Читать книгу Wyatt Earp Box 14 – Western - William Mark D. - Страница 6

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Etwa anderthalb Meilen vor ihnen im Nordwesten, inmitten der weiten grüngelben Talmulde, lag die Stadt.

Die beiden Reiter kamen aus dem Südosten, aus dem fernen Tulsa.

Der eine von ihnen saß auf einem Rapphengst, dessen Fell seidig glänzte. Er war ein hochgewachsener Mann mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Er trug ein graues Kattunhemd und eine kurze offene schwarze Weste. Seine Hose war ebenfalls schwarz und lief über die Schäfte der hochhackigen Stiefel aus. Er hatte ein markantes wettergebräuntes Gesicht und stahlblaue Augen.

Unter dem Rand seines schwar­zen Hutes blickte dunkles, kräftiges Haar hervor. Sein Waffengurt war aus dickem Büffelleder und hielt an jeder Seite einen schweren fünfundvierziger Revolver.

Obgleich nichts Besonderes an diesem Mann zu sein schien, strahlte er eine ungeheure Wirkung aus. Jeder, der ihn einmal gesehen, in sein Gesicht geschaut, von dem Blick seiner Augen getroffen worden war, würde ihn nie wieder vergessen.

Der Reiter war Wyatt Earp, der berühmte Marshal von Dodge City. Neben ihm, auf einem schwarzweiß-gescheckten Hengst, der ebenfalls wie auch der Rappe von edler Herkunft war, saß ein Mann, der etwa gleich groß, aber nicht so breit in den Schultern sein mochte. Überhaupt hatte er mit dem anderen wenig Ähnlichkeit. Sein Gesicht war blaßbraun, hatte einen aristokratischen Schnitt und wurde von einem wahrhaft eisblauen Augenpaar beherrscht. Er trug einen schwarzen Anzug mit langschößigem Rock, nach der neuesten Mode gefertigt. Sein schwarzer Stetson war ebenfalls neu. Sein blütenweißes Rüschenhemd wirkte fast ein wenig grotesk in dieser Umgebung, in diesem Land. Aber es stand ihm ausgezeichnet. Es schien zu ihm zu gehören wie die weinrote Seidenschleife und die giftgrüne, mit schwarzen Stickereien besetzte Weste. Er trug wie sein Begleiter einen schwarzen patronengespickten Waffengurt aus dickem Büffelleder, der zwei große Revolver mit elfenbeinbeschlagenen Knäufen hielt.

Auch von diesem Mann ging eine sonderbare Wirkung aus. Sein Name war in den Weststaaten nicht minder berühmt als der des Sternträgers Wyatt Earp, denn auch er war vor allem durch seine geradezu phantastisch schnellen Revolverhände und seine unerhörte Geschicklichkeit im Pokern populär geworden. Es war ein Name, der den Geruch von Pulverrauch mit sich zu bringen schien, von düsterer Spannung und irgendwie auch etwas von dem Glanz der großen Welt, die hier im weiten Westen Sage geworden war.

Dieser Reiter war der große Gunfighter Doc Holliday.

Sie kamen von Tulsa und wollten hinauf nach Dodge. Tom Conally, der mit ihnen gekommen war, war schon vorausgeritten, da die beiden noch westlich von Arkansas City Wyatts alten Freund James Heeth auf seiner großen Ranch besuchen wollten. Heeth war einer der ersten, die vor mehr als einem Vierteljahrhundert aus dem Osten gekommen waren und sich hier an der Grenze von Kansas niederließen.

Er hatte es schwer gehabt, der alte knorrige Engländer. Erst hatten ihm die Indianer das Leben auf seiner damals noch winzigen Farm zur Hölle gemacht, und dann waren es weiße Banditen gewesen, die immer und immer wieder gekommen waren, um ihn heimzusuchen. Er hatte sein ­Ranchhaus öfter als sonst irgend jemand aufbauen müssen, den der Marshal kannte; aber unverdrossen hatte sich der Brite immer und immer wieder an das schwere Werk gemacht.

Heute stand seine Ranch als eine der größten und gesündesten da, die es im Grenzland überhaupt gab.

Die beiden hatten die Stadt seitlich liegen lassen und hielten nach Westen zu.

Es war früher Vormittag.

Die Stadt war längst hinter dem Horizont versunken, als der Missourier in der Ferne ein Dach auftauchen sah.

»Eine Pferdewechselstation.« Wyatt zog sein Nelsonglas aus der Tasche und brachte es vor sein linkes Auge.

»Da sitzen sie in der Sonne«, sagte er.

Der Georgier, der auch einen kurzen Blick durch das Glas geworfen hatte, setzte hinzu:

»Und pokern.«

»Well, wir werden da eine kurze Rast einlegen. Bis zur H-Ranch haben wir noch ein paar Stunden vor uns.«

Sie hielten auf die in einer sanften Mulde gelegene Station zu.

Drei Pferde standen vorn am Zügelholm in der prallen Sonne. Der Corral neben dem Haus schien leer zu sein.

Die Pferde vermochte man erst beim Näherkommen zu erkennen, sie hatten sich dicht an das Gatter unter den schattenspendenden Wagendachvorbau gedrängt.

Vor dem Haus, unter dem Überdach, saßen drei Männer beim Kartenspiel.

Zweien konnte Wyatt ins Gesicht sehen.

Sie waren mittelgroß, vielleicht Ende Zwanzig, und ihre Gesichter glichen einander. Wahrscheinlich waren es Brüder. Sie trugen helle, verwaschene Hemden, bunte Halstücher und große, abgeschabte Revolvergurte.

Ihnen gegenüber saß ein ziemlich großer Mann im dunkelblauen Jak­kenhemd, mit rotem Halstuch und schwarzem Melbahut. Er trug eine sonderbar helle, sandfarbene Hose und einen breiten Waffengurt. Das rote Halstuch hatte er in den Kragen gerollt.

Es war genau vier Minuten vor zwölf, als die beiden Dodger vor der Station vom Pferd stiegen.

Drüben im Türrahmen stand ein kahlhäuptiger Mann mit faltenzerrissenem Gesicht und kleinen müden Augen. Er hatte die Hemdsärmel hochgekrempelt und stützte sich mit hochgeschobenem rechtem Unterarm in den Türrahmen. Er hatte das linke Bein über das rechte geschlagen und die Stiefelspitze aufgestellt. Es fiel Wyatt nicht auf, erst sehr viel später, als alles vorbei war, würde er sich an diese merkwürdige Haltung erinnern. Und daß sie merkwürdig war, verdankte sie dem sonderbaren Umstand, daß der Mann nicht das linke Bein als Standbein in dieser Haltung benutzte.

Dieser Mann mußte der Stationsmaster sein. Er trug eine grüne Schürze, ein blaues Hemd und eine braune, flickenbesetzte Hose.

Vorn an der Kante des niedrigen Vorbaues hockte ein zottiger ungepflegter Hund und blinzelte über die Prärie.

Während der Gambler noch seine Zügelleinen über das vierkantige Querholz legte, schritt der Missou­rier auf den Posthalter zu.

»Hallo!«

Der Postmaster grüßte müde zurück, indem er eine träge Bewegung mit dem Kopf machte.

Die anderen drei blickten überhaupt nicht auf, so sehr schienen sie in ihr Kartenspiel vertieft zu sein.

»Können wir hier eine kurze Rast machen?«

»Natürlich.«

»Danke.«

Holliday kam hinter seinem Pferd hervor. Noch ehe er den Marshal erreicht hatte, raunte er ihm durch den Mundwinkel gepreßt zu:

»Eigenartige Luft hier, finden Sie nicht?«

Wyatt drehte sich nach ihm um.

»Ich habe auch ein sonderbares Gefühl in der Magengrube – weiß aber nicht, warum.«

Holliday zündete sich eine Zigarette an und sagte dabei:

»Die spielen den sonderbarsten Poker, den ich je gesehen habe.«

Wyatt wandte sich wieder um und musterte jetzt die drei Männer am Tisch.

Da hob der Wirt den Kopf und stieß sich von der Tür ab.

»Die Overland!« kam es krächzend über seine Lippen.

Im Norden stieg eine kleine fahle Staubwolke in das dunkle Blau des Himmels.

Die drei Spieler blickten kurz auf und setzten ihre Partie dann fort.

Schweigend verstrichen die Minuten, bis die Kutsche herankam.

Es war eine sehr alte Karre, mit vier schweißtriefenden Gäulen bespannt. Als die Staubwolke, die die Kutsche hochgewirbelt hatte, sich legte, sah Wyatt den Driver. Er drehte das Gesicht ab und rutschte vom Sitz drüben auf der anderen Seite des Wagens herunter.

Vielleicht hätte Wyatt argwöhnisch sein sollen?

Mißtrauischer!

Aber er hatte ja keinen Grund, mißtrauisch zu sein.

Um den Leuten Platz zu machen, die eventuell jetzt aus der Kutsche kamen, um ins Haus zu gehen, traten sie zur Seite, vor die Veranda, und in diesem Augenblick sausten zwei knackende Schläge über ihre Köpfe.

Was Holliday tat, konnte der Marshal nicht mehr beobachten, und auch das, was er tat, war eigentlich nur eine Reflexbewegung: Er riß den großen sechskantigen Revolver aus dem linken Halfter und wirbelte damit herum.

Wie aus weiter, weiter Ferne verspürte er noch einen Widerstand.

Dann umgab ihn tiefschwarze Dunkelheit.

*

Wieviel Zeit seitdem vergangen war, konnte der Missourier nicht genau bestimmen, als er die Augen wieder aufschlug.

Die Sonne stand hoch im Zenit und warf fast überhaupt keinen Schatten.

Links neben ihm lag der Spieler. Langausgestreckt, direkt vor den Planken des Vorbaues, leblos, wie tot.

Wyatt richtete sich etwas auf und sah sich um.

Drüben stand die Overland.

Ohne Pferde.

Und neben dem offenen Wagenschlag am Boden lag eine Frau.

Sie war tot; Wyatt sah es sofort an ihrem Blick.

Und der Tisch, an dem die drei Männer gesessen hatten, war leer.

Noch weiter wandte der Marshal seinen schmerzenden Schädel.

Aber auch von dem Stationsmaster war nichts mehr zu sehen.

Wyatt beugte sich über Doc Holliday und wandte ihn auf den Rücken.

Der Gambler hatte die Augen geschlossen.

Wyatt näherte seinen schwankenden Kopf dem Gesicht des Freundes, mühte sich, das Ohr vor die Nasen-Mundpartie zu bringen.

Der Georgier war nicht tot!

Das gab dem Missourier augenblicklich neuen Antrieb. Ächzend richtete er sich hoch und wollte zur Tränke gehen.

Phi! Gab das einen schmerzenden Stich durch den Hinterkopf. Alle Glieder schienen einzeln mit glühendem flüssigem Blei gefüllt zu sein, so schwer waren sie.

Dann stockte der Fuß des Marshals.

Die Pferde! Der Rapphengst und der Schecke! Sie waren verschwunden.

Wyatt tastete nach seinen Colts.

Weg!

Auch dem Gambler fehlten die beiden vernickelten elfenbeinbeschlagenen Sixguns, mit denen er meisterlich umzugehen verstand.

Mit torkelnden Schritten schleppte sich der Marshal zur Pferdetränke, zerrte den Hut vom Schädel und steckte den Kopf tief in das brackige Wasser.

Triefend zog er ihn wieder zurück – und fühlte sich etwas besser.

Dann füllte er seinen Zehngallonenhut mit dem Naß und schaukelte damit zu dem Spieler zurück.

Die lauwarme Dusche brachte Holliday sofort wieder zu sich.

Mit einem Ruck setzte er sich auf, tastete über seinen Schädel, dann über sein nasses Gesicht und blickte von seinen leeren Halftern hoch in das Gesicht seines Begleiters.

Er sah den nassen Hut noch in Wyatts Händen, und die Worte, die er dann sagte, waren typisch für ihn:

»Schade um das schöne weiße Hemd. Ich hätte es noch ein paar Tage tragen können.«

Dann erhob auch er sich und sah sich um.

Mit hölzernen, staksigen Schritten ging er auf die Frau zu. Es kostete ihn ungeheure Anstrengungen, neben ihr niederzuknien.

Wyatt, der breitbeinig und mit dröhnendem Schädel vorn vor dem Tisch im Sand stand, beobachtete, wie der Spieler die Augenlider der Frau schloß und sich dann mühsam wieder aufrichtete und erneut einen Blick in die Umgebung schickte.

»Weg, alles weg!«

Er kam zu Wyatt zurück und ließ sich auf einen der Hocker vor dem Tisch nieder.

Der Marshal ging ins Haus und kam bald wieder zurück.

»Wie ausgebrannt.«

Holliday nickte. Er hielt dem Freund einen Papierfetzen entgegen.

Wyatt sah auf ein Wort darauf:

Shenandoah.

Eine steile Falte grub sich in die braune Stirn des Missouriers.

»Wo kommt das her?«

»Es lag hier unten neben dem Tischbein und ist offensichtlich von einer Zeitung gerissen worden.«

Wyatt wischte sich über die Augen. Dann sah er zu der Toten hinüber.

»Ob sie in der Overland war?«

»Anzunehmen.«

Es war wieder eine Weile still.

Endlich machte sich der Marshal an einen Rundgang um die kleine Pferdewechselstation.

»Kein Hufeisen mehr, stimmt’s?« empfing ihn der Spieler.

Der Marshal nickte trübe.

»Sie haben die Gäule alle mitgenommen.«

Wyatt ließ sich auf der Verandakante nieder. Ohne den Georgier anzusehen, fragte er:

»Und Ihre Brieftasche?«

»Weg.«

Der Marshal lachte heiser auf.

»Ich hatte nicht viel bei mir.«

Holliday zündete sich eine neue Zigarette an.

Da stand Wyatt auf und ging um das Haus herum. Nach einer Weile kam er mit einer Schaufel zurück.

»Wir müssen sie unter die Erde bringen.«

Unweit vom Haus hoben die beiden Überfallenen eine Grube aus, in die sie die Tote betteten.

Als die unglückliche Frau in der Erde lag, meinte der Spieler:

»Sie war noch jung.«

Die Fäuste des Marshals ballten sich.

»Ja.«

Sie gingen in das Haus zurück und unterzogen es einer nochmaligen eingehenden Untersuchung.

Ohne jeden Erfolg. Die Männer, die den Überfall hier vorgenommen hatten, waren wirklich sehr gründlich gewesen und hatten nicht die geringste Spur hinterlassen.

Die beiden Dodger standen hinten am Corral, und Holliday beobachtete den Marshal von der Seite.

»Was haben Sie vor?«

»Ich habe mir die Spuren angesehen. Sie führen zurück nach Norden.«

»Und?«

»Wir haben keine Pferde.«

»Selbst für einen Reiter wären es noch ein paar Stunden gewesen. Wir schaffen es heute nicht mehr.«

Sie machten sich auf den Weg nach Westen. Für einen Reiter bedeutete ein solcher stundenlanger Marsch durch die Prärie eine ungeheure Schwierigkeit.

Ein Westmann ist wohl gewohnt, viele Stunden im Sattel zu sitzen, nicht aber zu marschieren.

Meile um Meile legten die beiden zurück, bis Wyatt auf dem Kamm eines nordwärts verlaufenden Hügelstreifens anhielt und nach Westen in die Savanne hinausdeutete:

»Da hinten am Horizont fängt das Weideland der H-Ranch an.«

Von dort allerdings bis zur Ranch selbst waren es noch einige Meilen.

Der Nachmittag verstrich, und dann kam der Abend.

Die beiden hatten sich bisher keine größere Pause gegönnt.

»Ich hatte die Hoffnung, daß wir hier vielleicht jemandem von der Ranch begegnen würden«, meinte Wyatt, als die herannahende Nacht ihre graubraunen Schleier über das Land zu breiten begann.

Aber nirgends war ein menschliches Wesen zu entdecken.

Es war dunkel.

In einer sehr kleinen Bodensenke wurde das Nachtlager aufgeschlagen. Es gab natürlich nichts aufzuschlagen, und von einem Lager konnte auch keine Rede sein.

Trotz des langen, anstrengenden Marsches vermochte der Marshal nicht einzuschlafen. Sein Kopf schmerzte, und das Erlebnis des Mittags beschäftigte ihn noch zu sehr.

Sie hatten unterwegs nicht mehr darüber gesprochen. Aber in den Gedanken des Marshals stand unentwegt das Bild der toten jungen Frau.

Weshalb hatte sie ihr Leben lassen müssen?

Wer war der Mann auf dem Kutschbock gewesen, der sein Gesicht abgewendet hatte?

Wer hatte die Poststation zur Zeit des Überfalls geleitet?

Wer waren die drei Männer am Spieltisch gewesen?

Viele Fragen – und keine Antwort.

Der Marshal vermochte sich jedenfalls keine gültige Antwort auf den Überfall überhaupt zu geben.

Wer war die Frau?

Hatten die Banditen auf sie gewartet?

Weshalb war die Frau getötet worden – während man ihn und Doc Holliday nur hinterrücks niedergeschlagen hatte?

Da bemerkte er, daß der Spieler nach seinen Zigaretten tastete.

»Sie sind noch wach?«

»Yeah.«

Wyatt setzte sich und stützte den Kopf in die Hände.

Da sagte der Gambler:

»Ich verstehe das alles nicht. Weshalb haben sie die Frau erschossen?«

Wyatt wandte dem Freund das Gesicht zu.

»Darüber habe ich auch nachgedacht.«

Holliday bückte sich tief an den Boden nieder, riß das Zündholz kurz an und hielt dann die brennende Zigarette ebenfalls aus alter Gewohnheit in Deckung am Boden.

»Das ist eine höllische Geschichte. Ein paarmal kam es mir schon so vor, als hätte ich den ganzen Schwindel nur geträumt.«

»Leider aber ist es bittere Wahrheit.«

»Ich werde die Gesichter der beiden Burschen am Tisch jedenfalls nicht vergessen.«

Keine Klage über ihre verlorenen Pferde, über die Waffen, die ihnen gestohlen worden waren, keinen Laut über die Schmerzen, die sie plagten.

Sie dösten schweigend und wachend dem neuen Tag entgegen.

Als er erste silbergraue Streifen des aufziehenden Tages über den Horizont kroch, stand der Marshal auf.

Doc Holliday nahm den Hut ab, fuhr sich mit den Fingern der ge­spreizten Hand durchs Haar und erhob sich ebenfalls.

Wortlos setzten sie ihren Weg fort.

Erst spät am Vormittag sahen sie die Bauten der Ranch fern am Horizont vor sich auftauchen.

Wyatt kniff ein Auge ein.

»Noch anderthalb Stunden, dann haben wir es geschafft.«

Der Georgier erwiderte nichts. Der Marsch mußte ihn sehr angestrengt haben, da er ganz besonders derartige Strapazen überhaupt nicht gewohnt war. Aber kein Wort darüber kam über seine Lippen.

Schon nach einer halben Stunde sahen sie einen Reiter von der Ranch her über die Fahrstraße kommen.

Es war ein Cowboy. Als er der beiden Fußgänger ansichtig wurde, hielt er seinen braunen Wallach an, stützte sich mit dem Ellbogen auf den Sattelknauf und verzog sein Holzapfelgesicht zu einem spöttischen Grinsen.

Vorsichtshalber hatte er zehn Yard Distanz zwischen sich und den beiden Fremden gelassen.

»He, ist das das Neueste, zu Fuß durch die Gegend zu laufen?«

Holliday warf den Kopf hoch.

»Ja, Brother, wir leiden an Krampfadern, weißt du, da hat uns der Doc diese Kur verschrieben. Viele, viele Meilen zu Fuß, das soll das Übel abstellen.«

Der Cowboy fletschte die Zähne.

»Krampfadern?«

Holliday nickte und entgegnete mit ernster Miene:

»Krampfadern vor allem. Bei mir sind allerdings noch ein paar faule Zähne dabei und mein Begleiter leidet an Vergeßlichkeit.«

Jetzt ging dem Cowpuncher ein Licht auf.

Er feixte und kam dann näher.

»Wo kommt ihr her?«

Wyatt wies mit einer vagen Geste hinter sich.

»Und – wo wollt ihr hin?«

Der Marshal deutete nach Westen.

Da grinste der Kuhtreiber und schnäuzte umständlich in ein riesiges Taschentuch.

»Im Westen ist noch ziemlich viel Platz für Leute ohne Pferde. Ich an eurer Stelle hätte mich etwas weiter südwestlich gewandt.«

»Was du nicht sagst! Ist das gut gegen Krampfadern?« fragte ihn Holliday ohne die geringste Spur eines Lächelns.

Der Mann wurde unsicher und kam zu der Ansicht, es hier womöglich mit zwei Geistesgestörten zu tun zu haben.

»Well, Boys, dann geht mal weiter, es ist doch eine gute Luft hier gegen Krampfadern.«

Er wollte an den beiden vorbei.

Wyatt hielt ihn auf.

»Du gehörst zur Crew von James Heeth?« erkundigte er sich.

»Doch, gehöre ich.«

»Ist der Boß daheim?«

»Nein –«, stotterte der Weidereiter sehr unsicher.

»Ah, und wo ist er?«

Der Cowboy grinste dummschlau.

»So fragt man Leute aus.«

Holliday legte den Kopf auf die Seite und fragte ihn mit ernsthafter Miene:

»Hast du etwa auch Krampfadern?«

Der Cowboy starrte ihn entgeistert an.

»Ich?«

»Ich sprach nicht mit deinem Gaul.«

»Ich habe keine Krampfadern.«

Da hob der Gambler den Zeigefinger und bewegte ihn mahnend hin und her.

»Weißt du, so etwas kann man auch im Kopf haben, Brother. Da ist es dann ganz besonders schlimm.«

Der Kuhtreiber schluckte.

»Kann sein. Ich muß jetzt weiter.«

Wyatt ließ ihn passieren.

Da gab der Cowboy seinem Braunen die Sporen und sprengte in wildem Galopp davon.

Holliday sah ihm nach.

»Ich wette, daß der sich jetzt Gedanken über Krampfadern macht, die er im Kopf haben könnte…«

Ein müdes Lächeln flog über das Gesicht des Missouriers.

»Wenn ich wüßte, daß da oben ein Steak auf mich wartet, würde ich auch in Galopp fallen«, sagte Doc Holliday.

*

Endlich hatten sie das Ranchtor erreicht. Vor ihnen lag der weite Platz, der von den verschiedenen Gebäuden gesäumt wurde. Drüben rechts lag das zweigeschossige große Wohnhaus. Gegenüber, auf der anderen Seite des Hofes, war das langgestreckte, eingeschossige Mannschaftshaus. Daneben Ställe, Scheunen, Geräteschuppen und Werkstätten.

Wyatt dachte daran, daß fast zehn Jahre verstrichen waren, seit er zum letzten Mal auf der Ranch gewesen war.

Es hatte sich hier manches verändert. Zum Beispiel die Veranda vorm Ranchhaus, die Balustrade oben, die neuen blockartigen Gebäude rechts vorm Tor und vor allem die drei großen Scheunenbauten links vorm Corral. Aber im Grunde war es doch das Bild der alten Heeth-Ranch geblieben.

Kaum hatten die beiden einige Schritte auf den Hofplatz getan, als ein gewaltiger ockerfarbener Hund auf sie zuschoß und erst wenige Yards vor ihnen laut kläffend stehenblieb.

»Wer ist das?« fragte Holliday.

»Keine Ahnung. Damals, als ich hier war, existierte dieser Bursche noch nicht hier. Der Rancher hatte einen großen schwarzen Neufundländer.«

»Well, gehen wir weiter.«

Da fletschte der kalbsgroße Hund seine Zähne, und sein rauhkehliges Gebell verstärkte sich ins Unerträgliche.

Links öffnete sich eine Stalltür, und ein untersetzter Mann im grünen Hemd und grauer Hose trat auf den Hof.

Er streckte den linken Arm aus und rief:

»He, was fällt euch ein?«

»Er ist fast so gut wie der Hund«, meinte Holliday, während er sein Zigarettenetui herausnahm und seelenruhig eine seiner geliebten Glimmstengel zwischen die Lippen schob.

Wyatt Earp warf einen kurzen Blick zum Ranchhaus hinüber, dann ging er auf den Mann mit dem grünen Hemd zu.

»Hallo, ich hätte gern Mister Heeth gesprochen.«

»Was wollen Sie von ihm?«

»Wenn Sie gestatten, würde ich es ihm selbst sagen.«

Der Mann mit dem grünen Hemd schürzte die Lippen. Dann kam ein quäkender Laut aus seiner Kehle.

