Читать книгу Wyatt Earp 219 – Western - William Mark D. - Страница 3

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Fahler Mondschein lag über dem Hochplateau der Peloncillo-Mountains. Hin und wieder wurde er von vorüberhuschenden Wolkenschatten verdüstert. Der Wind trieb den Flugsand mit einem pfeifenden, schmirgelnden Geräusch an den Gesteinsbrocken entlang, die hier wie skurrile Türme aus dem sandigen Boden ragten.

Am Ufer eines ausgetrockneten Seebeckens hielten zwei Reiter. Der eine war ein hochgewachsener Mann mit breiten Schultern, schmalen Hüften, einem schwarzen Stetsonhut und einem dunklen, markant-männlich geschnittenen Gesicht. Er trug ein graues Kattunhemd, das am Hals von einer Samtschleife zusammengehalten wurde. Die Jacke war aus schwarzem, kräftigem Tuch. Ebenso die eng anliegende Hose, die unten breiter wurde und über die Schäfte der hochhackigen Texasstiefel auslief. Er trug einen breiten, patronengespickten Waffengurt, der an jeder Hüftseite einen schweren 45er Revolver hielt. Der Mann saß auf einem hochbeinigen Falbhengst, der von edelster Rasse war.

Dieser Mann war niemand anders als der berühmte Marshal Wyatt Earp aus dem fernen Dodge City.

Neben ihm auf einem schwarzen Rappenhengst saß ein Mann, der kaum weniger groß war als der Gesetzesmann selbst, aber von bedeutend schlanker Gestalt. Er hatte ein aristokratisch geschnittenes Gesicht, trug einen eleganten schwarzen Hut und einen Anzug, der nach neuester Mode geschnitten war. Sein Hemd war weiß, und schwarz die Samtschleife. Unter der Jacke trug er eine weiße mit goldenen Stickereien besetzte Weste. Hinter den weit zurückgezogenen Schößen seiner Jacke waren die elfenbeinbesetzten Knäufe seiner beiden Revolver vom Kaliber 45 zu sehen.

Auch der Name dieses Mannes war im weiten Westen bekannt. Er lautetet: Doc Holliday!

Die beiden Westmänner waren aufgebrochen, um den Schlupfwinkel jene Mannes zu suchen, der in der heißen Sandstadt Tombstone eine Bande gründete, die in der letzten Zeit das ganze County mit Verbrechen nur so überschwemmt hatte. In der Stadt gab es keinen Menschen mehr, der noch gewagt hätte, ein lautes Wort über die Desperados fallen zu lassen. Das einstmals so stolze und selbstbewusste Tombstone hatte alles eingebüßt, was es dereinst bedeutend gemacht hatte. Und Schuld daran trug jener Verbrecher, der bisher so meisterhaft verstand, im Hintergrund zu bleiben.

Aber es schien keine Spur zu ihm zu führen. Zu geschickt, zu raffiniert hatte dieser Mann seine Fäden gesponnen. Auf Tombstones Straßen war der Sheriff, Wyatts Bruder Virgil, von vier Verbrechern aus dem Hinterhalt zusammengeschossen und der kleine Sohn Virgils, der fünfjährige Oliver, von den Banditen entführt worden.

Doc Holliday hatte den schwerverletzten Sheriff, dem man in der Stadt für tot hielt, dem Totengräber regelrecht von der Schaufel gerissen. Er hatte ihm die Kugeln aus dem Körper herausgeholt und ihn, über den Berg’ gebracht. Virgil lag in Doc Hollidays Haus, und seine Genesung machte gute Fortschritte. Nur sehr wenige Leute in der Stadt wussten, dass er noch lebte. Die Stadt hielt ihn für tot und glaubte, dass er längst oben auf dem Graveyard läge.

Zu den wenigen Menschen, die es wussten, gehörte seit kurzem der gefürchtete mysteriöse Rancher aus dem San Pedro Valley, Kirk McLowery. Urplötzlich sah Virgil ihn in sein Zimmer treten, aber der Eindringling hatte sich damit verteidigen können, dass er einen Mann beobachtet hatte, der in das Haus geschlüpft war. Und das stimmte sogar. Virgil konnte jetzt nur hoffen, dass Kirk McLowery seine Entdeckung nicht in der Stadt preisgab.

Aber war es nicht gerade dieser Kirk McLowery, den Virgils Bruder, Wyatt stark im Verdacht hatte, der gesuchte Bandenführer zu sein?

Kirk McLowery hatte dem Marshal bisher allerdings nicht die geringste Handhabe für diese Vermutung geliefert – und so war denn der Verdacht des Missouriers schon wieder geschwunden.

Aber wer konnte der Mann sein, der die Tombstoner Unterwelt so in den Griff bekommen hatte?

Am helllichten Tage hatten mehrere Banditen auf der Allen Street ein Bankhaus überfallen und ausgeraubt. Dabei war der Sohn des Bankiers ermordet worden, und einer der Angestellten der Bank hatte eine gefährliche Verletzung davongetragen.

Die Verbrecher sollten sich nach Osten gewendet haben und in die Berge geflüchtet sein, hinauf in die Peloncillo-Mountains.

Einer der Banditen hatte dem Missourier, wie Wyatt Earp seit anderthalb Jahrzehnten in diesem Lande genannt wurde, gestanden, dass die Tramps sich am Pulversee treffen wollten. Wyatt kannte diesen Pulversee nicht, aber er glaubte ihn nun nach einer halsbrecherischen Partie durch das Bergland gefunden zu haben. Es war ein ausgetrocknetes Seebett, das hier oben auf der Höhe zwischen Steingeröll völlig versteckt lag und ganz sichtlich nicht so leicht von irgend jemandem entdeckt werden konnte.

Wenn sich die Banditen hier einen Schlupfwinkel geschaffen hatten, dann saßen sie nicht schlecht.

Wo war dieser Schlupfwinkel?

Es war sehr schwierig für die beiden Dodger, hier eine Spur zu finden, denn der Wind, der in gewissen Zeitabständen immer wieder aufkam und über das tafelglatte Hochland strich, fuhr auch über die Ufer des Pulversees und ließ den Staub hoch aufwirbeln, um alle Spuren – wenn es überhaupt hier irgendwelche gegeben hatte – wieder zuzudecken. Der Wind machte auch vor den Geröllhalden und den Steinpyramiden nicht halt, die hier in der Ebene in der Nähe des Sees zu finden waren.

Eben hatte sich eine Wolkenbank vom Mond entfernt, und fahlsilbrig, glänzend und deutlich lag die Landschaft vor den beiden Westmännern.

Der Marshal suchte mit scharfen Augen das gegenüberliegende Seeufer ab und nahm dann die Zügelleinen auf.

Doc Holliday, der dicht neben ihm hielt, blickte ihn fragend an.

