Читать книгу Wyatt Earp 220 – Western - William Mark D. - Страница 3
ОглавлениеEs war spät am Abend. In die Main Street der kleinen Westernstadt Caprun sprengten mehrere Reiter.
Sie machten vor der Heuler-Bar Halt, sprangen von den Pferden und stiegen sporenklirrend und trampelnd auf den Vorbau, um gleich darauf in die Schenke zu stürmen.
Allen voran ein bulliger untersetzter Mensch mit kantigem Schädel und tief in den Höhlen liegenden Augen.
Es war Edward Billoc, der Bruder des Ranchers von der Billoc-Ranch. Ihm folgte ein großer Mensch mit einem knochigen Schädel und blassem fahlem Gesicht. Dieses Gesicht hatte irgendetwas von einem Totenschädel an sich. Es war der ehemalige Geflügelzüchter Ferry Monk.
Die Männer, die ihnen folgten, waren Jack Slater, David Cords und dessen Freund Morris.
Beim Eintreten der fünf Männer in die Schenke entstand plötzlich Stille. Das heißt, so weit es den Lärm betraf, den die Gäste in der Bar verursacht hatten. Das alte Orchestrion in der Ecke stampfte seinen nicht allzu rhythmischen Arizonasong weiter in die Schenke hinein.
Billoc machte mehrere Schritte vorwärts und blieb dann etwa in der Mitte zwischen den Tischreihen stehen, um sich nach allen Seiten umzusehen.
»Hört zu, Männer. Wir sind überfallen worden draußen auf der Ranch. Von zwei Kerlen, von zwei lausigen Strolchen. Der Sheriff, der uns mit einigen Leuten beistehen wollte, wurde von ihnen ermordet. Ja, höchstwahrscheinlich ermordet. Stimmt’s, Ferry?«
Monk nickte nur und schob die Hände in die Ausschnitte seiner zitronengelben Weste.
»Es ist so, Leute, wie Billoc es sagt.«
Der Bruder des Ranchers von der Billoc-Ranch bellte:
»Wir müssen etwas tun, Leute. Es ist zu vermuten, dass die zwei Verbrecher in die Stadt kommen werden.«
Da lehnte sich ein graubärtiger Mann an der Theke zurück und krächzte mit whiskyheiserer Stimme:
»Aber hör mal zu, das ist doch ausgeschlossen, zwei Kerle – das kann ich nicht verstehen.«
»Hast du mal etwas von Billy the Kid und seinen Freunden gehört, du Idiot?«, schnarrte ihn Billoc da an.
Und Monk fügte gleich hinzu: »Oder vielleicht mal etwas von den Clantons, he? Du glaubst doch wohl, dass Ike Clanton und ein Bursche wie Curly Bill genug Wirbel anrichten können, um eine ganze Stadt in einen aufgescheuchten Bienenschwarm zu verwandeln.«
»Ja, ja«, meinte der Mann, während er sich durch seinen krausen Bart fuhr, »aber ich finde, man sollte es nicht übertreiben. Wir werden doch noch mit zwei Kerlen fertig werden.«
»Eben«, schnarrte Billoc, »das will ich hoffen, und darum nehme ich an, dass sich genug Leute von euch zur Verfügung stellen.«
»Was habt ihr denn vor?«, wollte ein anderer wissen.
»Wir fangen sie ab.«
»Seid ihr denn sicher, dass sie in die Stadt kommen?«
»Kann ich nicht einsehen«, wandte der Graubärtige ein. »Leute, die irgendwo was angerührt haben, sehen zu, dass sie die Suppe nicht auslöffeln müssen. Ich vermute eher, dass sie sich aus dem Staube machen werden.«
»Die nicht«, knurrte Monk dazwischen.
Es gelang Billoc jedoch nicht, die Männer aufzuwiegeln. Erst als er mit einer dicken Lage Whisky winkte, wurden sie zugänglicher, aber helfen tat das auch noch nichts. Sie dachten nicht daran, jetzt zu dieser Abendstunde hinaus auf die Straße zu gehen, um sich mit zwei gefährlichen Verbrechern herumzuschlagen.
Da war es der Geflügelzüchter Ferry Monk, der das richtige Mittel fand, die Männer auf die Beine zu bringen.
»Hört zu, Leute, die beiden Kerle, die uns da auf der Ranch überfallen haben und die höchstwahrscheinlich auch in die Stadt kommen werden, sind keine Freunde von Laceso.«
Das wirkte.
Es schlug sogar bei den Männern ein wie eine Feldgranate.
Von allen Lippen flogen Ausrufe der Verwunderung, und dann drängten sich die Gäste der Heuler-Bar um Billoc und Monk.
Monk machte es jetzt ganz kurz: Er verteilte die Männer geschickt auf ihre Posten.
Einige hatten versteckt am Stadteingang zu warten, um andere zu warnen, die nicht weit von ihnen entfernt standen.
Selbstverständlich wurden Lacesos Haus und die Mitte der Main Street bewacht, wo die Bars waren.
Monk und Billoc standen vor der alten Schmiede und blickten die düstere Main Street hinunter nach Westen.
»Jetzt soll er nur kommen«, stieß Monk hervor und verzog das Gesicht zu einem hämischen Grinsen. »Ich werde ihm den Schlag heimzahlen, diesem verfluchten Sternschlepper.«
Billoc lachte leise in sich hinein.
»Was meinst du wohl, was geschehen wäre, wenn wir den Leuten gesagt hätten, auf wen wir hier warten.«
»Das kann ich mir vorstellen. Das hätte einen Wirbel gegeben.«
»Einen Wirbel?«, entgegnete Billoc, »überhaupt nicht! Ich sage dir, wir hätten Friedhofsstille geerntet. Die Bande hätte keinen Finger gerührt.«
»Möglich. Jedenfalls haben wir sie jetzt auf dem Posten, und sie wissen nicht, gegen wen sie kämpfen.«
»Mann«, meinte Billoc, während er sich eine Zigarette anzündete, »wenn ich mir vorstelle, dass der Hosenschneider, dieser feiste Schurke da drüben, wüsste, dass wir ihn auf Wyatt Earp und Doc Holliday losgehetzt haben – ich möchte sein Gesicht sehen …«
*
Von Nordwesten her preschte ein kleiner Reitertrupp durch den späten Abend.
Voran ritt ein großer hochgewachsener Mensch im schwarzen Habit des Spielers und mit kantig geschnittenem, aristokratischem Gesicht.
Es war der Georgier Doc Holliday. Er saß auf einem schwarzen Hengst, und sein weißes Hemd leuchtete wie ein Dreieck aus der schwarzen Kluft, die er trug.
Hin und wieder fiel ein Streifen Mondlicht durch die Wolken und beleuchtete die Gestalt des Gamblers mit gespenstischem Licht.
Die beiden elfenbeinbeschlagenen Knäufe seiner Revolver blinkten wie die goldene Kette seiner Uhr, die er über seiner hellen Weste trug.
Dann kamen drei Männer, die Handfesseln trugen.