»Ihr bildet euch doch wohl hoffentlich nicht ein, daß wir uns hier mit Tramps aufhalten können? Seht zu, daß ihr auf eure Gäule kommt, sonst…« Er hatte sich unterbrochen und sah sich um.

»He, wo habt ihr die Pferde?«

»Wir haben keine Pferde.«

»Keine… Das kann doch nicht wahr sein. Ihr seid doch nicht zu Fuß gekommen?«

Holliday ging auf den Brunnen zu, auf dessen steingefügten Rand er sich niederließ.

Das veranlaßte den Hund, sein für kurze Zeit unterbrochenes Gekläff wieder anzustimmen.

Wyatt wischte sich mit dem Handrücken über die von Staub und Schweiß verschmierte Stirn.

»Mein Name ist…«

Der Mann mit dem grünen Hemd machte eine wegwischende Bewegung.

»Der Name interessiert hier niemanden. Packen Sie Ihren Partner und verschwinden Sie!«

»Freundliche Gegend da«, meinte der Spieler.

Da kamen aus einem Geräteschuppen zwei Männer. Sie waren groß und hatten sehnige Gestalten.

Man glaubte ihnen die Weidearbeit auf zwanzig Schritt ansehen zu können.

Der Bursche mit dem grünen Hemd rief ihnen zu:

»Etwas schneller, Boys. Diese beiden Burschen hier machen sich ziemlich breit. Wird Zeit, daß ihr sie hier vertreibt.«

Aus dem Bunkhaus kam ein o-beiniger Mann mit wasserhellen Augen und wuchtigen Kinnladen.

Die drei anderen verstummten, als er dazukam.

Aus scharfen Augen fixierte er den Missourier.

»Was wollt ihr?«

Der Bursche mit dem grünen Hemd deutete mit dem rechten Daumen über die Schulter auf Wyatt.

»Der Mann hier hat ein ziemlich großes Maul, Vormann. Er sagt, daß er mit Heeth sprechen müsse.«

Immer mehr Cowboys kamen heran.

Das heisere Gebell des zottigen Hundes schien bis in die hintersten Winkel der Ranch gedrungen zu sein.

Da drang plötzlich Hufschlag an die Ohren der Männer, und zwischen dem alten Wagenhaus und dem Küchenbau kamen zwei Reiter über den Hof.

Der eine von ihnen war ein Mann in den Sechzigern mit grauem Haar und hartem kantigem Gesicht. Er trug Weidereiterkleidung und hatte den grauen Stetson tief in die Stirn gezogen. Dennoch hatte Wyatt Earp ihn sofort erkannt.

Es war James Heeth, der Rancher.

Der Mann neben ihm mochte eben vierzig sein, hatte ein ovales gutaussehendes Gesicht, braune Augen, trug einen schwarzen Hut, ein blaues Hemd und eine helle Hose.

Die beiden Reiter kamen heran.

Der Vormann tippte mit der Hand an den Hutrand und sagte nur: »Hallo, Boß.« Dann deutete er auf die beiden Dodger. »Wir haben die Tramps hier aufgegriffen, Boß.«

Wyatt wußte nicht, ob der Rancher ihn erkannt hatte.

James Heeth saß mit unbeweglichem Gesicht im Sattel.

»Aha«, kam es spröde von seinen Lippen. »Wer hat sie aufgegriffen?«

»Ich«, sagte der Vormann schnell.

»Dann tust du mir sehr leid, ­Steve.«

Der Vormann sah seinen Boß verständnislos an.

»Well«, meinte der Rancher, »ein Mann, der nur noch wenige Minuten zu leben hat, ist doch ein bedauernswerter Bursche, nicht wahr?«

»Ja, aber…«

Der Rancher deutete auf Wyatt Earp.

»Hast du mit diesem ›Tramp‹ da schon gesprochen?«

»Natürlich, der Kerl ist frech wie Bohnenstroh. Ich werde ihm ein paar Maulschellen verpassen lassen, Boß…«

»Davon möchte ich dir entschieden abraten, Steve. Hast du den Mann nach seinem Namen gefragt?«

»Nein.«

»Damit hättest du dir einigen Ärger erspart, Junge.«

Er hatte ihn also erkannt.

Wyatt nahm den Hut ab und fuhr sich durch den Schopf.

»Wir haben unsere Pferde verloren, Rancher«, sagte er.

»Sind sie euch gestohlen worden?«

»Yeah, gestern mittag. Zwischen hier und Arkansas City auf einer Overlandstation.«

»Das ist eine böse Sache. Ich möchte auf keinen Fall in der Haut des Burschen stecken, der diesen üblen Streich verübt hat.«

»Leider war es kein Streich, Mister Heeth. Es war ein Verbrechen. Wir wurden niedergeschlagen und beraubt – und eine Frau wurde erschossen.«

James Heeth rutschte langsam aus dem Sattel.

»Eine Frau?«

Wyatt nickte. »Sie war mit der Overland gekommen und wurde von mehreren Banditen niedergestreckt.«

Der Rancher reichte dem Missourier die Hand.

»Es tut mir leid, daß Ihnen so übel mitgespielt wurde. Trotzdem, willkommen auf der Ranch, Mister Earp.«

»Earp?« krächzte der Vormann.

Der Rancher zog die linke Braue bis unter den Hutrand.

»Yeah, Steve, er ist Wyatt Earp.«

»Wyatt Earp!« Ein Ruf aus einem halben Dutzend Kehlen.

Heeth stemmte die Hände in die Hüften.

»Siehst du jetzt ein, Steve, in welcher Gefahr du dich befunden hast?«

Steve Randers deutete mit dem Daumen auf Wyatt.

»Er ist Wyatt Earp? Der berühmte Sheriff?«

»Darauf gebe ich dir Brief und Siegel, Steve.«

»Zounds! Das konnte ich doch nicht wissen. Wer soll denn auf den Gedanken kommen, daß Wyatt Earp hier ohne Pferd auf der Ranch aufkreuzt. Und er hätte wirklich seinen Namen nennen können.«

»Das wollte ich ja«, antwortete Wyatt. »Aber dieser Mann da mit dem grünen Hemd hielt es für unnötig.«

Der Rancher schüttelte den Kopf.

»Leute habe ich! Eine Bande von Hottentotten. Halten den Marshal Earp für einen Tramp.«

Wyatt winkte ab. »Es ist nicht so wichtig. Mir würde es auch nicht gefallen, wenn plötzlich zwei Männer ohne Pferde auf meinem Hof auftauchten.«

Der Rancher begrüßte den Missourier noch einmal herzlich.

Dann deutete Wyatt auf den Gamb­ler, der sich beim Auftauchen der beiden Männer vom Brunnenrand erhoben hatte.

»Das ist Doktor Holliday.«

In den Augen des Ranchers blitzte es auf.

»Doc Holliday? Himmel! Den habe ich mir ganz anders vorgestellt.«

Holliday nahm die dargebotene Hand und schüttelte sie.

»Wie hatten Sie ihn sich vorgestellt?« fragte er.

»Wilder, bärenhafter. Jedenfalls nicht im schwarzen Anzug und im weißen Rüschenhemd.«

Der Spieler lächelte betrübt und sah an sich hinunter.

»Ist es denn noch weiß? Das muß doch schon ein paar Monate her sein.«

James Heeth blickte von einem zum anderen.

»Wyatt Earp und Doc Holliday! Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich mein Rheuma vergessen und wäre anstatt im Trab im Galopp auf die Ranch gekommen.«

»Das habe ich vorhin schon einmal gesagt, für den Fall, daß hier ein Steak auf mich wartete.«

»Das wartet ganz bestimmt! Sam«, rief der Rancher, »Sam, alte Trauerweide.«

Er wandte sich um zum Haus. Und da erst wurde er sich des Mannes bewußt, der mit ihm gekommen war. »He, den hab’ ich ja ganz vergessen. Das ist mein Bruder Rod, Marshal. Steig ab, Boy, den Vorzug hast du nicht alle Tage, Wyatt Earp die Hand zu geben.«

Rodney Heeth rutschte aus dem Sattel und kam auf den Marshal zu. Er war ein großer, gutaussehender Mann mit breiten Schultern, schwar­zem Haar und etwas kleinen Augen. Er war sehr sorgfältig wie sein älterer Bruder gekleidet, und dennoch war etwas an ihm, das dem Marshal nicht gefiel.

Der Rancher klopfte dem Bruder auf die Schulter und meinte, zu Wyatt Earp gewandt:

»Sie haben ihn noch nicht gesehen. Er ist erst seit zwei Jahren hier. Ich glaube, ich erzählte damals schon von ihm. Er ist bei einer Tante oben in Virginia aufgewachsen, in Shenandoah.«

Als dieses Wort gefallen war, spürte Wyatt, daß ihn ein kurzer Blick des Gamblers streifte.

Shenandoah! Hatte dieses Wort nicht auf dem Papierstück gestanden, das Doc Holliday auf der Pferdewechselstation in Arkansas City gefunden hatte?

»Wir gehen ins Haus, Marshal. Kommen Sie mit. Schätze, daß Sie höllisch müde sein werden.«

»Es geht.«

Dann saßen sie im Ranchhaus, an dem großen, rohgezimmerten Tisch vor den dampfenden Schüsseln.

Wyatt hatte den Spieler noch nie so viel essen sehen. Anschließend gab’s einen starken Kaffee, und die beiden »Fußgänger der Prärie« fühlten sich schon erheblich wohler.

Wyatt nahm eine der angebotenen Zigarren des Ranchers und erhob sich, um von einem Wandbord den Zinnbecher mit den Fidibussen zu holen.

Als er damit zurückkam, zwang ihn das Bild, das sich ihm bot, zum Stehenbleiben.

Drei Yard vor ihm am Tisch saß ein Mann. Er trug eine blaue Hemdjacke, in deren Kragen er ein rotes Halstuch gerollt hatte. Seine Hose war samtfarben hell und sein Waffengurt aus braunem Leder. Dunkles Haar wuchs ihm hinten fast bis in den Kragen hinein. Und als er sich jetzt den Melbahut aufstülpte, war das Bild vollkommen: der dritte Mann vom Pokertisch an der Pferdewechselstation von Arkansas City.

Rodney Heeth.

Der Marshal suchte die Augen des Georgiers.

Holliday hatte beide Daumen unters Kinn gestützt und hielt mit Zeige- und Mittelfinger die Zigarette. Unmerklich nickte er dem Marshal zu.

»So«, meinte der Rancher. »Ich denke, nachdem Sie sich jetzt gestärkt haben, können Sie mir Ihr Erlebnis einmal genauer schildern.«

Wyatt kam dieser Aufforderung nach, ohne jedoch die Beschreibung des Mannes im schwarzen Melbahut zu geben.

James Heeth hatte aufmerksam zugehört.

»Was mir an dieser Geschichte wirklich merkwürdig vorkommt, ist Ihre Erklärung, daß die Overlandkutsche die Station angelaufen haben soll. Seit fünf Jahren verkehrt auf dieser Strecke nämlich keine Linie mehr.«

»Ach?« Wyatt streifte die Asche von seiner Zigarre. »Es standen aber Pferde im Corral, und der Mann, der in der Tür lehnte, sah ganz nach einem Stationsmaster aus.«

Der Rancher rieb sich das Kinn und schüttelte den Kopf.

»Das ist ja eine ganz verteufelte Geschichte. Nicht genug, daß die arme Frau ihr Leben lassen mußte, haben sie auch noch Ihre Pferde und Waffen eingebüßt. Nun, mit Waffen kann ich Ihnen aushelfen. Drinnen in meiner Stube hängen noch zwei Revolver an der Wand. Es sind zwar keine Prunkstücke, aber fürs erste reichen sie aus. Rod, hole die beiden Kanonen mal her.«

Der Bruder des Ranchers erhob sich und verschwand im Nebenzimmer.

Es verstrich eine ganze Zeit, bis sich die Tür wieder öffnete.

Rodney Heeth kam heraus und hatte in jeder Hand einen Revolver. Er ließ die Trommeln rotieren, wirbelte die Colts um die Mittelfinger, hielt sie dann plötzlich an und spannte die Hähne.

Wyatt spürte, daß der Revolver in der linken Faust des Mannes auf ihn gerichtet war.

Und Holliday hatte sehr wohl bemerkt, daß die Mündung des anderen Revolvers auf ihn wies.

Rodney Heeth spannte die Hähne.

Klick! Klick!

Mit hartem, metallischem Ge­räusch schlugen die beiden Hammer auf die Walzen.

Der Rancher erhob sich. »Laß den Unsinn, Rod.« Er nahm ihm die beiden Revolver ab und untersuchte sie.

»Well, es sind nicht mehr die besten. Aber ich habe mir sagen lassen, daß Wyatt Earp und Doc Holliday noch mit einer Mistgabel und einem Stecken schießen können.«

Er öffnete die Kammern, und plötzlich warf er den Kopf zu seinem Bruder herum.

»Bist du verrückt? Das Ding ist ja geladen! Ist ja eine Patrone drin! Und hier auch!«

Der jüngere Heeth grinste und lehnte sich in die Fensternische. »Ich weiß.«

Sein Bruder blickte ihn entrüstet an.

»Aber du hast doch die Trommeln rotieren lassen!«

»Stimmt!«

»Ja, bist du denn des Teufels?«

»Ich denke nicht.«

Doc Holliday wischte eine Tabakwolke vor seinem Gesicht auseinander.

»Sie sollten es nicht so wichtig nehmen, Mister Heeth. Wenn in jeder Trommel nur eine Patrone ist und Ihr Bruder etwas von Revolvern versteht, so ist es gar nicht einmal schwer, diese einzelne Kugel immer wieder dahin zu schleudern, wo der Hammer sie nicht trifft.«

Der Rancher musterte den Spieler mit harten Augen.

»Das sagen Sie. Aber ich glaube nicht, daß mein Bruder ein so großer Revolverkenner ist…«

Der Rancher hob den Colt, stieß den Daumen gegen die Trommel und ließ die Walze rotieren. Dann spannte er den Hahn und zog den Stecher durch.

Die Kugel bohrte sich anderthalb Yard neben Rodney in die Wand.

Ein düsterer Schatten kroch über das faltenzersägte Gesicht des Ranchers.

»Wie Sie sehen, Doc Holliday, ist mein Bruder doch sehr leichtsinnig gewesen.«

Der Spieler stand auf und nahm den zweiten Revolver von dem Rancher entgegen.

Er wog die Waffe in der Hand und bemerkte plötzlich, wie die Rechte von Rodney Heeth zum Revolverkolben kroch.

Wie ein Rad wirbelte der große Revolver um den Mittelfinger des Gamb­lers. Dann stand er plötzlich still wie ein Stein.

Die Mündung deutete in die Fensternische.

Die Trommel rotierte.

Blitzschnell flog der Hahn zurück, und fast im selben Augenblick zog der Georgier den Stecher durch.

Klick!

Das harte, metallische Geräusch riß an den Nerven der drei anderen Männer.

Rodney Heeth war aschgrau geworden.

»Sie sehen, Rancher, es ist doch nicht so schwer«, sagte der Spieler.

Dann nahm er aus Rodneys Waffengurt, der noch um die Stuhllehne hing, eine neue Patrone heraus und behielt sie in der linken Hand.

»War das kein Zufall?« wollte der Rancher wissen.

»So wenig wie die beiden Hammerschläge Ihres Bruders vorhin.«

»Na, ich weiß nicht.«

Und was sich dann vor den Augen der drei Zuschauer abspielte, war geradezu verblüffend und geschah so schnell, daß sie kaum zu atmen wagten.

Holliday ließ die Kugel in den linken Jackenärmel rutschen, warf den Revolver von der rechten in die linke Hand, ließ die Trommel kurz rotieren, spannte den Hahn und – Klick!

Blitzschnell flog die Waffe in die rechte Hand zurück.

Und da das gleiche Spiel.

Hin und her flog der Revolver. Siebenmal, achtmal, neunmal. Dann ging Holliday zum Tisch.

»Wenn Sie aber natürlich den Schuß haben wollen…« Gedankenschnell flog die Rechte mit dem Revolver wieder hoch, und noch nie hatten die Gebrüder Heeth einen Mann so kurz das Ziel anvisieren und einen so meisterlichen Schuß abfeuern sehen.

Holliday blickte längst nicht mehr dahin und ließ sich am Tisch nieder.

»Ich habe mir erlaubt, Mister Heeth, die Kugel in das gleiche Loch zu setzen, das sie schon in die Holztäfelung gebohrt haben. Es ist jetzt etwas mehr Blei drin, aber kaum wesentlich größer.«

Rodney Heeth flog herum und starrte auf das Loch in der Holz­wand.

Dann zog er ein Messer aus der Tasche und holte das Blei aus der Wand. Tatsächlich, es waren zwei gleichartige verformte Bleigeschosse übereinander in demselben Kugelloch gewesen.

Rod ging zum Tisch, nahm seinen Waffengurt und schnallte ihn um.

»Das ist ja interessant«, preßte er durch die Zähne.

»Aber wenn ich jetzt beispielsweise einen Revolver zöge, Doc, dann wären Sie doch geschlagen.«

Der Gambler lächelte ihn hintergründig an.

»Das ist ein Irrtum, Mister. Jetzt sitzt die Patrone genau vor dem Lauf.«

»Die Patrone haben Sie verschossen!«

In den Augen des anderen glomm es auf.

Der Gambler erhob sich. »Ich will Sie nicht fragen, Mister Heeth, ob ich den kleinen Spaß von vorhin wiederholen soll. Das wäre nicht fair, und außerdem liebe ich solche Dinge nicht. Kommen Sie her.«

Der junge Heeth kam zögernd näher.

Holliday stand neben ihm und zeigte ihm den Revolver.

Heeth schluckte. »Damned, Sie haben die Kugel doch verschossen.«

»Wenn Sie da in Ihren Waffengurt sehen, werden Sie feststellen, daß eine Patrone fehlt.«

Außer dem Marshal war die Bewegung, mit der Holliday vorhin die Patrone an sich genommen hatte, allen entgangen. Und außer ihm hatte auch niemand bemerkt, wie Holliday, als er sich hinsetzte, rasch nachgeladen hatte.

Ein seltsam blechernes Lachen kam von Rods Lippen.

»Sie sind wirklich ein gefährlicher Mann, Doc Holliday«, sagte er gedehnt.

»Gefährlich?« meinte sein Bruder ziemlich verärgert. »Ich finde ihn großartig. Und ich wäre froh, Tod, wenn du aus der Lektion vorhin etwas gelernt hättest. Ich bin nicht scharf darauf, daß du die Kunststücke Doc Hollidays etwa alle nachzuahmen versuchst, aber was mir wünschenswert erscheint, ist, daß du auch etwas von der Vorsicht gelernt hast, mit der der Doc die Waffe handhabt. Denn ein Revolver ist kein Spielzeug.«

Rodney Heeth stand an der Tür zum Hof. Mit belegter Stimme fragte er:

»Das war also kein Spiel, das uns der Doc da vorgeführt hat?«

»Nein«, entgegnete Holliday und senkte den Kopf.

Rod verließ den Raum.

Der Rancher stellte eine Brandyflasche auf den Tisch und holte Gläser.

»Ach, nehmen Sie es ihm nicht übel, er ist manchmal richtig albern. Die Tante, bei der er aufgewachsen ist, hielt sich leider mehr in der Kirche auf als daheim. Ich habe nichts gegen Leute, die in die Kirche gehen und freue mich immer, wenn ich sonntags nach Arkansas City reiten kann, um das Gesangbuch herauszuholen und mit den anderen Männern und Frauen dem lieben Gott einige Lieder vorsingen kann. Aber Tante Hatty hat über der Kirche ihr Haus vergessen und ihr Leben. Und das nehme ich ihr verdammt übel. Vor allem, weil ich ihr meinen Bruder anvertraut hatte, damals, kurz nach dem Tod meiner Mutter oben in Lexington. Sie zog mit ihrem Mann und dem Baby hinauf nach Shenandoah. Und sobald ich ein paar Dollars er­übrigen konnte, habe ich sie ihr geschickt. Rod war damals zehn Jahre alt. Tante Hatty ist achtzig geworden. Ich dachte immer, ich schuldete ihr ganze Berge voll Dank. Aber sie hat den Kleinen doch vernachlässigt. Als er mir schrieb, daß sie tot wäre, habe ich ihn kommen lassen. Fragen Sie nicht, was für einen Burschen ich erwartet hatte und was für ein Häufchen Elend hier ankam. Well, er ist gesund und sieht gut aus. Er ist auch ziemlich kräftig und kann reiten – und überhaupt macht er nach außen hin den Eindruck, den eben ein Mann von achtunddreißig Jahren machen sollte. Aber wenn ich ihn dann manchmal reden höre, dann kommt er mir vor wie ein halbwüchsiger Junge. Nein, Tante Hatty hat sich nicht genug um ihn gekümmert.«

»Arbeitet er denn mit auf der Ranch?« fragte Wyatt.

Der Rancher zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen.

»Wer kann das verlangen? Ein Mensch, der sein ganzes Leben oben im stillen Virginia zugebracht hat, in dem grünen Tal von Shenandoah, der wird nicht über Nacht ein Cowboy, den sie hier im Westen auf einer Ranch gebrauchen können. Aber ich freue mich, daß er Pferde offenbar ganz gern hat, daß er viel reitet und auf der Weide ist. Die Boys sagen zwar, daß er mal hier und mal da aufkreuzt, aber er ist tagelang, manchmal sogar wochenlang unterwegs. Taucht immer wieder in einem Vorwerk oder einem meiner Weidecamps auf.«

James Heeth sprach noch eine ganze Weile über seinen jüngeren Bruder. Und obgleich er viele gute Worte suchte, hörte man doch die Sorge heraus, die ihm Rod bereitete.

Ein Mann, der im vierten Jahrzehnt seines Lebens seinen Weg noch nicht gefunden hatte, der fand ihn nie.

Das wußte auch der Rancher ­James Heeth. Aber er bemühte sich, dieses Wissen vor seinen beiden Gästen zu verbergen.

»Ich hoffe, Wyatt, daß Sie es diesmal nicht so eilig haben und ein paar Tage auf der Ranch bleiben. Wir haben uns schließlich eine Ewigkeit nicht gesehen.«

Die beiden Dodger sagten weder zu noch ab. Heeth führte sie über die Ranch, zeigte ihnen voll Stolz die beiden Bauten und erklärte ihnen auf einer Karte, wie weit sein Weideland reichte.

»Morgen brennen wir drüben am Fluß, Marshal. Ich kann mich gut erinnern, daß Sie ein großartiger Brand­eisenführer sind. Wie wär’s, kommen Sie mit?«

Wyatt hätte liebend gern zugesagt, aber die Entdeckung, die er hier auf der Ranch gemacht hatte, würgte ihm fast die Kehle zu.

Was hatte dieser Rodney Heeth mit dem Verbrechen an der Pferdewechselstation zu tun? Wie kam der Bruder eines wohlhabenden Mannes dazu, sich mit einer Bande von Mördern herumzutreiben?

Er war der Mann, der an dem Tisch der beiden Spieler gesessen hatte. Sein merkwürdiges Verhalten nach dem Mittagessen hatte die Vermutung der beiden Dodger noch erhärtet.

Sie bekamen den Bruder des Ranchers im Lauf des Tages nicht mehr zu sehen.

Als sie von den Hügeln hinter den Scheunen auf den Hof zurückkamen und der Rancher das Scheunentor zuschob, geschah es: James Heeth sank plötzlich vornüber und fiel gegen den schweren Torflügel wie eine Gliederpuppe, deren Fäden plötzlich zerschnitten wurden.

Wyatt und der Gambler sprangen sofort hinzu und richteten ihn auf.

Heeth wischte sich übers Gesicht und lächelte schwach.

»He? Das war wohl vorhin ein Drink zuviel. Aus lauter Freude über das plötzliche Auftauchen des verstockten Sheriffs von Dodge City, der es für richtig hält, bei seinem alten Freund Heeth alle zehn Jahre aufzutauchen.«

Er kam rasch wieder zu sich, und die geisterhafte Blässe, die sein Gesicht vorhin überzogen hatte, wich wieder einem etwas frischeren Ton.

»Ach, geht schon wieder. Ich muß doch tatsächlich einen Drink zuviel genommen haben. Tja, da sieht man’s wieder. Man wird alt und kann nicht einmal mehr einen ordentlichen Schluck Brandy vertragen.«

»Haben Sie das öfter?« fragte Holliday wie nebenbei.

