist auch außerordentlich bindungswillig. Deshalb war er in jenen frühen Zeiten im Erdmantel in fast allen Mineralen vertreten, aber eben gebunden. Die Atmosphäre war in jenen frühen Jahren sauerstofffrei. Für die Cyanos war das Gas trotzdem wenig gesundheitsfördernd. Genauer gesagt, es war für sie das reine Gift. Eigentlich hätten sie die Sauerstoffproduktion deshalb stark reglementieren oder mit einer höheren Steuer belegen, wenigstens verbindliche Grenzwerte festlegen müssen.

Den Cyanos aber kam die damalige Umwelt entgegen. Im Urmeer gab es nämlich reichlich Eisen. Mit dem verbandelte sich der Sauerstoff nach Herzenslust. Eisenoxid sah zwar nicht so ganz gesund aus, aber konnte den Cyanos nichts anhaben, das Oxygenium im Oxid auch nicht. So konnten sie sich weiter tummeln und mussten sich über eine eventuell notwendige Sauerstoffausstoßsenkung zunächst keinen Kopf machen.

Dass das Meer nun langsam vor sich hin rostete, war ihnen ziemlich egal. Uns heute nicht, denn so erfanden die Cyanos ungewollt auch noch die riesigen Eisenerzlagerstätten, die wir heute gut gebrauchen können. So hängt vieles miteinander zusammen, oder wie ein altes deutsche Sprichwort sagt: Was dem enen sin Uhl, ist dem andern sin Helene; oder umgekehrt.

Und das setzte sich fort. Einige der Wesen aus der Tiefe kamen als Touristen in die wärmeren Regionen des Meeres. Vielleicht trieb sie auch der Hunger dahin, oder der Zufall der Meeresströmungen. Wahrscheinlich aber mehr der verdammte Sauerstoff, der auch für die Tiefseeexoten eine ziemlich giftige Angelegenheit war.

Noch immer auf den Gärungsprozess angewiesen, sagten sich einige von ihnen, vielleicht gären ja die Cyanos auch ganz gut. Lasst es uns einfach mal probieren. Nach dem sie ein wenig von den Cyanos genascht hatten, stellte sich schnell heraus, dass die neue Kost recht bekömmlich war. Und sie war überreichlich vorhanden und leicht erreichbar, denn die Cyanos siedelten zu Billionen in riesigen Kolonien.

Unter den Touristen war auch Archaeus Xtrmo, ein junger Bursche, von dem wir leider nicht sehr viel wissen, außer, dass er ebenfalls auf die Vergärung von Cyanos angewiesen sein musste. Er war wohl ziemlich verfressen, denn unter Kumpels soll er schon auch mal Archaeus Nimmersatt gerufen worden sein. Das ist ein unbestätigtes Gerücht, muss ich einräumen.

Bestimmt war Archaeus auch relativ faul. Fressen war sein ganzer Lebensinhalt. Sex war noch nicht erfunden, Sport auch nicht. Kreativität war nicht groß gefragt, warum auch. Nahrung in Form von Cyanos gab es überreichlich, man musste sie nicht einmal jagen, nur in sich aufnehmen, einige Enzyme einsetzen und verdauen.

Eines Tages, es soll ein Freitag kurz vor Ostern gewesen sein, geschah das Denkwürdige, das die Evolution des Lebens sehr prinzipiell veränderte, in völlig neue Bahnen lenkte und zu neuen Ufern aufbrechen ließ. An jenem Tag sollen sich nämlich Archaeus Xtrmo und Azzurro Cyano direkt und ganz persönlich begegnet sein. Was dann geschah, gibt uns noch heute Rätsel auf, wenn es geschah. Von vielen fundamentalistischen Evolutionsbiologen wird das freilich bis heute bestritten. Jedochallerdings gibt es starke Indizien, dass es doch irgendwie geschehen sein muss.

Jedenfalls soll das passiert sein: Archaeus und Azzurro begegneten sich und es war zunächst wie üblich. Archaeus nahm den kleinen Azzurro in sich auf. Üblich wäre nun gewesen, dass Archaeus Enzyme eingesetzt hätte, um Azzurro zu zersetzen und das Vergorene in Energie umzuwandeln. Aber das geschah nicht. Azzurro wurde nicht zersetzt und nicht vergoren, blieb einfach als Azzurro in Archaeus und photosynthesierte dort vor sich hin.