»Wir müssen die Nachtstunden nutzen, Doc.«

Holliday nickte.

Der Marshal hatte die Führung, blieb am südlichen Seeufer, verließ es schließlich und hielt auf ein dunkles Gesteinsfeld zu, in dem fingerartige Felstürme standen, die bis zu achtzig Yards in den Himmel ragten.

Es war unheimlich einsam hier oben auf dem Hochland der Peloncillo-Mountains.

Die beiden Männer hatten jetzt das Gebiet des Sees verlassen, waren auf die Steintürme zugeritten und gerieten dadurch in den Schatten, der von den Steinen auf das Uferland geworfen wurde.

Der Missourier ritt jetzt voraus, da die Gesteinsbrocken so nah beieinanderlagen, dass nur ein einzelner Reiter zwischen ihnen Platz fand.

Rechts und links von dem Missourier stiegen die Felsen nun höher und höher an. Das war vom See aus noch nicht zu sehen gewesen. Eine richtige Felsschlucht hatten sie hier oben erreicht, die plötzlich, ähnlich wie beim Aufstieg, stark mit Geröll bedeckt war und sie zwang, von den Pferden zu steigen.

Urplötzlich war die Schlucht zu Ende – aber damit zu Ende, dass sie von einem massiven Felsen versperrt wurde.

Der Missourier tastete sich vorsichtig vorwärts und stellte nach einer Weile fest, dass es doch nicht das Ende der Felsgasse war. Rechts führte eine schmale Passage in eine Kluft hinein, die allerdings so eng war, dass ein Mann nicht einmal mehr neben seinem Pferd hergehen konnte.

Sie hatten schon unten am Ufer des Sees die Hufe ihrer Pferde mit starken ledergeränderten Stoffstücken umwickelt, die sie immer bei sich trugen.

Die Kluft schien anstatt breiter immer schmaler zu werden – immer enger und niedriger. Oben war bereis kein Himmelsspalt mehr zu sehen, und das Licht war so spärlich geworden, dass der Missourier nun doch erwog, umzukehren.

Wyatt ging jetzt sehr langsam und tastete mit einem Zweig den Boden ab.

Die Felsschlucht machte plötzlich eine Wendung nach links, dann nach rechts – und nun schien der Weg tatsächlich zu Ende zu sein. Hart und kantig versperrte der Stein ein weiteres Vordringen.

Holliday, der hinter dem Falbhengst herkam, war ebenfalls stehengeblieben.

In der Gesteinsenge herrschte tiefe Stille.

Wyatt war noch damit beschäftigt, den Boden und die Wand vor ihm abzutasten, als er die leise Stimme des Spielers hörte:

»Na, ist nun Schluss?«

»Möglich«, entgegnete der Missourier, »aber ich bin nicht ganz überzeugt, die Luft ist hier noch zu frisch. In einem Schacht, der keinen Abzug mehr hat und nach oben völlig überdacht ist, müsste die Luft viel dumpfer sein.«

Aber der Weg schien tatsächlich zu Ende, der Schacht völlig abgeschlossen zu sein.

Ganz zufällig tastete der Marshal mit dem Stock etwas höher über den Boden und kam in Schulterhöhe. Tatsächlich, da schien der Schacht eine Fortsetzung zu haben.

»Zu Pferd geht’s hier allerdings nicht weiter«, raunte er dem Spieler zu.

»Well«, entgegnete Holliday, »dann lassen wir die Tiere eben hier.«

Sie stiegen beide auf die etwas höher liegende Schluchtsohle hinauf und setzten den Weg, der nach wie vor beschwerlich war, nun allein fort.

Die beiden Pferde konnten sie ruhig zurücklassen, denn die beiden edlen Hengste waren so gut geschult, dass sie nicht das geringste Geräusch von sich geben würden, wenn sie allein da in der Felsschlucht zurückbleiben mussten.

Wieder war Wyatt an sein scheinbares Ende der höherliegenden Kluftsohle gekommen, als er diesmal aber rascher die ›Treppe‹ fand, die jetzt nur etwa einen Yard höher lag.

Schon nach sechzig oder siebzig Yards war auch dieser Weg zu Ende, und fast wäre er dem voranschreitenden Marshal zum Verhängnis geworden. Aber noch im allerletzten Augenblick hatte er den Abgrund entdeckt, der urplötzlich steil vor ihm abfiel.

Wyatt legte sich flach auf den Boden, tastete neben sich und hatte ein lockeres Gesteinsstückchen in der Hand, das er vorn hinunterfallen ließ.

Zu seiner nicht geringen Verwunderung stellte er fest, dass der Stein sofort unter ihm auffiel: Er tastete mit dem Stock vor sich und konnte feststellen, dass es nach etwa anderthalb Yards Tiefe weiterging.

Die Kluft war hier etwas breiter, aber oben auch so eng, dass man das Gefühl hatte der Fels wäre über ihnen zusammengewachsen. Doch da der Mond sich hin und wieder von den Wolkenbänken frei kämpfte, war der Lichtschein so hell, dass er oben durch das Gestein hier in den Felseinschnitt hinunterfiel.

Nach etwa einer Viertelstunde blieb der Marshal stehen, denn wieder schien der Weg aufzuhören.

Diesmal war es Holliday, der meinte:

»Ich glaube, wir müssen uns hier nach links wenden, Marshal.«

Wyatt kam zu ihm zurück und entdeckte links in der Felswand eine düstere Kluft.

Tatsächlich, da ging es weiter.

»Ein ganz hübsches Labyrinth, in das wir da geraten sind«, meinte der Spieler. »Ein Glück nur, dass es keine Seitenwege gibt, sonst könnten wir uns hier höchstwahrscheinlich tagelang abmühen, bis wir zu unseren Gäulen zurückfänden.«

Urplötzlich aber blieben sie stehen, denn der Weg durch den Fels hörte nach zwei scharfen Knicken auf und fiel vor ihnen steil in die Tiefe.

Sie standen in einem Felskamin – etwa achtzehn oder zwanzig Yards in glatter Wand über dem Boden – und sahen vor sich in der Ebene eine Stadt.

Häuser rechts und links von einer Straße, zwar dunkel, was jetzt in der späten Nacht kein Wunder war, aber doch Häuser, die wohlgeordnet nebeneinander standen.

Eine richtige Westernstadt mit Vorbauten, Zügelholmen, Dächern, Hausfassaden, Schuppen und anderen Anbauten.

Der Missourier nahm das Nelsonglas, das er vorsichtshalber eingesteckt hatte, heraus, zog es auseinander und hielt es vor das rechte Auge.