Aber der Rancher hatte die Ernsthaftigkeit aus der Frage des Mannes, von dem er wußte, daß er Arzt von Beruf war, doch herausgehört.

Sein Schritt stockte plötzlich, und er wandte sich dem Georgier zu.

Hektische Flecken brannten auf einmal auf seinen Wangen.

»Yeah, Doc«, sagte er heiser. »Sehr oft sogar. Ich wollte längst schon mal den alten Koupers in Arkansas City fragen, aber wenn ich zu dem ins Haus komme und rieche all die Medizin, dann kriege ich keine Luft mehr – Aber Sie, Sie müßten es doch eigentlich auch wissen. Ist es etwa – das Herz?«

»Das ist nicht so einfach zu sagen«, wich Holliday aus. »Es kann ebenso gut etwas anderes sein. Sie sollten es nicht allzu tragisch nehmen.«

»Das tue ich auch nicht. Aber wenn man feststellen muß, daß es immer häufiger wird, dann wird einem doch schließlich etwas mulmig zumute.«

»Sagten Sie nicht vorhin, daß Sie sonntags immer nach Arkansas City reiten, um die Kirche zu besuchen?« tastete Holliday sich vorsichtig vor.

»Ja.«

»Und würden Sie mit zu Ihrem alten Freund Koupers kommen, wenn der Marshal und ich Sie begleiten?«

Der Rancher hob den Zeigefinger. »Hören Sie, Doktor Holliday, Sie sehen mir nicht so aus, als ob Sie etwas nicht wüßten, was der alte Koupers weiß.«

Wyatt lenkte sofort ein. »Das wäre gut, wenn wir nach Arkansas City kämen, dann könnte ich dem Sheriff gleich einen Bericht über den Vorfall auf der Pferdewechselstation dalassen.«

Der Rancher war einverstanden.

Die drei Männer saßen noch eine Weile auf der Veranda, und dann zeigte der Rancher ihnen die Zimmer im Obergeschoß, die er für sie hatte herrichten lassen.

»Um sieben wird zu Abend gegessen. Ich schätze, daß es dann zwei ziemlich müde Tippelbrüder geben wird…«

Als die beiden Dodger nach dem Abendbrot noch einen Rundgang um die Ranch machten und die großen Scheunen hinter sich hatten, erkundigte sich Wyatt sofort:

»Was ist los mit ihm?«

»Er ist schwer herzkrank.«

Der Marshal sog die Luft tief durch die Nase ein.

»So schlecht also, daß wir es ihm nicht sagen können?«

»Ich vermute, ja«, gab der Spieler zurück.

Stumm schritten die beiden Männer nebeneinander her.

Am Corral angelangt, verhielt der Missourier den Schritt.

Er stützte sich auf einen der Pfähle und blickte über die vom Mondlicht erhellte Pferch, in der die Körper der Pferde riesenlange Schlagschatten warfen.

»Er ist der Mann von der Pferdewechselstation.«

Holliday zündete sich eine Zigarette an.

»Als ich ihn sah, gefiel er mir nur nicht. Das war eigentlich alles. Aber als der Rancher dann von Shenan­doah sprach, ging mir ein ganzes Windlicht auf. Es hätte des Auftritts mit den beiden Revolvern gar nicht bedurft.«

»Da wir mit dem Rancher also nicht sprechen können, müssen wir uns diesen Rod wohl oder übel allein vorknöpfen.«

»Eine verteufelte Geschichte«, knurrte Holliday. »Der Alte ist so ein prächtiger Bursche.«

»Eben deshalb habe ich ihn ja besuchen wollen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie scheußlich mir zumute ist. Wir kommen abgerissen wie zwei Tramps hierher, sind ganz und gar auf die Hilfe des Ranchers angewiesen und müßten ihm jetzt sagen, daß sein Bruder ein Verbrecher ist.«

Holliday schüttelte den Kopf. »Es geht auf keinen Fall. Ganz davon abgesehen, daß man bei seinem Leiden bei jeder ernsthaften Aufregung mit dem Schlimmsten rechnen muß.«

Sorgenvoll kehrten die beiden Männer auf den Hof zurück. Noch hatten sie den großen freien Platz nicht erreicht, als plötzlich am Schuppenende eine Gestalt vor ihnen auftauchte.

Wyatt flog sofort zur Seite, und in der Rechten des Georgiers klickte der Revolverhahn.

»Um Himmels willen, nicht schie­ßen!« erkannten sie die Stimme des Vormannes. Steve Randers kam auf sie zu. »Ich habe auf Sie gewartet, Marshal, weil ich mich bei Ihnen und dem Doc entschuldigen möchte. Es tut mir wirklich sehr leid, daß ich mich so stumpfsinnig benommen hatte.«

Wyatt und der Spieler reichten ihm die Hand. Und damit war die Sache erledigt.

Von dieser Minute an hatten sie in dem Cowboy einen neuen Freund gewonnen.

Der Rancher saß noch auf der Veranda in seinem Schaukelstuhl. Ohne Übergang erklärte er:

»Es war mein Lebensplan, die Bahn hier herüberzuziehen, an mein Land. Aber es ist mir nicht gelungen. Zuviel Geld hätte ich allein dazu verbraucht. Aber vielleicht schafft es Rod später mal, wenn ich tot bin. Er ist ja ein guter Bursche…«

Wyatt und der Georgier waren neben dem alten Rancher stehengeblieben.

Heeth fuhr fort: »Ich weiß, daß die anderen keine Sehnsucht nach der Eisenbahn hatten. Weil sie glaubten, daß sie ihr Land nicht nur zerschnitten, sondern ganz auffressen würde. Aber das ist ja nicht so. Sehen Sie, drüben bei uns daheim, in old England, hatte die Bahn das Land auch zerschnitten und dennoch nicht aufgefressen. Jeder konnte sein Land behalten und hatte nur Vorteile von der Bahn. Aber das machen Sie hier niemandem klar. Die Rancher sind engstirnig. Wenn die Bahn bis an die H-Ranch liefe und meinethalben auch durch die Weide, so braucht sie in der Breite drei oder vier Yards. Wenn ich das nicht verschmerzen könnte, wäre ich ein armer Tropf. Eine Overlandstraße ist schon breiter. Aber dafür wird es dann hier irgendwo eine Station geben, auf der der Zug hält. Wo die Kisten ausgeladen werden können, die ich in Boston bestellt habe, wo sie sehr schnell sein werden, wenn ich sie sogar aus dem fernsten Ort dieses Landes bestellen würde. Und Rod – er könnte in den Osten fahren, um sich neue Feldgeräte anzusehen für unsere Landwirtschaft…«

Der Viehzüchter James Heeth betrieb als einer der wenigen Rancher schon seit Jahren auch Ackerbau neben seiner Rinderzucht. Gute und schlechte Erntejahre hatten einander abgewechselt, und am Ende hatte sich die Landwirtschaft doch sehr bewährt. Heeth war fast völlig unabhängig von der Außenwelt geworden. Nur Ackergeräte, die brauchte er immer wieder neu. Und dazu mußte er weithin Bestellungen aufgeben, denn was er brauchte, führte in den Städten hier keines Ranchers Tool.

»Vielleicht hätte ich Rod früher kommen lassen sollen. Aber die alten Leute oben in Furnace hatten ihn so lange gepflegt und gehegt, daß es eine Brutalität gewesen wäre, ihnen den Jungen wegzunehmen.«

Er sprach von seinem Bruder wie von einem Kind.

»Ja, man hätte mit Tante Hatty sprechen müssen, man hätte es versuchen sollen, vielleicht wäre dann schon längst alles anders, auch hier.«

Es zeigte sich, daß es keineswegs so gut um die Ranch stand, wie der Missourier angenommen hatte. Vor sechs Jahren war eine Rinderseuche ausgebrochen, von der die H-Ranch sich erst nach einem halben Jahrzehnt wieder einigermaßen erholt hatte. Da zerstörte die furchtbare Dürre im Spätsommer 1879 wieder den ganzen Aufbau. Tausende und Abertausende von Rindern lagen verdurstet, krepiert auf den Weiden herum.

Es war ein scheußlicher, niederschmetternder Anblick gewesen. Das Bild der Ohnmacht der Kreatur den Mächten der Natur gegenüber. Diese Dürre hatte James Heeth an den Rand des Ruins gebracht – wäre nicht seine Landwirtschaft gewesen. Zwar war ihm auf den Feldern auch alles von einer gnadenlosen Trockenheit zerstört worden, aber die Ernte vom Vorjahr brachte da noch Geld, und das half ihm über das Ärgste hinweg. Seitdem kämpfte der unentwegte Mann sich wieder nach vorn.

»Es war eigentlich immer ein Kampf gewesen«, sagte er leise wie zu sich selbst.

»All die Jahre. Es hat eigentlich nie ein Ende genommen. Im vergangenen Herbst, als wir uns von dem letzten Schlag gerade einigermaßen hochgerappelt hatten, brach unten an der Südspitze meiner Weide eine Rinderkrankheit aus, die mir absolut unbekannt war. Sie griff nicht so schnell um sich wie die bekannten Seuchen, aber die zernagte schließlich doch wieder einen Teil der Herde, ehe der hier seit Jahren verschriene Quacksalber Florian Bender ein Mittel dagegen fand, ausgerechnet er. Seitdem ist er steinreich und hat in Arkansas City ein großes Haus mit zwei Negerdienern. Vorher hauste er in einem Karren am Rande der Stadt…«

Er sprach noch eine Weile weiter, und die beiden hörten ihm stumm zu. Dann verabschiedete er sich für die Nacht und ließ die beiden allein.

Doc Holliday lehnte an einem Vorbaupfeiler und sah den Marshal an.

»Wenn er uns nun inzwischen durch die Lappen gegangen ist?«

»Rod?«

Holliday nickte.

Dann sah er ein Lächeln auf dem dunklen Gesicht des Marshals.

»Keine Sorge, Doc, ich habe ihn seit dem Mittagessen im Auge behalten.«

»Wie ist das möglich? Ich habe den Burschen seitdem überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommen.«

»Es genügt ja, wenn ihn einer im Auge behalten hat.«

»Wo steckt er denn?«

»Jetzt ist er im Mannschaftshaus. Er war erst im Stall, dann in einem der Geräteanbauten, anschließend tauchte er in der Schmiede auf, und seit dem frühen Abend ist er im Bunkhaus bei den Cowboys.«

»Aber das kann er doch längst verlassen haben, zum Beispiel, als wir vorhin unseren Spaziergang gemacht haben.«

»Wenn Sie sich genau erinnern, sind wir immer so gegangen, daß ich das Bunkhaus eigentlich nie richtig aus den Augen verlor.«

»Damned, das stimmt.«

»Ich will es jedenfalls hoffen, daß er uns nicht trotzdem entwischt ist. Aber soweit ich mich überzeugen konnte, hat das Mannschaftshaus keinen zweiten Ausgang.«

»Er kann ja nicht ewig drüben bleiben. Schließlich hat er doch hier im Ranchhaus seine Kammer.«

Holliday hatte es kaum gesagt, da wurde drüben die Tür geöffnet, und umrahmt vom Licht mehrerer Lampen tauchten die Konturen der Gestalt Rodney Heeths auf.

Er warf die Tür hinter sich zu und kam langsam über den Hof auf das Ranchhaus zu.

Die beiden Dodger hatten sich auf eine Bank gesetzt und die Stiefel gegen das Verandageländer gestützt.

Der Mann sah sie erst, als er schon auf der Veranda war.

»Na, können Sie noch nicht schlafen?« fragte er, als er auf die Tür zuging.

»Wir schlafen nie so früh«, entgegnete Wyatt.

Rod ließ sich neben ihnen im Schaukelstuhl nieder, in dem noch vor Minuten sein Bruder gesessen hatte.

Schweigend blickte Wyatt an ihm vorbei auf den Hof, der im Mondlicht ruhig dalag, auf die Häuser drüben, die harte tiefschwarze Schatten warfen.

Da sagte der Mann links neben ihm:

»Sie werden meinen Spaß von heute mittag doch nicht übelgenommen haben?«

»Haben wir nicht.«

»Wenn ich bedenke, was Sie hinter sich hatten, war es wirklich kein so passender Scherz. – Aber, der Teufel soll’s holen, man kommt in dieser Eintönigkeit hier auf die unsinnigsten Gedanken. Ich sitze oft bis spät nachts mit den Boys drüben beim Poker. Oder ich reite über unser Land.«

»Das Leben hier sagt Ihnen nicht sonderlich zu?« fragte Wyatt vorsichtig.

Rodney Heeth lehnte sich zurück und wippte mit dem Stuhl hin und her.

»Nein, wenn ich ehrlich sein soll. Ich hatte es mir alles anders vorgestellt und James ein Leben lang beneidet. Aber jetzt, da ich hier bin, finde ich, daß ich einen armen Teufel beneidet habe.«

Er sprach vernünftig, legte den beiden Männern seine Ansichten über die Dinge gründlich dar und stand nach einer halben Stunde auf, um sich in seine Schlafkammer zu begeben.

Die beiden folgten ihm.

Er wohnte oben, gleich neben dem Zimmer des Missouriers.

Als Wyatt in sein Zimmer gegangen war, lauschte er nach nebenan.

Er hörte das Geräusch, das von einem Stiefel verursacht wird, den man in eine Ecke wirft. Gleich darauf das gleiche Geräusch und dann wurde ein Stuhl ein Stück über die Dielen geschoben.

Es waren alles Geräusche, die völlig unverdächtig waren.

Da pochte es kaum vernehmlich an die Tür.

Wyatt zog den Buntline Special, spannte ihn und schraubte den Messinggriff der Tür nach rechts.

»Wyatt –«, kam ihm die flüsternde Stimme des Georgiers entgegen.

Der Missourier öffnete die Tür weiter und ließ den Freund eintreten.

Holliday blieb gleich neben der Tür stehen, die Wyatt lautlos wieder geschlossen hatte.

»Heute mittag hätte ich darauf geschworen, daß er der Halunke von der Pferdewechselstation ist, aber jetzt…«

»Er ist es«, sagte der Marshal.

»Etwa wegen der Albernheiten mit den Colts?«

»Nein.«

»Die habe ich nämlich schon von anderen Burschen erlebt, die sich ebenfalls aufspielen wollten, um mir zu beweisen, was für großartige Revolvermänner sie waren.

»Weiß ich. Das ist es auch nicht.«

»Was überzeugt Sie denn so? Er ist doch plötzlich genauso wie ein Mann, der nicht zufällig eine blaue Hemdjacke und eine sandfarbene Hose angehabt hätte. Und wenn man es nüchtern überlegt, ist er doch sogar reichlich unverdächtig.«

»Ganz und gar sogar. Das Bild, das sein Bruder von ihm entwarf, zeigt im Grunde nichts weiter als einen Mann, der aus seinem Leben im Osten gerissen wurde und nun hier vor sich hin vegetiert, mit dem Land und dem Dasein auf einer Ranch nicht zu Rande kommt und sich ziemlich unwohl in seiner eigenen Haut fühlt.«

»Eben.«

»Und doch ist er es.«

»Was überzeugt Sie so?«

Es war nur ein Wort, das der Marshal leise in den Raum sprach, vier Vokale:

»Shenandoah.«

Der Spieler nickte. »Sie haben recht. Ich versuche seit einer halben Stunde erfolglos mir einzureden, daß der Bursche harmlos ist. Aber dieser blöde Papierfetzen mit den zehn Buchstaben, der läßt mir keine Ruhe. Es ist der Mann von der Pferdewechselstation. Und er muß zu den anderen gehört haben. Vielleicht ist sogar er es gewesen, der einen von uns, vielleicht gar alle beide niedergeschlagen hat. Er saß mit an dem Pokertisch und verspielte eine Karte, die ein dümmerer Bursche als er nie verspielt hätte.«

»Weshalb eigentlich?«

»Ich nehme an, daß wir ungeeigneter gar nicht auf der Station hätten auftauchen können. Die Overland wurde doch jeden Augenblick erwartet.«

»Wir standen zunächst auch so, daß ein offener Angriff auf uns ziemlich gefährlich gewesen wäre, aber als die Kutsche dann kam, waren wir unvorsichtig genug, den Halunken den Rücken zuzukehren. Da schlugen sie zu. Aber unser Auftauchen muß sie ziemlich aus dem Konzept gebracht haben.«

Holliday blieb an der Tür stehen und lauschte immer wieder auf den Gang. Jetzt fragte er flüsternd:

»Was meinen Sie: Ob er weiß, daß er erkannt ist?«

»Das glaube ich nicht. Denn sonst müßte ich sagen, daß ich noch niemals einem Menschen begegnet bin, der sich so meisterhaft verstellen kann.«

»Wir müssen wachsam bleiben…«

Sie trennten sich.

Wyatt ließ die Tür einen kleinen Spalt offenstehen und legte sich nieder.

Eine ganze Zeitlang blieb er noch wach, aber dann fiel er doch in einen bleiernen Schlaf.

Die Strapazen, die sie hinter sich hatten, waren doch zu groß gewesen, dazu die letzte schlaflos verbrachte Nacht, das verlangte jetzt seinen Tribut.

*

Als der Marshal erwachte, war seine Zimmerdecke von rotem Feuerschein blendend erhellt. Er riß sich sofort hoch, packte den Revolver und lief hinaus und stieß nebenan die Zimmertür auf.

Rodney Heeth war verschwunden.

Wyatt weckte den Gambler.

»Aufstehen, Doc. Die Ranch brennt!«

Holliday erhob sich. Er hatte den Colt neben sich auf dem Stuhl liegen, packte ihn sofort und stülpte den Hut auf.

Auch er hatte sich wie der Marshal in dieser Nacht nicht von seinen Kleidern getrennt.

»Rod?«

»Er ist weg!«

»Dachte ich mir.«

Sie liefen hinunter.

Unten neben der Tür an einem Vorbaupfeiler stand der Rancher. Er hatte die Arme um den mächtigen Holzpfeiler geklammert.

Holliday ging sofort zu ihm.

»Kommen Sie, Mister Heeth, das Feuer wird schon gelöscht. Sie gehen am besten ins Haus. Ich komme mit Ihnen.«

Wyatt rannte auf die Feuerstelle, eine der großen Scheunen, zu.

Mitten im Gedränge der wild durcheinanderschreienden Cowboys stieß er mit Randers zusammen.

»Eine Eimerkette!« brüllte Wyatt ihm zu.

»Ja, aber bringen Sie diese Horde mal zum Zuhören!«

Wyatt riß seinen Colt hoch und feuerte einen Schuß in den Himmel ab.

Gleich darauf tönte seine Donnerstimme durch den Lärm:

»Holt die Eimer aus den Ställen und vom Corral, Männer. Und dann eine Reihe bilden vom Brunnen her!«

Das half. Die Männer rannten nach den Eimern. Das blecherne Klappern schallte über den Hof. Dann wurde eine Kette gebildet, durch die die Eimer wanderten.

Sehr bald schon zeigte sich, daß der Brandherd noch erstickt werden konnte, wenn die Männer ihn energisch bekämpften.

Wyatt stand ganz vorn am Feuer und schleuderte den Wasserbogen auf den lodernden Brand an den Außenbalken. Hier mußten die Flammen zuerst bekämpft werden, damit sie nicht um sich griffen und auf die Nachbarscheune übergriffen. Drinnen in der Scheune selbst war alles verloren. Krachend stürzten Balken von der Tenne auf den harten Lehmboden herunter. Funken stoben und wehten davon.

»Ein Glück, daß es windstill ist!« rief Randers dem Marshal zu.

Der Kampf mit dem Feuer währte eine Dreiviertelstunde, dann war die größte Gefahr zunächst gebannt. Das Feuer war eingedämmt worden. Die Scheune brannte natürlich noch unvermindert in ihrem Innern weiter.

Da strich ein kühler Luftzug über die Stirn des Marshals.

Wind kommt auf! Um Himmels willen!

Wyatt sah sich nach dem Vormann um.

»Wir müssen das Gebälk einreißen, Steve!«

»Warum?«

»Wind kommt auf!«

»Um Himmels willen!« Der Vormann stellte es jetzt auch mit Entsetzen fest. »Wie wollen wir denn die glühenden Dinger niederreißen?«

»Mit Lasso und Pferden!«

»All right.«

Sie rannten zu den Corrals.

Wyatt, der allen voranstürmte, blieb stehen, als er plötzlich Doc Holliday bemerkte, der eben von dem großen Corral kam.

Die anderen hinter ihm verhielten ebenfalls den Schritt.

Wyatt starrte in das harte Gesicht des Spielers.

»Die Pferde – sind weg?!«

Es war eigentlich gar keine Frage mehr.

Holliday nickte nur und ging zwischen den Männern hindurch auf das Haus zu, wo er vor ein paar Minuten den Rancher aufs Sofa in der Wohnstube gebettet hatte. Danach war er, von einer düsteren Ahnung getrieben, zum Corral gelaufen.

Mit geballten Fäusten stand der Missourier da und starrte aus brennenden, schmerzenden Augen in das zuckende Licht des immer noch knisternd schwelenden Brandes.

Randers war neben ihm.

»Was sagt er? Die Gäule…, sie sollen weg sein?«

»Ja, das hat er gesagt.«

Da stürmte der Vormann los.

Wilde Wutschreie ausstoßend, folgten ihm seine Männer.

Dann prallten sie gegen das Corralgatter und stierten in die leere Pferch.

Tatsächlich, die Tiere waren weg. Drüben stand das Gatter weit offen.

Wyatt Earp ging auf die große brennende Scheune zu und zermarterte sein Hirn, was zu tun war.

Randers tauchte wieder neben ihm auf.

»Aus, es ist alles aus! Sie haben uns die Pferde gestohlen. Und wenn das Gebälk nicht eingerissen werden kann, brennt die ganze Ranch nieder. Der Wind wird stärker. Da, sehen Sie sich die Funken an, sie greifen schon zum nächsten Bau hinüber.«

Mit einem Ruck wandte sich Wyatt um.

»Holt Lassos, Männer!«

Die Cowboys rannten los.

Randers schüttelte den Kopf.

»Sie glauben doch nicht, daß ein Mann mit einem Lasso da etwas ausrichten kann?«

»Ein Mann nicht, Steve.«

Die Cowboys kamen zurück.

Wyatt nahm einen kräftigen Strick, tauchte die Schlaufe in einen halbvollen Wassereimer und wartete, bis sich der Hanf vollgesogen hatte. Dann knotete er das Lasso an das Ende des ersten Stricks und legte Schlaufen.

So ging er auf die Scheune zu, stieg zum Schrecken der Weidemänner ins Tor des brennenden Gebäudes, wo ständig ein verkohlter Balken herunterstürzen konnte, und schleuderte die Lassoschlaufe hoch.

Sie packte an einem vorstehenden Querbalken an.

Ein Ruck, und sie saß fest.

Ein heiserer Schrei flog von einem Dutzend Lippenpaaren. Wyatt packte das Ende des Doppelstricks und rannte hinaus ins Freie.

»Noch ein Lasso her!«

Er verknotete es mit dem Ende der beiden anderen.

»So, Boys. Da wir keine Gäule haben, müssen wir es selbst versuchen. Angepackt und aus Leibeskräften ziehen!«

Wyatt war ganz vorne. Er gab das Kommando.

Randers hatte gleich hinter ihm angepackt.

Es schien, daß das Gebälk nicht nachgeben wollte. Zu fest noch saß es offenbar in seinem Gefüge. Und war auch die erste Schlaufe oben naß, so würde die Glut den Hanf doch bald ausgetrocknet haben.

»Zwei Gäule nur!« fluchte der Vormann hinter dem Marshal. »Zwei kräftige Gäule – und der ganze Dachstuhl läge schon unten.«

»Wir müssen es noch einmal versuchen, Männer!« rief Wyatt.

»In spätestens einer Minute ist der Strick ausgetrocknet und verbrennt! Aus Leibeskräften! Und alle zusammen! Eins, zwei, drei, ruck!«

Oben im Gebälk knirschte es.

»Noch einmal!«

»Ruck!«

Einer der von Flammen eingewickelten Oberbalken rutschte weg, der glühende Dachstuhl brach ein.

»Noch einmal!«

Und jetzt krachte der schwere Querbalken mit einem wahren Donnergetöse in die Tiefe.

Der Dachstuhl und der ganze Oberbau der gewaltigen Scheune war eingebrochen und lag jetzt unten am Boden, wo er sofort von allen Seiten her mit Wasser bekämpft wurde.