Niemand kann heute das Unglaubliche wirklich erklären. Hatte sich Archaeus überfressen? Hatte er einen Anfall pathologischer Faulheit? Beherrschte Azzurro einen Trick, sich gegen die Enzyme und die Vergärung erfolgreich zur Wehr zu setzen? Oder war da zum allerersten Mal in der Geschichte der Lebewesen das Prinzip Liebe auf den ersten Blick in Kraft getreten? Waren sich die beiden so überaus sympathisch, dass bei Archaeus das wirkte, was man später nach Erfindung der Zähne als Beißhemmung bezeichnete? Oder war Archaeus schon so weitsichtig, sofort zu erkennen, welche Chance sich ihm da bot?

Vielleicht ging es ja auch gar nicht um Persönliches und Individuelles, vielleicht war Größeres im Spiel, Fundamentaleres. Vielleicht steckte die Evolution als solche dahinter. Vielleicht hatte sie nun doch mal die Fachleute befragt oder das Handbuch Evoluschen vor Dummies gefunden, nachgeschaut und gesehen, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, den nächsten Schritt vom ganz Primitiven zum höher Primitiven einzuleiten und hatte sich dafür Azzurro und Archaeus ausgesucht, zufällig, oder weil die beiden dafür eine besondere, aber unbekannte Eignung besaßen. Wir wissen es nicht.

Irgendwie müssen sich die beiden neuen Freunde miteinander verständigt haben, bestimmt durch den Austausch diplomatischer Noten auf chemischer Basis. Jedenfalls begriffen beide, dass sie zum beiderseitigen Vorteil agieren konnten und sich damit ihr Leben ganz wesentlich erleichtern würden. Archaeus stellte fortan dem kleinen Azzurro Kohlendioxid, Wasser und andere notwendige Lebenselixiere zur Verfügung, garantierte auch Schutz vor Fressfeinden und den Abtransport des giftigen Sauerstoffs. Und Azzurro lieferte seinem freundlichen Wirt kostenlos ATP. Er kurbelte alsbald sogar, gut versorgt und geschützt, eine solche Überproduktion von ATP an, dass Archaeus schließlich auf die Vergärung ganz verzichten konnte. Er musste nur noch Azzurro mit allem Notwendigen für die Photosynthese versorgen, der erledigte den wichtigen Rest.

Das kann man gar nicht genug loben, hervorheben, würdigen und preisen. Die Kooperation mittels Symbiose war erfunden. Später bezeichnete man das als Win-Win-Situation. Ja, das ist keine Erfindung studierter Fachleute der heutigen Zeit, das war schon vor langer, langer Zeit Praxis. Und ganz ohne die Arbeiten von Wissenschaftlern.

Aber das war ja noch nicht alles. Es blieb nicht bei Archaeus und Azzurro. Irgendwie muss sich das mit der Win-Win unter den damaligen Bakterien-Sippen herumgesprochen haben. Immer mehr solcher Partnerschaften entwickelten sich, differenzierten sich, wurden immer effektiver und wurden zu den Stammvätern einer ganzen großen, noch heute existierenden Entwicklungslinie.

Was Azzurro und Archaeus nicht wussten: Sie waren als Erfinder der Chloroplasten in die Geschichte der Evolution eingegangen. Die Zellen im Inneren von Bakterien, die mittels Photosynthese ATP produzieren, nannten die Biologen nämlich später Chloroplasten. Das sind hochwichtige Organellen, die nichts Geringeres als die Erfindung der Pflanzen ermöglichten. Noch heute nutzen Pflanzen die Fähigkeit der Chloroplasten zur Photosynthese und setzen dabei Sauerstoff frei, was uns Heutigen ganz nützlich ist.

Nur mal so zur Richtigstellung: Als diese Geschichte den Biologen erzählt wurde, hätten sie eigentlich Archaeus Xtrmo und Azzurro Cyano sofort für den Nobelpreis vorschlagen müssen. Oder wenigstens den Überbringer der Nachricht. Stattdafür wurden sie sehr wütend. Wie kann denn jemand nur ein solches Märchen in die Welt setzen, wetterten sie. Ach ja, natürlich, Russen, war ja klar. Dabei weiß man doch, dass die Chloroplasten und alle anderen Zellstrukturen nur durch zellinterne Differenzierungsprozesse in Folge zufälliger Genmutationen entstanden sind. Bis nach Sowjetrussland hatte sich das wohl noch nicht herumgesprochen, dachten die westlichen Biologen, überlegen lächelnd.

