Читать книгу Wyatt Earp 224 – Western - William Mark D. - Страница 3

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Bleigrauer Himmel lastete über Gleeson.

Es war spät am Nachmittag, als Jim Coster den Hurrican Saloon betrat. Die Schenke war um diese Stunde noch ziemlich leer.

Es war die Stunde, die das Leben des Gelegenheitsarbeiters James Coster ändern würde.

Es war ein reichlich träges, um nicht zu sagen faules Leben, das Coster bisher gelebt hatte und das er auch zu leben gewillt und gewohnt war.

Aber es war ein Leben, das sich in diesem Lande nicht mit Anstand leben ließ. Wer im Westen lebte, der musste sich daran gewöhnen, dass es ein hartes Dasein war, was einem dort geboten wurde. Der junge Westen, jenes Land, das von Pionieren erst vor Kurzem halbwegs erschlossen worden war, hatte nichts übrig für Menschen, die dem Herrgott den Tag zu stehlen gedachten.

Er war kein Dieb, der Gelegenheitsarbeiter Coster, auch dazu wäre er viel zu träge gewesen und sicher auch zu feige. Aber er war eben ein Mensch, der vielleicht auch in eine andere Gegend nicht sonderlich gut gepasst hätte, aber ganz sicherlich schlecht in den Westen passte.

Er hätte sehr viel mehr arbeiten müssen, um sich das Leben leisten zu können, das er sich tatsächlich noch leistete. Er wollte jedes Wochenende auf den Kopf hauen, wie er es bei sich nannte, und möglichst auch in der Woche noch zwei-, dreimal einen über den Durst trinken. Und Girls wollte er auch haben. Das war ganz einfach eine zu hohe Forderung an das Leben, dem er seinerseits nichts an Zoll zu zahlen gedachte.

An diesem Tag wurde ihm auf eine gnadenlose Weise die Quittung gegeben.

Es war ein Donnerstag, und eigentlich hätte er noch zwei Tage warten sollen, bis er sich mit den wenigen Dollars, die er in dieser Woche verdient hatte, in eine Schenke getraute. Aber er hatte am Vormittag eine neue Arbeit, die ihm angeboten worden war, abgelehnt und sich stattdessen ein paar Stunden draußen bei den Corrals in einer stillen Hütte auf einen Strohsack gelegt und gepennt. Dann war er aufgestanden und hatte sich mit den Cowboys herumgestritten, die es nicht schätzten, dass er sich da draußen herumtrieb, und war dann in seinem typischen Schlendergang in die Stadt gekommen.

Coster war ein Bursche von achtundzwanzig Jahren mit etwas schwammigen Gesichtszügen und schlaffem Körperbau. Dennoch war er bedeutend kräftiger, als seine Gestalt vermuten ließ. Er trug einen braunen Hut, dessen Band von großen Schweißstellen bedeckt war und dessen Krempe vorn sehr zerfleddert wirkte. Sein Hemd war kragenlos und missfarben. Die braune Weste war sehr abgegriffen, und einige Knöpfe fehlten daran. Die Zipfel seines verwaschenen blauen Halstuches hatte er über der rechten Schulter hängen. Die graue gestreifte Hose war über den Knien stark ausgebeult und fadenscheinig. Auch seine Stiefel hatten ihre besten Zeiten längst hinter sich. Er trug, wie eigentlich jeder Mann in diesem Lande, an der rechten Seite einen Revolver im Halfter. Es war nichts Besonderes an diesem James Coster. Sein Gesicht wirkte ausdruckslos und für die jungen Jahre schon reichlich verbraucht. Man hätte ihn gut und gern für einen Vierzigjährigen halten können.

Als er die Schenke betrat, winkte ihm der Salooner, ein untersetzter, glatzköpfiger Mann, mit einer müden Bewegung zu und deutete mit dem Kopf in einer vielsagenden Geste zu den vier Männern hinüber, die an einem der großen Spieltische saßen und schweigend in ihr Pokerspiel vertieft waren.

Jim Coster war nicht klug genug, den Wink des Wirtes zu deuten. Anstatt sich von dem Tisch fernzuhalten und auf die Theke zuzukommen, die um diese Stunde noch völlig leer war, schlenderte er doch tatsächlich zu den Spielern hinüber und blieb hinter einem von ihnen stehen.

Jim Coster stammte nicht aus Gleeson. Er hielt sich erst seit wenigen Monaten hier auf. Aber die Stadt, aus der er kam, lag auch nicht allzu weit entfernt von hier und gehörte zu einem Kreis von Ansiedlungen und kleinen Städten, die der arbeitsscheue junge Mann der Reihe nach heimgesucht hatte. So kam es auch, dass er die vier Männer, die hier saßen, nicht kannte.

Er blickte den Spielern eine Weile zu, trat dann hinter den nächsten und beobachtete seine Karten. Und plötzlich wandte der sich um.

Es war ein Mensch von vielleicht vierzig Jahren, breitschultrig, vierschrötig und massig. Er maß den unliebsamen Kiebitz mit ärgerlichem Blick und knurrte:

»Wie wär’s, Mister, wenn Sie sich einen Stuhl nähmen und mitspielten.«

Das war keineswegs eine Einladung, sondern nichts weiter als eine Umschreibung für die Aufforderung: Sehen Sie zu, dass Sie verschwinden!

Coster aber begriff auch das nicht, sondern zerrte sich tatsächlich und allen Ernstes einen Stuhl von einem der anderen Tische heran und schob ihn zwischen zwei der Spieler.

Die vier Männer wechselten einen kurzen Blick miteinander, und dann spielten sie weiter.

Als der Gang beendet war, meinte Coster:

»All right, ich spiele mit.«

Die Männer schwiegen, und der Kartengeber schnipste auch ihm ein paar Blätter zu.