Der Wind wurde stärker. Und auch jetzt noch stoben Funken hoch. Aber der Brand war dennoch unter Kontrolle.

Wyatt hatte zwei der Männer mit gefüllten Eimern zur Nachbarscheune geschickt.

»Schleudert das Wasser über die Seitenwand. Holt neues Wasser und gebt auf die überspringenden Funken acht.«

Die H-Ranch war gerettet, wenn auch alle Pferde verschwunden waren und die größte Scheune völlig vernichtet war.

Im Osten graute der Tag, als der Missourier ins Ranchhaus zurückging.

Doc Holliday, der sich die größte Zeit um den Rancher gekümmert hatte, war in der heißesten Stunde auch draußen gewesen, um am Brunnen zu helfen.

Sie saßen am Tisch in der Stube und blickten hinaus.

Hinter ihnen auf dem Sofa lag der Rancher.

Er schlief!

»Wie sieht’s mit ihm aus?«

»Nicht sehr gut. Ich habe ihm eine Pille gegeben. Die schadet ihm nichts und läßt ihn eine Weile schlafen.«

Die Männer gingen hinaus.

Randers kam ihnen im Flur entgegen.

»Ich muß wissen, was jetzt geschehen soll. Der Boß…«

»Schläft«, sagte Holliday rauh. »Sie sollten wissen, daß er krank ist. Das Feuer hat ihn umgeworfen.«

»Und Rod?«

»Ich weiß nicht, wo er ist.«

Da tauchte der Rancher in der Stubentür auf.

Die laute Stimme des Vormanns hatte ihn geweckt.

»Rod? Er wird den Pferden folgen. Ja, er ist hinter den Pferden her.«

Holliday nahm ihn am Arm und führte ihn zu seinem Lager zurück.

»Sie müssen noch etwas liegenbleiben, Mister Heeth, damit Sie morgen wieder auf dem Damm sind…«

*

Rodney kam nicht zurück.

Und auch keines der Pferde.

»Er hat sie mitgenommen – wie unten bei der Pferdewechselstation«, sagte Holliday, als er mit dem Marshal weit draußen vor dem Ranchtor stand und in die Prärie hinausblickte.

»Er hat den Brand gelegt und die Tiere mitgenommen. Ich begreife das zwar nicht ganz, aber soviel ist mir doch klar: Er weiß, daß wir ihn erkannt haben.«

Daran gab es für die beiden jetzt natürlich keinen Zweifel mehr.

Rodney Heeth hatte sich nicht gescheut, das Eigentum seines Bruders ganz aufs Spiel zu setzen, sein eigenes Erbe, um die beiden Männer zu vernichten. Er hatten den größten und höchsten Bau der Ranch in dem festen Glauben angezündet, daß nur so die ganze Ranch sicher niederbrennen könne. Von dem hohen Dach würde die Lohe schon überschlagen und zu den anderen Bauten die Feuerglut tragen.

Nur die Energie des Marshals und der Cowboys hatten das verhindern können.

»Das Schlimmste ist, daß wir jetzt wieder keine Pferde haben«, meinte der Marshal.

Steve Randers kam ihnen nach.

»Ich habe drei der Boys losgeschickt; sie sollen Pferde von den Camps herbringen.«

»Das war gut.«

»Kann natürlich eine ganze Weile dauern. Ich weiß nicht genau, ob Hal Camberty noch drüben am Westhang des Büffelberges steht. Das wäre gut, aber er sagte schon vor ein paar Tagen, daß er die Herde, die da steht, weiter westlich treiben müsse, wegen des Grases.«

»Wie lange kann es denn dauern?«

»Dann wäre Greg Jenkins näher, er ist oben im Norden. Aber wie lange läuft ein Mann durch die Prärie, neun, zehn oder elf Meilen? Ich weiß es nicht. Abend wird es auf jeden Fall werden.«

Jake Norton riß sie aus dieser Ungewißheit.

Der Cowboy Norton war Texaner und arbeitete als eine Art Campboß auf der Weide der H-Ranch. Es kam eigentlich nie vor, daß er einmal allein auf die Ranch zurückkam, aber an diesem Vormittag tauchte er plötzlich auf dem Hof auf.

»Hallo, Steve!« grüßte er den Vormann.

Der und die auf dem Hof arbeitenden Cowboys begrüßten den Kameraden mit lautem Hallo.

Norton sah zu der niedergebrannten Scheune hinüber.

»Also doch!«

»Was doch?«

»Ich glaubte, vor Morgengrauen den Feuerschein am Himmel gesehen zu haben. Und weil es in der gleichen Richtung war, in der ich die Ranch wußte, dachte ich mir, daß es bestimmt nichts schaden könnte, wenn ich mal nach dem Rechten sähe.«

Der brave Mann ahnte nicht, welchen Dienst er seinem Boß damit erwiesen hatte.

Der Vormann stieg sofort auf das Pferd des Texaners und wies im Abdrehen auf den Missourier.

»Ich muß zu Jenkins, Pferde holen, Jake. Da steht Wyatt Earp, er wird dir alles erklären.«

Damit sprengte er aus dem Hoftor hinaus.

Der Texaner sah ihm verblüfft nach. Dann blickte er den Marshal an.

»Was hat er gesagt? Wyatt Earp? Sie sind Wyatt Earp?«

Wyatt erklärte ihm, was geschehen war, und hörte den Cowboy darauf sagen:

»Steve ist immer zu schnell! Mc­Lean ist mit seinen Boys mal wieder ›ausgerutscht‹. Ich habe ihn vor einer knappen Stunde getroffen. Er ist unser Nachbar, ein Smallrancher, der immer wieder über die Grenze unserer Weide krabbelt…«

Wyatt riß dem Mann den Colt aus dem Halfter und gab drei hintereinanderfolgende Schüsse in die Luft ab.

Steve Randers mußte sie gehört haben. Obgleich er schon mehrere hundert Yard hinter sich hatte, riß er sein Pferd zurück, daß es auf der Hinterhand stand, und wandte sich um.

Wyatt hatte die Weste ausgezogen und winkte ihm damit.

Der Vormann kam zurück.

»Was ist denn los?«

»Der Mann hat Ihnen noch etwas zu sagen, Steve.«

Norton knurrte: »Ich hatte dem Sheriff gerade erzählt, daß ich vor einer Stunde McLean und seinen Boys begegnet bin.«

»Wo?«

»Drüben hinter den River Hills.«

Der Vormann blickte den Marshal an.

»Er ist ein Schotte. Ein stiernackiger Kerl, dickschädelig und muffig, er hat sieben Söhne. Ich glaube nicht, daß ich viel bei ihm ausrichten könnte…«

»Steigen Sie ab«, sagte Wyatt nur.

Randers rutschte sofort aus dem Sattel.

»Die Hills sind die Erhebungen da drüben. Sie können sie gut erkennen, dahinter ist der Flave Creek, da irgendwo müssen sie herumkrauchen, die Schotten.«

Wyatt stob davon.

Randers blickte ihm nach.

»Wenn überhaupt einer bei dem alten McLean etwas werden kann, dann er.«

Nach ungefähr einer Stunde sichtete er sie.

Sie ritten nicht etwa in Schlangenlinie hintereinander, sondern selbstherrlich nebeneinander.

Sie bemerkten ihn erst, als er sich ihnen schon auf fast siebzig oder gar schon sechzig Yard genähert hatte.

Es war der Alte, der mißtrauische Boß, der sich umwandte.

Er gab seinen Söhnen sofort ein Zeichen.

Sie hielten an, wandten sich um und nahmen die Gewehre in die Hand.

Wyatt ritt auf sie zu.

Joel McLean war ein zerzauster, knorriger, tatsächlich stiernackiger Mann mit hartem, bärtigem Gesicht und hellen Falkenaugen.

Er hatte nur fünf seiner Söhne bei sich. Burschen, die todsicher aus dem gleichen kernigen Holz geschnitten waren wie ihr Vater.

Wyatt ritt bis auf sieben Yard heran und parierte dann sein Tier.

Der Alte starrte auf den Fuchs.

»Der Gaul gehört zur H-Ranch.«

Wyatt nickte.

»Daher komme ich auch und wollte Sie um Hilfe bitten.«

Die buschigen Brauen des Alten rutschten unter den verfilzten Hut­rand.

»Um – was?«

»Um Hilfe. Heute, gegen Morgen, wurde die Ranch angezündet. Es ist den Boys geglückt, den Brand einzudämmen. Aber die Pferde sind sämtlich verschwunden.«

Der Alte rieb sich das Kinn.

»Die Pferde?«

Ein heiseres Lachen brach aus seinem rostroten Bart.

»Mann, Sie machen Scherze. ­James Heeth hat zwanzig Gäule auf der Ranch, wenigstens. Sie wollen mir doch nicht weismachen, daß die Tiere alle weggerannt sind.«

»Ich vermute, daß die Leute, die den Brand gelegt haben, die Pferde mitgenommen haben.«

McLean musterte den Marshal scharf.

»Wer sind Sie eigentlich? Ich habe Sie noch nie gesehen.«

»Mein Name ist Earp. Wyatt Earp. Ich komme aus…«

»Wyatt Earp? Sie wollen der bekannte Sheriff Earp sein?«

Wyatt nahm seinen Stern aus der Tasche (wo er ihn immer trug, wenn er sich nicht in Dodge City aufhielt).

»Und was wollen Sie?« knurrte der Smallrancher.

»Ich sagte es schon, Mister Mc­Lean, Sie um Ihre Hilfe bitten.«

»Was soll ich denn tun? Bisher war Heeth immer froh, wenn er mich nicht zu sehen bekam…«

»Die Ranch braucht Pferde.«

»Sollen wir deshalb vielleicht zu Fuß nach Hause kriechen, Sheriff?«

»Mister McLean, man sagte mir auf der Ranch, daß Sie ein prächtiger Bursche wären, trotz allem, aber ich glaube, daß die Männer von der H-Ranch da doch gewaltig übertrieben haben.«

Eine flammende Röte überzog das Gesicht des Schotten.

»Ein prächtiger Bursche? Das haben sie gesagt? Und sie sollen übertrieben haben? Wie können Sie das annehmen, Sheriff? Der alte McLean ist ein prächtiger Bursche. Und wenn solche Haderstrolche wie die Heeths das schon behaupten, dann dürfen Sie überzeugt sein, daß es stimmt. – Also, James braucht ein paar Pferde. Ganz klar.

Machen wir. Damit wir aber nicht zu Fuß heimtippeln müssen, kommen wir mit zur Ranch und nehmen uns da einen Wagen mit. Was halten Sie davon, Sheriff?«

»Guter Gedanke.«

Sie sprengten im gestreckten Galopp zur Heeth-Ranch.

Es war den schottischen Brüdern nicht allzu wohl in der Haut, als sie auf den weiten Hof ritten, den sie noch nie gesehen hatten, von dem nur ihr Vater einige düstere Erinnerungen mit heimgebracht hatte.

Sie stiegen von den Pferden und waren verblüfft, als Vormann Randers und die anderen, die auf dem Hof waren, sie mit Handschlag begrüßten.

Der alte McLean stand da und begriff nichts.

Wie konnte sich die Welt plötzlich so ändern?

»He, Patrick!« rief ihn da eine heisere Stimme vom Vorbau her an.

Er wandte sich um und sah den Rancher oben in der Tür lehnen.

»Ach, James, da steckst du ja, du alter Gauner!«

Der Schotte ging auf den Nachbarn zu und erstarrte fast vor Schrecken, als er ihn in der Nähe vor sich sah.

Wie sah Heeth aus?! Elend und verfallen, mit fast schlohweißem Haar, eingefallenem Gesicht und gebeugter Gestalt. Ein Bild des nahen Todes.

»Was ist denn mit dir los? Du wirst doch nicht etwa müde? Hast du vielleicht vergessen, was wir uns damals schworen, als wir die Osagen verscheucht hatten und da unten in der Senke hinter den Hills mit blutigen Nasen im Dreck lagen? Ich habe es nicht vergessen. Wir schworen uns, den Roten zum Trotz neunzig Jahre alt zu werden und mit unseren Enkeln durch dieses Land zu reiten.«

Ein schwaches Lächeln glitt über das Gesicht des Kranken.

»Du bist ja auf dem besten Weg dazu, Pat. Aber mit mir geht’s bergab, leider. Doc Holliday sagt zwar, es müsse nicht das Herz sein, aber ich glaube, er ist ein frommer Lügner.«

Wyatt hatte sich inzwischen mit dem ältesten der Söhne McLeans besprochen.

»Ihr laßt uns drei Pferde, das genügt. Und Steve Randers gibt euch einen leichten Wagen, der euch schnell auf eure Ranch zurückbringt. Wenn die Pferde wieder hier sind, oder, was Gott verhüten möge, neue angeschafft sind, kommen eure Tiere zurück, und wir holen den Wagen ab.«

Der junge John McLean war einverstanden.

Da kam der alte Rancher in den Hof, mit müdem, schleppendem Schritt, gefolgt von dem alten Mc­Lean, der ihn mit düsterer Miene beobachtete.

»Mann, bleib oben! Was suchst du hier unten? Die Boys hören auch so, wenn du was sagst, und wenn nicht, kann ich dem nachhelfen.«

James Heeth ging weiter. Erst neben Wyatt blieb er stehen und stützte sich auf dessen kräftigen Arm.

»Meinen Freund Wyatt Earp brauche ich euch sicher nicht mehr vorzustellen, Boys. Er hat mir heute morgen etwas Gutes gesagt, nämlich: Wer zuviel will, behält gar nichts. Vielleicht glaubte er, ich hätte es überhört, ich habe es genau gehört. Gebt also acht, McLean-Boys, was ich eurem Vater zu sagen habe: Der Landstreifen hinter den River Hills liegt günstiger für euch als für mich. Von dieser Stunde an gehört er zur McLean-Ranch. Die Eintragung in Arkansas City nehmen wir vor, wenn wir wieder etwas mehr Ruhe haben.«

Der alte Schotte stand wie ein begossener Pudel da, vermochte kein Wort hervorzubringen, und erst als ihm einer seiner Söhne in die Seite stieß, grinste er wie ein Indianer, dem man einen Hut oder sonst etwas geschenkt hat.

Er reichte Heeth die Hand und drückte sie kräftig.

»Das wirst du nicht zu bereuen haben, James.«

»Ich weiß es. So, und nun gibt Randers euch einen guten leichten Wagen, damit ihr auf eure Ranch zurückkommt…«

*

Eine Viertelstunde später saßen Wyatt Earp und Doc Holliday im Sattel. Zwei von den drei Pferden hatte der Rancher ihnen überlassen.

»Wir brauchen sie nur bis Arkansas City«, hatte der Marshal gesagt. »Von dort schicken wir sie mit einem Peon zurück.«

»Schade, daß Sie schon reiten wollen«, sagte der Rancher und wischte sich über das blasse Gesicht. »Aber ich sehe ja ein, daß Sie wegen der Geschichte an der Pferdewechselstation einen Bericht abgeben müssen. Und vielen Dank auch im voraus für das, was Sie für mich in der Stadt erledigen wollen. Hoffentlich genügen Ihnen die Waffen.«

»Vollauf«, versetzte der Missou­rier.

Heeth hatte jedem einen Waffengurt mit genügend Patronen und dem Marshal ein Winchestergewehr geliehen.

»Sie bekommen alles wieder zurück.«

»Guten Ritt!«

Der Alte stand an einen der Ranchtorpfeiler gestützt und blickte hinter den beiden Reitern her, bis sie seinem Blick entschwunden waren.

Doc Holliday sah den Marshal an.

»Ein einzelner Mann kann doch nicht zwei Dutzend Pferde wegtreiben.«

»Verjagen schon, aber es stimmt, wegtreiben kann er sie nicht so leicht. Außerdem traue ich es diesem Rod nie und nimmer zu, daß er allein einen solchen Pferdetreck auf den Trail bringen könnte. Dazu gehört eine ganze Menge Erfahrung.«

»Also war er nicht allein?«

»Sicher nicht.«

»Kann er die Kumpane während unserer Anwesenheit auf der Ranch für das Feuerwerk auf die Ranch bestellt haben?«

Wyatt zog die Schultern hoch.

»Schwer zu sagen. Jedenfalls hat er die Ranch nicht verlassen während der Zeit, in der wir da waren.«

»Vielleicht waren die Banditen sowieso für diese Nacht bestellt…«

»Oder es waren Leute von der Ranch dabei.«

Holliday nickte. »Daran habe ich nämlich auch schon gedacht. Aber wenn außer Rod Heeth noch jemand von den Cowboys gefehlt hätte, würde man es längst bemerkt haben. Auf der Ranch wurde und wird doch jeder Mann gebraucht.«

Wyatt hatte die Fährte in Augenschein genommen, die die Pferde, die aus dem Corral gestürmt waren, hinterlassen hatten. Sie führte eine Zeitlang nach Süden und bog dann nach Westen ab.

Auf Arkansas City zu.

Am Nachmittag verlor sie sich in dem reißenden Gewässer des Flavia Creek.

Die beiden Reiter folgten ihr nicht weiter, sondern hielten direkt auf die Stadt zu.

Wyatt suchte sofort den Sheriff auf. Das war ein älterer, mürrischer Mann mit schläfrigem Gesicht und aschblondem Haar. Er stand im Silver Palace an der Theke und unterhielt sich mit einem Mann, der die Kleidung eines Schmiedes trug.

»Sheriff, kann ich mit Ihnen sprechen?«

Der Hüter des Gesetzes von Arkansas City blickte unwillig zur Seite und knurrte: »Was Wichtiges?«

»Ja.«

»Warten Sie.«

Er unterhielt sich weiter mit dem Blacksmith, und zwar über das wichtige Thema: Woran erkennt man echten schottischen Whisky?

Wyatt, der keine Zeit zu verlieren hatte und den diese Ungehörigkeit ärgerte, wandte sich an den Wirt und sagte laut:

»Wenn der Sheriff seine wichtige Unterhaltung über den Whisky beendet hat, dann kann er mir vielleicht einen Boy hinüber zum Mayor schicken, wo ich mich aufhalte. Mein Name ist Earp. Wyatt Earp.«

Damit wandte er sich ab und ging mit hartem, sporenklirrendem Schritt auf die Tür zu.

Der Salooner hatte den Mund offenstehen und stieß jetzt rasch hervor:

»Allright, Mister – Earp! Das geht in Ordnung, Mister Earp!«

Der Schmied, den die Unterhaltung mit dem Sheriff ohnehin nicht sehr gefesselt hatte, blickte ebenfalls hinter dem Fremden her, der eben da einen so klingenden Namen genannt hatte.

Der Sheriff aber war blaß geworden.

Seine Rechte tastete nach dem noch halbvollen Whiskyglas, führte es an die Lippen und kippte den Inhalt auf einen Zug hinunter.

»Was hat der da eben gesagt?« keuchte er.

»Er hat seinen Namen genannt«, meinte der Schmied. »Einen schönen Namen: Wyatt Earp!«

Der Sheriff stieß einen Fluch aus.

»Mann, auf diesen Bluff fallen Sie herein, Breenk, ich jedenfalls nicht. Salooner, noch einen Whisky.«

»Aber Sheriff«, mahnte der Wirt, »haben Sie denn nicht gehört, daß er Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen hat?«

Jerry Hampton polierte nervös mit der linken Hemdmanschette in einer mechanischen Geste den Stern an seiner Brust.

»Wyatt Earp! Der will Wyatt Earp sein? Na warte nur, ihr werdet euch wundern! Den Burschen kaufe ich mir.«

Mit stampfendem Schritt folgte er dem Marshal.

Der war gerade wieder auf das von dem Georgier gehaltene Pferd gestiegen und wollte weiterreiten, auf das Haus des Mayors zu, das er sich auch vorher hatte zeigen lassen.

»He!«

Hampton schnarrte es hart über die Straße.

Und dann verfing sich sein Blick plötzlich auf dem Brandzeichen auf dem Hinterteil des Braunen, den der Marshal ritt.

Jerry Hampton hatte verblüffend schnell seinen Revolver gezogen.

»Absteigen, Gents.«

Die beiden dachten jedoch nicht daran, sondern hielten auf das Haus des Mayors zu, wo sie gemächlich aus den Sätteln rutschten.

Der Blacksmith war dem Sheriff gefolgt und brach in eine dröhnende Lache aus.

»Tja, old man, jetzt erleben Sie auch einmal, daß jemand nicht nach Ihrer Pfeife tanzt. Wurde auch Zeit.«

Er stiefelte seiner Werkstatt zu, in der schon seine keifende Frau stand und ihm mit der Faust drohte, weil er sich offensichtlich zu lange in der Schenke aufgehalten hatte.

Der Sheriff rannte über die Straße, mit dem Colt in der Hand, und brüllte den beiden nach:

»Was fällt euch ein? Stehenbleiben!«

Der Marshal blickte auf den Colt.

»Ich habe dieses Schießeisen nicht verloren, Mister.«

»Was?«

»Ich hatte den Eindruck, daß Sie mir den Colt nachtragen wollten; ich habe ihn nicht verloren. Und mein Begleiter auch nicht.«

Empört warf der Sheriff den Kopf hoch.

»Wie sprechen Sie mit mir? Ich bin der Sheriff!«

»Ach.«

»Kommen Sie gefälligst rüber ins Office. Und der andere kommt auch mit. Macht keine Dummheiten, der Fall ist klar: Die Gäule, die ihr reitet, sind gestohlen, sie gehören zur Mc-Lean-Ranch.«

»Sie gehören zwar dem alten McLean, Mister, aber gestohlen sind sie nicht. Und nun«, er schob ihn mit einer Unterarmbewegung zur Seite, »gehen Sie mir aus dem Weg. Ich habe mit dem Mayor zu sprechen.«

»Was haben Sie mit dem Mayor zu sprechen?« krächzte Hampton.

Da flog Wyatts Kopf zur Seite.

»Unter anderem habe ich mit ihm über einen Sheriff zu sprechen, der keine Zeit hat, wenn man ihn braucht. Der sich über Whiskysorten unterhält, wenn jemand mit einem Anliegen zu ihm kommt.«

Hampton schluckte.

»Warten Sie…, ich habe nämlich heute Geburtstag.«

»Ein schlechter Tag.«

»Was…, ach ja. Aber Sie haben sich da vorhin auch einen bösen Scherz herausgenommen. Wie kann man sich den Namen eines so berühmten Gesetzesmannes einfach zulegen, wie etwa einen neuen Hut. Wyatt Earp! Soll ich Ihnen etwas sagen? Ich habe einen Nachbarn, der kennt Wyatt Earp aus Dodge. Jawohl, da hat er ein paar Jahre gewohnt. Gleich gegenüber dem Haus, in dem Wyatt Earp wohnte. Er ist Tischler.

Sie sehen, man muß da sehr vorsichtig sein. Aber ich will über diesen Unsinn mal hinwegsehen, dann können Sie sich auch den nutzlosen Gang zum Mayor einsparen.«

»Ich denke nicht daran.«

In diesem Augenblick kam aus dem kleinen Haus neben dem Sheriffs Office ein langaufgeschossener Mann mit tiefbraunem Gesicht und breiten Schultern. Als er des Marshals ansichtig wurde, riß er die Augen weit auf.

»Wyatt Earp!« entfuhr es ihm.

Der Sheriff wandte sich um.

»Was faseln Sie da, Owens?«

Der Tischler kam auf die Straße und ging auf den Missourier zu.

»Hallo, Marshal!«

Wyatt reichte ihm die Hand.

»Hallo, Mister Owens. Wie geht es Ihnen und wie gefällt es Ihnen hier?«

Der Tischler feixte.

»Äh, meine Frau stammte aus diesem Nest, nur deshalb bin ich aus Dodge weggezogen. Aber obgleich Arkansas City nicht gerade klein ist, ist es ein Nest. Dodge ist dagegen eine richtige schöne Stadt!«

Bei dem Wort »schön« verzog Doc Holliday grämlich das Gesicht.

Da erkannte der Tischler auch ihn.

»Hallo, Doc!«

»Hallo, Mister Owens!«

Der Sheriff war einen Schritt zurückgetreten. Jetzt erst kam ihm zum Bewußtsein, daß er erheblich ins Fettnäpfchen getreten war.

Ganz zweifellos hatte er zuviel getrunken.

Was hatte er sich jetzt eingebrockt? Flammende Röte schoß in sein welkes Gesicht. Nun kam da einmal ein bekannter Gesetzesmann, eine wirkliche Größe dieses elenden Landes in die tranige Stadt, und ausgerechnet da war man nicht auf dem Posten.