Eine von ihnen trat dann freilich einige Jahrzehnte weiter mit einer unter den Biologen für einiges Aufsehen erregende Aufsehen erregende Theorie an die Öffentlichkeit. Die Chloroplasten wären gar nicht, verkündete sie, durch Diffenzierungen differenziert worden, sondern durch Symbiose und Kooperation zweier verschiedener Organismen.

Donnerwetter, sagten sich die westlichen Biologen, voller Stolz auf die Leistung westlicher Biologie, was für eine kühne Theorie, alle Achtung. Die Medaille des Nobelpreises für die kreative Biologin war wohl schon poliert, als sich jemand erinnerte, dass russische Biologen diese Theorie schon einige Jahrzehnte früher entwickelt hatten. Ein nobler Preis wurde wohl bis heute nicht für die Theorie von der Liebe auf den ersten Blick vergeben. Ich finde das ungerecht. Bei dem Nachweis der Hintergrundstrahlung ging es doch auch nicht so zimperlich zu.

Es lag wohl auch daran, dass die Evolutionsbiologen jede Form von Glauben strikt ablehnen. Und deshalb glauben sie auch nicht, dass Symbiose und Kooperation zu den Zellstrukturen führten. Solchen Glauben könne ja gerne anhängen, wer gerne glauben will, sagten sie. Sie würden unerschütterlich nicht glauben, sondern wissen, dass der Glaube an die Zufälle der Genmutationen der wahre Glauben ist.

Ein oder zwei Biologen wollten Genaueres wissen. Es ist mir nicht bekannt, ob die den einen oder den anderen Glauben prüfen wollten oder nur glaubten, nicht weiter glauben zu müssen. Hab ich mich da klar genug ausgedrückt? Jedenfalls untersuchten sie das Verpackungsmaterial der Chloroplasten, also die Membranen, von denen die umgeben sind. Und siehe da: Die innere Membran stammt offensichtlich von einem Azzurro Cyano, die äußere von Archaeus Xtrmo. Das kann ja wohl kaum von einer zellinternen Genveränderung stammen, meinten manche Biologen. Andere glaubten das trotzdem und wetterten weiter gegen jeden Glauben.

Später stellte sich heraus, dass auch die später entstandenen Zellkerne auf ganz ähnliche Weise entstanden sein müssen.

Viele fundamentalistischen Evolutionsbiologen glaubten auch das nicht. Sie glaubten standhaft an die zufälligen Genveränderungen. Der Zufall sei doch eine viel bessere Erklärung der Prozesse, glaubhafter jedenfalls. Wer soll denn ernsthaft glauben, dass da ein Bakterium gefressen und zufällig nicht verdaut wird, sondern sich zu einem Chloroplast mausert. Soviel Zufall sei doch nicht glaubwürdig, meinten sie und glauben weiter an den Zufall der Genmutation und den Zufall der Differenzierung zu zufällig sehr brauchbaren Strukturen.

Die Bakterien störte das nicht weiter. Die neuen Wesen hatten nicht nur ein gutes Leben, sie vermehrten sich auch fleißig. Und die noch als Cyanos verblieben Cyanos taten das ebenso. So wurde immer noch mehr Sauerstoff produziert und freigesetzt.

Nicht gleich, aber nachdem einige Jährchen vergangen waren, wurde den Cyanos und auch den Archaeen dieses eklige Gas O (das ist der Codename für Sauerstoff, nach Oxygenium) dann doch ziemlich lästig. Sie hätten eigentlich wissen müssen, dass das Eisen im Meer natürlich nur in begrenzter Menge zur Verfügung stand, es vermehrte sich nicht mehr groß. Und als alles verrostet war, fand der Sauerstoff kaum noch Partner, an die er andocken konnte. Das Meerwasser erklärte sich zwar bereit, ein wenig von dem Sauerstoff aufzunehmen, aber eben nur wenig. Also blieb dem Sauerstoff nichts anderes übrig, als in die Atmosphäre zu entweichen.