Der Erste war der betrügerische Sheriff Talbot aus Caprun. Und ihm folgten die beiden Ganoven Joseph Caduk und James Welpa. Die beiden Schurken waren verletzt. Holliday hatte ihnen einen Notverband angelegt.
Den Schluss bildete ein Reiter von geradezu herkulischem Körperbau. Es war ein Mann mit weit ausladenden mächtigen Schultern und schmalen Hüften. Er hatte ein markant-männliches, kantiges Gesicht, das von einem leuchtenden Augenpaar beherrscht wurde und tiefbraun von Wind und Wetter gefärbt war. Er trug einen schwarzen Stetson-Hut, eine schwarze Jacke, ein graues Kattunhemd, eine schwarze Samtschleife und eine schwarze enganliegende Levishose. In den beiden Halftern seines breiten büffelledernen Waffengurtes steckten zwei schwere schwarzknäufige 45er Revolver. Er saß auf einem hochbeinigen Falbhengst, der einen so edlen Bau hatte, dass er jedem Pferdekenner einen Ausruf des Entzückens entlockt haben würde.
Während der linke Arm des Reiters hinunterhing, hatte die Rechte die Zügelleinen gefasst. Mit scharfen Augen musterte er über die Köpfe der anderen Reiter hinweg den Horizont und die Savanne auf der linken Seite der schmalen Overlandstreet, die zuweilen vom Mondlicht wie von Inseln besät wurde.
Wer einmal in das Gesicht dieses Mannes gesehen hatte, würde es so leicht nicht wieder vergessen.
Es war das Gesicht des Staaten-Marshals Wyatt Earp!
Der Marshal und Doc Holliday hatten mit den Gefangenen, die sie auf der Billoc-Ranch gemacht hatten, den Weg zur Stadt eingeschlagen.
Aber etwa eine Meile vor der Stadt hielt Doc Holliday sein Pferd an.
Er wartete, bis der Marshal neben ihm war und deutete auf die kleine Behausung, die ein Stück links vom Wege aufgetaucht war.
Wyatt nickte und trieb die Gefangenen darauf zu.
Sie mussten absteigen. Während Doc Holliday sie bewachte, klopfte der Missourier vorn an der Tür des Hauses.
Es dauerte eine ganze Weile, bis eine ältere Frau eine Klappe in der Tür öffnete.
»Was gibt’s?«, fragte sie vorsichtigerweise, ohne ihren Kopf sehen zu lassen.
Wyatt sprach eine Weile mit ihr und hatte nicht allzu viel Hoffnung, dass er hier Hilfe finden würde.
Da hörte er im Hintergrund des Korridors den schweren Schritt eines Mannes.
»Einen Augenblick, Maria, ich meine doch, die Stimme dieses Mannes schon einmal gehört zu haben.«
Ein Mann in den fünfziger Jahren kam an die Tür, öffnete sie und blickte den Missourier an.
Dann schlug er die Hände zusammen.
»Ich werde verrückt! Das ist doch
Wyatt Earp!«
Wyatt blickte den Mann forschend an. War er hier wieder an einen Gegner geraten?
Aber im Gegenteil. Der seltene Fall war eingetreten, dass er einen Freund fand, wenn auch keinen Freund, den er persönlich kannte, sondern einen Menschen, der einmal in einer Stadt gelebt hatte, in der der Missourier Marshal war.
»Mr Earp.« Er drückte dem Missourier beide Hände. »Mein Name ist Martens, Daniel Martens. Ich habe damals in Wichita gelebt, als Sie dort Marshal waren. Zounds, war das eine Zeit. Ich werde nie vergessen, wie Sie Mannen Clements fertig gemacht haben …«
Daniel Martens stammte aus Deutschland. Er war vor einem Vierteljahrhundert mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen über den großen Teich gekommen, um hier in der Neuen Welt ein neues Leben zu beginnen. Aber die Neue Welt hatte es ihm schwer gemacht. Bitter schwer. Einen seiner Söhne hatte er gleich hinter Lexington begraben müssen. Es war die Cholera, die den Burschen hinweggerafft hatte.
Dann war da noch Karl, der ältere Sohn. Er war mit den Eltern bis Wichita gezogen und dann von dort hinunter nach Arizona.
Vor sieben Wochen war er drüben in Caprun erschossen worden.
Der Mann, der ihn auf dem Gewissen hatte, hieß Laceso.
James Lester Laceso!
Der Missourier glaubte nicht richtig gehört zu haben.
Da hatte er also hier ganz zufällig in dem kleinen Farmer Martens nicht nur jemanden gefunden, der aufrichtige Bewunderung für ihn empfand, sondern einen Menschen, der sich durch den Tod seines Sohnes und seinen Hass gegen den Desperado Lester Laceso mit dem Marshal eng verbunden fühlte.
Als er hörte, was Wyatt Earp hierher führte, drückte er ihm noch einmal kräftig die Hand.
»Wenn es so ist, Marshal, können Sie sich auf mich verlassen. Bringen Sie die drei Schurken nur her. Ich weiß, wie man mit Leuten dieses Schlages umzugehen hat. Und eine besondere Freude soll es mir sein, dass ausgerechnet Talbot, dieser Halunke, dabei ist. Er ist das willigste Geschöpf Lacesos und führt alle seine Befehle aus.«
Als er sah, wer die beiden anderen waren, starrte er sie entgeistert an.
»Joseph Caduk, du dreckiger Schurke wagst es, mir unter die Augen zu kommen, und deinen Freund Welpa hast du gleich mitgebracht! Das ist ja unfasslich!«
Er wandte sich um und blickte den Marshal an und stieß heiser hervor:
»Diese beiden Schurken waren bei Laceso, als er meinen Sohn erledigte. Ich weiß es genau. Sie und ein gewisser Jack Slater.«
Der Missourier konnte keinen besseren Mann finden als den German, der die drei Gefangenen in ein sicheres Verlies hinten auf seinem Farmhof brachte, wo es kein Ausbrechen gab.
Außerdem schwor der Farmer dem Missourier, dass er mit dem Gewehr vor der Hütte Wache stehen würde.
»Nur über meine Leiche kann es einem von ihnen gelingen, den Hof hier zu verlassen, darauf können Sie Gift nehmen, Marshal …«
Besser konnten es die beiden Dodger wirklich nicht treffen.
Zehn Minuten später stand der Missourier draußen neben Doc Holliday und blickte auf den dunkel daliegenden Farmhof hinüber.
Holliday, der die Pferde gehalten hatte, zog seine Uhr, ließ den Deckel aufspringen und lauschte dem Läutwerk.
»Schätze, es geht auf Mitternacht.«
Wyatt meinte:
»War ein guter Einfall von Ihnen, Doc, hier anzuhalten.«
Der Georgier zog die Schultern hoch und blickte nach Südosten hinüber. Irgendwo im Schwarzgrau der Nacht lag Caprun.
Die beiden Dodger zogen sich in die Sättel und ritten im scharfen Bogen nach Osten hinüber, um sich der Stadt von der Ostseite her vorsichtig zu nähern.
*
In Caprun schien jegliches Leben erstorben zu sein.
Am Westrand der Stadt, wo die Main Street endete, und hinter den Häusern, die zum Nordwesten hinaus lagen, hatten sich die Männer postiert. Leute, die sich für ehrbare Bürger hielten.