Da zerstörte der gutmütige Missourier in einer einzigen Sekunde mit einer Handbewegung alle düsteren Sorgen des Sheriffs.

»Herzlichen Glückwunsch!«

Hampton nahm die große sehnige Hand und drückte sie erleichtert.

»Thanks, Marshal!«

»Können wir jetzt zu Ihnen hin­übergehen?«

»Natürlich.«

Sie saßen im Office, und Hampton nahm die Berichte auf. Über den Vorfall an der Pferdewechselstation schüttelte er den Kopf.

»Ich kenne den alten Laden, bin einmal da vorübergekommen, aber daß dort noch eine Overland verkehren sollte, ist natürlich Unsinn. Früher einmal, als die Straße noch hinunter nach Kalmeinen und Strong­town führte, da war das notwendig. Aber heute – nein.«

Anschließend suchten die beiden Dodger noch den Mayor auf.

Er war ein verhältnismäßig junger Mann und nahm die Botschaft, die Wyatt Earp ihm von Rancher Heeth übermittelte, erschrocken auf.

»Kann es denn in diesem Land niemals Ruhe geben? – Well, die Halunken, die den Überfall an der alten Overlandstation ausgeführt haben, werden wir wohl nicht mehr jagen müssen. Sie können inzwischen tausend Meilen zwischen sich und den Ort gebracht haben, an dem sie die Frau erschossen haben. Aber das Feuer auf der H-Ranch, der Sache werden wir noch auf den Grund kommen. Ich reite gleich morgen mit dem Sheriff hinüber.«

»Dann könnten Sie uns einen Gefallen tun, Mayor, und die beiden Pferde, die der Rancher uns geliehen hat, mitnehmen.«

»Selbstverständlich.«

Die beiden verabschiedeten sich. Wyatt hatte dem Rancher versprochen, nach dem Besuch bei dem Sheriff auch dem Mayor die Nachricht von dem Pferdediebstahl und dem Brand zu übermitteln, da Mayor Buster ein alter Freund des Ranchers war. Buster würde sich persönlich und wahrscheinlich mehr als der etwas träge Sheriff für die Verfolgung der Diebe und Brandstifter einsetzen.

Für Wyatt Earp stand fest, daß die Tiere westwärts getrieben worden waren.

Und da im Westen keine Ranch und keine Ansiedlung lag, gab es nur eine einzige Erklärung:

Die Pferde waren in die Stadt gebracht worden.

Höchstwahrscheinlich hatten die Diebe sie weit vor dem Brand aus dem Corral gelockt und im Blitztrail nach Arkansas City gebracht.

Holliday ging neben dem Missourier her, die Mainstreet hinauf.

Vor einem großen Mietstall blieb Wyatt stehen.

»Wer kann eine solche Menge Pferde übernehmen? Nur ein Mietstall. Und es gibt deren drei in der Stadt. Das hier ist der größte, wie mir der Sheriff erzählte. Es ist ein gutgehendes Geschäft, und der Besitzer ist vor einem halben Jahr gestorben. Es gehört jetzt der Frau, die es von zwei alten ehrlichen Cowboys führen läßt. Der zweite Stall liegt da drüben. Er gehört einem Chinesen. Diese Leute können sich keine krummen Dinger hier erlauben.«

»Und wem gehört der dritte Mietstall?«

Wyatt zündete sich eine Zigarre an.

»Dem Mayor.«

»Ach?«

Wyatt ging auf den Stall des Chinesen zu.

»Ich dachte, er käme nicht in Frage?« meinte Holliday.

»Kommt er auch nicht, aber Chinesen sind entweder sehr schweigsame oder sehr geschwätzige Leute. Vielleicht haben wir ja Glück.«

Wyatt suchte das Kontor des Chinamannes auf.

Der blickte ihn aus fragenden Augen an.

»Ich hätte gern zwei gute Pferde, Mister Yang.«

»Gern.«

»Ich hörte, daß gestern oder heute morgen ein ganzer Treck frischer Pferde aus dem Westen hergebracht worden ist. Es sollen ausgezeichnete Tiere dabeigewesen sein. Könnte ich vielleicht zwei davon bekommen?«

»Pferde – aus dem Westen?« Der Chinese zog die schmalen Brauen zusammen.

»Ja, ein Mann sagte es uns, unten, wo der Mayor wohnt.«

Der Chinese verzog den Mund.

»Warten Sie bitte ein paar Minuten.«

Er ging hinaus.

Nach kurzer Zeit kam er zurück.

»Sie haben recht, aber die Tiere sind nicht für mich gewesen. Mister Buster hatte sie wohl bestellt.«

Das Nachrichtennetz florierte ja großartig hier in Arkansas City.

»Es hätte mich auch gewundert, wenn man so viele Pferde ungesehen in eine solche Stadt bringen könnte«, meinte Wyatt, als er wieder draußen war. »Bei dem Mayor hätten wir natürlich nichts davon erfahren, falls er mit Rodney Heeth unter einer Decke steckt, aber ein Mietstall­owner hat nun einmal Neider. Die größten Neider sind meistens die Konkurrenten…«

*

Wyatt Earp und Doc Holliday gingen zurück zum Sheriff.

Der »Gesetzesmann« hockte in seinem Lehnstuhl und hielt einen Schlummer. Als die Tür zufiel, schrak er hoch.

»Mister Earp?«

»Kommen Sie mit, Mister Hamp-ton.«

»Was ist denn passiert?«

»Kommen Sie nur.«

Sie gingen zusammen auf das Haus des Mayors zu.

Buster kam ihnen schon im Hof entgegen.

Mit einem raschen Blick streifte Wyatt die angrenzenden Stallungen.

Der Mayor hatte das Pferdegeschäft zur Seitengasse ausgebaut. Offenbar fand er auch da genug Kundschaft und hatte es nicht nötig, die Straßenfront zur Mainstreet mit werbenden Schildern und Toren zu verschandeln.

Wyatt sah sich den Mann jetzt schärfer an.

Buster mochte etwa fünf- oder sechsundvierzig sein, war groß, hatte eine füllige, zur Korpulenz neigende Figur und schütteres Haar. Seine Kleidung war für die hiesigen Verhältnisse elegant, und mehrere Ringe mit Edelsteinen schmückten seine schlanken nervigen Hände.

»Wir kommen noch einmal zurück, Mayor!«

»Ja?«

In seiner Stimme schwang der Argwohn mit, jetzt stärker als vorhin.

»Wir wollen weiter nach Norden und brauchen neue Pferde.«

Wyatt dachte daran, daß er keinen Cent in der Tasche hatte. Das Angebot des Ranchers, hundert Dollar mit auf den Weg zu nehmen, hatte er abgelehnt.

»Pferde? Ja, natürlich. Ich selbst habe sogar einen kleinen Pferdehandel. Aber Pferde kosten natürlich Geld. Sagten Sie nicht, daß Sie…«

»Was sagte ich?« kam es blitzschnell von Wyatts Lippen.

Buster war gewarnt.

Aber es war zu spät.

Seine Rechte, die zum Revolver vorkroch, wurde durch einen Zuruf des Spielers unterbrochen.

»Sehen Sie, Mayor, so ein Revolver ist ein gefährliches Ding!« Der Spieler hatte den Colt gezogen und drehte ihn in der Hand. »Man sollte sehr vorsichtig damit umgehen, wie mit Freunden und Pferden.«

»Was… soll… das heißen?«

Holliday sah ihn kalt an.

»Wo sind die Pferde?«

»Welche Pferde?«

»Die, die wir suchen!« drängte Wyatt nach.

Der Sheriff hatte Mund und Augen weit aufgesperrt und begriff nichts von dem, was hier vorging.

Buster sah rasch von einem zum anderen.

Da trat der Missourier auf ihn zu.

»Ich weiß nicht, an was für Leute Sie bisher geraten sind, Buster, aber ich sage Ihnen, daß wir keine Späße machen. Wo sind die Pferde?«

Buster hob die Linke und wies über seine Schulter.

Dann krächzte er plötzlich:

»Hampton, wollen Sie sich das eigentlich bieten lassen? Merken Sie nicht, daß diese beiden Männer Betrüger sind?«

Eine schallende Ohrfeige des Marshals streckte den Mayor nieder.

»Noch ein solches Wort, Bandit, und du lernst mich kennen! Vorwärts, steh auf und führe uns zu den Pferden! Sheriff, Sie kommen mit!«

Der Mayor erhob sich langsam, wandte sich um und schlich auf eine der Stallungen zu.

Wyatt folgte ihm.

Dann kam der Sheriff.

Doc Holliday machte den Schluß.

Oben in der Tür des Wohnhauses stand auf einmal eine junge Frau und blickte mit entsetzten Augen auf die sonderbare Szene.

»Aske! Was… soll denn das… bedeuten?«

»Verschwinde!« fauchte sie der Mann an.

»Weitergehen!« befahl Wyatt.

Buster öffnete das Stalltor.

Was Wyatt erwartet hatte, bot sich ihm dar: ein völlig leerer Stall.

Die Frau war im Haus verschwunden.

Wyatt sah den »Mayor« an.

»Hatte ich Ihnen nicht gesagt, daß wir keine Späße machen? Wissen Sie, was jetzt passiert? Sie bekommen die Prügel Ihres Lebens!«

Buster wurde kalkweiß.

»Joab!« schrie er mit schriller Stimme.

Da stürzte sich ein riesiger Bursche aus einer der Boxen und warf sich auf den Marshal.

Wyatt steppte zur Seite und wuchtete dem Mann einen knackenden linken Haken gegen das Jochbein.

Aber der Peon war bärenstark. Er schüttelte den Hieb ab und wirbelte herum.

Zischend pfiff der Backhänder über den abgeduckten Kopf des Marshals.

Aber gedankenschnell war Wyatt Earp mit einer knallharten Doublette da, die den kleinen Schädel des riesigen Peons wie einen Spielball hin und her fliegen ließ.

Der Hüne stöhnte auf und warf sich mit letzter Energie erneut dem eisenharten Mann aus Missouri entgegen.

Aber in die lange Rechte schmetterte Wyatt Earp einen furchtbaren kurzen Konterschlag hinein, der den Kopf des Peons direkt hochstieß.

Joab Hunter torkelte zurück und krachte gegen die Wand einer leeren Box. Benommen knickte er in die Knie ein und rutschte ins Stroh.

Wyatt wandte sich dem Mayor sofort zu:

»Jetzt zu Ihnen, Buster.«

Der krächzte mit der Stimme eines Herbstraben:

»Sie sind drüben, im übernächsten Stall.«

Da standen sie, zweiundzwanzig Pferde, die das Brandzeichen der Heeth-Ranch trugen.

Sheriff Hampton bekam den Mund nicht mehr zu.

Wyatt Earp blickte den Sheriff an.

»Sie haben es also nicht mehr nötig, nach dem Pferdedieb und den Pferden selbst zu suchen. Ihr prächtiger Mayor hat bestens für alles gesorgt. Er ist schneller als der schnellste Sheriff.«

Buster stand da wie versteinert. Alles an ihm zitterte und bebte.

»Er ist im Morgengrauen gekommen, mit zwei anderen…«

»Rod?« fragte Wyatt.

Buster nickte.

»Kannten Sie die beiden anderen?«

»Nein.«

»Wehe Ihnen, wenn sich herausstellen sollte, daß Sie sie doch gekannt haben! Das gibt ein paar Jahre extra.«

»Jahre? Marshal! Ich verstehe Sie nicht. Ich bin kein Pferdedieb.«

»Nein, sonst nämlich würden Sie heute noch hängen. Aber Sie sind ein Hehler, das ist fast ebenso schlimm.«

»Aber Red ist in Schwierigkeiten und…«

»Er ist ein Brandstifter, ein Pferdedieb und höchstwahrscheinlich sogar ein Mörder. Wenn Sie sein Schicksal teilen wollen, steht dem nichts im Wege, Buster. – Sheriff, nehmen Sie diesen Mann fest. Er ist ein Verbrecher. Diese Tiere da gehören dem Rancher James Heeth. Er hat sie dessen Bruder Rodney höchstwahrscheinlich zu einem Schandpreis abgekauft. Ich vermute weiterhin, daß auch die vier Pferde von der getarnten Overland hier bei ihm stehen…«

»Das ist eine Lüge!« brüllte Buster mit kreischender Stimme.

Der Marshal packte ihn am Kragen und zog ihn mit einem Ruck zu sich heran.

»Was hast du gesagt, Buster?«

Der Kopf des Hehlers fiel schlaff herunter auf die eingesunkene Brust.

»Sheriff, walten Sie Ihres Amtes.«

Hampton nickte verstört und packte seinen bisherigen Bürgermeister am Arm und zerrte ihn mit sich fort.

Wyatt holte die Pferde aus dem Stall, nahm die beiden, die er vorhin noch hiergelassen hatte, dazu und holte vorn im ersten Stall den benommen in einer Ecke stehenden Peon.

»Bring mir die vier Gäule her, die Rod Heeth neulich gebracht hat.«

Wortlos entfernte sich der Mann und kam prompt nach ein paar Minuten mit den Pferden zurück, die vor die Todeskutsche gespannt waren, als sie vor der ausrangierten Pferdewechselstation einlief.

Neunundzwanzig Pferde wurden über die Mainstreet von Arkansas City zum Mietstall des Chinesen Yang geführt.

Der kleine Mann sah entgeistert drein.

Wyatt schloß das Hoftor hinter dem letzten Pferd.

»Mister Yang. Diese Pferde sind auf der H-Ranch gestohlen worden. Ich möchte Ihnen den Auftrag geben, sie wieder dorthin zurückzuschaffen. Sagen Sie bitte dem Rancher, daß ich Sie bei seinem Freund Buster gefunden hätte. Und daß ich für Doc Holliday und mich je einen Läufer herausgenommen habe. Ich werde diese Tiere zurückbringen.«

»Allright, Sir.«

Der Chinese hatte einen Auftrag, der Geld einbrachte, und strahlte übers ganze Gesicht.

Die beiden Dodger stiegen in die Sättel und verließen den Hof. Der bullige Peon, der ihnen geholfen hatte, die Tiere hierherzutreiben, wollte sich eiligst davonmachen.

Wyatt ergriff ihn an der Schulter.

»Hör zu, Freund, ich habe noch eine Frage, von deren Beantwortung deine Strafe abhängen wird: Hast du einen schwarzen Hengst und einen schwarzweißgescheckten Hengst in den letzten Tagen auf dem Hof bei euch gesehen?«

Der Mann schüttelte den Kopf.

»Ich schwöre es!«

»Troll dich!«

Der Hüne schob davon.

Holliday knurrte: »Der Weißfuchs hier ist ja ein ordentliches Tier, aber mein Schecke wäre mir doch erheblich lieber gewesen.«

»Kann ich mir denken. Sehen Sie sich diesen Grauschimmel an. Auch ein gutes Pferd, aber der Rappe wäre mir auf jeden Fall lieber.«

»Wohin mag die Bande die beiden Tiere geschleppt haben?«

»Ich fürchte, sie haben sie verkauft.«

»Das wäre hart. Ich hatte mich an Migo so gewöhnt.«

»Was glauben Sie, was es mich damals gekostet hat, meinen Falben zu vergessen, den Ike Clanton mir unten in Flaminias niederschoß. Das war auch bitter. Aber einmal ist alles zu Ende. Sie können mir glauben, daß auch ich mir eingebildet hatte, ewig mit dem Falbhengst durch die Prärie und über die Berge reiten zu können. Es war ein unübertreffliches Tier für mich. Ein Läufer, den nie ein anderes Pferd eingeholt hat, ein Bergsteiger und Traber von solcher Ausdauer, wie ich nie einen zweiten gesehen habe. Aber Ike hatte ihn mir genommen. Es war eine böse Zeit, ehe ich den Rappen bekam. Und wieder hatte ich mich an ein Pferd gewöhnt. Das ist so eine Sache mit dem Gewöhnen. Sehen Sie, eines Tages falle ich neben Ihnen um und liege im Staub irgendeiner Straße in irgendeiner Stadt, vor der Sie mich ganz sicher gewarnt haben werden. Und dann müssen Sie allein weiterreiten…«

Es geschah selten, daß Holliday einmal wirklich lauthals loslachte. Jetzt war es der Fall. Er preßte sich die Linke auf die Brust, weil ihm da alles schmerzte vor Lachen.

»Sie werden umfallen? Wissen Sie, was ich glaube, wann Sie umfallen werden? Irgendwann einmal nahe an der Mitte des nächsten Jahrhunderts, als schlohweißer Greis, von einer neuen Welt geachtet – und zu einem Zeitpunkt, da der armselige Doc John Henry Holliday schon wenigstens fünfzig Jahre unter der Erde liegen wird, längst vergessen von dem großen Wyatt Earp.«

*

Die Tatsache, daß Mayor Buster im Jail saß, sprach sich ebenso rasch in der Stadt herum wie die Neuigkeit, daß der Marshal Earp aus Dodge City gekommen war. Und jetzt stellte es sich auch heraus, daß Buster nicht eben viele Freunde in der Stadt hatte. Die meisten Leute hatten nicht gern mit ihm zu tun gehabt, weil er sich in den letzten Jahren sehr geändert hatte.

Der Tischler aus Dodge, der gerade die Straße überquerte, als die beiden aus Yangs Mietstall kamen, winkte dem Marshal zu.

»Wenn Sie für heute ein Quartier suchen, Mister Earp, mein Schwager hat das Boardinghouse drüben an der Ecke. Er würde sich sehr freuen, wenn Sie und der Doc bei ihm Quartier nähmen.«

»Das hatten wir gerade vor.«

Die Zimmer waren zwar klein, aber sauber, und das Bettzeug war sogar neu.

»Wir brauchen eine durchschlafene Nacht«, sagte Wyatt, als er aus seinem Zimmer kam, um, wie sie es immer hielten, das Zimmer des anderen zu betrachten. »Hier werden wir gut schlafen.«

»Was haben Sie denn vor?«

Wyatt ließ sich auf einen der kleinen, mit grünem Plüsch bezogenen Sessel nieder und streckte seine langen Beine weit von sich.

»Ich bin mir noch nicht ganz darüber im klaren. Morgen früh sehen wir weiter.«

Er zündete sich noch eine Zigarre an, rauchte sie jedoch nur halb auf und ging dann.

*

In der Frühe des nächsten Morgens stand er auf.

Zu seiner Verwunderung fand er den Georgier schon frischgewaschen und blankrasiert fertig zum Ritt an der Tür.

»Was liegt also an?«

Wyatt rieb sich das Kinn.

»Shenandoah«, sagte er halblaut.

Da meinte der Marshal, während er seinen Hosengurt enger schnallte:

»Leider weiß ich nicht, wie es klappen soll, unser Geld ist ja in Rodneys Taschen.«

Holliday winkte ab.

»Da ist es einstweilen gut aufgehoben. Ich habe Geld für den Ritt.«

Der Missourier blickte ihn verblüfft an.

»Ich dachte, Ihre Brieftasche wäre an der Overlandstation auch weggekommen?«

»Ist sie auch, leider. Aber ich habe gestern abend noch ein paar Bucks unten beim Pokern verdient und…«

»Hatten wir uns nicht vorgenommen zu schlafen?« fragte Wyatt nicht ohne Vorwurf in der Stimme.

Der Gambler lachte.

»Wie hätte ich schlafen sollen, da ich doch ahnte, was Sie vorhaben – und da ich wußte, daß wir keinen Dollar mehr in den Taschen haben. Wenn wir auch weiß Gott nicht viel Geld brauchen, umsonst kann man nicht vorwärtskommen.«

»Aber das hilft doch nichts, die paar Bucks, die Sie da erpokert haben, werden rasch aufgebraucht sein. Wir müssen wohl oder übel hinauf nach Dodge. Ich habe auf Joeys Western Bank noch dreihundert Dollar liegen…«

Holliday winkte ab.

»Ich habe dreihundertfünfzig in der Tasche.«

Da verschlug es dem Marshal den Atem.

»Drei…«

Holliday nahm die Banknoten heraus und hielt sie ihm hin.

Der Marshal brauchte eine halbe Minute, um das zu schlucken.

»Und das haben Sie alles da unten gestern abend zusammengepokert?«

»Da unten schon – aber gestern abend ist nicht ganz richtig ausgedrückt, es war so gegen drei, halb vier, als ich ins Bett kam.«

Sie gingen hinunter.

Der Boardinghouse-Besitzer hatte ihnen schon den Morgenkaffee hingestellt.

»Good morning, Gents! Der Doc sagte mir, daß wohl gegen diese Zeit aufgestanden würde. Es steht alles drüben auf dem Tisch. – Damned«, er rieb sich die Hände, »einen so scharfen Poker habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht mitgemacht. Es wäre auch alles herrlich und in Freuden abgegangen, wenn dieser verdammte Mister nicht das Messer gezogen hätte und wenn sein Partner Callaghan nicht so verrückt gewesen wäre, den Colt zu ziehen.«

Wyatt, der die Kaffeetasse schon an den Mund hatte setzen wollen, stellte sie hart auf den Unterteller zurück.

»Was war das?«

Der Wirt kam heran, wild darauf, die Story, die bereits die Runde in der Stadt machte, dem Marshal zu berichten.

»Mero Drogena hat scharf aufgespielt gegen den Doc und im Double Poker hundert Bucks gegen ihn gesetzt. Als er sie nach einem brillanten Bluff des Docs verlor, zog er das Messer. Holliday schlug es ihm aus der Hand. Da zog Fitz Callaghan den Revolver. Ja, haben Sie den Schuß denn gar nicht gehört?«

»Callaghan hat geschossen?« fragte Wyatt, dem schon fast der Appetit vergangen war.

»Callaghan nicht, der Doc war natürlich schneller und schoß ihm die Bleispritze aus der Pfote.«

Wyatt sog die Luft tief ein.

Mit über den Frühstücksteller gesenktem Gesicht sagte er leise:

»Ich dachte, es war nichts los?«

»Was war denn schon?« gab Holliday zurück. »Ein paar Burschen, die keine Ruhe geben konnten.«

Der Wirt rieb sich die Hände.

»Dann kamen die Gilliers.«

Wyatt legte das Brotmesser aus der Hand.

»Wer?«

»Die Gilliers.«

»Wer ist denn das?«

»Drei Brüder. Sie sind mit Calla­ghan seit langem befreundet. Eine Viertelstunde nach dem Schuß tauchte Fred Gilliers im Eingang auf und brüllte: Holliday!«

Wyatt lehnte sich im Stuhl zurück.

»Weiter.«

»Dann krachte es, und Jonny Gilliers schrie da drüben hinter meiner Küchentür auf. Er hatte sich da ohne mein Wissen verborgen und hatte offenbar einen ziemlich üblen Trick gegen Doc Holliday vor. Ted riß den Colt hoch und stieß ihn vor. Aber da hätten Sie den Hammerschlag Hollidays sehen sollen. Mit der Linken über den Hahn und zweimal blitzte der Schuß auf.«

»Zweimal?« fragte Wyatt in gelinder Verzweiflung.

»Nun ja, Edward Gilliers kam ja auch noch dazu.«

Wyatt nickte. »Ach ja, Edward.«

»Sie sind nicht tot. Obgleich Ed ziemliche Schmerzen im Handgelenk haben wird.«

»Und wo sind die drei Gentlemen mit Mister Callaghan jetzt?«

»Im Jail.«

»Wie kommen sie denn dahin?«

»Doc Holliday bestand darauf. Er hat sie selbst zum Sheriff gebracht.«

»Und dann?«

»Dann ging das Spiel weiter.«

»Ach so.«

Wyatt stand auf.

»Ich glaube, wir wollen reiten, Doc.«

»Ich würde vielleicht doch das Schinkenbrot essen und das Ei. Und der Kaffee duftet auch gut.«

Holliday begann zu frühstücken.

Wyatt sog die Luft wieder tief ein und ließ sich nieder.

»All right.« Dann knurrte er: »Leichtverdientes Reisegeld, weiß Gott. Und ich schlafe oben wie ein Elefant…«

*

Sie ritten nach Shenandoah.

Von Arkansas City hinüber nach Fort Scott. Von dort quer durch Missouri nach St. Louis.

Hier in der großen Grenzstadt, die den Westen mit dem Osten der Staaten verband, stellten sie die Pferde unter und nahmen die Bahn.

Als sie vom Livery Stable zur Station gingen, blieb Holliday stehen und sah den Marshal an.