Aber das Bild blieb. Vor ihnen auf der Ebene lag eine Stadt. Sie war zwar sehr klein und bestand nur aus wenigen Häusern … aber es war eine richtige, echte Stadt. Keine Fata Morgana! Hoch oben auf dem Felsplateau der Peloncillo-Mountains lag sie versteckt hinter Gesteinsbastionen, die sich nach allen vier Himmelsrichtungen wie eine schützende Wand um sie herum zogen.

»Eine Stadt beim Pulversee«, meinte Holliday halblaut.

Wyatt hatte das Glas wieder eingesteckt und blickte gebannt zu den Häusern hinüber.

»Sieht ziemlich still aus«, meinte er.

Holliday nahm seine goldene Uhr, deren Decke mit kostbaren Ziselierarbeiten bedeckt war, aus der Tasche und lauschte dem Läutwerk.

»Wenn ich hier in diesem Nest wohnte«, meinte er, »ginge ich höchstwahrscheinlich auch mit den Hühnern schlafen.«

»Jetzt wüsste ich nur gern, wie wir herunterkommen«, meinte der Missourier.

Holliday wusste, dass der Marshal seinen Lasso abgeschnallt hatte und über dem Arm auf der linken Schulter trug. Aber er wusste auch, dass selbst der längste Horse-Lasso nicht lang genug war, um hier die Distanz bis zum Boden zu überwinden. Auch dann nicht, wenn man mutig genug war, sich aus halber Höhe loszulassen und hinunterzuspringen. Überhaupt tat der Missourier so etwas nur im Notfall.

Und einen Notfall hatten sie ja jetzt nicht.

»Eine verdammt ideale Ecke«, fand der Spieler in seinem bekannten spöttisch leisen Ton. »Wenn die Kerle sich da drüben aufhalten, dann haben sie sich das beste Hole ausgesucht, das ich jemals gesehen habe.«

Unverwandt blickte der Missourier zu den schweigsamen Häusern hinüber, die da drüben eine Straße bildeten, die stumm und reglose einander gegenüberstanden und keine Spur von Leben zeigten.

»Ich würde mir darüber keine Gedanken machen, Marshal. In diesen Berggegenden haben wir doch selten Tiere angetroffen.«

Das stimmte schon. Dennoch kam diese große Stille dem Marshal seltsam lastend vor.

»Well«, meinte er schließlich, während er dem Gefährten die Lassoleine hinhielt, »ich werde den Abstieg versuchen.«

»Ziemlich riskante Sache«, entgegnete Holliday.

»Leider kann ich nirgends eine bequemere Treppe finden.«

Und schon machte sich der Marshal an die Arbeit, wickelte das Lasso ganz ab und ließ es an der Felswand hinunterbaumeln.

Holliday hatte sich mit dem rechten Fuß hineingestemmt und hielt mit beiden Händen fest, während er sich zurück gegen die Felswand lehnte.

Der Missourier turnte geschickt hinunter bis zum Ende des Seiles, und dann blickte er hinunter auf den grauen schimmernden Stein, der im fahlen Mondlicht unter ihm lag.

Kurz entschlossen ließ sich der Missourier hinunterfallen.

Er kam ziemlich hart mit dem linken Fuß auf und verspürte einen schmerzenden Stich durch die ganze linke Körperseite bis zum Herzen.

Da hörte er über sich den Spieler flüstern: »Ich habe hier oben einen praktischen Haken aus Stein gefunden. Ich komme nach.«

Wyatt wollte noch etwas sagen, da sah er aber, wie der dunkle Körper des Georgiers sich über den Rand der Kluft schwang und ebenfalls an dem Lasso hinunterturnte, bis er dessen Ende erreicht hatte.

Da ließ er sich los.

Wyatt bremste mit Händen und Körper den Fall des Gefährten.

»Gut gelandet?«

Holliday nickte und blickte den Mar­shal an. »Und Sie?«

Der Missourier winkte ab. »Alles okay, wir können gehen.«

Aber als er sich in Bewegung setzte, konnte er mit dem linken Fuß nicht auftreten.

Holliday merkte es sofort, hielt an und meinte:

»Schätze, dass Sie als hinkender Indianer hier wenig willkommen sein werden. Soll ich nicht allein gehen?«

»Nein, nein, ich komme schon mit«, meinte der Marshal.

Holliday bückte sich und tastete den Fuß des Marshals ab.

»Wenn wir Pech haben, dann sitzt es im Wadenbein. Aber es kann natürlich auch eine Verkrampfung der Sehne sein.«

»Was ist schlimmer?«, wollte der Marshal wissen.

»Ein angeknackstes Wadenbein«, entgegnete der Spieler, während er sich wieder in Bewegung setzte.

Wyatt folgte ihm humpelnd.

Näher und näher kamen sie an die düstere Stadt heran.

Zu ihrem Pech hatte jetzt eine ganze Wolkenmauer den Mond verdüstert. Das Licht, das über den Rand der Wolken fiel, leuchtete nicht mehr hier in das kleine Hochplateau zwischen dem Felsgestein, auf dem die Stadt stand.

»Auch das noch«, meinte der Spieler.

»Wir sollten froh sein, dass es dunkler wird«, entgegnete der Marshal. »Im Mondlicht können sie uns bis auf sechzig, siebzig Yards und weiter sehen.«

»Das schon«, entgegnete Holliday. »Aber wir kennen hier keinen Fußbreit Boden. Und da würde ich es doch begrüßen, wenn der Mond nicht so geizig mit seiner Laterne wäre.«

Sie hatten sich den ersten Häusern jetzt bis auf fünfzig Schritt genähert.

Rechts die beiden ersten Häuser waren klein und wirkten im düsteren Mondschein unansehnlich und ausgestorben.

Die nächsten Häuser waren größer und sahen etwas besser aus. Aber über allem schien irgendwie ein silbergrauer Schein zu schweben.

Da gaben die Wolken den Mond wieder frei und geisterten als gespenstische Schatten über die Straße, tanzten über die Vorbaudächer und glitten über die Hausgiebel dahin.

Die beiden hatten einen einen Vorbau betreten.

»Wirklich, eine behagliche Stadt«, hörte der Marshal den Spieler fast lautlos hinter sich sagen. »Ich meine, hierhin sollte ich mich pensionieren lassen.«

Sie hatten die beiden ersten Häuser hinter sich und standen vorm Hoftor des nächsten Hauses.

Wyatt öffnete es etwas und blickte in den Hof hinein, der gerade noch im gleißenden Mondlicht gelegen hatte, aber von einer Wolkenbank jetzt in ägyptische Finsternis getaucht wurde.

Ärgerlich ließ der Missourier den Torflügel los und betrat die nächsten Vorbauten.

Das sechste Haus auf der rechten Seite war eine Schenke.

Innen auf der Scheibe stand in riesigen Lettern zu lesen:

SALOON ZUM EWIGEN LEBEN.

Wyatt blickte sich um und sah in das Gesicht des Spielers.