Ein Sattelmacher, ein Schmied, ein Schuhmacher, mehrere Sägewerksarbeiter, ein Zimmermann und sogar ein Lehrer.
Die anderen waren Leute, die zu der Bande Lacesos gehörten, und die Monk noch aufgetrieben hatte.
Es würde kaum einer Katze gelingen, durch diesen Sperrgürtel in die Stadt einzudringen.
Nichts rührte sich. Stumm standen sie da und lauschten in die Nacht hinaus.
Wenn die Reiter kommen würden, müssten sie sie hören. Das stand fest.
Aber sie kamen nicht. Die beiden Männer, auf die hier gewartet wurde.
Vor einem der letzten Häuser standen Billoc und Monk in der Toreinfahrt.
Während Billoc ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat, nagte Monk an seiner Unterlippe.
Noch brannte der Schlag in seinem Körper, den er von dem Missourier erhalten hatte. Es war ein fürchterlicher Faustschlag gewesen, der ihn wie der Huftritt eines Hengstes getroffen hatte.
»Umbringen werde ich ihn!«, hämmerte es im Hirn des ehemaligen Geflügelzüchters.
Der Mann, der sich Ferry Monk nannte, war der ehemalige Gefängniswärter Jonathan Copperfield aus Indianapolis im Staate Indiana. Er hatte vor dreizehn Jahren den Geflügelhändler Travor Richmond in einer der Vorstadtstraßen von Indianapolis ermordet. Eine Frau namens Laura Dayton hatte den Mord beobachtet und konnte den Täter beschreiben.
Schon anderntags hatte der Sheriff von Indianapolis die Fährte des Mörders gefunden. Aber Copperfield war hinauf an die Nordgrenze des Staates geflüchtet und hatte sich in den Straßen Chicagos verbergen können.
Aber dort war er keineswegs sicher, denn alsbald tauchte sein Steckbrief auf und folgte ihm bis hinunter nach Illinois und weiter hinauf nach Iowa.
In der Nähe von Cedar Rapids konnte er sich eine Weile aufhalten, floh dann aber nach Sioux City hinüber, wo er ebenfalls nicht lange bleiben konnte. Er flüchtete hinunter nach Omaha an der Grenze Nebraskas, von wo er jedoch vorsichtshalber weiter den Missouristrom hinunterzog, bis nach Kansas City. Auch hier fürchtete er die Nachforschungen von Indiana und flüchtete in die kleine Stadt Muskogee in Oklahoma. Aber auch hier konnte der Mörder nicht bleiben. Vorsichtigerweise war er auf den Gedanken verfallen, sich wieder als Geflügelfarmarbeiter auszugeben, und erst sehr viel später sollte herauskommen, dass er, bevor er Gefängniswärter geworden war, tatsächlich auf einer Geflügelzucht in der Nähe von Cincinnaty gearbeitet hatte.
Von Muskogee zog er nach McAllester hinunter. Und von hier kam er nach Dallas in Texas.
Wie er von Texas an die Grenze Arizonas gekommen war, sollte im Dunkeln bleiben.
Es ließ sich einfach nicht mehr ermitteln. Jedenfalls war er eines Tages hier im Süden von Arizona in der kleinen Stadt Caprun aufgetaucht, wo er alsbald auf der Billoc-Ranch Freunde fand. Er hatte Geld, und niemand wusste, woher. Er gehörte zu den Männern, die mit Laceso befreundet waren und trieb sich zeitweise in der Stadt herum. Dann war er wieder wochenlang, ja, sogar monatelang verschwunden.
Jetzt stand er hier in der dunklen Toreinfahrt und beobachtete die Straße. Eine Weile hatten die beiden drüben vor der Schmiede gestanden, und nun hatten sie sich hier vorm Haus des Sargtischlers Evans postiert.
Rachegedanken krochten in das Hirn des Banditen.
»Wenn ich ihn kriege«, sagte er sich immer wieder, »dann schlage ich ihn tot. Ich schlage ihn regelrecht tot!«
Da bewegte sich Billoc neben ihm, machte ein paar Schritte vorwärts und sagte:
»Ich gehe wieder auf die andere Seite. Du kannst ja hierbleiben.«
»All right«, knurrte Monk.
Billoc entfernte sich und nahm wieder drüben vor der Schmiede Aufstellung, wo er glaubte, im Dunkeln des Mondschattens sicherer zu sein.
Und so war es denn der Mörder Ferry Monk, alias Jonathan Copperfield, der eigentlich etwas hätte hören müssen, was er jedoch nicht hörte. Es war der Zorn, der ihn nicht nur blind, sondern auch taub gemacht zu haben schien.
Sonst hätte er doch jetzt die Schritte hören müssen, die nicht einmal allzu weit von ihm entfernt hinten auf dem Hof des Sargtischlers aufklangen.
Es war allerdings ein leichter, ein federleichter Schritt. Und die Person, die ihn verursachte – war eine Frau.
Eine große, schlanke Frau. Sie trug einen dunklen Mantel über ihrem Kleid und hatte eine schwarze haubenförmige Kappe über ihr schimmerndes Haar gezogen.
Es war eine hübsche Frau, die seltsam asiatische Gesichtszüge hatte.
Ihr Name war Ruth Capucine.
Jawohl, es war die Schwester jenes Mannes, der zusammen mit dem verbrecherischen Sheriff Larkin vor einiger Zeit die Galgenmännerbande angeführt hatte.
Wyatt Earp war vor wenigen Stunden auf Ruth Capucine im Hause Lester Lacesos getroffen und hatte sie in einem Mietstall untergebracht in der Hoffnung, dass sie dort vorerst einmal sicher saß. Aber die schöne Frau hatte es verstanden, den jungen Mietstall-Owner dazu zu bewegen, sie freizulassen.
Sofort hatte sie ihre Freiheit dazu benutzt, Sheriff Talbot aufzusuchen und ihn hinter dem Missourier herzuhetzen, von dem sie wusste, dass er zusammen mit Doc Holliday zur Billoc-Ranch reiten würde.
Sie war es eigentlich, die den Marshal auf der Ranch so in die Enge getrieben hatte. Aber Wyatt Earp und Doc Holliday war es gelungen, sich aus dem Feuer herauszureißen und den Sheriff und zwei seiner Komplicen dingfest zu machen.
Ruth Capucine hatte, nachdem sie den Sheriff und mehrere andere Verbrecher in die Sättel gebracht hatte, die Main Street verlassen und ein kleines älteres Haus am Südrand der Stadt aufgesucht, in dem ihre Freundin Barbara Norton wohnte.
Barbara Norton, ein bigottes Mädchen mit blassem Gesicht und großen verklärten Augen, hatte Ruth damals, als ihr Bruder festgenommen worden war, in das Haus des Reverenden Thomson gebracht, wo sie liebevolle Aufnahme gefunden hatte.
Aber Ruth Capucine hatte dem Gottesmann diese Freundschaft wenig gedankt. Als sie durch einen Zufall den Kartenhai Laceso kennenlernte, hatte sie sich sofort mit ihm angefreundet, obgleich sie doch wissen musste, dass er ein Verbrecher war.