»Was gibt’s?« fragte Wyatt unbehaglich.

»Hm, für die Prärie geht Ihr Habitus, aber für die Zivilisation ist er doch etwas sehr abenteuerlich.«

Wyatt zog die Brauen zusammen.

»Sie wollen doch nicht von den drei Kröten jetzt auch noch Kleider kaufen?«

»Drei Kröten? Erlauben Sie, ich habe gestern abend im Concordia Hotel gespielt. Mit Serge Hussarow, wenn Sie schon von ihm gehört haben. Er ist ein bravouröser Spieler! Wirklich, ein Gentleman am grünen Tisch.«

»Und?«

»Er hat zwei Spiele gewonnen.«

»Da haben Sie es!«

»Und vier verloren.«

Wyatt schluckte.

Da meinte Holliday wie nebenbei: »Ich habe ihm neunhundert Bucks abgewonnen. Sie werden erlauben, daß ich mir dafür einen gutgekleideten Reisegefährten wähle.«

Damit schob er den Western-Sheriff in ein vornehmes Kleidergeschäft.

Als sie es verließen, glichen sie eher Bostoner Saloonlöwen als den beiden Männern aus dem fernen Westen, die sie wirklich waren.

Holliday konnte sich das Lachen kaum verbeißen.

»Ich muß sagen, Sie sehen wirklich nicht übel aus. Hoffentlich findet sich unterwegs keine Lady, die Sie absolut anleinen will.«

*

Gegen Mittag verließen sie die Stadt. Wyatt war seit vielen Jahren nicht mehr so weit im Osten gewesen. Längst nicht so rumpelnd wie drüben, jenseits des Mississippis in den Prärien, rollte der Zug durch das Land.

Sie fuhren quer durch ganz Illinois und passierten das Wunderland Indiana, um in Cincinnati umzusteigen nach Chilicothe, wo sie erneut den Zug wechseln mußten, um nach Clarksburg zu kommen. Die Fahrt durch Ohio war ziemlich abwechslungsreich, da auf der Strecke von zwei Polizisten nach einem Raubmörder gesucht wurde.

Auf der Station von Parkersburg sahen sie dann, wie ein blasser Jüngling mit schlotternden Gliedern im eleganten Gehrock von zwei Sternträgern abgeführt wurde.

»So was gibt’s hier auch«, meinte der Georgier, »nur, daß es offensichtlich erheblich harmloser vor sich geht.«

Von Clarksburg aus nahmen sie die Postkutsche hinüber nach Elkins. Und von dort gelangten sie über vielerlei Umwegen auf Kurzlinien nach Last City.

Es war eine stille kleine Stadt. Nichts erinnerte hier an jenes Land, fern im Westen, aus dem die beiden Männer kamen. Alles machte einen ordentlichen, sehr zivilisierten Eindruck. Wenn auch die kleinen Holzhäuser nicht eben sehr schmuck waren, so sah man doch nirgends einen Mann, der einen Revolver trug, keine Gewehre, keine gefährlich aussehenden Gestalten.

Es war schon nicht mehr das Vorland des Westens, es war ganz einfach schon der Osten.

Holliday blieb vor einem steinernen Wegweiser stehen.

»Hundertzweiundsiebzig Meilen nach Baltimore! Was sagen Sie dazu? Ich habe nie gedacht, daß ich noch einmal hierher in dieses Land kommen würde. In Baltimore war ich auf der Hochschule für Zahnheilkunde…«

Der Marshal hatte auf der anderen Straßenseite ein kleines Holzschild mit der Aufschrift jenes Namens entdeckt, dessentwegen sie weit mehr als tausend Meilen zurückgelegt hatten.

»Shenandoah!«

Holliday wandte den Kopf, riß sich aus den Gedanken los, die ihn an die Vergangenheit erinnerten, und kam über die Straße.

»Shenandoah, da steht es. Wenn wir jetzt noch wüßten, wie weit es ist und wie wir hinkämen, wäre es gut.«

Ein vorüberrollender Highländer hielt auf das Winken des Missouriers an.

»Wie kommen wir nach Shenandoah?«

»In das Indianertal? Hm, das ist ziemlich lang. Sechzig Meilen etwa. Und die Stadt Shenandoah selbst liegt auch etwa vierzig Meilen oder sogar fünfzig von hier im Süd­osten…«

Sie mieteten sich zwei Pferde und machten sich auf den Weg nach Osten.

Es waren mäßige Gäule, nicht allzuviel wert, städtisch aufgesattelt, unbequem und ganz sicher nicht für weite Ritte gedacht.

Nach siebzehn Meilen etwa hielt der Marshal an.

Links vor ihnen lag eine kleine Ansiedlung, und rechts breitete sich ein weites grünes Tal aus.

Ein kleiner Negerjunge schob einen Karren vor sich her, unter den er einen kläffenden Hund gespannt hatte.

Wyatt hielt ihn an.

»Ist das Shenandoah?«

Der Junge nickte.

Das also war das berühmte Tal, in dem die Indianer den Verzweiflungskampf gegen die Weißen siegreich bestanden hatten, indem sie die vereinigte Armee im zweiten Ansturm fürchterlich schlugen. Dasselbe Tal, in dem viele Jahre später, im Bürgerkrieg Süd gegen Nord, furchtbare Kämpfe getobt hatten. Und nun sollte es eine so bedeutsame Rolle für die beiden Männer aus dem Westen spielen.

Shenandoah, ein Indianerwort. Es bedeutete nichts weiter als grünes Tal. Und diese Bezeichnung stimmte heute noch.

Es war ein wundervolles, waldiges Tal, mit weiten Wiesen und sanften Hängen. Nichts erinnerte hier daran, daß einst wilde Kämpfe auf seiner Sohle und an seinen Kämpfen getobt hatten, daß es vom Feuer der Gewehre und dem Kriegsgeschrei der Indianer erfüllt war.

Die beiden Reiter hielten auf die Ansiedlung zu.

Vor dem ersten Haus arbeitete eine Frau in einem kleinen Garten.

Wyatt stieg vom Pferd und trat an den Zaun.

»Madame, haben Sie einmal etwas von einer Ansiedlung gehört, die den Namen Furnace trägt?«

Die Frau richtete sich auf.

»Aber ja, das ist nur ein Flecken von drei oder vier Häusern. Es gehört der Kirche. Nur etwa anderthalb Meilen südlich von hier im Tal…«

Nach einer halben Stunde lag Furnace in einem Einschnitt des Shenandoah Valley am Westhang vor ihnen.

Vier Häuser und eine Kapelle.

Davor, ziemlich steil am Berg, ein Friedhof.

Der Marshal hielt auf den Gottes­acker zu, stieg vom Pferd und ging zwischen den Gräberreihen durch.

Holliday folgte ihm.

Plötzlich verharrte der Missourier vor einem Grabstein aus schwarzem Schwedenmarmor.

Mathilde Heeth, geb. am 1. März 04, gestorben am 17. Juni 83.

Wyatt deutete auf den Grabstein.

Holliday rieb sich das Kinn.

»Tante Hatty.«

»Ich dachte, sie wäre schon zwei Jahre tot.«

Die beiden verließen den Kirchhof und führten ihre Pferde zu den Häusern hinüber.

Eines der Häuser war ein zweigeschossiger leuchtendweiß gestrichener Holzbau, der ein weitvorgezogenes Vordach hatte und hinter einem Zaun einen hübsch angelegten Vorgarten.

Wyatt stieg vom Pferd und öffnete die Gartenpforte.

Seine Schritte knirschten auf dem Kies.

Dann zog er an der Türglocke.

Schlurfende Schritte kamen näher.

Ein weißhaariger hagerer Neger von sieben Fuß Länge öffnete. Er machte einen sehr distinguierten Eindruck und fragte in sauberem Englisch:

»Guten Tag, Sir, Sie wünschen?«

»Guten Tag. Ich habe nur eine Frage. Können Sie mir wohl sagen, wo hier eine Mrs. Mathilde Heeth wohnte?«

Der Neger rollte die Augen und ließ dann die Türklinke los.

»Madam, bei Gott, sie wohnte hier. Das war ihr Haus.«

»Dieses Haus gehörte Hatty Heeth?«

»Ja.«

»Und wem gehört es jetzt?«

»Nun, ihrem Bruder, er lebt drüben im fernen Westen. Er hat eine Viehzucht, glaube ich. Miß Wardrup ist jetzt erst hingefahren, in Erbschaftsgeschäften. Aber mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«

Wyatt hatte Mühe, seine Verwunderung zu verbergen.

»Wer verwaltet denn jetzt das Haus?«

»Die Tochter des Reverenden, drüben von der Kirche. Sie hatte das übernommen, weil hier alle Mrs. Heeth so viel zu verdanken hatten.«

Wenige Minuten später saßen Wyatt Earp und Doc Holliday im Salon der Pfarrerstochter.

»Sie kommen aus dem Westen?« fragte sie mit runden Augen und strich sich eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht.

Wyatt nickte. »Wir sind Freunde von James Heeth und hatten Geschäfte in – Baltimore. Er bat uns, hier mal vorbeizusschauen. Er will ja im Herbst wohl selbst mal kommen.«

»Das schrieb er nicht, aber das wäre natürlich schön. Seine Schwägerin war eine wunderbare Frau. Ihr Mann starb ja nur so früh.«

Wyatt lehnte sich im Sessel vor und blickte der bebrillten Pfarrers­tochter in die Augen.

»Miß Elverhap, eigentlich wollten wir auch über Rodney mit Ihnen sprechen.«

Flammende Röte überzog das Gesicht der jungen Frau.

»Was soll man über ihn sprechen? Er ist aus dem Zuchthaus in Arlington ausgebrochen und in Price drüben gestorben…, wie wir aus zuverlässiger Quelle erfuhren.«

»Dürfte man über diese zuverlässige Quelle vielleicht etwas Genaueres erfahren?«

Da klopfte es, und der schwarze Diener drüben aus dem großen Haus trat ein.

»Mister Earp, soll ich die beiden Pferde versorgen lassen? Sie werden doch sicher bleiben. Ich habe dem Sheriff auch schon einen Boten geschickt.«

Wyatt preßte vor Ärger die Lippen aufeinander.

»Weshalb haben Sie denn dem Sheriff einen Boten geschickt?«

»Nun, ich dachte doch, daß Sie ihn auf jeden Fall zu sprechen wünschten.«

»Ach so.«

Da trat er auch schon ein. Er mußte gleich nebenan wohnen oder aber mit einem Pfeil hierhergeschossen worden sein. Er war ein kleiner, wendiger Mann, der den Hut tief zog, der Frau einen kurzen höflichen Gruß zusandte und dann eine tiefe Verbeugung vor dem Missourier machte.

»Mister Earp, es ist mir eine große Ehre, Sie in Furnace begrüßen zu dürfen…«

Er trug keinen Stern, dafür aber einen gewaltigen Schnurrbart, eine goldgeränderte Brille, wie die Tochter des Reverenden, und schien vor Ehrfurcht vergehen zu wollen.

Wyatt deutete kurz auf den Georgier.

»Das ist Doktor Holliday.«

Der Sheriff schlug die Hände zusammen.

»Doc Holliday! Lieber Gott, welch ein Name! Wyatt Earp und Doc Holliday! Zwei Namen wie aus einem Geschichtsbuch. Sie entschuldigen meine Begeisterung, aber hier bei uns im Osten sind Ihre Namen wie Symbole für den Fortschritt im Westen, für den Kampf gegen das Bandenunwesen. Namen wie Sterne, wie Säulen.«

Holliday hatte sich mit Erlaubnis der Lady eine Zigarette angezündet und meinte kühl:

»Mister Earp wollte wissen, wer die Nachricht vom Tode Rodney Heeths hergeschickt hat.«

Der Sheriff verneigte sich.

»Das kann ich Ihnen sagen: Es war Jerome Richemonte. Er wohnte früher hier und ist hinunter ins ­Prince County gezogen. Vor Jahren. Er hat die Leiche des Unglücklichen gefunden. Er war auf der Flucht von einer Railwaybrücke in die vereiste Mansaa gestürzt…«

Als der Sheriff endlich gegangen war und die beiden Dodger sich auch erheben wollten, hielt die Frau Wyatt zurück.

»Sie müssen verzeihen, aber es hat ziemlich lange gedauert, bis ich begriffen habe: Sie sind Sheriff Earp, nicht wahr? Der große Wyatt Earp, wie die Leute sagen und wie auch in den Zeitungen immer wieder zu lesen steht. Das konnte ich nicht wissen. Ich kenne Ihren Namen wohl, die Kinder haben ihn selbst bei ihren Spielen ständig auf den Lippen. So ist das also, Mister Heeth hat sich an die Polizei gewandt…«

»So ist es keineswegs, Miß. Mister Heeth weiß gar nicht, daß ich hier bin. Ich kam vor allem wegen Miß Wardrup.«

»Elly? Ist etwas…« Die junge Frau erblaßte und griff sich an die Kehle.

»Sie ist überfallen worden.«

»Überfallen?« stammelte sie entgeistert.

»Mit alldem…«

Wyatts dunkle Ahnung bestätigte sich also.

»Sie hatte Geld bei sich, nicht wahr?«

»Geld, Mister Earp? Alles Geld, was wir flüssig machen könnten. Wie der Rancher es gewünscht hatte.«

»Er hat es gewünscht?«

»Er selbst. Ich kann Ihnen den Brief drüben raussuchen.«

»Weshalb ist es nicht mit der Post oder zumindest durch einen männlichen Boten übermittelt worden?«

»Du lieber Himmel, Mister Heeth brauchte es doch so dringend für Viehkäufe, wie er schrieb. Die Post hätte länger gebraucht. Und außerdem ist der Westen ja immer noch so gefährlich. Ein männlicher Bote sollte es nicht sein, da eine Frau unauffälliger ist, schrieb der Rancher. Es war sein ausdrücklicher Wunsch. Und da ihm seit dem Tod seiner Schwägerin hier alles gehört, haben wir seinem Wunsch entsprochen.«

»Wieviel Geld war es?«

»Ich muß hinübergehen und nachschauen. Miß Wardrup hat…« Sie brach plötzlich ab und riß die Augen weit auf. »Was ist mit ihr? Um Got­tes willen, sie ist doch nicht… tot?«

Der Marshal nickte mit ernstem Gesicht.

»Leider ja.«

Die Frau sank in einen Sessel und war einer Ohnmacht nahe.

»Elly Wardrup tot. Ich kann es nicht begreifen. Entschuldigen Sie, ich fasse es einfach nicht.«

»Was stellte sie hier in Furnace dar? War sie mit den Heeths verwandt?«

»Nein, es war eine junge Engländerin, die Mrs. Heeth vor ein paar Jahren zu sich genommen hatte, weil der junge Herr…«

Sie brach ab.

Und Wyatt begriff.

»Er hatte ein Verhältnis mit ihr und sie dann wohl sitzen lassen?«

»Deshalb hat seine Tante das Mädchen zu sich ins Haus genommen, als Rod ins Gefängnis kam.«

»Weshalb wurde er eigentlich verurteilt?«

»Das wissen Sie nicht?«

»Ich wüßte es gern von Ihnen«, wich der Marshal aus.

»Wegen Raubüberfalls auf einen Geldboten unten in Shenandoah.«

Er war also ein Verbrecher, längst ehe er in den Westen gekommen war.

Im weiteren Verlauf des Gesprächs erfuhr der Missourier, daß Mrs. Heeth hier in sehr ärmlichen Verhältnissen gelebt habe, bis eines Tages das Geld gekommen war. Sie hatte an der großen Kirchen-Lotterie teilgenommen, die von Baltimore aus ging, und siebenhundertfünfzigtausend Dollar gewonnen. Rod war gerade verurteilt und nach Arlington überführt worden. Die alte Frau trug ihr Leid, wie sie das unverhoffte, unfaßbare Glück des großen Gewinns trug. Sie baute eine neue Kirche hier, ein paar Häuser und lebte überdies still ihr Leben für sich dahin. Drei Anwälte hatte sie für ihren Neffen angeworben. Er hatte sogar eine Chance, freizukommen, da er zur Zeit des Überfalls höchstwahrscheinlich stark betrunken gewesen war… Aber dann war Rod Heeth ausgebrochen.

Wyatt Earp sagte der Frau nichts von dem, was er wußte. Er verließ den kleinen Ort und ritt weiter durch das Shenandoah Valley nach Süden, wo am Talende die kleine Stadt gleichen Namens lag.

Der Sheriff erinnerte sich des unseligen Rod Heeths sehr wohl und führte den »Kollegen aus dem fernen Westen« in die Akmanstreet, in der er früher über einer Apotheke gewohnt hatte.

Es war eine saubere kleine Stadt, dieses Shenandoah.

Holliday blickte die Straße hinunter und sah dem Sheriff nach.

»Wie sieht er aus! Ein kleiner dicker Mann, der bei uns drüben im Westen auf dem gleichen Posten ganz sicher keine Chance hätte. Und diese Stadt! Allein diese Straße! Welch ein armseliges Leben führen wir doch…«

Mit krasser Deutlichkeit erfaßten die beiden Männer hier so richtig den Unterschied zwischen ihrer rauhen, gefährlichen Welt und dieser gepflegten ruhigen Stadt.

Da drüben lag die Apotheke.

Ein schmuckes Haus. Roter Backsteinbau, vielleicht zehn Jahre alt. Weißgestrichene Fenster und…

Wyatt packte den Gambler am Arm und deutete mit den Augen auf den Mann, der jetzt eben aus der Haustür neben dem kleinen Schaufenster der Apotheke kam.

Es war ein mittelgroßer Mann, der einen halbhohen Zylinderhut trug, einen auffällig hellen Anzug und eine rüschenbesetzte Hemdbrust, die von einer grünen Seidenschleife geziert wurde. Unter dem Arm hielt er einen Spazierstock aus Ebenholz, dessen Knauf mit einer silbernen Kugel verziert war.

»Kennen Sie ihn wieder?«

Holliday wandte sich um. »Ja, es ist der ›Stationsmaster‹ der Pferdewechselstation von Arkansas City.«

»Eben.«

Sie ließen ihn drüben auf der anderen Straßenseite vorbeigehen und folgten ihm, nach einem kurzen ­prüfenden Blick auf das Apothekerhaus.

Der Mann verschwand auf der Hauptstraße in einem Caféhaus.

Da setzte er sich zu einem anderen Mann, den die beiden nicht kannten, an den Tisch.

»Holen Sie den Sheriff zurück!« sagte Wyatt zu Holliday und folgte selbst dem »Stationsmaster« in das Caféhaus.

Er hatte sich gerade von dem Mann hinter der Theke eine große Zigarre geben lassen, als sich der »Stationsmaster« mit dem anderen Mann erhob.

Er kam auf die Theke zu.

Wyatt sah es im Spiegelglas einer Vitrine.

Als der Mann nur noch etwa drei Yard von ihm entfernt war, drehte er sich um.

Der andere verhielt den Schritt und starrte in die stahlblauen Augen des Marshals.

Ein eisiger Schreck durchzuckte ihn, aber dann glaubte er, das Opfer einer Täuschung geworden zu sein.

Die Lippen des Missouriers sprangen auf.

»Sie wollen schon gehen?«

Beim Klang dieser metallischen Stimme zuckte der Mann zusammen wie unter Peitschenschlägen.

Plötzlich warf er sich herum, duckte sich nieder und riß im nächsten Augenblick einen Derringer hoch.

Wie ein Geschoß hechtete ihm der große Mann aus Missouri entgegen und riß ihn nieder.

Es bedurfte keiner weiteren Anstrengung, ihn dingfest zu machen.

Da riß der Begleiter des »Stationsmasters«, der offenbar im Caféhaus auf diesen gewartet hatte, ein Stilett aus der Jackentasche und stieß es auf den Marshal zu.

Gedankenschnell schlug Wyatt ihm den Arm hoch, packte nach und schleuderte den Mann gegen die Theke.

Frauen schrien entsetzt auf.

Geschirrteile wurden von einem Tisch gestoßen und zersprangen klirrend auf den Dielen.

Da flog vorn die Tür auf, und Doc Holliday erschien.

Gefolgt von dem keuchenden Hüter des Gesetzes.

Der »Stationsmaster« und sein Begleiter wurden festgenommen. Der kahlhäuptige Mann hieß Levis Abraham und stammte aus Arlington, wo er längere Zeit als Kalfaktor in der Strafanstalt gedient hatte.

Der andere war ein Holzarbeiter, ebenfalls aus Arlington.

Wyatt knöpfte sich den Kalfaktor vor. »Wo ist euer Boß?«

»Boß? Ich weiß nicht, was Sie meinen, Mister.«

Der Sheriff warf sich in Positur.

»Hören Sie zu, Abraham, dieser Mann ist Wyatt Earp. Ein Sheriff aus dem Westen, dessen Name auch Ihnen nicht unbekannt sein dürfte. Er behauptet, Sie und drei andere Männer hätten ihn und Mister Holliday überfallen.«

Abraham wurde weiß vor Schreck; er hatte also von Heeth noch nicht erfahren, mit wem er es an der verlassenen Pferdewechselstation zu tun hatte.

Wyatt stand mit gespreizten Beinen vor ihm.

»Ich lasse Sie hängen, Abraham, wenn Sie nicht sagen, wo sich euer Boß verbirgt.«

»Hängen? Allmächtiger! Ich habe doch nichts getan.«

»Nichts getan? Für diese Lüge bekämen Sie drüben im Westen eine Ohrfeige, Mann. Sie und Ihre Spießgesellen haben an der stillgelegten Overlandstation westlich von Arkansas City Miß Elizabeth Wardrup überfallen, ausgeraubt und erschossen!«

»Erschossen? Nein, Rod hat uns zwar schon vorgeschickt und erklärt, daß er die Frau nur ordentlich fesseln und knebeln müsse, aber…«

»Weshalb sind Doc Holliday und ich nicht getötet worden?«

»Wir hielten Sie auch für tot. Und…« Zu spät merkte der Verbrecher, daß er sich verraten hatte. Eine jähe Röte überflutete jetzt sein Gesicht.

Wyatt sah ihn aus Augen an, die etwas von der Farbe eines zugefrorenen Bergsees an sich hatten.

»Uns hieltet ihr also auch für tot. Tot – wie die Frau, die Sie niedergeschossen haben!«

Die letzten Worte hatte er dem Banditen donnernd entgegengeschleudert.

»Nein!« schrie der einstige Gefängnisaufseher entsetzt auf. »Ich war es nicht!«

»Wer denn?« herrschte Wyatt ihn an.

»Ich weiß es nicht!«

»Sie wollen Ihren Hals nur retten, Abraham, aber das wird Ihnen nichts helfen! Sie sind der Mordschütze, Sie sind der Mörder der Elizabeth Ward-rup. Ich übergebe Sie dem Sheriff.«

Da brach der Mann zitternd in die Knie und lallte:

»Rod war es. Ich war zu Tode erschrocken, als er die Frau niederschoß…, als sie ausstieg. Sie kam zu keinem Wort, zu keinem Schrei. Drei Kugeln schickte er in ihre Brust. Sie brach sofort tot zusammen.«

»Und der da, was ist mit dem?« Wyatt wies auf den Holzarbeiter.

»Er hat mit dieser Sache nichts zu tun.«

»Das wird sich herausstellen. Wo ist Rodney Heeth?«

»Ich weiß es nicht. Ich schwöre es. Es muß etwas dazwischen gekommen sein. Er wollte längst hier sein.«

»Wo ist das Geld?«

»Das hat er.«

Wyatt riß den Mann zum Schrekken des Sheriffs und der beiden Hilfsbeamten hoch und zog ihn mit einem Ruck zu sich heran.

»Sie werden mit Rodney hängen, Levis Abraham!«

»Er ist in der Apotheke.«

»Wo da?«

»Im Lagerraum, unter dem großen Flaschenbord steht eine Wismutkiste aus Cleveland…«

Diesmal hatte der Bandit nicht gelogen. Das drastische Verhör des Marshals aus dem Westen hatte eine Menge Arbeit, Mühe, Fahrten und dergleichen mehr erspart.

Das Geld war da. Und zwar alles, was Rodney Heeth bei Arkansas City geraubt hatte, bis auf wenige Dollars.

Der Apotheker war ein Bruder des Holzarbeiters Morris. Auch dieser Zusammenhang war also klar. Der Apotheker wurde mit ins Sheriffs Office genommen.

Allmählich kristallisierte sich das tödliche Spiel des Verbrechers Rodney Heeth heraus.