Coster verlor. Er verlor von der ersten Minute an. Aber er blieb beim Spiel. Das war auch eine seiner wenig klugen Eigenschaften. Er verlor, bis er keinen Cent mehr in der Tasche hatte, und dann war er einfältig genug, einen der weißen Zettel aus der schwarzen Holzschatulle zu nehmen, die in der Mitte jedes Spieltisches im Westen stehen und die treffende Bezeichnung »Notausgang« haben.

Er schrieb eine Summe darauf, die er an einen der vier Männer bis zum Mittag des nächsten Tages zu entrichten hatte.

Eine Summe, die er kaum beschaffen konnte.

Es sei denn, dass er die wenigen Habseligkeiten, die er besaß, bis dahin zu Geld machte.

Und er spielte weiter – und verlor wieder.

Er nahm wieder einen Schuldschein. Und diesmal hatte er eine Summe einzusetzen, die ihn bereits zum bettelarmen Mann machte. Denn selbst, wenn er seinen Sattel und sein Pferd verkaufte, konnte er die Summe kaum zusammenbringen. Er hätte eine halbe Woche dafür arbeiten müssen, um das Geld noch draufzulegen, was zur Deckung der Schuld erforderlich war.

Zwei Stunden später verließ er benommen vom Whisky und deprimiert von den Niederlagen die Schenke.

Draußen auf dem Vorbau lehnte an einem der Dachpfosten ein Mann.

Coster sah ihn gar nicht, das heißt, er schaute ihn nur an, aber es wurde ihm nicht klar, dass er ihn betrachtete.

Der Mann war sehr groß, vierschrötig, hatte einen gewaltigen Brustkasten und einen kantigen massigen Schädel. Das Gesicht wirkte wie aus grobem Holz geschlagen, und eines seiner Augen war zerstört.

Jim Coster kannte diesen Mann nicht. Er ahnte nicht, dass da einer der vier Verbrecher stand, die vor wenigen Wochen drüben im nicht allzu fernen Tombstone den Sheriff Virgil Earp aus dem Hinterhalt zusammengeschossen hatten.

Master Crack! Ja, es war der Zyklop, dem es gelungen war, nachdem Wyatt Earp ihn mit den anderen gestellt hatte, aus dem Tombstoner Jail wieder zu entkommen.

Master Crack war nicht eine Zufallserscheinung, sondern er war ganz einfach das Werkzeug des geheimen Bandenführers, der seit einiger Zeit drüben in Tombstone eine neue Bande auf die Beine gestellt hatte. Wer dieser Bandenführer war, wusste noch niemand. Jedenfalls wussten es die Leute im Marshal-Office ebenso wenig wie die Männer vom Tombstoner Stadtrat. Überhaupt – wer wusste es?

Wahrscheinlich nur die Mitglieder der Bande. Und möglicherweise von diesen auch nur einige wenige.

Master Crack hatte nach seiner Flucht die Stadt natürlich verlassen müssen und sich eine Zeit lang in der Umgebung verborgen gehalten. Es war nicht leicht gewesen, seine Fährte von den scharfen Augen und der unheimlichen Spürnase des berühmten Dodger Gesetzesmannes Wyatt Earp zu verbergen.

Wäre der Marshal nicht von so vielseitigen anderen Dingen abgehalten worden, so hätte er ihn vermutlich längst in seinem Schlupfloch entdeckt.

Crack war davon überzeugt, dass Wyatt Earp die Suche nach ihm nun eingestellt hatte. Damit irrte er sich allerdings, denn der Missourier stellte niemals die Jagd nach einem Verbrecher ein, auf dessen Fährte er einmal saß. Und wenn er zwischendurch von brandeiligen Dingen abgehalten wurde, so hinderte ihn das doch nicht an einer späteren Fortsetzung seiner Nachforschungen.

So hätte Wyatt Earp niemals die Suche nach dem Mörder Master Crack aufgegeben. Jawohl, Crack war ein Mörder, auch wenn es ihm nicht gelungen war, mit seinen hinterhältigen Kugeln den Sheriff von Tombstone auszulöschen. (Virgil Earp war ja mit Hilfe des genialen Chirurgen Doc Holliday dem Totengräber im wahrsten Sinn des Wortes im letzten Moment von der Schippe gesprungen).

Niemand weiß, ob Crack den Befehl erhalten hatte, sich eine Zeit lang zu verbergen und dann irgendwann wieder zum Vorschein zu kommen. Tatsache ist, dass er an diesem Spätnachmittag vor der Tür der Schenke stand, die Beine übereinandergeschlagen und die Hände tief in seine Hosentaschen geschoben hatte. Er wirkte düster und unheimlich, wie er so dastand mit seinem zerstörten Auge, dem verknitterten Hut, die Krempe tief in die Stirn gezogen und den Unterkiefer weit vorgeschoben. Er machte wirklich einen furchterregenden Eindruck, dieser Tombstoner Bandit.

Coster stand nur etwa drei oder vier Schritt von ihm entfernt und starrte an ihm vorbei die Straße hinunter.

Eine dumpfe Trägheit hatte ihn befallen, die seine sonstige Stumpfsinnigkeit noch in den Schatten stellte. Wie eine Gipsfigur verharrte er auf den rissigen Stepwalkbohlen, die von einer dicken Staubschicht bedeckt waren. Er war niedergeschlagen und noch nicht in der Lage, das, was er da getan hatte, ganz zu überschauen.

Tief in seinem Unterbewusstsein war ein Gefühl, eine Empfindung, die alles andere verdrängte: Angst.

Eine hündische Angst!

Denn eines war ihm trotz der Schleier, die das Ergebnis des Pokerspiels vor sein Bewusstsein gezogen hatte, doch deutlich: Dass er eine gewaltige Summe Geld verloren hatte, eine Summe, die er niemals bezahlen konnte, und zwar an Männer, die ganz sicher nicht mit sich spaßen lassen würden.

Es war typisch für ihn, dass er jetzt überlegte, ob er die Straße überqueren und drüben zwischen dem Backhaus und der alten City Hall hindurch zum Teich hinuntergehen sollte, wo er mit einer Kugel seinem erbärmlichen Leben ein Ende bereiten könnte.