»Na, was habe ich gesagt?«, flüsterte Holliday.

Da kam plötzlich Wind auf und trieb den Staub mit einem singenden Geräusch über die Vorbauten und an den hölzernen Häusergiebeln entlang.

Die beiden hatten sich in die Torecken gepresst, bis es vorüber war. Dann gingen sie weiter.

Wyatt hatte den nächsten Vorbau betreten und griff nach einem der Dachpfeiler.

Sofort aber ließ er ihn los. Denn über ihm war ein ächzendes Geräusch entstanden.

Als er jetzt den Pfeiler noch einmal leise berührte, bemerkte er, dass der Pfosten ganz morsch, jedenfalls aber stark verwittert war.

Er machte Doc Holliday flüsternd darauf aufmerksam.

»Hier ist alles morsch«, zischte der Spieler leise.

Sie hatten die Schenke hinter sich und gingen an den nächsten Häusern entlang.

Als sie das östliche Ende der Stadt erreicht hatten, wechselten sie über die Straße hinüber und gingen auf den Vorbauten der anderen Seite zurück.

Vor einem der letzten Häuser blieben sie stehen.

Wyatt trat bis an den Rand des Vorbaus, wo er noch im tiefen Schatten stand, und blickte kopfschüttelnd die Straße hinunter.

»Gefällt Ihnen unser schönes ›Nest zum ewigen Leben‹ etwa nicht?«, hörte er da Hollidays spöttelnde Stimme hinter sich.

»Nein«, entgegnete der Marshal. »Irgend etwas an dieser Stadt gefällt mir nicht.«

»Aber ich bitte Sie«, entgegnete der Spieler, »sie ist die bestgelegene Stadt, die ich bis jetzt gesehen habe. So etwas von einem Schutzwall haben ja nicht einmal die alten Apachen oben an ihren Pueblos.«

»Das ist es nicht«, versetzte der Missourier, »aber schließen Sie einmal die Augen, öffnen Sie den Mund und lauschen Sie mit angehaltenem Atem.«

»Das habe ich mehrmals getan – als Sie es nämlich auch taten.«

»Und – ist Ihnen nichts aufgefallen?«

»Nein, nicht das Geringste.«

Wieder nickte der Marshal. »Eben, das ist es. Diese Stille Diese unheimliche Stille. Haben Sie jemals eine so stille Stadt gesehen, Doc?«

Der Spieler zog die Schultern hoch.

Da wandte sich der Missourier um, ging auf die nächste Tür zu und griff nach dem Knopf.

Die Tür war unverschlossen.

Wyatt betrat den Hausgang und blieb lauschend stehen.

Da sich auch Doc Holliday hinter ihm nicht rührte, konnte ihm kein Geräusch entgehen.

Wyatt ging weiter bis an die nächste Tür, öffnete sie und blickte in eine Stube, in der ein Tisch und zwei Hocker standen. Auch ein alter Schrank war da. Er ging auf den Tisch zu, und in diesem Augenblick fiel draußen auf der Straße wieder das silberne Licht des Mondes herein und goss sich über die Vorbauten und Zügelholme. Es drang auch durch die Scheiben in diesen Raum.

Wyatt trat an den Tisch und glaubte, eine graue Decke läge darauf. Dann aber trat er heran und fuhr mit der Kuppe des Mittelfingers darüber.

Ein düsterer schwarzer Strich zog sich über die Stelle, die er eben berührt hatte.

Eine Staubschicht von einem halben Inch lag auf diesem Tisch.

Wyatt ging auf den nächsten Hocker zu, machte da die gleiche Probe, ebenso auf dem Schrank und an der Fensterbank. Auch die Fußbodendielen waren inchhoch mit pulverfeinem Flugstaub bedeckt.

Wyatt blickte sich nach dem Spieler um. Der stand neben der halboffenen Tür und sah zu ihm hinüber.

»Was sagen Sie jetzt, Doc?«

»Dass Sie recht hatten. Es stimmt etwas nicht mit der Stadt.«

Wyatt öffnete die nächste Tür, fand zwei leere Bettstellen, sah dann hinein in einen leeren Küchenraum, öffnete die Tür zum Hof, wo ihm ebenfalls eine gespenstische Leere entgegengähnte.

Nun überquerte der Marshal die Straße, öffnete drüben die Tür eines anderen Hauses. Auch hier das gleiche Bild. Gähnende Leere, Staub überall.

So war es im nächsten und im übernächsten Haus.

Sie gingen von Haus zu Haus.

Am Schluss öffnete der Missourier die Tür zur Schenke.

Sie war unverriegelt wie all die anderen Türen, und es gab hier sogar noch einige Tische und Stühle; auch die Theke war noch da und die Wandschränke, auf denen sonst die Flaschen standen. Alles leer. Und alles bedeckt mit fingerdickem Staub.

Über der Theke hing ein blinder Spiegel. Daneben eine Uhr, die auf der fünften Stunde irgendwann an einem Tag oder in einer düsteren Nacht stehengeblieben sein musste.

Da ganze große Haus war leer. Ebenso die Schuppen und Stallräume.

Eine tote Stadt – oben auf dem Hochplateau der Peloncillo-Mountains, versteckt in einem ganzen Wall von Stein, der das winzige Plateau, auf dem die Stadt lag, umgab und auf der weiten Hochebene selbst nur wie ein steinerner Klotz wirkte. Niemand, der vorüberritt, würde vielleicht vermuten, dass es hier einen Daumeneindruck gab, in dessen Mitte eine ganze Stadt lag.

Wo hatte sie ihren Ausgang und ihren Eingang? Irgendwo musste es in dem Gestein einen Weg geben, denn unmöglich war der Pfad, auf dem der Marshal mit dem Gefährten hierhergekommen war, der einzige Zugang zur Stadt. Selbst wenn es den Menschen, die hier gelebt hatten, im Sinn gelegen hatte, unbedingt einsam und von der ganzen Welt abgeschlossen zu leben, so wäre es ihnen doch unmöglich gewesen, hier durch diese Felsschlucht all das Holz zu schleppen, das für den Bau der Stadt erforderlich gewesen war. Außerdem – keine Stadt konnte in solcher Abgeschlossenheit leben. Es musste also irgendwo einen Zugang geben.

Urplötzlich ließ ein dumpfes Dröhnen das ganze Haus erzittern, und die Fenstergläser klirrten leise in ihrem Gefüge. Ein sausendes, pfeifendes Geräusch zog draußen über den Vorbau und verdunkelte das schwache Licht des Mondes noch mehr.

Es war eine Windbö, die den Flugsand durch die Straße trieb.

Sie verließen die Schenke und traten wieder auf den Vorbau hinaus.

Der Mond war jetzt frei von Wolken und goss sein silbrig glänzendes Licht über die Häuserfirsten, die kurzen Vordächer und die ganze Straße.