Barbara Norton hatte es erfahren, aber sie glaubte ebenso wenig daran wie der Reverend selbst, und war jetzt freudig überrascht, die ehemalige Freundin so plötzlich bei sich auftauchen zu sehen.
Aber Ruth Capucine hatte weder Lust noch Zeit, sich auf einen Tee einladen zu lassen, sondern sie forderte Barbara Norton auf, ihr ein Pferd zu leihen.
»Ein Pferd«, meinte das bleiche sommersprossige Mädchen, »ja, wenn du meinst, kann ich dir ein Pferd leihen, aber es ist nur ein Wagenpferd.«
»Ihr habt doch diesen schnellen Apfelschimmel, den brauche ich«, forderte die Gangsterbraut.
Barbara nickte wieder. »Ja, das ist ein Wagenpferd, ich habe es schon gesagt.«
»Ist das das Tier, mit dem dein Vater neulich hinauf nach Apache gefahren ist?«
»Ja, aber es tut mir leid, Ruth, der Wagen ist kaputt. Zwei Räder sind gebrochen, du weißt, dass mein Vater leider Gottes ein ziemlich wilder Fahrer ist, er trinkt zuweilen unterwegs, und dann kennt er keine Rücksicht.«
Ruth nagte an ihrer Unterlippe. Dann schnippte sie mit den Fingern und meinte:
»Komm, gib mir das Pferd.«
Wenige Minuten später stand sie mit dem aufgeschirrten Tier vor der Tür.
»Was hast du vor?«, fragte Barbara zitternd, obgleich die Nacht nicht einmal kalt war.
»Geh zurück ins Haus, du wirst dich erkälten«, forderte Ruth sie kühl auf und ging dann mit dem Pferd davon.
Aber den Wagen, den sie suchte, konnte sie nirgends finden.
Sie hatte das Pferd hinter dem Haus des Reverenden untergebracht, wo es so leicht niemand finden würde, und suchte weiter.
Wo konnte sie noch einen Wagen finden?
Überall waren die Höfe geschlossen, und sie als Frau konnte unmöglich eine Fenz übersteigen.
Natürlich wusste sie, dass Laceso eine Menge Freunde in der Stadt hatte, aber sie wollte sich nirgends mehr sehen lassen, da sie befürchtete, dass Wyatt Earp in die Stadt zurückkommen könnte. Und wenn sie dann irgendwo gesehen worden war, lief sie Gefahr, dass der Missourier sie aufspüren würde. Das wollte sie auf keinen Fall mehr riskieren.
So war sie nach längerer Zeit schließlich an den offenen Hof des Sargtischlers Evans gekommen, war hineingeschlüpft und hatte auch prompt den Wagen gefunden, den sie suchte.
Evans hatte einen kleinen leichten Buggy, den er immer hinten links unterm Wagendach stehen hatte.
In dem Augenblick, in dem Ruth Capucine den Wagen aus dem Dunkel des Vordaches herausgezogen hatte, hörte sie Reiter in die Main Street sprengen.
Sie lief vorn an das offene Tor und blickte hinter ihnen her.
Sie machten drüben vor der Heuler-Bar Halt, sprangen ab und liefen auf die Schenke zu.
Einen von ihnen erkannte sie sofort: Ferry Monk. Sie hatte ihn mehrfach bei Laceso gesehen.
Well, die Männer bedeuteten für sie keine Gefahr, dennoch wollte sie sich auch von ihnen nicht sehen lassen.
Sie ging in den Hof zurück und hatte den Wagen an das rückwärtige Tor gebracht, das ebenfalls offen stand, zog ihn hinaus und hatte schon ein Stück weggezogen, als sie plötzlich bemerkte, dass sie ihre Handtasche verloren hatte.
Sie lief zurück in den Hof und suchte im Dunkeln unter dem Wagendach.
In diesem Augenblick kamen zwei Männer von der Straße her vorn an das Hoftor.
Monk und Billoc!
Ruth Capucine biss die Zähne aufeinander und ballte ihre kleinen weißen Fäuste.
Um keinen Preis durften die beiden sie hier finden. Aber konnte sie es wagen, sich jetzt hier aus dem Hof zu stehlen?
Billoc, den sie jetzt auch erkannt hatte, war durchaus fähig, sofort einen Schuss abzugeben.
Und auf wen die beiden da lauerten, das war ihr klar. Höchstwahrscheinlich war der Überfall auf Wyatt Earp fehlgeschlagen. Jedenfalls hätte sich Billoc jetzt sonst kaum hier in der Stadt aufgehalten. Die beiden lauerten auf den Marshal, der also in der Stadt zurückerwartet wurde.
Der Boden brannte der Gangsterbraut unter den Füßen.
Da entfernte sich Billoc vom Hoftor und ging davon.
Nur Monk stand noch allein da.
Das war noch schlimmer, denn bisher hatten die beiden zuweilen noch einmal miteinander geredet, was ihr vielleicht die Möglichkeit geboten hätte, sich zu entfernen. Nun aber, wo Monk allein dastand, herrschte tiefe Stille auf dem Hof, und er musste jedes Geräusch vernehmen.
Die Frau bewegte sich langsam rückwärts davon und trat plötzlich auf einen weichen Gegenstand.
Es war ihre Tasche. Sie hob sie auf und ging leise auf Zehenspitzen weiter. Wäre der Mörder Monk weniger mit seinen Gedanken des Hasses beschäftigt gewesen, so hätte er den Schritt der Frau hören müssen. Aber er hörte ihn nicht. Und so kam es, dass Ruth Capucine unbemerkt den Hof verlassen konnte.
Sie holte den Apfelschimmel hinter dem Haus des Reverenden hervor, spannte ihn vor den Buggy und stieg auf.
Unbemerkt kam sie aus der Stadt und preschte mit dem Wagen auf der Straße nach Apache davon.
Wären Wyatt Earp und Doc Holliday nur etwa zwanzig Minuten später von der Farm des Deutschen gekommen, so hätten sie den Wagen bemerkt, zumindest aber das Geräusch vernommen, das er verursachte.
*
Wyatt Earp und Doc Holliday hatten die Stadt an ihrem Ostrand erreicht und brachten die Pferde in das Dunkel einer Scheunenwand, wo sie sie zurückließen.
Hier standen Büsche und Bretterstapel herum, sodass die Tiere nicht so leicht entdeckt werden konnten.
Und die beiden Dodger wussten, dass sie sich auf ihre Tiere verlassen konnten. – Sowohl der Falbe als auch der schwarze Hengst würden still stehen bleiben, bis ihre Herren zurückkamen.
Die Vermutung des Marshals, dass Billoc, Monk und die anderen längst in die Stadt zurückgekommen waren, war ja richtig, und schon nach wenigen Minuten entdeckte der Missourier einen Mann, der auf einem Vorbau Posten stand und ein Gewehr in der Hand hatte. Gleich darauf entdeckte er einen zweiten, der drüben über einer Ballustrade im Obergeschoss lehnte und die Straße nach Westen hin ebenfalls im Auge behielt.