Er sah einfach keinen anderen Ausweg mehr. Die Männer, die ihn da in diese Situation gepresst hatten, wie er es bei sich nannte, würden ihn ohnehin in die Ewigen Jagdgründe schicken, nachdem sie sich so von ihm hereingelegt sahen. Ein Mann, der beim Poker nicht nur seine Möglichkeiten überzog, sondern der mit Unsummen spielte, die er niemals in der Lage war beizuschaffen, der war ganz einfach ein Schurke.

Jawohl, ein Schurke!Und dieser Gedanke machte ihn traurig. Wenn er auch ein träger und müder Bursche gewesen war, so hatte er doch niemals Grund gehabt, sich für einen Schurken zu halten. Der Gedanke machte ihm wirklich zu schaffen.

Es ist merkwürdig, an welchen Dingen die Menschen in solchen Stunden plötzlich hängenbleiben. Es sind Hindernisse, die sie sich allerdings selbst geschaffen haben.

Ein gallenbitterer Geschmack war auf seiner Zunge. Würgend schluckte er ihn hinunter.

Dann fuhr er sich mit dem Handrücken über die Stirn, und als er die Hand senkte, sah er, dass sie schweißnass war.

Wieder schluckte er und wollte vorwärtsgehen. Aber er hatte das Gefühl, als ob er Blei in den Beinen hätte und sich nicht von der Stelle bewegen könnte.

Sollte er nicht gleich umkehren, um denen da drinnen zu sagen, wer er war? Dass er ein Lump war, der um Einsätze gespielt hatte, die gar nicht vorhanden waren? Sollte er sich nicht damit eine Nacht und einen halben Tag voller Qual ersparen?

Denn die Männer würden doch kurzen Prozess mit ihm machen, wenn sie hinter seine Schurkerei kamen.

Überhaupt vermochte er es sich jetzt gar nicht zu erklären, was ihn dahin getrieben hatte, plötzlich ein solches Hasardspiel zu riskieren.

Es war ihm unbegreiflich, dass er das gewagt hatte.

Aber dann musste er sich doch zugeben, dass er es ganz bewusst getan hatte. Er hatte ganz einfach alles auf eine Karte gesetzt, nämlich auf das Spiel. Er hatte gehofft, in hohem und höherem Einsatz den ganz großen Coup zu tun und endlich an Geld zu kommen. An viel Geld, jedenfalls an so viel, dass er eine Zeit lang darauf verzichten konnte, sich mit dem Gedanken an Arbeit zu plagen.

In diesem Augenblick hob der Mann, der da am Vorbaudachpfeiler lehnte, den Kopf und blickte ihn mit seinem einen Auge an.

Coster spürte diesen Blick jetzt und wandte sich ab.

»Na, Brother«, hörte er da eine whiskyheisere Stimme an sein Ohr dringen. Coster hätte später nicht mehr sagen können, wieso dieses Wort plötzlich eine Hoffnung, einen winzigen Hoffnungsfunken in seiner Seele weckte.

Er blickte scheel in das entstellte Gesicht des anderen und lächelte dann schwach.

»Ich glaube, Sie brauchen einen Drink.«

Coster nickte, ohne sich dessen jetzt bewusst zu sein.

Da stieß sich Master Crack mit dem rechten Fuß vom Dachpfeiler ab, ging an ihm vorbei auf die Schwingarme der Schankhaustür zu, schob sie auseinander und sah sich dann über die Schulter um.

»Na, wo bleibst du?«

Da flog Coster herum.

Der andere hatte es tatsächlich ernst gemeint. Er wollte ihn zu einem Drink einladen.

Und irgendwie war der große muskelstrotzende Mensch plötzlich so etwas wie ein Schild gegen die vier Geier, die da drinnen saßen und ihn zweifellos ausgenommen hatten.

Ja, das war es. Wieso war ihm das bisher nicht klar geworden? Sie hatten ihn ausgenommen!

Es waren Kartenhaie, die da drinnen an dem Spieltisch saßen. Spieler, die auf einen Dämel wie ihn gewartet hatten. Auf einen Trottel, den sie ausnehmen konnten wie eine Weihnachtsgans.

Aber einerlei, er hatte verloren. Schlimmer noch, er hatte um Geld gespielt, das zu zahlen er gar nicht imstande war.

Und jetzt war dieser riesige Fremde gekommen und lud ihn zum Drink ein.

Master Crack ließ bereits einen der Schwingarme los, als sich Coster in Bewegung setzte. Er ergriff den anderen Schwingarm der Tür und betrat hinter dem Fremden den Schankraum.

Die vier drüben am Spieltisch blickten auf.

Coster sah zu ihnen hinüber, hob dann lässig die Hand, so als wollte er sagen, ja, ja, ich bin’s wieder, ich mit meinem Freund!

Master Crack ging zur Theke, schob ein paar leere Gläser, die da standen, rücksichtslos zur Seite. Eines rutschte über den Thekenrand auf den Boden, wo es zerschellte.

Der Wirt, der einen Augenblick nicht im Schankraum gewesen war, wurde durch das Geräusch des zerspringenden Glases aus dem Korridor gelockt, wo er bei einem der Küchengirls stand, was seine Frau ohnehin nicht allzu sehr an ihm schätzte.

»He, was gibt’s …?« Als er Master Crack sah, verstummte er.

Ob er ihn kannte, ist niemals festgestellt worden.

Crack hob zwei Finger und deutete damit an, dass er zwei Drinks bestellte.

Dann, als er sein Glas vor sich stehen hatte, hob er es an und prostete Coster zu.

Der griff mechanisch nach seinem Glas und kippte den Inhalt hinunter.

»Ich glaube, wir sollten noch einen nehmen«, meinte Crack und hob wieder zwei Finger.

Nach dem zweiten Drink wandte Crack sich um und schob die Ellbogen über die Thekenkante. Den rechten Fuß zog er an und richtete sein eines Auge auf den Spieltisch.