Nirgends war eine Spur zu sehen.

Nicht einmal die Fährte, die sie beide vor kurzem gemacht hatten, als sie die Straße hier überquert hatten.

Der Bergwind deckte alle Spuren zu.

Wyatt trat vom Vorbau herunter und ging dann mit dem Spieler die Straße hinab, bis sie die letzten Häuser am Ostrand hinter sich hatten.

Da deutete Holliday auf ein Schild das an einer Hütte festgemacht war und aus drei kurzen, nicht gleichlangen Brettern bestand.

Die Buchstaben, die darauf geschrieben waren, waren zwar stark verwittert, aber im Mondschein dennoch erkennbar.

PARADISE.

»Na, was habe ich gesagt«, meinte Holliday spöttisch. »Sie hatten es als ihr Paradies angesehen, die Leute, die hier lebten.« Er blickte sich um. »Ich vermisse etwas sehr Wesentliches. Den Boot Hill.«

Wyatt deutete hinüber an die Felslehne, die im Norden ziemlich dicht hinter den Häusern lag und viele Risse hatte.

»Glauben Sie im Ernst, dass sie die Toten da hingebracht haben?«, entgegnete Holliday.

»Ich halte es für möglich«, versetzte der Marshal. »Denn es ist hier sehr schwer, ein Loch in den steinigen Boden zu graben. Und da in den Schründen ist Platz für die Toten von ganz San Francisco.«

Ja, da war sicher Platz für viele, viele Hunderttausend Tote, wenn es hätte sein müssen. Man hätte wirklich die Leichen einer ganzen Weltstadt hier in diese Schründe schleppen können – und niemandem würde es auffallen, wenn er draußen an dem Gesteinsklotz vorüberritt, der aus der tafelglatten Ebene emporstieg. Und er war ja auch wenig verlockend, der Gesteinskoloss, der auf seiner Westseite so rissig und schründig war. Wenn die beiden Westmänner nicht die Spur der Tombstoner Banditen gesucht hätten, würden sie kaum den Weg hierher gefunden haben. Nicht einmal eine halbe Stunde war es von hier bis zu dem großen ausgetrockneten Seebett, das sie hierhergelockt hatte. Die Stadt am Pulversee, das gespenstische Paradise war so leer wie der See wasserlos war.

Und wo war der Zugang zu dieser Stadt?

Wyatt hatte ihn schon nach einer Viertelstunde gefunden. Er stellte nur eine schmale Schlucht dar, die winkelförmig in den Fels bog, dann aber gerade verlief. Sie war so breit, dass bequem zwei Wagen nebeneinander herfahren konnten. Man erreichte sehr schnell das Ende des Felsens, aber Wyatt musste zu seiner Verblüffung feststellen, dass es am Ende der Schlucht mehrere scharfe Windungen gab und dass der Ausgang von Gebüschen verdeckt war, so dass man ihn ganz sicher auf eine Distanz von hundert Schritt nicht bemerken konnte. Denn Risse hatte der Gesteinsklotz ja mehr als genug. Niemand würde vermuten, dass da ein Weg war, ein Zugang, der zu einer Stadt führte.

*

Die beiden Westmänner waren zurückgegangen. Sie standen wieder am Ausgang des Felsweges und sahen zu den Häusern hinüber, die stumm wie die Zähne eines Gebisses rechts und links neben der Straße verharrten. Wieder zogen die gespenstischen Wolkenschatten über die bleichen Nebel dahin.

Der Missourier hielt auf eine Pforte zu, die zum letzten Hof führte.

Er überstieg die sehr niedrige Fenz zum nächsten Hof, und Holliday folgte ihm.

Hier endlich fanden sie die Hoftür geöffnet und konnten in eines der Häuser kommen, von wo aus sie auf den Vorbau gelangten. Hier gab es ja keine Spuren zu hinterlassen, denn der Wind fegte den Sand immer wieder weg, den er auf die schweren Bohlen getrieben hatte.

Nachdenklich blieb der Marshal schräg gegenüber dem Saloon ›Zum ewigen Leben‹ stehen und blickte nach Westen auf die düstere Felswand, wo die Spalte im Gestein klaffte, von der aus sie den Weg hierher gefunden hatten.

Sollte diese Kluft etwa der einzige Ausgang hier aus der Talenge sein, wenn man von dem Weg drüben im Nordosten absah?

Kaum. Höchstwahrscheinlich gab es auch hier noch andere Risse im Gestein.

Sie fanden am Südwestrand der Stadt hinter einer vorspringenden Gesteinsnase eine weitere Schlucht, die bequemer war als die, durch die sie gekommen waren, und zu ebener Erde hierher führte. Sie folgten ihr eine ganze Weile und kamen rasch und fast schnurgerade an den Westrand der Steine, wo wieder lockeres Geröll war.

»He«, meinte der Spieler leise, als sie plötzlich etwas unterhalb von ihrem Standpunkt das schimmernde Becken des Pulversees vor sich sahen, »da sind wir schon wieder? Da sind wir ja irgendwie um unsere Pferde herumgelaufen.«

»Nicht ganz«, meinte der Marshal. »Wenn wir uns hier rechts einen Weg durch das Gestrüpp bahnen können, treffen wir drüben auf eine Abkürzung zu dem Pfad, den wir vorhin benutzt haben.«

Wyatt, der voranging, schob mit den lederbehandschuhten Händen das Gezweig auseinander – und verhielt plötzlich den Schritt.

Rechts vor ihm, dicht an der Felswand gelehnt, stand eine Hütte.

Doch weniger die Hütte selbst hatte die beiden Männer so verblüfft, als die Tatsache, dass Lichtschimmer durch die Ritzen unter der Tür hinaus ins Freie fiel.

Sie war wohl knapp dreieinhalb Yards hoch und hatte ein ziemlich steiles Dach, das sich an das Gestein lehnte. Das Gebüsch und Gesträuch um sie herum hätte sie fast so versteckt, dass die beiden sie nicht gesehen hätten. Möglicherweise wäre sie einem am Tag nicht einmal aufgefallen. Aber jetzt in der mondhellen Nacht, wo die beiden sich am Gestein vorwärtstasten mussten und auf die Konturen angewiesen waren, die alle Gegenstände vor ihnen gegen den Nachthimmel warfen, musste sie ihnen direkt in die Augen springen.

Da hörte der Missourier den Spieler hinter sich flüstern:

»Wenn ein Hund da wäre, hätte er uns schon bemerkt.«

Wyatt nickte.

Dann setzte sich der Marshal allein in Bewegung, ging auf Zehenspitzen vorwärts und näherte sich der Hütte bis auf fünf Schritt.