Der Marshal schob sich durch einen Häuserschacht zurück und traf Doc Holliday, der auf einem hölzernen Geländer eines Brunnens saß und mit den Beinen baumelte.
»Na, wartet das Empfangskomitee schon?«, kam es spöttisch von den Lippen des Spielers.
»Leider ja«, entgegnete der Marshal. »Ich schätze, dass es ausgeschlossen sein wird, über die Main Street hinüberzukommen. Unsere Freunde haben ihre Leute zu beiden Seiten der Straße postiert.«
»Na also«, entgegnete Holliday gelassen, »dann wissen wir das wenigstens.«
Sie blieben hinter den Häusern, passierten auch den Hof der Heuler-Bar, und plötzlich blieb der Missourier stehen.
Aus einem der nächsten Höfe war ein Geräusch gedrungen, das sein scharfes Ohr vernommen hatte.
Es war das Weinen eines Kindes.
Jetzt hatte es auch Holliday gehört.
»Ist das nicht der Hof des Post-Offices?«, flüsterte er.
Wyatt nickte.
Dann schlich er auf die hintere Pforte des Hofes zu und stellte fest, dass sie nur angelehnt war.
Er hob sie etwas an, um das Knirschen der Angeln zu vermeiden, was ihm jedoch nicht ganz gelang. Er blieb stehen und lauschte.
Das Weinen des Kindes war immer noch zu hören. Es musste drüben aus einem der Anbauten des Posthauses kommen.
Der Missourier hatte den Hof betreten, blieb im Dunkel der Fenz, und schließlich ging er auf den Anbau zu.
Unten stand die Tür offen, und eine Treppe führte hinauf.
Wyatt, der sich jetzt genau gegenüber von dem Anbau befand, sah im Mondlicht, das eben durch eine Wolkenlücke brach, einen kleinen Jungen auf der untersten Treppenstufe sitzen, den Kopf in die Hände gestützt und leise vor sich hinweinend.
Da richtete sich der Missourier auf und ging langsam vorwärts.
Der Junge bemerkte ihn erst, als er vor ihm stand. Aber er hob nur kurz den Kopf und weinte dann nur umso lauter weiter.
Da ließ Wyatt sich neben ihm nieder und legte den Arm um seine Schultern.
»Na, Tommy, was haben wir denn?«
Der Junge schüttelte den Kopf und weinte nur noch heftiger.
»Aber, Tommy, ich denke, dass es vielleicht besser ist, wenn du mir sagst, was los ist. Vielleicht kann ich dir ja helfen.«
»Nein, niemand kann mir helfen«, stammelte der Junge. »Onkel Bill und Tante Mary sind tot. Niemand kann mir helfen.«
Der Missourier zog die Brauen zusammen.
»Hör mal, Tom, ich bin ein Sheriff. Siehst du, hier ist mein Stern.« Er nahm seinen großen fünfzackigen Stern im Wappenkranz aus der Tasche und hielt ihn dem Jungen hin.
Der unterbrach sein Schluchzen und blickte mit großen Augen auf den Stern. Dann sagte er, während er den Mann, der neben ihm saß, anblickte:
»Woher weißt du, dass ich Tom heiße?«
»Ich wusste es nicht, ich habe es nur so gesagt. Manchmal nenne ich kleine Jungen Billy, aber ich dachte, dass du Tommy heißen könntest.«
»Ich heiße so. Ich bin Tom Cumberland, und wie heißt du?«
»Wyatt Earp.«
Der Junge wich zurück, stand auf, presste beide Hände an die Flurwand und hatte den linken Fuß noch auf einer Treppenstufe sitzen.
»Wyatt Earp? Das ist nicht wahr! Du lügst mich an!«
Der Missourier erhob sich, schüttelte den Kopf und entgegnete mit seiner beruhigenden dunklen Stimme:
»Du tust mir Unrecht, Tommy.«
»Sie wollen Wyatt Earp sein? Der große Sheriff aus Dodge City?«
Da riss der Missourier ein Zündholz an und hielt es vor den Stern.
Tom starrte auf das blinkende Abzeichen.
»Marshal – Dodge City«, las er verblüfft.
Dann hatte der Missourier den Stern umgedreht, und der kleine Tom Cumberland starrte auf den eingravierten Namen.
»Wyatt Earp«, hauchte er fast andächtig. Dann hob er den Kopf, und plötzlich schossen die Tränen wieder in seine Augen. Er machte zwei Schritte vorwärts und presste seinen Kopf gegen den großen Mann, der da vor ihm stand.
Wyatt legte beide Hände auf die Schultern des Jungen und sagte beruhigend:
»Ja, Tom, weine nur ruhig, aber dann sagst du mir, was passiert ist.«
Wenige Minuten später wusste er alles.
Tom Cumberland war ein Junge, der oben aus dem mittleren Kansas stammte und dessen Eltern auf der Ranch eines Bruders umgekommen waren. Der Junge war zu einer Tante nach Caprun geschickt worden und hatte hier ein Jahr bei ihr gelebt. Dann war diese Tante plötzlich gestorben.
Die Frau des Postmasters, deren beide Kinder einer Epidemie zum Opfer gefallen waren, hatte den netten Jungen zu sich genommen. Und der kleine Tom, der hier bei den Postmasterleuten lebte, hatte am Abend erleben müssen, wie zwei Banditen durch den Hof ins Haus gedrungen waren und den Postmaster sowie seine Frau erschossen.
Wyatt, der sich gleich darauf von der Wahrheit dieser Worte überzeugen musste, als er die beiden Leichen im Küchenraum des Hauses vorfand, kam wieder heraus und fand Holliday bei dem Jungen.
»Hast du keine Ahnung, wer das gewesen sein könnte?«
»Doch«, entgegnete der Junge. »Ich weiß es genau, der eine von ihnen heißt Keeton und der andere war Larry Food.«
Die beiden Dodger wechselten einen kurzen Blick miteinander.
Cassius Keeton und sein Freund Larry Food hatten bei dem Revolvergefecht auf der Billoc-Ranch den Tod gefunden, beide. Damit hatten sie sich der irdischen Gerechtigkeit entzogen.
Der Junge hatte seinen Schmerz noch keineswegs überwunden, aber die Tatsache, dass er hier auf den großen Marshal Wyatt Earp und Doc Holliday gestoßen war, beruhigte ihn doch etwas.
»Kann ich nicht mit Ihnen kommen, Marshal?«, fragte er bittend.
Wyatt fuhr sich mit dem Mittelfinger durch den Kragen.
»Hm, Tommy, wenn ich wüsste, wie ich das machen sollte. Weißt du, ich habe kein Haus – in diesem Sinne, ich habe keine Familie und –«
»Vielleicht kennt er selbst jemanden, zu dem man ihn bringen könnte.«
Der Junge schüttelte den Kopf.
Plötzlich hatte Doc Holliday einen Einfall. »Ob wir ihn nicht einstweilen zu dem Reverenden bringen könnten?«
Da nickte der Junge.
»Ja, ich kenne Mr Thomson. Er mag mich gut leiden, weil ich in der Schule fleißig und artig bin.«
»Na also«, meinte der Spieler. »Du zeigst uns jetzt den Weg zu seinem Haus.«
Aber der Weg zu Reverend Thomson führte über die Main Street.