Bei diesem Blick war es Coster allerdings nicht mehr allzu wohl zumute, denn es war ein herausfordernder Blick, der da aus dem einen gesunden Auge zu den Spielern hinüberging.

So etwas hatte er sich allerdings nicht gewünscht. Es hatte ihm schon genügt, dass die vier sahen, dass er keineswegs allein hier war.

Aber dass dieser Einäugige die anderen nun auch noch provozierte, gefiel ihm absolut nicht.

Da sprangen die rissigen Lippen des Desperados auseinander:

»Hast du etwa mit denen da drüben gespielt?«

Coster nickte.

»Mit diesen Krücken hast du gespielt, mit diesen halbseidenen Figuren? Guck dir doch bloß diesen Schwamm da an mit seiner gelben Krawatte und dem braunen Hut. Und der andere, der links neben ihm sitzt mit seiner abgesägten Angströhre. Und erst der lange Schlacks, diese Bohnenstangengestalt und dann diesen zu kurz geratenen Tintenkleckser, der ihm gegenübersitzt. Ein Blinder sieht doch, dass das Falschspieler sind.«

Keiner der vier Männer am Spieltisch rührte sich.

Da stieß sich Master Crack von der Theke ab und hielt mit stampfendem Schritt auf den Spieltisch zu.

Die vier Männer rührten sich nicht.

Da versetzte Crack dem Stuhl, auf dem der »Bohnenstangenmann« saß, einen Fußtritt.

Der Spieler stürzte mit dem Stuhl zu Boden, sprang auf und wollte zum Revolver greifen.

Im gleichen Augenblick erhielt er von Crack einen Faustschlag gegen das Jochbein, dass ihm die Beine weggerissen wurden. Die anderen saßen noch still da.

»Hast du ihnen etwa noch einen Wisch gegeben?«

Coster, der bis jetzt kein Wort vor Verblüffung hervorgebracht hatte, sagte jetzt mit atemloser Stimme:

»Zwei!«

Crack schob nun seine gewaltige geöffnete Pranke über den Tisch.

Es war eine eindeutige Geste.

Und die drei Männer verstanden sie. Der Mann mit dem Zylinderhut zog die beiden Scheine aus seiner Geldbörse hervor und legte sie in die große Hand.

Crack schloss die Hand und schob sie in eine seiner Hosentaschen.

Coster hatte das Gefühl, als wäre im gleichen Augenblick eine Zentnerlast von seinem Herzen gerutscht und mit ohrenbetäubendem Geräusch hier auf den staubigen Schankhausboden gefallen.

»Ich glaube, Brother, wir sollten diesen Laden hier verlassen, und vielleicht wollen die Gentlemen ihr hübsches Spiel ja fortsetzen, wenn der Junge da wieder zu sich gekommen ist.«

Die Gentlemen aber dachten nicht daran. Sie erhoben sich vielmehr und sahen zu, dass sie zum Ausgang kamen.

»Wollt ihr nicht wenigstens eure Zeche bezahlen«, bellte ihnen der Wirt nach.

»Später«, meinte der mit dem Zylinder. Der andere lag immer noch am Boden und rührte sich nicht.

Da ergriff Crack eines der Biergläser, die auf dem Tisch gestanden hatten, und leerte seinen Inhalt über dem Gesicht des Betäubten aus.

Da kam der Mann zu sich, stand schwankend auf den Beinen und hielt es dann auch für richtig, das Weite zu suchen.

Mister Crack schickte ihm eine brüllende Lache nach. Dann stand er breitbeinig da, hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt und blickte Coster an.

»Na, was sagst du dazu?«

Coster wusste gar nicht, was er dazu sagen sollte. Obgleich er sich von den Vieren befreit fühlte, hatte er einen faden Geschmack im Munde. Die Manier, in der der Einäugige aufgetreten war, war absolut nicht nach seinem Geschmack. Noch nie hatte er gesehen, wie ein Mann mit einem solchen Hammerschlag von der bloßen Faust eines anderen niedergeschlagen wurde und so lange betäubt am Boden gelegen hatte.

»Ich glaube«, meinte Crack, »wir sollten einen anderen Laden aufsuchen, wo es gemütlicher ist.«

Coster folgte ihm.

Weshalb eigentlich? Auch das wusste er sich später nicht mehr zu erklären.

Sie suchten den »Gelben Jonny« auf, eine Schenke, die nicht allzu weit vom Hurrican Saloon entfernt war.

Jonny Gilbert, ein schwerer, dickbauchiger Geselle, der vor einem Jahrzehnt hier in die Stadt gekommen war und die Schenke regelrecht aus dem Boden gestampft zu haben schien, blickte den beiden Eintretenden mit verschlagenem Grinsen entgegen. Dann nahm er sofort zwei Gläser zur Hand und füllte sie zu einem Drittel mit Whisky.

Crack, der gar nicht auf den Gedanken gekommen war, den freundlichen Gruß des Wirtes zu erwidern, griff nach seinem Glas, roch daran und kippte dann dem Wirt den Schnaps ins Gesicht.

Der nahm sein Handtuch, um sich das brennende Nass aus dem Gesicht zu wischen.

»Aber, Mister, ich verstehe Sie nicht. Das war doch guter Whisky.«

»Das war Fusel, nichts sonst. Und wenn nicht innerhalb weniger Sekunden ein guter Scotch vor mir steht, lernst du mich kennen, Schnapspanscher.«

Da hielt der Salooner es für geboten, eine der Flaschen unter der Theke hervorzuholen, die nur für besondere Gäste dort bereitstanden.

Er kippte auch Costers Getränk in den Bottich, in dem die Gläser lagen, die abgewaschen werden mussten, und füllte beiden von dem besseren Whisky ein.

»Na also«, sagte Master Crack, »man muss nur die richtige Tonart für die Boys finden.«

Sie tranken zwei und gingen dann hinaus.

Coster blieb an der nächsten Vorbauecke stehen und blickte in die Gasse, die zum südlichen Stadtausgang führte.