Noch aber fehlte das letzte Glied in der Kette: Wo war er selbst, und wie war es möglich gewesen, das Ganze in Szene zu setzen und durchzuführen?

Wyatt kombinierte, daß der Bandit gleich mit einigen Kumpanen, die ihm höchstwahrscheinlich bei der Flucht aus Arlington behilflich waren, in den Westen geflohen sein mußte.

Nach Arkansas City, auf der Ranch des Bruders.

Er hatte dem Bruder wahrscheinlich sofort nach seinem Ausbruch aus der Strafanstalt geschrieben. Hatty Heeth sei gestorben. Wie er das Geld für die Fahrt dann an sich gebracht haben mochte, war Wyatt noch ein Rätsel. Es mußte doch ins Shenan­doah Valley nach Furnace gegangen sein.

Hatte er dort einen Verbündeten?

Wie ein Faustschlag traf den Marshal plötzlich die Erkenntnis: Elly Wardrup hatte ihn noch immer geliebt, war auf das falsche Spiel eingegangen und hatte ihre Liebe und ihre Partnerschaft mit einem Verbrecher mit dem Tod bezahlen müssen.

Rodney Heeth hatte ihr von der Ranch aus geschrieben und den Brief so abgefaßt, als käme er von seinem Bruder. Und dann war im Juli die alte Frau vor Gram plötzlich gestorben. Jetzt setzte Rod Heeth sein Spiel in Gang. Er schrieb einen Brief, worin er als James Heeth die junge Miß Wardrup aufforderte, sämtliche Geldmittel flüssig zu machen, die sich irgendwie rasch flüssig machen ließen, und damit sofort nach dem Westen zu reisen. Raffinierterweise hatte er sie dann irgendwie in eine falsche Overland gelockt und auf die entlegene, längst ausrangierte Linie geschickt, an deren Ende der Tod durch drei Kugeln aus der Mörderhand ihres Geliebten auf sie gewartet hatte.

Das war das grobe Bild dieser unfaßbaren Geschichte, die ein wahrhaft diabolischer Mensch ersonnen und auch eigenhändig durchgeführt hatte.

Da das viele Geld ihm auf der Ranch hinderlich gewesen wäre, hatte er es dem alten Vertrauten, Abraham, nach Shenandoah mitgegeben. Vielleicht hatte das auf dem Zettel gestanden, den er möglicherweise auf dem Vorbau der Station während des Pokerspiels gekritzelt und dem Genossen zugespielt hatte, der ihn dann später vielleicht zerrissen und weggesteckt hatte. Dabei mochte ihm einer der Schnitzel entglitten und unter den grobgezimmerten Tisch gefallen sein.

Shenandoah. Ohne dieses Wort wäre vielleicht niemals jemand auf die Spur dieses scheußlichen und so raffiniert eingefädelten Verbrechens gekommen.

Selbst wenn Wyatt Earp und Doc Holliday den Bruder des Ranchers verdächtigt hätten – erst das Wort Shenandoah, das dann auch der Rancher im Gespräch mit ihnen erwähnt hatte, löste die Gewißheit an der Mittäterschaft Rodneys an dem Verbrechen bei den beiden Dodgern aus und brachte sie auf seine so weitherkommende Fährte.

Daß er die Ranch hatte anzünden wollen und die Pferde geraubt hatte, war eine Panikhandlung seinerseits gewesen, mit der er ganz sicher versucht hatte, nicht nur die beiden Gegner, sondern auch gleichzeitig den eigenen Bruder auszulöschen.

*

Im kleinen Gefängnis von Shenandoah saßen die Banditen Abraham und die beiden Morris-Brüder.

Wyatt ließ sich noch einmal zu Abraham bringen.

»Wo sind die beiden anderen Männer, die mit Heeth auf dem Vorbau der Station saßen und so taten, als ob sie pokerten?«

»Ich kenne sie nicht.«

Wyatt wandte sich nach dem Wärter um.

»Öffnen Sie die Zelle sofort!«

Abraham zuckte zusammen.

»Well, ich will ja alles gestehen! Es sind die beiden Flemings: Eg und Ferry Fleming. Sie stammen aus Arkansas City. Es sind Vettern. Heeth hatte sie in einer Schenke in der Stadt kennengelernt.«

»Und wo stecken die beiden?«

»Sie müssen in Arkansas City sein.«

»Heeth hat ihnen doch aber von dem Geld nichts gegeben.«

»Nein, das sollte später erst geteilt werden. Wenn ich mich nicht irre, hatten sie noch einen anderen Coup vor, etwas mit Pferden. Ich weiß allerdings nicht, wie das zusammenhängt, da sie meistens nur allein darüber sprachen und es vermieden, sich vor mir darüber zu unterhalten.«

Als Wyatt Earp und Doc Holliday das Jail von Shenandoah verließen, war es dunkel geworden.

Sie verabschiedeten sich von dem Sheriff und machten sich auf den Rücktritt nach Furnace.

Im Haus des Reverenden brannte noch Licht.

Drüben in dem hübschen Haus, das sich die unglückliche Hatty Heeth noch gebaut hatte, waren alle Lichter erloschen. Der alte schwarze Diener hockte oben in seiner Kammer am Fenster und starrte in die Finsternis hinaus, die über dem jetzt von einem Nebelschleier bedeckten Tal lag.

Dieses Tal hatte ihm und seiner Herrin kein Glück gebracht. Ihr nicht, ihm nicht und dem Jungen nicht.

Damals wohnten sie unten in dem kleinen Häuschen hinter der Kirche. Der Schwarze hatte im Haus des Reverenden seine Arbeit, half aber auch bei den Heeths aus, wenn Not am Mann war. Er war wie die alte Frau ein gottesfürchtiger Mensch gewesen.

Da schlug das helle metallische Klingen an sein Ohr, das erzeugt wurde, wenn der Huf eines Pferdes einen Stein in der Erde berührte.

Der Schwarze erhob sich und sah unten die beiden Reiter.

»Ich komme sofort hinunter!« rief er durch das rasch hochgeschobene Fenster.

Die beiden wurden ins Haus geführt. Der Schwarze stellte ihnen Brot, Butter, Käse und Geräuchertes auf den Tisch und dazu eine Kanne mit englischem Bier.

»Ich werde die Pferde versorgen.« Damit ging er hinaus.

Erst nach einer Viertelstunde kam er zurück.

»Das hat lange gedauert«, sagte Wyatt Earp, »Sie sollten sich nicht so viel Mühe mit den Pferden machen. Es ist spät.«

»Der Reverend kam in den Stall.«

»Ah.«

»Er war gekränkt, daß Sie nicht bei ihm Quartier genommen haben. Ich glaube, er wollte mit Ihnen sprechen.«

»Können Sie ihn nicht herüberbitten?«

»Ich könnte schon, wenn Sie es erlauben. Sie sind die Gäste von Mister James Heeth. Und Furnace gehört ihm.«

Er ging und kam nach wenigen Minuten mit einem kleinen verhutzelten Männchen zurück, das sich den beiden Männern als der Reverend von Furnace vorstellte.

»Ich will Sie nicht lange aufhalten. Nur, es ist gerade heute ein Brief von Mister Heeth angekommen.«

»Von Mister Heeth?«

»Ja, hier, ich habe ihn an mich genommen, weil ja Miß Wardrup… nicht mehr da ist.«

Er reichte dem Marshal den Brief.

Er war an den Reverenden gerichtet und schon geöffnet.

»Wenn Sie ihn lesen möchten«, meinte der kleine Mann.

Wyatt las ihn.

Sehr geehrter Herr!

Ich habe eine traurige Botschaft für Sie: Miß Wardrup, auf die ich so sehr gewartet hatte, ist nicht angekommen. Inzwischen habe ich durch den Sheriff von Arkansas City erfahren, daß sie überfallen, ausgeraubt und getötet wurde. Es ist ein furchtbarer Schicksalsschlag für mich. Nicht nur, weil die arme junge Frau tot ist, sondern weil ich ja Geld brauchte – und noch brauche. Nun möchte ich Sie bitten, schnellstmöglich alles dort zu verkaufen, und – einerlei was es erbringt – an mich nun mit der Post nach Wichita zu schicken. Ich halte mich einige Zeit in der Stadt auf, weil ich mich da wegen Viehkäufen umsehen muß. Sie brauchen nicht lange zu handeln wegen des Preises für meine Güter. Bitte, verkaufen Sie und schicken Sie mir schnellstens das Geld auf das Post Office in Wichita.

Wyatt reichte den Brief dem Spieler. Der überflog ihn kurz, gab ihn dem Geistlichen zurück.

»Was muß ich tun, Mister Earp?«

»Ich möchte Sie bitten, einen Brief folgenden Inhalts zu schreiben:

Mister Heeth,

ich werde Ihrem Wunsche entsprechen und alles für Sie verkaufen. Es wird auch ziemlich mühelos gehen. Bitte, rechnen Sie etwa zum Monatsende in Wichita mit dem Geld und halten Sie sich zu diesem Termin für den Empfang auf dem dortigen Post Office bereit.

Der Reverend schrieb den Brief sofort und versiegelte ihn. Die Aufgabe war jetzt für die beiden Dodger klar. Überraschend schnell hatte sich alles gelöst: Der Mörder wollte nun auch noch die letzten Werte kapitalisieren und gedachte, sich zum Empfang des Geldes in Wichita einzufinden.

Da brauchte Wyatt Earp ihn nur abzufangen.

Glaubte er. Leider sollte sich das keineswegs als so mühelos erweisen.

Auf den Gedanken, daß der Marshal schon in Shenandoah sein könnte, war der sonst so gerissene Rodney Heeth nicht gekommen. Vielleicht hielt er es nicht für ausgeschlossen, daß der zähe und unbeirrbare Gesetzesmann seiner Spur so weit folgen könnte, hatte aber geglaubt, ihm mit dem Verkauf der Liegenschaften in Shenandoah zuvorzukommen.

Das war ihm nicht geglückt.

*

In der Frühe des nächsten Morgens verließen die beiden Männer das noch schlafende Tal und trotteten hügelan auf die Berghöhe von Lost City zu, an der fast siebzig Jahre später einmal ein großes Restaurant stehen würde, von dessen breiten Fenstern aus die Millionen Besucher Shenandoahs mit einem Gefühl von Grusel und Ergriffenheit einen weiten Blick auf das historische Valley haben würden.

Shenandoah lag hinter ihnen.

Sie gaben die Pferde zurück und reisten mit der Eilpost nach Clarksburg und von dort die gewaltige Strecke durch Ohio, Indiana und ganz Illinois.

Dann begann der weite Ritt durch ganz Missouri hinüber nach Kansas.

Als die beiden Reiter wieder mitten in der Prärie waren, der Wind, der von den Bergen kam, in ihre Gesichter wehte, als sie den Duft des hohen Büffelgrases wieder spürten, atmeten sie auf und setzten sich in den Sätteln zurecht. Sie waren wieder daheim, in ihrem Land, in der Welt, zu der sie gehörten.

Sie hatten jetzt zwei Aufgaben vor sich: Rod Heeth in Wichita abzufangen und vorher noch in Arkansas City die beiden Flemings zu stellen. Die beiden Vettern mußten vorher gegriffen werden, damit das Aufsehen, das die Ergreifung von Heeth möglicherweise in dem großen Wichita verursachte, nicht bis nach Arkansas City drang und die beiden Banditen warnte.

Auch sie mußten still überführt werden, denn es war nicht ausgeschlossen, daß sie mit Heeth in ständiger Verbindung standen. Wyatt beschloß, den Angriff in Arkansas City so spät anzusetzen, daß sicher angenommen werden konnte, daß Heeth schon in Wichita war.

Nun waren die beiden Westmänner nicht einmal in den großen und rauchverpesteten Städten an der Ostküste gewesen, hatten nur eine kurze Zeit in der ruhige, bürgerlichen Welt am Rande des Ostens verbracht und glaubten doch schon, daß ihnen die Welt die Brust hatte einschnüren wollen.

Sie hatten noch dreizehn Tage Zeit, als sie St. Scott erreichten.

Absichtlich vermieden sie es, durch die Mainstreet zu reiten. Unten, wo das Haus des Sheriffs lag und wo auch der Dodger Tischler wohnte, waren auch die Schenken und ganz sicher war es auch jetzt um diese Stunde da noch entschieden zu belebt.

Die Gefahr, dort mit den beiden Flemings zusammenzutreffen, war zu groß.

Daher entschloß sich der Marshal, wieder den bewährten Chinamann aufzusuchen.

Mister Yang war sehr verwundert, die beiden Reiter wiederzusehen. Er führte die Pferde eigenhändig in den Stall und brachte seine Gäste ungesehen ins Haus.

»Sie können bei mir schlafen. Es ist zwar nicht fürstlich, aber ich habe zwei kleine Zimmer, die ich für Sie herrichten lassen werde.«

»Wer richtet sie her?« fragte Holliday, der ewig Mißtrauische.

»Miß Flagert. Sie arbeitet seit sechs Jahren bei mir. Eine gute Frau.«

Er berichtete nun von seinem Ritt auf die H-Ranch. James Heeth habe sich zwar über die Pferde gefreut, die er so rasch und mühelos zurückbekommen habe, und auch sofort ein großzügiges Stück Geld an Yang gezahlt, sei aber sehr elend und hinfällig gewesen.

Ob er etwas von dem ahnte, was ja auch ihn anging? War dieser Rodney doch schließlich sein Bruder!

Wyatt beschloß, den Chinesen so weit einzuweihen, wie unumgänglich notwendig war.

Der kleine gelbgesichtige Mann zog die Stirn in scharfe Falten.

»Die beiden Flemings! Das wird eine böse Geschichte werden. Es sind die gefährlichsten Revolverschwinger im ganzen Cowley County. Sie werden es nicht leicht mit ihnen haben. Vor anderthalb Jahren hat Eg den Revolvermann Larty Carter hier auf der Mainstreet erschossen. Er ist der Gefährlichere von beiden. Aber sein um anderthalb Jahren jüngerer Vetter Ferry ist auch ein rabiater Bursche. Er hat Greg Falton und Jonny Andergan im Gunfight getötet. Egs Liste ist erheblich schwerer und länger. Er hat Dude Vaugham im ›Hufeisen‹ niedergeknallt. Die Hickok-Bande geriet mit ihm drüben im anderen Mietstall in Streit, und Eg Fleming allein schoß drei Mann nieder. Einer von ihnen, Kid Hickok, starb. Zwei der Brüder lagen bei dem alten Doc Koupers. Er hat sie öffentlich verspottet, als sie endlich in die Sättel steigen und wegreiten konnten.«

»Scheint ja eine angenehme Familie zu sein«, meinte der Spieler. »Am liebsten sähe ich mich gleich heute noch nach ihnen um.«

»Wissen Sie vielleicht, wo sie sich im allgemeinen aufhalten?« wandte sich Wyatt an den Chinesen.

»Schwer zu sagen, da ich die Sa­loons ja nicht aufsuche – oder doch nur sehr selten, wenn ich mal von einem, der Geburtstag hat, auf einen Drink eingeladen werde. Warten Sie, ich könnte die Frau fragen.«

Mary Flagert war eine Frau von etwa dreißig Jahren, mit verarbeiteten Händen, hagerem, verhärtetem Gesicht und großen, kranken Augen. Ihr Haar hing ihr wirr in die Stirn. Sie strich es zurück, als der Chinese sie in den Raum führte.

»Es läßt sich ja nicht vermeiden, Mary, daß Sie sehen, daß ich Gäste habe. Es sind Wyatt Earp und Doc Holliday. Ich glaube, der Marshal hat eine Frage an Sie.«

Die Frau blickte den Gesetzesmann aus flackernden, ängstlichen Augen an.

»Setzen Sie sich doch, Miß Flagert.«

Die Frau nahm auf einer Stuhlkante Platz und strich sich wieder das Haar aus dem Gesicht.

»Wir suchen zwei Männer, die ein Verbrechen begangen haben. Es ist vielleicht möglich, wie Mister Yang meint, daß Sie wissen, wo diese Leute anzutreffen sind. Es handelt sich um zwei Burschen, die Eg und Ferry…«

»Fleming?« entfuhr es der Frau. Sie schnellte von dem Sitz hoch. Fahle Blässe überzog ihr Gesicht. Ihre Hände nestelten nervös an dem Schürzenband.

»Kennen Sie die beiden?«

»Kennen – nein, aber ich will nichts damit zu tun haben.«

»Es ist schon gut, Miß Flagert«, sagte der Marshal beruhigend. »Sie können gehen.«

Die Frau verließ hastig das Zimmer.

»Da sehen Sie, welchen Ruf die beiden Halunken hier genießen. Jeder hat Angst vor ihnen.«

Wyatt gab dem Spieler ein Zeichen.

Der erhob sich und gähnte.

»Ich werde noch einmal in den Hof gehen, um einen Augenblick Luft zu schnappen, dann lege ich mich aufs Ohr.«

Er wünschte eine gute Nacht und ging.

Yang zündete sich eine dünne Zigarette an.

»Darf ich Ihnen etwas anbieten?«

»Danke, wir haben unterwegs, kurz vor der Stadt, gegessen, weil wir die späte Abendstunde abwarten wollten.«

Während sich die beiden unterhielten, war der Georgier in den Flur getreten.

Vorn schlug die Tür zum Hof.

Holliday trat an das kleine lukenähnliche Fenster und blickte hinaus.

Drüben schimmerte das weiße Kopftuch der Frau, das sie sich umgebunden hatte, aus der Dunkelheit.

Sie ging auf eine Tür neben den Stallungen zu.

Holliday öffnete die Hoftür und trat hinaus. Wie eine Pumakatze schlich er durch den Hof.

Plötzlich tauchte ein großer schwarzer Schatten vor ihm auf.

Ein großer Schäferhund.

Holliday kraulte ihm den Kopf und sprach leise auf ihn ein. Dann machte er sich weiter auf seinen Weg über den Hof. Er hatte die Stallwand erreicht, als die Tür nebenan wieder geöffnet wurde.

Die Frau kam heraus.

Hart preßte sich der Mann in die Nische der Stalltür. Der Hund stand vor ihm und lief jetzt der Frau jaulend entgegen.

Mit ein paar gezischten Worten verscheuchte sie das Tier.

Holliday folgte ihr mit den Augen.

Sie verließ den Hof durch die kleine Pforte neben dem großen Tor.

Der Gambler wartete nur einen Augenblick und folgte ihr dann. Als er die Pforte öffnete, sah er das Kopftuch der Frau drüben auf einem der Vorbauten.

Die Frau hielt auf die nächste Quergasse zu.

Wie ein Schatten folgte ihr der Mann.

Es ging durch die Quergasse, bis hinunter zu den letzten Häusern.

Da blieb Mary Flagert auf einmal stehen und sah sich um. Sie konnte ihren Verfolger nicht bemerken, da er sich sehr dicht an die Hauswände und Bretterzäune gehalten hatte und seine dunkle Gestalt sich nicht von den nachtschwarzen Schatten abhob.

Die Frau trat auf ein etwas zurückliegendes Haus zu und klopfte an einen der Fensterläden.

Es dauerte eine Weile, ehe geöffnet wurde.

Licht fiel auf die Straße, traf die Frau. Sie wich sofort aus und fuchtelte mit beiden Händen in der Luft herum.

Dann wurde ihr geöffnet.

Sie betrat das Haus.

Knapp eine Dreiviertelminute später stand der Spieler im Dunkel der morschen, hölzernen Hauswand unter dem Fenster.

Aber obgleich er Stimmengemurmel, hastige Ausrufe und Flüche vernahm, vermochte er doch nichts zu verstehen.

»Die Winchester! Meine Winchester, Jim! Wo ist sie? Vorwärts, hol sie sofort!« drang plötzlich eine heisere Stimme durch die Läden. »Ich habe keine Zeit zu verlieren. Bei Yang also, sagst du, Mary! Well, dann müssen sie eben sterben!«

»Aber Ferry! Ich flehe dich an! Du mußt verschwinden!«

»Verschwinden?« schrie der Mann zurück. »Bist du denn verrückt? Wohin sollte ich denn verschwinden? Und weshalb überhaupt? Ich habe ein Gewehr, das sehr weit trägt…«

»Aber das ist doch alles Irrsinn!« war die Frauenstimme wieder zu hören. »Der Mann ist Wyatt Earp! Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen. Und der Doktor ist bei ihm. Du hast doch keine Chance gegen die beiden.«

»Gegen beide – well, das ist schwer. Aber ich werde sie einzeln holen. Und da schaffe ich sie, das schwöre ich dir!«

»Was hast du vor, Ferry? Ich flehe dich an! Bleib hier!«

»Aus dem Weg, Jammerweib!«

»Ferry!«

Dann krachte eine Tür ins Schloß.

Doc Holliday huschte zurück, überquerte die Gasse und schob sich hinter die Regentonne vor dem gegenüberliegenden Haus.

Drüben flog die Tür auf.

Ein Mann stand in ihrem Rahmen. Er hatte ein Gewehr in der Hand, stand breitbeinig da.

Ferry Fleming.

Holliday erkannte ihn sofort wieder.

Es war einer der beiden Männer von der Pferdewechselstation.

Jammernd stürmte die Frau an die Tür.

»Ferry!«

Der Mann schleuderte sie von sich wie ein lästiges Insekt.

Dann sprang er über die drei Treppenstufen auf die Straße und sah sich um.

Ganz geheuer war ihm nicht zumute.

Er stampfte vorwärts.

Die Frau folgte ihm.

Er blieb stehen und riß das Gewehr in Anschlag.

Da brüllte der Schuß aus der Tornische drüben auf und stieß ihm das Gewehr zur Seite.

Der Bandit Ferry Fleming war so verblüfft, daß er keiner Bewegung und keines Wortes fähig war.

Der Georgier trat aus dem Dunkel heraus auf die helle Straße.

Den Revolver hatte er nicht mehr in der Hand.

»Fleming!«

Dieser Ruf brachte den Tramp wieder zu sich.

»Wer bist du?« keuchte er heiser.

»Mein Name ist Holliday!«

»Goddam!«

Ferry Fleming riß die Winchester hoch.

Aber gegen welch einen Schützen unternahm er diesen Wahnsinn!

Von der rechten Hüfte des Spielers fauchte ihn der Schuß an.

Yardshoch stieg die blaßblaue Mündungsflamme und erleuchtete das harte Gesicht des Spielers geisterhaft.

Der linke Arm des Tramps wurde von dem Gewehr losgerissen und zurückgestoßen.

Ein heiserer Wut- und Schmerzensschrei brach aus der Kehle des Getroffenen.

Aber mit zäher Verbissenheit hielt Ferry Fleming mit der Rechten das Gewehr fest.

Da war die Frau heran, warf sich an ihn und entriß ihm die Waffe.

Der gewissenlose Mann riß den Revolver hoch und stieß ihn auf die Zurückweichende vor.

Wieder bellte der Revolver Hollidays auf.

Der Colt des Verbrechers fiel in den Staub der Straße. Ferrymoor Fleming war entwaffnet.

Breitbeinig stand der Outlaw da, mit zuckenden Mundwinkeln und glimmenden Augen.

»Dreh dich um und geh vorwärts, Fleming!« Klirrend wie berstendes Glas klang die Stimme des Spielers.

Die Frau brach in einen Weinkrampf aus. »Ferry!«

Da wandte der Verbrecher den Kopf.

»Hör auf zu flennen, alte Schlampe. Was willst du eigentlich. Es ist mein Leben. Dich hätte ich sowieso nicht geheiratet.« Eine wilde blecherne Lache schloß sich dieser Rohheit an.

Langsam setzte sich der Bandit in Bewegung.

Holliday wußte, daß es mehr als gefährlich war, diesen Mann hier durch die dunkle Gasse, in der er zu Hause war, in der womöglich Freunde von ihm wohnten, abzuführen.

Immer langsamer ging der Bandit.

Und dann machte er selbst dieser Situation ein Ende.

Er warf sich herum und sprang seinem Bewacher entgegen.

Aber er hatte sich in der katzenhaften Gewandtheit seines Gegners verrechnet.

Der Gambler federte zur Seite und hieb dem Vorbeirasenden den Revolverknauf krachend auf den Schädel.

Ferry Fleming brach zusammen und blieb auf dem Boden liegen. Holliday riß einen Streifen von seinem schäbigen Hemd, stopfte ihn zwischen die Zähne des Outlaws, nahm das Halstuch und sicherte den Knebel damit.

Dann fesselte er den Verbrecher mit seinem eigenen Hosengurt und schleifte ihn wie einen Sack hinter sich her.