Und genau die konnten sie ja nicht überqueren.
Aus diesem Grunde mussten sie einen sehr weiten Umweg machen, und es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sie auf der anderen Straßenseite hinter dem Hoftor des Reverenden angekommen waren.
Das Tor war verschlossen.
»Hör zu«, raunte der Missourier dem Jungen zu, »du läufst jetzt hier durch den Schacht zur Main Street und klopfst vorne am Haus. Sieh zu, dass du nicht laut mit Mr Thomson zu reden brauchst, sondern geh mit ihm ins Haus und erkläre ihm dort alles. Er möchte dann bitte hier in den Hof kommen.«
Der kleine Bursche nickte und lief mit flinken Füßen davon.
Vorsichtshalber folgte ihm Doc Holliday, denn es war ja nicht ausgeschlossen, dass die Sache schief ging. Er blieb vorne am Ausgang des Schachtes hinter einem wackeligen Bretterzaun stehen und beobachtete das Kind, das jetzt die Haustür erreicht hatte und den metallenen Türklopfer betätigte.
Es dauerte nicht sehr lange, und die Tür wurde geöffnet. Ein Lichtschein fiel auf den Vorbau, und der Junge trat sofort ins Haus.
Holliday ging zurück und fand den Missourier noch vor dem Hoftor.
Es dauerte eine ganze Weile, bis im Küchenraum hinten Licht gemacht wurde.
Dann waren rasche Schritte im Hof zu hören, und ein Riegel wurde von der Pforte zurückgeschoben.
Er ließ sie wortlos vorbei und leitete sie ins Haus.
Als sie im Raum neben der Küche standen, der ebenfalls zum Hof hinausführte, bot der Gottesmann den beiden Westläufern Platz an.
Aber Wyatt lehnte dankend ab und erklärte ihm, was es zu erklären gab.
Reverend Thomson, ein sehr ernster Mann mit klugen großen Augen, schob seine Brille etwas zurück und meinte stirnrunzelnd: »Das ist eine ziemlich heikle Sache, Mr Earp. Mr Laceso ist ein gefährlicher Mann, das kann ich Ihnen nur sagen. Und wenn es nicht unbedingt notwendig wäre, würde ich Ihnen raten, von der Sache Abstand zu nehmen.«
»Das ist ausgeschlossen«, entgegnete der Missourier. »Es besteht immerhin der Verdacht, dass dieser Mann eine große Verbrecherbande anführt.«
»Das kann natürlich möglich sein«, entgegnete der Geistliche. Und dann kam er auf Ruth Capucine zu sprechen. Er mochte das Mädchen gern und war vom Mitleid über sein Schicksal erfüllt.
»Sie wissen, wo Ruth sich aufgehalten hat?«
»Nein, ich weiß es nicht«, entgegnete der Mann. »Aber wenn Sie mir jetzt sagen, dass sie im Hause von Laceso war, als Sie sie trafen, dann kann ich auch nichts dazu sagen. Ich habe ihr gesagt, dass ich es nicht wünschte und bestimmt nicht gern sähe. Aber sie tut, was sie will. Sie ist eine junge Frau und wahrscheinlich in diesen Schönling vernarrt.«
»Das wird es sein«, entgegnete Wyatt.
»Wo ist sie geblieben?«, erkundigte sich der Geistliche.
»Ich habe sie unten in den Mietstall gebracht. Der Sohn des Mietstall-Owners konnte sie in einer Futterkammer unterbringen.«
»Kann ich mit ihr sprechen?«, meinte der Gottesmann.
»Natürlich«, entgegnete der Missourier.
»Gut. Dann werde ich erst Tommy unterbringen. Meine Haushälterin wird für den Jungen sorgen.«
Das Kind wurde weggebracht, nachdem es sich von den beiden Westmännern verabschiedet hatte, und Reverend Thomson begleitete Wyatt Earp und Doc Holliday auf einem kleinen Umweg zu dem Hof des Mietstalles.
Auch diesen Hof hatten sie durch die Hinterpforte betreten – und sofort sah Wyatt Earp, dass die Tür zu der Futterkammer offen stand.
Ruth Capucine war geflüchtet!
Drüben im Wohnhaus der Mietstall-Leute brannte Licht.
Wyatt stahl sich an das Fenster heran und konnte einen Blick in die Stube werfen.
Drinnen saß der junge Bursche und hatte den Kopf in beide Hände gestützt.
Wyatt klopfte ans Fenster und wich zurück.
Da wurde das Fenster geöffnet, und der Bursche sah den Reverenden draußen stehen.
»Komm einen Augenblick in den Hof, Bill, ich habe mit dir zu sprechen.«
»All right«, meinte der Bursche und verschwand.
Gleich darauf erschien er an der Hoftür, kam die Treppe hinunter – und sah Wyatt Earp vor sich stehen.
Er torkelte förmlich zurück vor Schreck.
Wyatt kam auf ihn zu und blieb vor ihm stehen.
»Was haben Sie mir zu sagen?«
Da sank der Kopf des Burschen auf die Brust hinunter.
»Sie hat mich – sie hat mich einfach überredet, Marshal. Ich – ich muss wahnsinnig gewesen sein.« Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und schüttelte wieder den Kopf.
»Berichten Sie kurz, was geschehen ist«, forderte der Marshal ihn sachlich auf.
Da erzählte der junge Mietstall-Owner, dass Ruth Capucine ihn mit geschickten Worten dazu gebracht hatte, sie von ihren Fesseln zu befreien und aus der Futterkammer herauszulassen. Gleich anschließend war sie dann aus dem Hof gerannt. Wohin, das wusste er auch nicht.
»Vielleicht ist sie bei ihrer Freundin Barbara Norton«, meinte der Reverend.
Zehn Minuten später standen sie in der Wohnstube der blassgesichtigen Näherin Barbara Norton.
Als der Missourier das Haus der Näherin betreten hatte, verspürte er plötzlich ein merkwürdiges Gefühl in der Magengrube. Er blickte Doc Holliday an, und der hatte anscheinend sofort begriffen.
»Ich werde mich vielleicht etwas im Hof umsehen, Marshal«, sagte er.
Der Reverend blickte ihn befremdet an, und das Mädchen, das völlig missverstand, deutete zur Hoftür.
Wyatt Earp, Reverend Thomson und Barbara Norton betraten die Wohnstube.
Das unbehagliche Gefühl, das der Missourier verspürte, wurde stärker und stärker.
Es war der Mahner in seiner Brust, der ihn immer vor einer nahenden Gefahr warnte.
Unwillkürlich blieb Wyatt neben der Tür an der Wand stehen, und zwar so, dass seine Gestalt fast von der schweren alten Wanduhr verdeckt wurde.
Reverend Thomson stand in der Mitte der Stube vor Barbara Norton.
»Entschuldigen Sie, Barbara, dass ich noch so spät komme. Aber es geht um Ruth Capucine. Dieser Mann ist Wyatt Earp und –«
In diesem Augenblick geschah es!