Vielleicht wäre das der Augenblick gewesen, den Coster hätte ergreifen müssen, um seine Bekanntschaft mit dem Zyklopen zu beenden. Er hätte sich ganz einfach bedanken und verabschieden können.

Aber dazu hatte er nicht den Mut. Und er war fest davon überzeugt, dass Mut dazugehört hätte.

So blieb er denn unschlüssig stehen und blickte auf seine staubigen abgewetzten Stiefelspitzen.

Crack nahm eine Strohhalmzigarre aus seiner Westentasche, stieß sie sich zwischen seine Zähne und riss ein Zündholz an der Hauswand an.

»Ein trüber Tag ist das heute. Der Schweiß dringt einem aus allen Poren, als wenn Hochsommer wäre.«

»Ja, ja«, meinte Coster, nur um irgendetwas zu sagen. Und wieder hatte er, wie schon im Hurrican Saloon, plötzlich ein mulmiges Gefühl in der Magengrube, als er den anderen ansah.

James Coster war kein wertvolles Mitglied der menschlichen Gesellschaft, ganz sicher nicht. Aber er war kein Verbrecher wie jener, der da vor ihm stand.

Master Crack war ein Mörder, ein Mensch, der in mehreren Staaten steckbrieflich gesucht wurde. Er hatte sein einst brandrotes Haar mehrfach gefärbt, so dass jetzt eine scheußliche Mischung entstanden war, die seinem Kopfschmuck eine perückenhafte fuchsiggelbe Färbung gegeben hatte, die ihn regelrecht entstellte. Jemand, der ihn früher ohne weiteres erkannt hätte, würde das jetzt nicht so leicht gekonnt haben. Der dunkle Hut, den er trug, war ebenfalls gar nicht typisch für ihn und auch die Weste und die Hose nicht. Und dann hatte er sich einen Schnurrbart wachsen lassen, der seine Erscheinung vollends verfremdete.

»So, ich glaube, jetzt werden wir uns irgendwo ein ordentliches Steak zu Gemüte führen.«

Ein Steak! Hunger brannte dem Cowboy im Magen. Aber er hatte ja keinen roten Cent mehr in der Tasche.

»Klar, wir werden ein Steak kauen. Komm mit.«

Er ging mit und kaute auf Kosten des Einäugigen ein gewaltiges Steak.

Mittlerweile war es dunkel geworden.

In dem Boardinghouse, das Master Crack ausgesucht hatte, brannten nur zwei trübe Kerosinfunzeln an einem Messingleuchter an der Decke. Sie warfen ein zitterndes Licht in den verhältnismäßig großen Raum, der jetzt mit Gästen angefüllt war.

»So, und nun wollen wir zu Ed gehen.«

Crack erhob sich.

Coster folgte ihm zum Ausgang.

Da endlich nahm er sich ein Herz, um dem anderen zu sagen, dass er sich bei ihm für seine Hilfe bedanke, und dass er nun seiner Wege gehen müsse.

»Mister, wissen Sie«, begann er stockend, »ich möchte Ihnen gerne erklären …«

Crack hatte abgewinkt.

»Sie brauchen mir nichts zu erklären. Kommen Sie mit, wir werden den Tag mit einem ordentlichen Schluck beenden.«

Drei Stunden stand er neben dem riesigen Mann an der Theke in Ed Howards Durstlöscher-Bar. Als er hinauswankte, war er so voll wie eine Haubitze.

Wo er von dort hingegangen war, wusste er nicht mehr, als er spät am nächsten Vormittag erwachte und das Sonnenlicht grell durch einen Fensterladenspalt in einen schrägwandigen Raum dringen sah.

Er lag auf einem alten Messingbett in seinen Kleidern, und die Luft in der Kammer war zum Schneiden dick.

Er erhob sich, saß auf der Bettkante und starrte vor sich hin. In seinem Schädel war ein Dröhnen und Hämmern wie in einer Kesselschmiede.

Er richtete sich auf, stand auf weichen Knien da, schwankte zum Fenster und stieß die Laden auf.

Er blickte in einen engen Hof, in dem ein dünner kahler Baum sein Leben fristete.

Drüben auf der anderen Seite in der prallen Sonne stand eine Hundehütte, deren Dach nur noch in der Fantasie des Hundes zu bestehen schien. Denn der Hund hatte sich in die Hütte zurückgezogen und suchte dort vergebens Schutz gegen die pralle Sonne. Es war ein kleiner, ängstlich wirkender Pinscher.

Coster sog die frische Luft ein und hatte das Gefühl, dass der Kopfschmerz sich dadurch noch verstärkte.

Er wandte sich um, taumelte durch das Zimmer zur Tür, öffnete sie und blickte in einen schmalen Korridor.

So dicht vor ihm, dass er fast abgestürzt wäre, führte eine Stiege nach unten auf die Tür zum Hof.

Er musste sich mit beiden Händen am Geländer festhalten, um die Treppe nicht hinunterzustürzen.

Als er unten angekommen war, öffnete er vorsichtig die Tür und linste in den Hof.

Drüben in der Stalltür sah er eine Magd stehen, die damit beschäftigt war, mittels Seife, Bürste und heißem Wasser die völlig verdreckte Innenseite der Stalltür zu reinigen.

Coster öffnete die Tür weiter und blinzelte zu dem Mädchen hinüber.

Es war ein dralles Girl von vielleicht zwanzig Jahren, das so üppige Formen hatte, dass der Kater, der unseren Mann bis jetzt so bedrängt hatte, plötzlich wie verflogen zu sein schien.

Coster zog den Hut, den er oben neben seinem Bett am Boden gefunden hatte, tiefer in die Stirn und schlenderte pfeifend über den Hof.

Das Mädchen blickte kurz von der Arbeit auf und erwiderte seinen Gruß.

Coster blieb vor der Tür stehen und meinte:

»Na, schon so früh bei der Arbeit?«

Das war eine idiotische Frage, denn es war wenige Augenblicke vor elf Uhr.