Dort ging er in die Hocke und bewegte sich jetzt nur noch auf allen vieren vorwärts, wobei er wie ein Indianer dafür sorgte, dass weder seine Stiefel noch seine Hände etwa einen trockenen Zweig des Gesträuches zerknickten – ein Geräusch, das man auf diese Entfernung hin in der Hütte hören musste.

Wyatt war bis auf zwei Yards herangekommen und wollte sich gerade etwas mehr aufrichten, um an die Seite der Hütte zu kommen, als er drinnen den harten Schritt eines Mannes hörte.

Wyatt richtete sich jetzt etwas weiter auf, machte einen Schritt vorwärts, noch einen und war von der Hüttenwand nur etwa noch einen Schritt entfernt, als die Tür plötzlich aufsprang.

In ihrem Rahmen stand ein wahrer Koloss von einem Mann. Er war sicher noch einen halben Kopf größer als der Marshal und sehr viel breiter. Es war eine gewaltige Menschenfigur, die da geduckt im Türrahmen stand und ihn fast zu sprengen drohte.

Wyatt, der jetzt schon neben der Hütte war, konnte den Mann jedoch von der Ecke aus genau ausmachen. Er sah im schwachen Lichtschein einen zerknüllten Hut mit ausgefranster Krempe und ein mächtiges Schulternpaar, auf dessen linker Seite der Zipfel des Halstuches lag. Er sah eine schwere Jacke, die wohl aus Leder war, und Hosen, die zerknüllt und ausgebeult in halbhohen Stiefelschäften steckten.

Der Mann hatte ein Schrotgewehr in der Hand. Auch Doc Holliday, der jetzt etwa noch neun Schritt entfernt stand, sah es genau.

Hatte er ein Geräusch gehört?

Wyatt war behutsam wie ein Apache herangeschlichen, und Holliday hätte darauf schwören mögen, dass er nicht das mindeste Geräusch verursacht hatte.

Den Missourier sehen konnte der Hüne von seinem Platz auf der Türschwelle aus kaum.

Sah er etwa ihn, den Georgier?

Holliday hatte sich in dem Moment, als die Tür aufsprang, jedoch so abgewandt, dass er mit der rechten Schulter der Tür zugewandt stand. Die Vorderseite mit der weißen dreieckigen Hemdbrust konnte der Mann also nicht sehen. Außerdem war Holliday davon überzeugt, dass der andere ihn überhaupt nicht ausmachen konnte, da er bis jetzt im Licht der Lampe drinnen gewesen war und nun in die Dunkelheit hinausblickte. Der Mond hatte sich hinter einer gewaltigen Wolkendecke zurückgezogen, und nur noch diffuses, schwaches Licht erreichte die Erde.

Da kam Leben in die Gestalt des Mannes in der Tür. Er löste sich von der Schwelle, machte ein paar Schritte vorwärts und riss plötzlich das Gewehr hoch.

Aber ein doppeltes hartes metallisches Klicken schlug ihm von zwei Seiten entgegen.

Der Riese, der den Marshal nun wohl offensichtlich entdeckt hatte, warf verblüfft den Kopf herum und blickte in die Richtung, aus der das Klicken hinter ihm gekommen war.

Da sah er jetzt ganz deutlich eine weiße Hemdbrust aus der Dunkelheit schimmern.

»Lassen Sie das Gewehr fallen!«, forderte der Missourier ihn mit fast leiser Stimme auf.

Da öffneten sich die Pranken des Hünen, und das Schrotgewehr fiel auf den steinigen Boden.

»Gehen Sie voran ins Haus«, forderte Wyatt ihn auf. Der andere setzte sich in Bewegung. In dem Moment aber, in dem er die Schwelle überschritten hatte, wollte er rasch mit dem linken Stiefel hinter die Tür haken, um sie hinter sich zuzustoßen.

Das aber gelang ihm nicht, denn der Missourier war sofort bei ihm und hielt die Tür mit dem linken Ellbogen auf.

»Keine Spiele, Mister!«, warnte ihn der Marshal leise. »Und kein Geräusch, keinen Laut!«

Der Mann war stehengeblieben, einen Schritt von der Tür entfernt, mit dem Rücken zu ihm. Die Hände hatte er leicht angehoben.

»Höher mit den Armen!«, forderte der Marshal ihn auf.

Der Mann nahm die Hände in Schulterhöhe.

»Vorwärts, gehen Sie weiter um den Tisch herum!«, forderte der Missourier ihn auf.

Der Mann setzte sich schwerfällig in Bewegung, ging um den Tisch herum, blieb aber wieder so stehen, dass er dem Missourier den Rücken zudrehte.

Da nahm Wyatt auch den anderen Revolver aus dem Halfter, schob die Tür hinter sich mit dem Stiefel zu und spannte knackend den Hahn.

Der Mann vor ihm rührte sich nicht.

»Drehen Sie sich um!«

»Ich denke nicht daran«, krächzte der Hüne.

»Sie haben genau anderthalb Sekunden Zeit, sich das zu überlegen. Dann haben Sie Jahrtausende Zeit, in den Ewigen Jagdgründen über Ihren Fehler nachzudenken.«

Das zündete. Der Mann wandte sich um und stand jetzt dem Marshal gegenüber.

Nur ein schmaler, grobgezimmerter Tisch trennte die beiden voneinander.

Es war ein grobschlächtiger Mensch mit einem affenähnlichen Gesicht. Eine kurze, fliehende Stirn wölbte sich weit über die tiefliegenden Augen, deren hartes struppiges Brauenhaar von den Jochbeinknochen herunterwuchs und fast die halben Augenhöhlen verdeckte, was das Aussehen des Mannes nicht eben angenehmer machte.

Die Nase war kurz und eingeschlagen, vorn breit und stumpf. Breit vorstehend waren die Wangenknochen, die sich den Augen entgegenschoben. Seltsam schmal war das Gesicht unter diesen Knochen – wie eingefallen. Man hätte drei Finger unter jeden Wangenknochen legen können. Schmal und hart war der Mund, und hart und spitz das Kinn. Die untere Hälfte des Gesichtes war mit langen blonden Bartstoppeln bedeckt. Aus der Tiefe der Augenhöhlen blitzten schiefergraue Augen, die eine seltsam irisierende Schärfe hatten.

Der Mann hatte einen mächtigen Körper, und über der Hose wölbte sich ein schwerer Leib. Er trug einen uralten Armeerevolver rechts im Halfter und hatte an jeder Hüftseite ein großes Bowiemesser. Die Jackenärmel waren mit Lederfransen besetzt, ebenso die Hosennähte. Unförmig wie alles an diesem Mann waren auch seine Stiefel. Sporen trug er nicht.