Ein Gewehrschuss zerschmetterte das Fenster, und der Körper des Geistlichen bekam einen Stoß. Mit einem röchelnden Laut sank der Reverend in sich zusammen.
Wyatt hatte sofort mit einem Schuss die Lampe gelöscht.
Dann rannte er hinaus, riss die Haustür auf, warf sich aber sofort wieder zurück. Denn was er erwartet hatte, geschah. Ein Gewehrschuss peitschte in den Hausgang.
Wyatt lief zurück, stieß die der Stube gegenüberliegende Tür auf und rannte durch einen kleinen Raum, der ein Fenster zur Seitenfront des Hauses hatte.
Als er es hochgerissen hatte und hinausgesprungen war, hörte er rasche Schritte vom Hof her.
Es war Doc Holliday.
»Marshal?«
»Yeah.«
»Sind Sie unverletzt?«
»Ja.«
»Und der Rev?«
»Ich glaube, er ist tot.«
Sie schlichen sich beide bis an die Hausecke und starrten in das Dunkel der Häuserfronten hinüber, die auf der anderen Straßenseite lagen.
Das Haus der Näherin war eines jener einzeln stehenden Gebäude, die am Stadtrand standen.
Gegenüber war eine richtige Häuserreihe, die von Hoffronten unterbrochen wurde.
Überall da drüben im Radius von hundert Yards konnte der Heckenschütze stehen.
Er hatte die hochgewachsene schwarze Gestalt des Reverenden in dem von einer hellen Kerosinlampe erleuchteten Raum mühelos anvisieren und mit dem Gewehrschuss treffen können.
Während Doc Holliday das Haus wieder betrat, um sich um den Getroffenen zu kümmern, durchsuchte der Missourier systematisch und zäh die gegenüberliegenden Höfe.
Schließlich erzwang er sich auch den Eintritt in die drei Häuser, die gegenüber lagen.
In dem ersten Haus wohnte ein uralter Mann, der sicher seine Achtzig auf dem Buckel hatte und kaum auf den Gedanken kommen würde, zu mitternächtlicher Stunde mit einem Gewehr einen Priester niederzuschießen.
Im Nachbarhaus lebte eine alte Frau mit zwei kleinen Kindern, die auch nicht für die Tat infrage kam.
Das Haus daneben war leer.
Wyatt, der es sorgfältig durchsuchte, fand in der Wohnstube des Untergeschosses das Fenster hochgeschoben. Und dicht vor der Fensterbank fand er frische Erdspuren.
»Hier hat er gestanden«, flüsterte der Missourier vor sich hin.
Natürlich war der Verbrecher längst geflüchtet.
Wyatt durchsuchte das Haus und den Hof weiter und musste nach einer halben Stunde ergebnislos in das Haus der Näherin zurückkehren.
Drinnen auf dem Tisch lag Reverend Thomson. Er lag auf dem Leib, und sein kalkiges Gesicht war zur Seite gewendet. Er sah aus wie ein Toter.
Über ihn gebeugt stand der ehemalige Bostoner Arzt und neben ihm stand die geöffnete schwarze krokodillederne Tasche, die Holliday in größter Eile vom Pferd hierher geholt hatte.
Zwei Schüsseln mit dampfendem Wasser standen auf einem kleinen Tisch, und mit aschgrauem Gesicht verharrte die Näherin neben dem Spieler und hatte einige blinkende Instrumente in den Händen, die sie auf Anweisung Hollidays offensichtlich bereithielt.
Wyatt blieb neben der Tür stehen, nahm den Hut ab und fuhr sich über die glühend heiße Stirn.
Als Holliday einmal kurz aufblickte, suchte der Missourier eine Antwort auf seine stumme Frage in den Augen des Freundes.
Holliday zog nur die Schultern hoch.
Also hatte er nur wenig Hoffnung für den Verletzten.
Aber mit der Zähigkeit, die ihm eigen war, holte der Mann, der vor anderthalb Jahrzehnten drüben an der Ostküste der Staaten eine so hoffnungsvolle Karriere als Arzt begonnen hatte, die tief versteckt sitzende Kugel aus dem Wundkanal heraus.
Es war ein verformtes widerliches Bleistück, das Holliday auf einen metallenen Aschenbecher hinter sich fallen ließ, um sodann seine Arbeit fortzusetzen.
Eine Viertelstunde später war die Wunde gereinigt und verbunden, und Thomson lag auf einem Bett im Nebenzimmer.
Doc Holliday und Wyatt Earp kamen zurück, und während sich der Spieler die Hände wusch, die Manschetten herunternahm und zuknöpfte und nach seiner Jacke griff, meinte der Marshal:
»Hoffnungslos?«
»Ziemlich«, entgegnete Holliday, »aber Sie wissen ja, hoffnungslos ist es erst, wenn es aus ist – wenn das Herz zu schlagen aufgehört hat.«
Schweigend standen die beiden da und hörten die Frau hinter sich im Korridor.
Barbara Norton kam in die Stube und stand mit gefasstem Gesicht vor den beiden.
»Was soll ich tun?«
»Wir sind hierhergekommen, weil wir nach Ruth Capucine fragen wollten«, sagte der Missourier.
»Sie war hier«, entgegnete das Mädchen mit dumpf klingender Stimme. »Sie hat ein Pferd bei mir ausgeliehen.«
»Ein Pferd?«, entfuhr es dem Missourier.
»Ein Wagenpferd. Einen Apfelschimmel, aber sie brauchte auch einen Wagen, denn ohne Wagen kann sie mit dem Pferd nichts anfangen. Es ist kein Reittier …«
*
Der kleine Tom Cumberland hatte seinen neuen Pflegevater schon verloren, ehe er ihn überhaupt richtig kennengelernt hatte.
Im Morgengrauen dieses Tages starb Reverend Harold Thomson im Haus der Näherin Norton. Und der Heckenschütze, der vom gegenüberliegenden Haus aus den tödlichen Schuss auf den Gottesmann abgegeben hatte, war unerkannt entkommen.
Wyatt Earp und Doc Holliday hatten die Stadt noch vor Tagesanbruch verlassen, und so schwer es ihm gefallen war – Wyatt Earp hatte das schlafende Kind noch aus dem Haus des Reverenden geholt und mit hinaus auf die Farm der Deutschen gebracht.
Frau Martens hatte das Kind an sich gedrückt und seinen wuscheligen Kopf gestreichelt.
»Weine nicht, Tommy, du kannst bei uns bleiben. Bei uns ist es viel schöner als in der Stadt, und – du hast ja nicht alles verloren, sondern sogar einen Freund gewonnen.« Dabei blickte sie den Marshal an. »Zwei Freunde, möchte ich sagen«, während sie auch den Georgier ansah.
Wyatt Earp und Doc Holliday hatten sich von den gutherzigen Leuten verabschiedet und waren im Morgengrauen über die Overlandstreet hinauf nach Nordosten geritten, der Stadt Apache entgegen.
In den ersten Morgenstunden waren die beiden Westmänner von bleiener Müdigkeit angesprungen worden. Sie machten unterwegs an einem sprudelnden Quell Halt, wuschen sich, und Doc Holliday rasierte sich sogar in einer Spiegelscherbe. Er konnte es einfach nicht ertragen, unrasiert herumzulaufen.