Das Mädchen lächelte ihn dümmlich an. Aber er gefiel ihr nur wenig, denn er sah ohnehin nicht sonderlich gut aus, und die durchsumpfte Nacht hatte sein Aussehen noch verschlechtert.

»Sagen Sie, Miss, wo sind wir hier eigentlich?«

Die Magd blickte ihn jetzt erstaunt an. »Sie sind aber komisch, Mister!«

»Komisch? Finde ich gar nicht. Ich glaube, ich muss gestern Abend einen über den Durst genommen haben.«

»Das scheint mir auch so«, entgegnete sie.

»Und? Wo bin ich hier also?«

»Sie sind in Jonny Gilberts Bar.«

»Was denn? Im Durstlöscher?«

»Ja.«

»Aber ich habe doch da drüben – ich meine – ich komme …«

»Ja, das ist der Anbau der Bar, da haben Sie geschlafen.«

»Wie komme ich denn dahin …?«

»Sie sind aber wirklich gut«, feixte das Mädchen. »Sie sind doch mit Mr Parker gekommen.«

»Parker? Keine Ahnung.«

»Na, hören Sie, ich denke, Sie sind sein Freund?«

Jetzt dämmerte es unserem Mann. Plötzlich ging ihm ein Licht auf, und es war kein allzu gutes Licht.

Er sah auf einmal ein verwüstetes Gesicht vor sich, in dem nur noch ein Auge stand.

Eine eingeschlagene Sattelnase und einen struppigen Schnauzbart. Es war ein Gesicht, dessen untere Hälfte von wilden, kreuz und quer wuchernden Bartstoppeln bedeckt war und dessen Züge zu scharfen Falten regelrecht zerschnitten wurden.

Es war das Gesicht John Parkers.

Jedenfalls hatte der Mann ihm gesagt, dass das sein Name wäre.

In Wirklichkeit war es niemand anders als der steckbrieflich gesuchte Mörder Master Crack.

Coster verspürte einen faden Geschmack im Mund, nahm den Hut ab und fuhr sich über seinen schmerzenden Schädel.

Dann kam der zweite Augenblick, in dem er Gelegenheit hatte, sein Schicksal zu ändern.

Vorn in dem Tor, das zur Straße führte, tauchte ein älterer Mann auf, der ihn anblickte.

Coster kannte ihn. Es war der Mann, bei dem er eine Zeit lang gearbeitet hatte. Der Zimmermann Sloter.

»Da bist du ja, Jim, komm mit. Ich möchte was mit dir besprechen.«

Coster blickte ihn an wie einen Fremden.

»Was ist denn? Kommst du oder kommst du nicht?«

Sekunden verrannen.

Das Mädchen nahm die Bürste und tauchte sie in den Eimer, um seine Arbeit an der Stalltür wieder geräuschvoll aufzunehmen.

Coster hatte den Kopf gesenkt und blickte auf seine staubigen Stiefel.

In diesem Augenblick waren drüben im Anbau auf der Treppe Schritte zu hören.

Da wurde die Tür aufgestoßen, und die klobige Gestalt Master Cracks tauchte in ihrem Rahmen auf.

Coster blickte zu ihm hinüber und sah, dass er ihn sofort ins Auge fasste.

Crack kam auf ihn zu.

Da warf Coster noch einen scheelen Seitenblick auf das Tor und sah, dass der Zimmermann verschwunden war.

Das war seine letzte Chance gewesen, dem Banditen Crack und mit ihm dem Teufelskreis zu entrinnen!

*

Crack war bis in die Hofmitte gekommen, hatte den Eimer über den Brunnenrand an die Seilhaken gehängt und ließ die Winde rücksichtslos abrollen. Unten klatschte der Eimer auf die Wasseroberfläche.

Crack hievte ihn wieder hoch und kippte sich das Wasser ganz einfach über den Schädel.

Dass dabei seine Kleider nass wurden, interessierte ihn offensichtlich nicht.

Er schlenderte hinüber zu einer der Holzbänke, die drüben vor der Anbauwand standen und ließ sich darauf nieder. Weit streckte er seine langen Beine von sich und stürzte sich mit seinen beharrten Händen auf die Bank auf.

»Na, Brother, wie steht’s?«, rief er mit seiner whiskyrauen Stimme.

Coster warf noch einen Blick auf das Mädchen und ging dann zu ihm hinüber.

»Ich glaube, Mister, ich muss mich bei Ihnen bedanken.«

»Red keinen Quatsch, Mensch, setz dich hin.«

Coster nahm neben ihm Platz.

»Du heißt also Jim?«

»Ja, Jim Coster.«

»Richtig, das sagtest du mir gestern. Ich bin Parker, John Parker.«

Er schnäuzte sich unappetitlich aus, nahm dann plötzlich mit der Linken seinen schweren Revolver und führt ihn in einer langsamen halbkreisförmigen Bewegung vor sich her, hielt plötzlich inne und ahmte den Laut eines Schusses nach.

Coster hatte diese Bewegung wie gebannt mit den Augen verfolgt und zuckte bei dem seltsamen Laut regelrecht zusammen.

Crack hatte den Revolver wieder nach links genommen und führte ihn abermals langsam nach rechts, um ihn dann wieder anzuhalten und den unangenehmen Laut auszustoßen.

Es sah so aus, als folgte er einem beweglichen Ziel, bei dem er den Herzpunkt anvisieren wollte.

So makaber diese Geste schon war – der Laut, den Parker dabei ausstieß, ging Coster direkt auf die Nerven.

»Du kannst mir einen Gefallen tun, Jim. Geh an die Tür, versetz ihr einen Fußtritt und sag, die beiden sollen herunterkommen.«

»Die beiden?«

»Klar, Steve und Jake.«

Auch das noch, er hatte also noch andere Freunde.

Aber Jim Coster war schon so sehr unter dem Bann dieses Mannes – oder um es genauer zu sagen, er hatte schon so viel Furcht vor dem anderen, dass er seiner Aufforderung augenblicklich nachkam.