Wyatt hatte mit raschem Blick das Innere der Hütte überflogen. Die Wände waren, wie es in den Bergen üblich war, aus Baumstämmen gefertigt, die übereinanderlagen und an den Ecken ausgebuchtet waren, um einen dichten Verschluss abzugeben. Das kleine Fenster zur Westseite hin war mit einem dichten sackartigen Vorhang verhängt. Die Tür war aus schweren Bohlenbrettern gefertigt, und sicher hätte sie keinen Lichtschein hinausgelassen, wenn man nicht versäumt hätte, die Schwelle aus Hartholz herzustellen. Stattdessen war sie aus weichem Holz gemacht und längst durchgetreten. Hinter dem Tisch befand sich ein Lager, auf dem Felle ausgebreitet waren. Zwei Schemel standen um den Tisch herum. Rechts war ein Holzgestell, das eine Art Schrank abgeben sollte und ebenfalls mit Sackleinen zugehängt war.

Neben der Tür an der Wand hingen noch Kleidungsstücke und ein weiteres Gewehr. In einer anderen Ecke sah der Missourier Kästen und Körbe stehen, in denen sich offenbar Lebensmittel befanden.

An der niedrigen Decke hing eine blakende Lampe, die einen schwarzen Rußfaden aufzog, der dem Dachbalken entgegenkräuselte.

Schweigend stand der Missourier vor der Tür, entspannten jetzt die Revolver und ließ sie mit Handsaltos in die Halfter zurückfliegen.

Der Riese hatte die Bewegung mit einem Augenzwinkern wahrgenommen.

Aber er schwieg. Sein breiter Mund bewegte sich nicht. Dafür arbeitete es neben seinen Wangenknochen unentwegt.

Die Hände hatte er längst wieder heruntergenommen.

Aber der Marshal traute ihm nicht die Geschicklichkeit zu, die Waffe so schnell zu ziehen, dass er ihn damit hätte gefährden können.

»Vielleicht können wir uns auf eine etwas weniger kriegerische Weise unterhalten, Mister«, sagte der Missourier.

Der andere blickte ihn mit ausdruckslosen Augen an und entgegnete schließlich:

»Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.«

»Schon mal den Namen Keeton gehört?«

Der bullige Mann zog die Schultern hoch und knurrte:

»Ich weiß nicht, was Sie damit wollen. Ich kenne keinen Mann, der so heißt. Ich bin Pelztierjäger und heiße McLeod.«

Wyatt blickte ihn forschend an. Pelztierjäger gab es hier im Land natürlich überall. Aber ob ausgerechnet hier oben auf den Höhen der Peloncillo-Mountains Pelztiere zu jagen waren, und dann noch in dieser Jahreszeit, das wusste Wyatt nicht genau.

Da reckte der andere seine mächtigen Schultern und meinte:

»So und jetzt wünsche ich zufrieden gelassen zu werden. Es ist spät, und ich habe die Absicht, mich hinzulegen. Morgen bei Tagesgrauen fängt für mich eine schwere Arbeit an.«

Wyatt nickte, wandte sich um und ging hinaus.

Doc Holliday stand draußen an der Hausecke und hatte auf ihn gewartet.

In diesem Augenblick geschah es!

Oben am Fels über dem Hüttendach lösten sich Gesteinsbrocken und polterten über den Dachrand hinunter auf den Boden.

Die beiden Dodger hatten sich mit raschen Sprüngen seitwärts von der Hütte wegbewegen können.

Weiteres Gestein polterte in die Tiefe. Dabei verletzte es keineswegs das Hüttendach, denn es sprang direkt über dessen Rand hinweg.

Wyatt und Doc Holliday hatten sich etwa zwanzig Schritt von der Hütte entfernt und hinter einer Feldnase in Deckung gebracht, von wo sie die Gesteinstrümmer die da vom Fels herunterkamen, beobachteten.

»Nanu«, meinte der Spieler, »ist das ein Trick von unserem Freund?«

»Schwer zu sagen«, versetzte der Marshal, »jedenfalls möchte ich der Sache doch nachgehen.«

Es war nicht ausgeschlossen, dass in einer Felswand jeden Augenblick Steine losbrachen und hinunterstürzten, denn so etwas konnte in jeder Sekunde überall im hohen Bergland geschehen.

Wyatt näherte sich der Hütte wieder vorsichtig und musste feststellen, dass die Lampe verlöscht war.

Er schlich sich um das Gesteinsgeröll herum, das heruntergekommen war, und blickte verblüfft zum Eingang der Hütte hinüber.

Die Tür stand offen.

Wyatt wartete jetzt, tief an den Boden gekauert. Aber es blieb alles still.

Der Missourier hatte plötzlich das sichere Gefühl, dass sich der Mann, der von sich behauptet hatte, Pelztierjäger zu sein, nicht mehr in der Hütte aufhielt.

Dennoch blieb der Marshal tief an den Boden gekauert und wartete. Wenn McLeod die Hütte verlassen hatte, dann würde er höchstwahrscheinlich hier irgendwo in der Nähe lauern.

Der Marshal harrte aus. Es wäre zu gefahrvoll gewesen, einfach auf die Hütte zuzugehen, um da nachzusehen. Denn wenn der Mann wirklich den gefährlichen Steinschlag ausgelöst hatte, dann würde er auch keine Rücksicht kennen, jeden, er jetzt die Hütte betrat, zu erledigen.

Mit der Geduld einer großen Katze verharrte der Missourier tief am Boden und wartete.

Wieder und wieder zogen schwere Wolkenbänke am Mond vorbei und hatten sein Licht verdunkelt.

Jetzt aber kam für einen kurzen Moment eine freie Stelle in der Wolkendecke, und das fahle Mondlicht fiel scharf auf den unebenen Platz vor der Hütte.

Der Missourier glaubte nicht richtig zu sehen. Nur etwa zwölf Schritte von ihm entfernt lag ein dunkler Körper am Boden, den er bis jetzt nicht sonderlich beachtet hatte, da er ihn für einen Stein hielt.

Es war der Körper eines Menschen.

Was hatte das zu bedeuten? Der Gestalt nach konnte es nur der Körper des riesigen Pelztierjägers sein. Aber was war passiert?

Wyatt wartete.

Dann schob er sich unendlich langsam vorwärts, und zwar so, dass er einen länglichen Steinbrocken erreichte, der etwas von der Wand abstand und ihm in jeder Weise zur Hütte hin und auch zu dem menschlichen Körper, der da anscheinend so reglos lag, Deckung gab.

Als der Missourier bis auf drei Yards herangekommen war, blieb er wieder bewegungslos liegen, wartete und lauschte in die Nacht.

Jetzt entdeckte er – wieder durch ein freies Wolkenloch – drüben am Hüttenrand, nur ganz dünn sichtbar, die Silhouette eines Hutes.

Es war die Kopfbedeckung Doc Hollidays.

Der Spieler hatte sich tief an den Boden gekauert und wartete da drüben mit seinen Revolvern.