Wyatt wollte weiter, zog es dann aber doch vor, sich ebenfalls zu rasieren.
Als sie Apache erreichten, war es schon gegen elf Uhr. Azurfarbener Himmel spannte sich über das Land, und strahlender Sonnenglanz lag auf der Main Street.
Die beiden Westmänner machten vor einem Boardinghouse Halt und nahmen da erst einmal ein kräftiges Frühstück ein. Dann erkundigte sich der Missourier bei der drallen Wirtin nach zwei Zimmern.
»Können Sie haben«, entgegnete die Frau, »pro Zimmer ein halber Dollar.«
Und während der Spieler sich hinauf auf sein Zimmer begab, suchte der Missourier erst noch das Sheriff-Office auf.
Es war leer.
Dafür hörte er aus dem Hof klingende Axtschläge.
Er durchmaß das Office, öffnete die Hoftür und fand einen jungen Mann damit beschäftigt, schwere Holzklötze in Scheite zu zerschlagen.
»Hallo, wo finde ich den Sheriff!«
Der Mann wandte ihm den Kopf zu und blickte ihn an.
Es mochte ein etwa drei- oder höchstens vierundzwanzigjähriger Mensch sein, der auf der Nase eine Drahtbrille trug.
»Der Sheriff bin ich«, entgegnete er, während er die Axt in den Hauklotz schlug und langsam auf den Missourier zukam.
Wyatt musterte ihn verwundert.
Dieser blutjunge Mann, der dazu noch eine Brille trug, sollte der Sheriff von Apache sein?
»He, ich dachte Jack Lorenzo wäre der Sheriff von Apache«, meinte der Marshal.
»Ja, das war er auch bis vorgestern. Da wurde er leider abberufen.«
»Wohin?«
»In die Ewigen Jagdgründe, Mister«, entgegnete der junge Sheriff, während er sich ein paar Holzspäne aus den Kleidern schlug und dann an Wyatt vorbei ins Office trat.
»Schon mal den Namen Jimmy Dragoon gehört?«
»Allerdings«, entgegnete der Missourier. »Es ist ein Verbrecher aus Nogales, wenn ich mich nicht irre.«
»Stimmt genau«, meinte der Sheriff, während er sich nach dem Missourier umsah. »Und mit wem habe ich die Ehre?«
»Mein Name ist Earp. Ich komme aus Caprun und –«
»Earp?«, meinte der Bursche, während er die Brauen zusammenzog, »sind Sie etwa Virgil Earp? Nein, das ist ja unmöglich, der ist doch tot?«
»Ich bin Wyatt Earp«, entgegnete der Missourier. »Ich komme eben aus Caprun und –«
»Wyatt Earp?« Dann meinte der junge Mann, während er sich das struppige Haar zurückstrich und sein Hemd glatt zog: »Ich glaubte, ich habe Knöpfe auf den Augen. Natürlich sind Sie Wyatt Earp. Hier«, er wandte sich um, deutete auf einen Zeitungsausschnitt, der in einem Rahmen unter Glas gepresst und an der Wand hing und das Konterfei des Marshals zeigte, »kennen Sie den?«
Wyatt zog die Schultern hoch. »Ich würde mir ein so hässliches Bild nicht an die Wand hängen.«
»Ein hässliches Bild? Hören Sie, das ist ein gut aussehender Mann, sagt meine Braut, und zwar ein sehr gut aussehender, und wenn ich ihn in natura so vor mir sehe, kann ich nur sagen, dass meine Braut einen guten Geschmack hat.«
Wyatt berichtete nun, was er in Caprun erlebt hatte.
»Ich habe Sheriff Talbot und die beiden Banditen auf einer kleinen Farm zurückgelassen. Da müssen sie abgeholt werden. Am besten heute Abend.«
»Sie können sich ganz auf mich verlassen«, entgegnete der junge Sheriff Will Bonney. »Ich erledige das schon mit einem Deputy. Wenn es dunkel geworden ist, holen wir die drei Vögel ab. Sie können beruhigt sein, Marshal, ich erledige das bestens. Es wird mir sogar eine Ehre sein …«
Am Nachmittag hatten die beiden Westmänner ihr Quartier wieder verlassen und ritten nach Süden zurück.
Aber nicht nach Caprun, sondern auf die Billoc Ranch.
Da aber schien jegliches Leben erstorben zu sein.
Zwar flatterten fünfzig oder sechzig Hühner nervös vom Zaun herunter, als der Missourier in ihre Nähe kam, und auf der Pferdekoppel drängten sich die Tiere unter einem Sonnendach zusammen, aber ein menschliches Wesen war nirgendwo zu entdecken.
Wyatt wusste von dem Reverend, dass Ed Billocs Bruder Gap der Boss der Ranch war, und der Reverend hatte den Marshal noch besonders vor diesem Mann gewarnt. Aber offensichtlich hielt Gap Billoc sich nicht hier auf.
Die beiden Westmänner setzten ihren Weg fort.
Es war längst Abend, als sie in die Main Street von Caprun einritten.
Unweit der Heuler-Bar trennten sie sich.
Wyatt Earp ließ seinen Falbhengst neben dem Haus in einer Enge stehen und trat auf den Vorbau.
Mit einem Blick durch das Fenster stellte er fest, dass die Bar noch völlig leer war.
Er ging weiter, stieß die holzgeschnitzten Schwingarme der Pendeltür auseinander und trat ein.
Der Schankraum war tatsächlich noch leer. Trübes Halbdämmerlicht herrschte in dem Raum, denn der Keeper sparte offensichtlich mit dem Kerosin und hatte nur über der Theke eine Lampe hängen, die brannte. Die drei anderen Lampen im Raum waren nicht angezündet.
Wyatt ging zwischen den Tischreihen hindurch auf die Theke zu.
Der Mann, der da stand und Gläser polierte, mochte etwa fünfzig Jahre alt sein. Er hatte ein hageres Pferdegesicht, eine lange gebogene Nase und ein fliehendes Kinn. Der Mund war seltsam weich und verschwommen. Die Augen lagen hinter borstigen wuchernden Brauen und wurden unten von rötlich-blauen Tränensäcken eingeengt. Er hatte schütteres graues Haar und abstehende, ungesund wirkende gelbliche Ohren. Sein grünes Hemd war ganz sicher nicht mehr frisch, und die schwarze Halsschleife war unsauber gebunden. Überhaupt wirkte alles an diesem Mann irgendwie schmuddelig und unappetitlich. Nicht zuletzt auch das Tuch, mit dem er die Gläser polierte.
Als der Missourier in den Lichtkreis der Lampe trat, kniff der Keeper das rechte Auge ein und schob den Kopf etwas vor.
Er hatte den Fremden bisher noch nicht in der Stadt gesehen.
Wyatt war bis dicht an den Schanktisch herangekommen und sagte mit unterdrückter Stimme:
»Wo ist der Boss?«
Da stieß der Keeper den Kopf vor wie ein Raubvogel und riss die Augen plötzlich sperrangelweit auf.