Er ging auf den Anbau zu, öffnete die Tür in der ihm angegebenen Weise und bellte:

»Jake! Steve!«

Oben wurde eine Tür geöffnet, und eine verschlafene Stimme bellte:

»Yeah!«

Dann waren nach einer Weile trampelnde Schritte auf der steilen Stiege zu hören.

Einer der beiden Männer verfehlte die Stufe, stürzte gegen den Mann, der vor ihm ging, und da der auch nicht ganz sicher auf den Beinen war, stürzten sie beide die Treppe hinunter und purzelten wie ein einziges Knäuel an dem verblüfften Coster vorbei in den Hof.

Dort sprangen sie blitzschnell auf die Beine und droschen so wütend aufeinander ein, dass es Jim Coster die Sprache verschlug.

Die beiden waren derart handgreiflich und rasch in ihren Aktionen, dass er nicht in der Lage war, einen von dem anderen zu unterscheiden.

Das Mädchen drüben hatte seine Arbeit eingestellt und beobachtete den wilden Kampf. Vorn an der Rückfront des Hauses war das Küchenfenster hochgeschoben worden, und eine ältere Frau beobachtete ebenfalls den Fight.

In der Flurtür, die jetzt geöffnet worden war, erschien der Salooner und neben ihm eine jüngere Frau.

Interessiert blickten alle auf die kämpfenden Männer.

Nur einer schien absolut kein Interesse daran zu haben: der Mann, der sich John Parker nannte.

Er hatte die Beine immer noch weit von sich gestreckt und die Hände neben sich auf die Bank gestützt. Dösend stierte er vor sich hin.

Plötzlich aber erhob er sich und brüllte mit einer wüsten Stimme:

»Schluss!«

Wie von Geisterhand getrennt, hielten die beiden inne.

Keuchend, staubbedeckt und schweißtriefend standen sie da.

Jetzt, als sich die Staubwolke, die sie ständig eingehüllt hatte, etwas legte, konnte Coster die beiden Männer betrachten.

Der eine war ein Mann in den dreißiger Jahren, breitschultrig, untersetzt, mit einem schweren kantigen Schädel, der auf einem massigen Rumpf saß. Er hatte ein undurchsichtiges Gesicht, dessen Augen weit auseinander standen. Die Nase war stumpf und der Mund breit. Er trug eine braune Leinenjoppe, ein sandfarbenes Hemd und eine graue Hose. Um seine Hüften hatte er einen breiten Waffengurt und und rechts im Halfter einen 38er Smith & Wesson Revolver.

Das war Steve Cahoon.

Der andere, der ihm jetzt noch schnaubend gegenüberstand, war etwas größer, schlanker und wirkte dennoch sehr muskulös. Er hatte ein hageres Pferdegesicht, eine spitze Nase, einen stichdünnen Mund und ein fliehendes Kinn. Die Augenknochen wölbten sich vor und wurden von borstigen Haaren überwuchert.

Hinter ihm lag ein zerstampfter brauner Melba-Hut. Er trug ein blassgrünes Hemd, eine braune Weste und eine blaue Leinenhose. Auch er hatte einen Revolver rechts im Halfter.

Es war der ehemalige Straßenarbeiter aus Tennessee Jake Daduk.

»Los, kommt her«, sagte Crack mit einer unfreundlichen Stimme, während er sich eine lächerlich krumm gedrehte Zigarette zwischen die rissigen Lippen schob.

Als er ein Zündholz anriss, hatte Coster das Gefühl, dass er sich den Schnurrbart verbrennen müsste.

Aber es geschah nicht.

Crack sog die Flamme in die Tabakfäden, schnippte das Zündholz von sich und stieß den Qualm durch die Nasenlöcher in einer Doppelfontäne aus.

»Das ist Jim Coster«, sagte er mit einer fahrigen Bewegung, »und das ist Steve Cahoon und der Lulatsch ist Jake Daduk.«

Coster schluckte. Es war ihm in diesem Augenblick klar, dass es Tramps waren, die sein neuer Freund ihm da vorstellte. Tramps, wie auch der Einäugige selbst!

Glasklar war es ihm plötzlich. Aber er hatte den Zeitpunkt verpasst, sich von Crack zu lösen.

Er nickte Cahoon und Daduk zu und linste dann zum Haus hinüber.

»Ja, ja«, meinte Crack, »wir können gleich Kaffee trinken. Ich muss nur mal nach den Pferden sehen. Das heißt, Daduk, das könntest du ebenso gut tun.«

Der Hagere stakste mit schlaksigen Bewegungen über den Hof und blieb vor dem Mädchen stehen, das immer noch die Tür schrubbte.

»Na los, geh schon!«, brüllte Crack.

Da versetzte der Lange dem Eimer einen Fußtritt. Die Brühe ergoss sich der Magd über Strümpfe und Schuhe. Schreiend stob sie davon.

Dann saßen sie drinnen im düsteren Schankraum vor ihrem Kaffee.

Coster, der einen galligen Geschmack im Hals hatte, und immer noch gegen den dumpfen Schmerz im Schädel ankämpfen musste, verspürte nicht den mindesten Appetit.

Und ohne dass noch einer ein Wort gesagt hätte, wusste er von Anfang an, dass Cahoon und Daduk gegen ihn waren.

Steve Cahoon war vielleicht am meisten gegen ihn. Der vierschrötige ehemalige dritte Hilfssheriff von Abilene oben in Kansas, der wegen Vertuschung eines Mordes vor einer ganzen Reihe von Jahren davongejagt worden war und sich seitdem auf dem Grauen Trail befand, blickte ihn unentwegt finster an.

Der Wirt, der selbst das Brot und die Speckeier gebracht hatte, stand noch einen Moment neben dem Tisch, erhielt dann jedoch einen derben Rippenstoß von Crack.

»Sieh zu, dass du verschwindest.«

Daraufhin machte er sich davon.

Coster wurde das Gefühl nicht los, dass es jetzt kommen musste. Das, wovor er sich schon die ganze Zeit unbewusst fürchtete.