Wenn sich also irgend etwas hier auf dem Platz vor der Hütte ereignete, dann würde er, der unerreichte Schütze aus Georgia, zur Stelle sein.

Wyatt konnte sich deshalb jetzt weiter vorwagen, schob sich an den reglosen Körper des anderen heran und hatte seinen Kopf jetzt erreicht.

Er war hutlos, da der zerfledderte Deckel mehrere Yards weit neben ihm lag.

Wyatt hatte das Gesicht jetzt vor sich, und obgleich der Mond von einem Wolkenschleier überzogen war, sah der Marshal doch sofort, dass er hier in das Antlitz eines Toten blickte.

Er zerrte den schweren Körper näher zu sich heran, bis er ihn hinter der Gesteinsdeckung hatte, und tastete ihn dann ab.

Weder am Kopf noch auf der Brust war der Pelztierjäger verletzt worden.

Da drehte Wyatt ihn auf den Rücken – und machte eine ungeheuerliche Entdeckung!

Hinten links unterm Schulterblatt steckte ein Wurfmesser.

Minutenlang verharrte der Missourier reglos am Boden und lauschte in die Dunkelheit. Aber nichts rührte sich.

Wer hatte den Mann ermordet? Und weshalb?

Rätsel über Rätsel.

Diese düstere Mondnacht auf dem Peloncillo-Plateau wurde immer unheimlicher.

Eine volle Viertelstunde ließ der Missourier verstreichen, ehe er sich von dem Fleck zurückzog, an dem der Tote lag. Er hatte das Wurfmesser aus dem Rücken des unglücklichen Mannes gezogen und mitgenommen.

Im großen Halbkreis schlich er sich durch das Geröllfeld und unter hohem Mesquite hindurch nach Nordosten hinüber, bis er ganz in der Nähe von Doc Holliday die Hütte wieder erreicht hatte.

Erst im allerletzten Augenblick hörte der Spieler ihn und stieß den Revolver nach vorn.

»Ich bin’s«, flüsterte der Missourier fast tonlos.

Holliday senkte die Waffe und blickte ihm entgegen.

»He, Sie unterscheiden sich von einem Apachen nur noch durch die weiße Haut. Sie hätten sich von Cochise anheuern lassen sollen.«

Wyatt zog ihn von der Hüttenwand weg hinter dichteres Gestrüpp und teilte ihm mit, was er entdeckt hatte.

Holliday schob sich mit dem Revolverlauf den Hut etwas aus der Stirn und schüttelte den Kopf.

»Das ist ja wirklich eine spaßige Gegend hier.«

Anderthalb Stunden suchten sie jeden Quadratyard auf diesem Gebiet ab.

Aber nicht die mindeste Spur eines Menschen war zu entdecken.

Sollte es vielleicht doch ein ganz unseliger Unglücksfall gewesen sein, dem der Pelztierjäger McLeod zum Opfer gefallen war? Wyatt vermochte es sich nicht vorzustellen. Aber ausgeschlossen war natürlich gar nichts.

Sie verließen den Platz und suchten die Schlucht auf, wo sie ihre Pferde gelassen hatten.

»Hier in diesem Gesteinsspalt bleibe ich nicht«, versetzte der Missourier.

»Sollten Sie vielleicht die Absicht haben, in dem schönen PARADISE zu übernachten?«, entgegnete der Spieler.

»Auch nicht«, versetzte der Marshal. »Ich habe da vorhin einen besseren Platz entdeckt.«

Sie ritten um den Steinring herum, der die Stadt umgab, bis sie den Eingang erreicht hatten, und da führte mitten in der schmalen Kluft eine kleine Felsspalte westwärts, genau in die Steine hinein.

»Ich denke, dass wir hier sicherer und besser aufgehoben sind«, meinte der Marshal.

Holliday, der sich weiter vorwärtsgetastet hatte, stieß auf einmal einen leisen Ausruf der Verwunderung aus.

Wyatt folgte ihm sofort, und als er ihn erreicht hatte, blieb er verblüfft stehen.

Von der Stelle aus, wo der Spieler stand, sah man im schwachen Licht des fahlen Mondes die Stadt vor sich liegen.

»Das ist ja eine tolle Entdeckung«, meinte der Missourier. »Wir nehmen die Pferde mit«

Sie folgten dem schmalen Felsspalt und kamen an eine Stelle, wo er zu einem kleinen Kessel geweitet war.

Dort schlugen sie ihr Nachtlager auf.

Viel aufzuschlagen gab es da nicht. Sie sattelten die Pferde ab, legten die Decken aufs Gestein und setzten sich auf die Sättel.

Es kam darauf an, dass sie jetzt ein paar Stunden schliefen.

Als der Missourier wach wurde, sah er den Spieler weiter vorn fast am Ausgang des Gesteinspaltes stehen, da, wo es ganz eng wurde.

Holliday blickte auf die Stadt hin­über, schüttelte dann den Kopf, und Wyatt hörte ihn leise sagen:

»Scheint doch nicht ganz so verlassen zu sein, das schöne PARADISE.«

Der Missourier erhob sich sofort, trat neben den Gefährten und konnte genau in die von Morgensonnenlicht erhellte Main Street sehen.

Etwa in der MItte der Straße, da wo die Bar liegen musste, standen zwei Pferde am Zügelholmen.

Der Missourier rieb sich den Schlaf aus den Augen, zog sich den Hut in die Stirn und lockerte die Revolver im Halfter.

»Die Gentlemen muss ich mir ansehen.«

Holliday deutete vom Gesteinsvorsprung hinunter.

»Wenn Sie einen kleinen Sprung riskieren wollen, dann können Sie den Umweg durch die große Einfahrt vermeiden.«

»Selbstverständlich steige ich hier ab«, entgegnete der Missourier und war auch schon unten.

Holliday beobachtete den Weg, den der Gefährte nahm.

Der Missourier blieb ein Stück an der Steinwand, verließ sie dann und hielt auf einen der Anbauten zu, so dass er von der Main Street aus noch keineswegs gesehen werden konnte.

Als Wyatt die erste Fenz erreicht hatte, sah Holliday noch, wie er sich hinaufzog und hinüber in den Hof jumpte.

*

Wyatt hatte sich von Hof zu Hof vorwärts gebracht, bis er im Hof jenes Hauses war, das der Bar genau gegenüberlag.

Er fand die Haustür versperrt, zog sich zum Küchenfenster hinauf, konnte es hochschieben und befand sich gleich darauf im Haus.

Die Dielen im Korridor ächzten scheußlich.

Er hatte die Tür zur Wohnstube aufgestoßen und blickte in einen Raum, der von ihm ja schon einmal inspiziert worden war. Überall fingerdicker Staub. Obgleich alles dicht geschlossen zu sein schien.

Wyatt Earp 219 – Western

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