Mit anderen Worte, das Meerwasser wurde etwas unbekömmlicher und aus der Atmosphäre mit viel Kohlendioxid und Ammoniak, später noch Stickstoff und Schwefelwasserstoff, wurde eine Atmosphäre mit mehr Sauerstoff. Es stank zwar oberhalb des Meeres nicht mehr so entsetzlich, aber die Atmosphäre wurde nun auch noch immer giftiger. Kein schöner Ausblick in eine gesunde Zukunft.

Die Cyanos fanden das nicht so gut und die Bakterien aus der Tiefsee, die den Zug mit der Symbiose irgendwie verschlafen hatten, auch nicht. Langsam wurde klar, da musste etwas geschehen, auf ewig konnten sie nicht mit dem giftigen Sauerstoff leben. Dumm nur, dass sie den ja selbst produzierten. Also was tun?

Viele der Cyanos dachten gewiss an Suizid. Aber eigentlich lag das Aussterben der ganzen Sippschaft sehr nahe. Wenn eine Gattung Lebewesen seine eigene Lebenswelt vergiftet, verspielt sie damit ihre Existenzberechtigung. Das galt schon damals.

Und wieder zeigten die Cyanos ihre kreative Seite. Gut, sagten sich einige von ihnen, das mit der Photosynthese klappt gut und ist eine feine Sache. Aber die Sonne scheint auch nicht immer; nachts gar nicht, wie lange sie überhaupt noch ihre Bahn ziehen wird, kann uns auch niemand sagen. Was, wenn eines Tages gar kein Licht mehr da ist. Dunkelheit lässt sich nur schlecht photosynthetisieren. Was dann?

Pessimismus machte sich breit, Zukunftsängste führten vereinzelt schon zu Burnouts.

Dann tauchte eine ganz neue Idee auf. Wenn es nun, sagten sich einige Cyanos, soviel Sauerstoff gibt, dann kann man ja vielleicht den für irgendwas nutzen. Nichts ist so giftig, dass man es nicht doch für etwas Nützliches nützlich machen könnte. Schlangengifte, giftige Kröten, virale Impfstoffe sind lebende Beispiele dafür. Selbst radioaktive Strahlung kann nützlich sein, wenn man weiß, wie. Gemäß dieser Erkenntnisse begannen die Cyanos, Sauerstoff für ihre zellinternen Prozesse einzusetzen. So erfanden sie die Sauerstoffatmung.

Heh, sagte sich die Evolution, gute Idee. Vielleicht machen wir das gleich noch einmal, was schon bei den Chloroplasten geklappt hat.

OK, murmelten die Archaeen, machen wir, her mit den kleinen Sauerstoffatmern. Und so wurden die Mitochondrien erfunden, die Kraftwerke jener Zellen, die später zu den Tieren wurden. Auch bei den Mitochondrien fand man später zwei Membranen unterschiedlicher Herkunft. Und, was soll man sagen, die Zellkerne der neuen Zellen waren offensichtlich auch zweierlei Abkunft.

Die Zellen, die diese Entwicklung einleiteten, nannte man später Eukarionten. Die vorangegangenen Einzelzellen waren die Prokarionten. Nur mal so, falls sie bei den Diskussionen über die Evolution oder die Inflation oder die Kopulation auf die Begriffe stoßen. Prokarionten sind die Einzelzell-Wesen ohne Chloroplasten, Mitochondrien und Zellkernen. Eukarionten sind die mit den genannten zellinternen Plunder.

So kamen die Pflanzen und die Tiere in die Welt. Und zwar durch Kooperation und Symbiose, nicht durch Kampf, Verdrängung und Überlegenheit, nicht durch Archaeus is first. Das musste mal gesagt werden.

Wir sind den Cyanos und den Archaeen zu großem Dank verpflichtet. Ohne ihre Kreativität würden wir heute auf einem völlig kahlen Planeten herumlungern, einer tristen Landschaft ganz ohne Pflanzen und Tiere. Das mag ich mir gar nicht ausmalen.

Aber vielleicht wird das ja auch wieder.

Das mag ich mir aber auch nicht vorstellen.

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