Denn dass da irgendetwas nicht stimmte, war ihm jetzt, nachdem er die Benommenheit des schweren Alkoholrausches abgeschüttelt hatte, völlig klar.

Kein Mensch nimmt sich eines Haderlumps, wie er einer war, in dieser Weise an, ohne etwas dafür zu fordern.

Ganz sicher nicht dieser liebliche John Parker. Coster hatte ihn zwar im Laufe der nur wenige Stunden alten Bekanntschaft nicht sonderlich gut kennen gelernt, doch ahnte er bereits, dass er keineswegs der freundliche und hilfsbereite Mann war, als der er sich gab.

Kaum war der Wirt verschwunden, ließ Crack auch schon die Katze aus dem Sack.

Er stemmte beide Ellbogen auf den Tisch und sagte, während er den Kopf anhob:

»Die Sache startet bei Einbruch der Dunkelheit.«

Welche Sache?, hätte Coster gern gefragt, aber er wagte es nicht. Er wagte es nicht einmal, Crack anzusehen. Und er spürte doch, dass er von diesem beobachtet wurde.

Crack fuhr fort:

»Ich gehe hinten durch den Hof und werde durch die Flurtür in den Korridor kommen. Cahoon ist dann um die gleiche Zeit vorn am Eingang und klopft. Daduk und Coster bleiben neben der Tür. Wenn Cahoon eingetreten ist, folgt ihm Coster nach fünf Sekunden. Daduk bleibt auf jeden Fall vor der Tür.«

Da fiel es wie Schuppen von den Augen des Gelegenheitsarbeiters.

Er war an eine Bande geraten, und die ganze Hilfsbereitschaft Parkers war nichts weiter als Berechnung gewesen.

Da hatte es ihn also erwischt!

Eine Bande von Einbrechern hatte ihn in ihren Fingern. Es war ihm sofort klar, dass Parker ihn im Griff hatte, denn er brauchte ihm bloß mit den Schuldscheinen zu drohen, die er ihm ja keineswegs zurückgegeben hatte.

Das war der geschickteste Trick, von dem der Gelegenheitsarbeiter James Coster je gehört hatte. Und dabei war es doch ein so uralter Gaunertrick.

Und während Crack weitersprach, hatte Coster Mühe, wenigstens äußerlich völlig ruhig zu bleiben, um seinen Schrecken nicht dem anderen zu verraten.

Master Crack teilte jeden einzelnen genau für den Hold up ein.

Auch Costers Rolle wurde dabei genau festgelegt.

Aber James Coster war gar nicht mehr in der Lage, den Erklärungen seines neuen »Freundes« zu folgen. Er spürte nur die Augen Cahoons auf seinem Gesicht, und das genügte ihm. Cahoon, das war sein Feind, so viel stand fest. Und Jake Daduk war auch nicht sein Freund. Den beiden passte es offensichtlich nicht, dass Parker ihn in die Bande aufgenommen hatte.

Allmächtiger!, brannte es im Hirn des ehemaligen Zimmermannsgehilfen, was glaubte dieser John Parker von ihm? Dass er ein Mann war, der sich auf diesen gefährlichen »Job« verstand? Der einen Hold up mitmachen konnte, ja, der einer von vier Männern sein sollte, und dabei eine sicherlich wichtige Funktion auszuführen hätte?

Musste er ihm nicht sagen, dass er absolut ungeeignet dafür war? Dass er gar nichts für eine solche Tätigkeit mitbrachte, dass er weder mutig noch entschlossen, weder reaktionsschnell noch kaltblütig war?

Und all das war doch seines Erachtens für eine solche Sache erforderlich.

Aber er sagte gar nichts. Er vermochte gar nicht, den Mund zu öffnen.

Es waren zehn Minuten verstrichen, da wurde er von Crack angerufen.

»He, pennst du?«

»Nein, nein, durchaus nicht.«

»Also, dann wiederhole mal, was ich gesagt habe.«

»Lieber Himmel«, knurrte Cahoon dazwischen, »jetzt lass dir das von diesem Kerl auch noch alles nachbrabbeln, er wird doch noch wohl bis drei zählen können. Die paar Dinge, die er zu behalten hat, die kann ja ein Schuljunge behalten. Ich denke, wenn du ihn für den Job ausgesucht hast, dann genügt es, dass du alles dreimal erzählt hast. Wir können darauf verzichten, dass er uns auch noch mit einer Wiederholung langweilt.«

Die Bemerkung trug dem ehemaligen Hilfssheriff einen ärgerlichen Blick Cracks ein, aber er schien daran gewöhnt zu sein und zündete sich in aller Ruhe eine Pfeife an.

»So, und jetzt gehen wir rüber in den Hurrican Saloon und werden pokern. Vielleicht finden wir da deine Freunde wieder, Coster.«

Jim schluckte. Er hatte das Gefühl, dass die Zunge ihm am Gaumen festkleben würde. Eine Ader schlug an seinem Hals und trieb ihm das Blut mit wilden Schlägen hämmernd in den Schädel. An einem Hold up musste er mitmachen. Er war zur Beteiligung gezwungen, erpresst worden.

Wie war das? Gab es für derartige Verbrechen, die unter Druck ausgeführt wurden, nicht eine Strafmilderung? Aber wie wollte er, wenn er von den Kugeln des Sheriffs niedergestreckt im Straßenstaub oder im Kassenraum an der Erde lag, noch seine Unschuld beteuern, oder noch erklären, dass er nur unter Druck gehandelt habe?

Die Vorstellung trieb ihm den Angstschweiß in tausenden von Tropfen auf die Stirn.

Crack hatte es bemerkt und blickte ihn scheel an.

»Was ist denn mit dir? Mir scheint, dir ist der große Drink letzte Nacht nicht bekommen. Hättest ein Girl dazunehmen sollen, gemeinsam verdaut es sich besser!«

Die beiden anderen brachen in eine rüde Lache aus.

Wyatt Earp 224 – Western

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