Fast hatte er die Hälfte der Gasse hinter sich gebracht, als sich plötzlich eine Gestalt aus dem Dunkel der Häuserfronten löste und auf die Straßenmitte trat.

Es war ein großer, wuchtiger Mann, der die Hände in die Hüften stemmte und den Spieler anrief:

»He, was wird das denn?«

Holliday hatte auf der dem Fremden abgekehrten Seite unbemerkt den Colt gezogen.

»Ein Freund von mir«, sagte er halblaut, »hat einen zuviel getrunken.«

»Soll ich helfen?«

»Nein, geht schon.«

Dem Marshal schien die Sache dann aber doch sonderbar vorzukommen, und er kam näher heran, um vielleicht zu sehen, wer sich denn da in so einen totenähnlichen Rausch getrunken hatte.

»Damned, den kenne ich doch, sollte ich meinen! Ist das nicht Ferry?«

»Fleming«, vollendete der Spieler den Satz.

»Richtig. Wo hat der sich denn so vollaufen lassen?«

»Wo schon?« meinte der Georgier.

Der andere kam noch näher an ihn heran.

»Ich glaube, jetzt kenne ich Sie auch. Sind Sie nicht der Freund von Ferry, der Mann aus Wichita, von der Wells Fargo?«

»Genau.«

»Na, dann viel Spaß mit dem Boy.«

Er trollte sich davon.

Holliday schob den Colt ins Halfter zurück.

Der Mann war in einer Quergasse verschwunden.

Aber noch hatte Doc Holliday die Mainstreet nicht erreicht, als aus einem Torweg ein Liebespaar kam.

Das Mädchen schrak zusammen.

»Jack!« schrie es halb erstickt vor Angst. »Was ist denn das?«

Der Bursche kam näher.

»Augenblick, Mann!« knurrte er Holliday entgegen, wohl weniger aus Tatendrang, sondern mehr, um sich nicht bei seinem Mädchen zu blamieren. »Was schleppen Sie denn da durch die Landschaft?«

Holliday blieb stehen und stützte die Hände in die Hüften.

»Sieh zu, daß du weiterkommst, Junge, sonst spanne ich dich hier noch ein.«

»Was schleppen Sie denn da?«

»Einen toten Hund. Schade um ihn. Er hat die Beulenpest bekommen. Ziemlicher Schweinkram und ansteckende Sache. Aber es war ein guter Wachhund. Ein riesiges Tier…«

Der Mann wich zurück.

Das Mädchen zerrte ihn am Arm.

»Komm, Jack, um Himmels willen!«

Die beiden stoben wie von Furien gehetzt davon.

Holliday lachte in sich hinein.

Dann war er an der Ecke der Mainstreet.

Von rechts hörte er mehrere Männer über den Stepwalk herankommen. Sie kamen aus einer der Schenken.

Und ausgerechnet in diesem Augenblick kam der Bandit zu sich, wollte sich aufrichten und stieß dumpfe Laute aus.

Holliday zerrte ihn in eine Tornische und drückte ihm den Colt auf die linke Brustseite.

»Du wirst jetzt sehr still sein, Ferry. So still, als wenn du schon tot wärest.«

Der Mann sank in sich zusammen und rührte sich nicht.

Vorn auf der Mainstreet verließen die Männer jetzt den Vorbau und traten auf die Gassenmündung.

Zu Hollidays Ärger blieben sie stehen.

Es waren zwei jüngere Burschen und ein älterer Mann.

Sie unterhielten sich laut und lachten dann schallend.

Dann zerrte der eine der beiden Burschen den älteren Mann am Rockzipfel.

»Komm, Ed, wir gehen noch auf einen Sprung zu Donegan, da gibt’s immer noch einen Süßen.«

»Ich mag das süße Gesöff nicht!« knurrte der Mann.

»Sei kein Hampelmann und komm mit!«

»Ach, du willst bloß wegen der Weiber dahin. Ich kenne dich doch. Die kleine Dicke hat es dir angetan.«

Der Bursche lachte gackernd und zerrte den anderen mit. Sie waren jetzt nur noch etwa drei Yard von Holliday entfernt.

Der andere stand noch unschlüssig auf der Gassenmündung.

»Komm doch auch mit, Frank!«

»Ich weiß nicht. Es ist ziemlich spät.«

»Unsinn! Ole Naderson spielt einen auf. Das gibt doch Spaß. Come on!«

In diesem Augenblick schleuderte Ferry Fleming sich hoch und stieß einen unartikulierten Laut aus, der dumpf durch den Knebel drang.

Die beiden Männer, die an der Hauswand standen, fuhren wie vom Blitz getroffen zusammen.

Auch Frank, der noch ein paar Yards zurück stand, hatte einen gewaltigen Schrecken bekommen.

Da zog der Gambler den Coltknauf hart über den Schädel des Verbrechers und verließ schaukelnd und torkelnd die Tornische.

»Damned, hat diese Figur mich erschreckt!« entfuhr es dem kleinen Gerry Hammerer. »Kommt bloß weiter. Der Schreck sitzt mir noch in allen Gliedern.«

Holliday schaukelte an der Wand entlang.

Da stoben die beiden zurück.

Auch Frank wich aus.

Hammerer und der Butcher Collins stampften vorwärts.

Frank O’Connor machte einen Schritt zur Seite und sah Holliday nach, dann ging er dicht an der Wand entlang weiter – und stolperte über die Füße Ferry Flemings.

Wie von der Tarantel gebissen, fuhr er hoch und spurtete los.

Die beiden anderen empfingen ihn lachend.

»So geht’s einem, wenn man so lange zögert!« rief der kleine Gary Hammerer.

Lachend zogen die drei Zecher die Gasse hinunter.

Frank O’Connor war viel zu froh, seinen Schrecken überwunden zu haben, als daß er sich noch lange Gedanken darüber hätte machen wollen, über was er denn da eigentlich gestolpert war.

Holliday kehrte sofort um, packte den schwer Betäubten, zerrte ihn hoch und zog ihn sich über die Schulter.

Obgleich der Outlaw nur knapp einsachtundsechzig maß, war er schwer wie Blei.

Holliday hatte die Straßenmitte erreicht, als Wyatt Earp ihm entgegenkam und ihm die Last abnahm, die er leichter zu tragen vermochte.

»Ich war schon hier, als die drei ankamen. Aber ich sah, daß Sie selbst mit ihnen fertig wurden.«

»War eine ziemlich brenzlige Sache«, meinte der Gambler feixend. »Aber wir haben sie ja geschaukelt.«

Und als sie im Hof waren, deutete er auf Ferry.

»Da haben Sie den ersten. Keine Ahnung, wo der andere steckt.«

Der Chinese tauchte auf der Treppe im Hof auf.

»Ist etwas geschehen?«

»Absolut nichts«, sagte Holliday.

Yang kam in den Hof – und schlug erschrocken die Hand vor den Mund, als er den leblosen Menschen am Boden liegen sah.

»Wer ist das?«

»Ferry Fleming! Ihre prächtige Miß Flagert hat ihn gewarnt. Doc Holliday ist ihr dann gefolgt. Wahrscheinlich hatte sie ausgerechnet mit diesem Burschen einmal etwas zu tun.«

»Das ist natürlich nicht ausgeschlossen«, verteidigte sich der Chinese, »aber ich konnte es ja nicht wissen.«

»Natürlich nicht. Mich würde nur interessieren, wo der andere Fleming steckt.«

»Es kann sein, daß er vorn im Hufeisen ist oder im Silber-Saloon. Bei Jenkins ist um diese Zeit auch noch Betrieb. Aber es ist vielleicht nicht richtig, die ganzen Schenken abzusuchen.«

»Wissen Sie, wo Eg Fleming wohnt?«

»Nein, die Stadt hat mehr als tausend Einwohner. Man kann unmöglich wissen, wo die einzelnen Leute wohnen, mit denen man nie etwas zu tun hat. Halt, das heißt, ich glaube, Eg Fleming wohnt neben dem Post Office.«

Holliday stieß einen leisen Pfiff aus.

»Ich glaube, da geht mir eine Lampe auf. Unterwegs sprach mich ein Mann an, der mich für Eg Flemings Freund aus Wichita hielt, für einen Postknochen…«

Wyatt begriff sofort den Gedankengang des Georgiers. Da schien ja schon die Verbindung zur Overland hergestellt. Schließlich hatte Rod Heeth die Postkutsche ja nicht aus der Luft herbeizaubern können. Wenn seine Kumpane, die beiden Flemings, so dicht mit den Wells Fargoleuten bekannt oder gar befreundet waren, ließ sich so etwas schon machen.

Wyatt wußte jetzt, wo der ältere der beiden Tramps wohnte, und machte sich auf den Weg.

Das Post-Bureau lag unten im Süden der Stadt, hinter dem Sheriffs Office, und der Silver Saloon gegenüber der City Hall, gleich neben dem Barbier.

Wyatt erinnerte sich sehr genau daran, da er sich immer, wenn er in eine fremde Stadt kam, zuerst nach dem Sheriffs Office, nach einem ­Boardinghouse, nach einem Mietstall und nach dem Post Office umsah.

Die Straße war dunkel.

Nur aus wenigen Häusern stahl sich noch ein schmaler schwacher Lichtschein auf die Mainstreet.

Unten, wo sich die Straße zu markt­ähnlicher Breite weitete, war es heller.

Aus den Schenken fiel gelblicher Lichtschein und zeichnete lange, ­verzerrte Karees in den Sand der Straße.

Da links war das Post Office, und daneben sollte Eg Fleming wohnen.

Wyatt trat auf den Vorbau und war gleich darauf an der Haustür.

Drinnen war alles still.

Irgendwo in einem Hof jaulte ein Hund.

Wyatt lauschte an der Tür.

Die Leute schliefen keineswegs.

Hinten aus der Küche, die zum Hof hin lag, drangen noch Laute in den Hausgang.

Eine Ofentür wurde zugeschlagen.

Eine Frau lachte girrend und hustete dann schrecklich.

Wyatt entschloß sich, dem Verbrecher Eg Fleming möglichst keine Chance zu lassen.

Er verließ die Tür und schwang sich vom Vorbau aus mit einem weiten Satz über die Fenz in den Hof.

Da rasselte eine Kette über ein Holz.

Ein großer Hund schoß wild bellend aus seiner Hütte. Wie lang war seine Kette? Das Tier kläffte gefährlich. Wyatt blieb hinter dem Tor stehen und wartete ab.

Es würde nicht lange dauern, dann mußte oben die Holztür geöffnet werden.

Das geschah auch.

Eine spröde Frauenstimme rief dem Tier etwas zu.

Aber der Hund gebärdete sich wie toll.

»Sei still, dämlicher Köter!«

Die Frau winkte ab.

Der Hund zerrte an der Kette und jaulte zum Steinerweichen.

»Ann, was ist los?« rief eine Männerstimme aus dem Innern des Hauses.

»Nichts, Vater, Bill hat wieder seine Flausen.« Die Frau wandte den Kopf und blickte zum Tor hinüber.

»Ja, Ann, ich bin’s«, sagte Wyatt mit heiserer Stimme. »Ist Eg zu Hause?«

»Nein, er ist doch in Wichita.«

»Ach ja, vielen Dank.«

Wyatt öffnete die Pforte neben dem Tor und ging. Er hörte noch die quäkende Männerstimme aus dem Haus rufen.

»Wer ist da, Ann? Mit wem sprichst du?«

»Ach, es war, glaube ich, Jan Halders, er fragte nach Eg.«

»Nach Eg?«

»Ja, Vater.«

Dann wurde die Hoftür geschlossen, und der Hund war endlich still.

Wyatt ging eilig zu Yangs Mietstall zurück.

Die beiden hatten ihn schon erwartet.

»Mister Yang, ich muß Sie noch um einen letzten Gefallen bitten. Holen Sie mir bitte den Sheriff her.«

Der Chinese nickte. »Selbstverständlich.«

Er kam sehr schnell mit Hampton zurück.

Atemlos stand der Sheriff vor Wyatt.

»Mister Earp, Sie sind wieder in der Stadt?«

»Ja, wie Sie sehen. – Hier, der Mann, den wir da auf die Treppe gesetzt und gefesselt und geknebelt haben, ist Ferry Fleming.«

»Um Himmels willen!« entfuhr es dem Gesetzesmann.

»Was erschreckt Sie denn so?«

»Die Flemings sind die schlimmsten Schießer der ganzen Stadt. Wenn ich den da festsetzen soll, wird mir sein Vetter den Laden mit Kugeln zertrümmern.«

»Keine Sorge, der liebe Eg ist in Wichita, und den kaufe ich mir anschließend. Setzen Sie diesen Mann fest. Ich klage ihn an wegen Raubmordes an Elizabeth Wardrup bei der alten Pferdewechselstation.«

»Das sollen die Flemings gewesen sein?«

»Nicht allein. Aber sie waren dabei.«

»All right, Marshal. Sie können sich auf mich verlassen. Aber ich hole den Mann erst ab, wenn die Schenken geschlossen sind und ich nicht Gefahr laufe, von einem seiner Freunde gesehen zu werden.«

»Wie Sie wollen.«

Wyatt verabschiedete sich von dem Chinesen.

»Leider bin ich nun nicht mehr in der Lage, Ihre Gastfreundschaft noch länger in Anspruch zu nehmen. Eg Fleming ist in Wichita, wo auch der dritte Mann ist, den wir suchen. Weil zu befürchten ist, daß die beiden, zumindest aber Fleming, von hier aus gewarnt werden, müssen wir sofort reiten.«

*

Sie verließen Arkansas City und ritten in die Nacht hinaus nach Norden auf der Overlandstraße nach Wichita.

Etwas über fünfzig Meilen lagen vor ihnen. Die beiden Westmänner machten nur einmal, gegen zwei Uhr, eine kurze Rast und setzten ihren Eilritt dann fort.

Noch vor dem Morgengrauen ritten sie bei McConells Livery Stable über die Arkansas-Brücke, an der sich Wyatt vor mehr als einem Jahrzehnt mit Manne Clement und seinen texanischen Cowboys hatte herumschlagen müssen.

Wichita schien sich in diesen zehn Jahren kaum verändert zu haben. Well, es war wohl größer geworden, aber in der Mainstreet fand Wyatt noch allenthalben die alten Saloons, dieselben Namen an den Häusern, und da drüben rechts war auch das immer noch sehr kleine Marshals Office. Schräg gegenüber stand das Eckhaus, in dem er Doc Holliday zum ersten Mal gesehen hatte.

Sie bogen in die Lincolnstreet rechts an, passierten noch den Oliverway und hielten an dem großen Haus Lincolnstreet und Edgemoor an.

Wyatt rutschte aus dem Sattel, blickte über die Fassade des Hauses, sah, daß es neu gestrichen war, und ging auf das Hoftor zu.

Es war nicht verschlossen.

Sie zogen die Pferde in den Hof, sattelten sie ab und brachten sie in den großen Stall, in dem noch drei Tiere Platz gefunden hätten.

Dann setzten sie sich auf einen Bretterstapel unter dem Wagendach und blickten wartend dem heraufdämmernden Tag entgegen.

Es wurde kein Wort gesprochen. Jeder hing seinen Gedanken nach.

Wyatt Earp dachte an die heißen Tage, die er zu Beginn der 70er Jahre in dieser Stadt verbracht hatte. Hier hatte er mehr Feinde und mehr Widerstand in der Bevölkerung gefunden als sonst irgendwo. Die Leute, die sich hier niedergelassen hatten, wollten den jungen, fortschrittlichen Marshal nicht, der gegen das Tragen von Schußwaffen war, der den Cowboys verbot, bewaffnet und in Scharen in die Stadt zu stürmen, um sich zu betrinken und dann vom Sattel aus mit ihren Colts in die Gegend zu knallen. Sie mochten ihn nicht, weil es ihm nicht einerlei war, was im großen Keno-House geschah, was sich in den anderen Spielsaloons ereignete. Sie fühlten sich von ihm zu sehr auf die Finger gesehen. Dennoch hatte er, als er sich dann 1876 entschloß, in ­Dodge den Job als Marshal anzunehmen, schon einige gute Freunde hier gefunden, die den aufrechten Gesetzesmann zu schätzen gewußt hatten. Einer von ihnen war der Sägereibesitzer Joe Walker.

Und genau in dessen Hof warteten die beiden ­Dodger jetzt den Morgen ab.

Sie brauchten übrigens nicht allzulange zu warten. Drüben im Haus schimmerte schon nach einer Dreiviertelstunde ein Lichtschein durch die Fensterläden. Dann zog oben aus dem Kamin ein Rauchfaden.

Wenige Minuten später wurde das Tor geöffnet, und ein großer, kräftiger Mann kam heraus.

Er hatte den Schlüssel für die große Werkstatt im Hintergrund des Hofes an einem gewaltigen Bund bei sich und sah die beiden Männer drüben unter dem Wagendach noch nicht.

»Hallo, Joe!« rief ihn Wyatt an und erhob sich.

Walker blieb wie angenagelt stehen und lauschte dem Klang dieser Stimme nach.

»Laust mich jetzt der Affe, oder war das eben wirklich Wyatt Earp?« Dann sah er den Marshal. »He, Wyatt! Ich werde verrückt. Sind Sie es denn wirklich?«

Der Marshal ging auf ihn zu und drückte ihm die Hand.

»Yeah, Jo, leider kamen wir so spät, oder besser gesagt, so früh, daß es ausgeschlossen war, Sie zu wecken. Wir haben da ganz gut gesessen.«

»Wir?«

Der Spieler kam aus dem Dunkel des Wagenüberdaches heraus.

Wyatt deutete auf ihn.

»Das ist Doc Holliday – und das ist Joe Walker.«

Die beiden Männer begrüßten einander.

Der Sägemüller schlug die Hände zusammen.

»Wyatt Earp und Doc Holliday in der Stadt! Ich glaube, wenn die Leute das wüßten, läge keiner mehr im Bett. Sie sind ja ein ganz großer Mann geworden, Wyatt. Wer hier früher noch gegen Sie war, der ist entweder nicht mehr hier oder aber längst bekehrt. Ein paarmal hat es sogar Ihretwegen Schlägereien in den Saloons gegeben. Da hat einmal unten bei der alten Blitterwyk einer über Sie geschimpft. Sie hätten erleben müssen, wie die Leute es ihm gegeben haben. Unser Wyatt Earp! hieß es da. Er hat in Wichita angefangen und dann den ganzen Westen aufgeräumt. Nach dem Gunfight unten im Tombstoner O. K. Corral war hier tagelang nur von diesem Kampf die Rede. Unser Wyatt Earp!«

Wyatt erklärte dem Sägemüller in kurzen Worten, was ihn in die Stadt geführt hatte.

Walker nickte. »Ja, Eg Fleming kenne ich, dieser Revolverschwinger hält sich häufig bei Jeff Timmermans auf und führt da das große Wort. Den anderen kenne ich nicht. Heeth? Aber da fällt mir ein, daß es unten an der Grenze, irgendwo bei Arkansas City, eine große Ranch gibt, deren Besitzer Heeth heißt. Er hat vor Jahren hier einmal einen Wagen bauen lassen, als er mit seinen Boys vor der Stadt in den Vieh-Corrals lag.«

Walker hatte sofort einen guten Gedanken.

»Wenn Sie diesen Rod Heeth beim Post Office abfangen wollen, dann können Sie nirgends besser als bei Sam Bonny auf ihn warten. Der wohnt schräg gegenüber von der Post. Ein Freund von mir. Hat einen kleinen Laden für Lebensmittel. Am besten gehen wir gleich zu ihm, ehe es hell geworden ist…«

Der kleine Sam Bonny war sofort bereit, dem berühmten Gesetzesmann Quartier zu geben. Auch der Gunfighter Doc Holliday war ihm willkommen.

»Es ist mir eine Ehre, Gents«, sagte er und führte sie sofort in die beiden kleinen Zimmer im Obergeschoß, deren Fenster zur Straße hinausführten.

Von hier aus konnten die beiden Dodger in abwechselnder Wache die Straße und das Post Office stets unauffällig im Auge behalten.

Walker verabschiedete sich und versprach für die Pferde zu sorgen.

»Ich werde ja schnell genug erfahren, wenn etwas passiert, Wyatt. Und wenn Sie einen Helfer brauchen, lassen Sie sofort nach mir schicken.«

Wyatt drückte dem Freund die Hand und bezog dann gleich an seinem Fenster Posten, während Holliday unten mit Bonny wegen des Frühstücks verhandelte.

Unten auf der breiten Mainstreet begann der Tag seinen Lauf zu nehmen.

Überall gingen die Türen auf, und die Menschen machten sich an ihr Tagewerk.

Wie manchen kannte der Marshal sogar mit dem Namen, der da unten vorüberging, die Straße kreuzte oder in einem Laden verschwand.

Der alte Hickleton lebte also immer noch! Da schlurfte er, gebeugt wie damals schon, über den Gehsteig, mit der Milchkanne in der Hand.

Vielleicht war sein Gesicht der Erde noch mehr zugeneigt als damals. Er mußte schon auf die neunzig zugehen.

Marty Hannussen öffnete seinen Eisenwarenladen.

Wyatt sah das hagere Gesicht des einstigen Waffenschmiedes, mit dem er sich häufig unterhalten hatte. Der Mann trat auf den Vorbau, stemmte die Hände in die Hüften und blickte die Straße hinunter. Mit seiner tiefen Baßstimme grüßte er einen Vorübergehenden und zupfte dann, wie er es immer zu tun pflegte, seine Weste nach vorn.

Die Westernstadt war erwacht, und bald schlug ihr Pulsschlag hier unten im Zentrum der Mainstreet.

Schwere Prärieschooner kamen von beiden Seiten und rollten knirschend über den festen Boden, leichte Buggys surrten vorbei, und drüben aus der Quergasse kam ein Highlander nach dem anderen von den kleinen Farmen, die im Nordosten der Stadt lagen und einen Mann zum Einkaufen schickten.

Es hatte sich schon geändert, dieses einst so heiße und wilde Wichita. Es war lebhafter geworden, betriebsamer, geschäftiger. Man merkte, daß es größer geworden war. Mehr Menschen bevölkerten die Mainstreet. Menschen, die teilweise erheblich bessere Garderobe trugen als damals vor zehn Jahren, als das einstige Camp Davidson eben Wichita geworden war…

Ein alter weißhaariger Mann öffnete das Post Office, schob die drei Eisengitter zur Seite und schleppte sie in den Hof.

Und da geschah es auch schon.

Aus der Gasse, die hier auf Wyatts Seite in die Mainstreet mündete, sprengte ein Reiter, der den Posthalter beobachtet haben mußte, rutschte aus dem Sattel, machte sich gar nicht erst die Mühe, die Zügelenden um den Querholm zu werfen, sondern setzte über die beiden Vorbaustufen und war gleich darauf im Office verschwunden.

Rodney Heeth!

Und das Pferd, das da unten auf der Mainstreet stand, war der schwar-ze Hengst Wyatt Earps!

Der Marshal wandte sich sofort um und lief hinunter. Holliday lehnte neben der Haustür.

»Schon gesehen?« fragte Wyatt.

»Natürlich. Ich habe dem Hengst schon gepfiffen. Sehen Sie, daß er die Ohren spitzt, und jetzt kommt er herüber.«

Wyatt öffnete die Tür. »Gehen Sie ans Hoftor, Doc.«

Der Spieler verschwand.

Langsam trat der Marshal auf den Vorbau.

Der Rappe wieherte auf, als er seinen Herrn erkannte.

Da trat drüben der Bandit aus dem Office.

»He, Schwarzer!« rief er heiser, als er sah, daß sich der Hengst selbständig gemacht hatte. Dann lief er auf die Straße und folgte dem Tier.

In dem Augenblick, in dem er die Rechte nach der schleifenden Zügelleine ausstrecken wollte, sah er den Missourier.

Wie versteinert blieb er stehen und starrte ihn aus weiten Augen an.

»Wyatt Earp!« entfuhr es ihm.

»Ja, Rod Heeth!« entgegnete der Marshal eisig.

»Was wollen Sie?« brach es von den Lippen des Mörders. »Ich…«

»Zunächst will ich mein Pferd und den Waffengurt, den Sie da tragen. Er gehört nämlich mir. Samt den beiden Revolvern, die daran hängen.«

Jetzt zeigte sich, daß dieser Rodney Heeth keineswegs der Mann war, für den ihn sein Bruder hielt. Er war ein gefährlicher und brutaler Verbrecher. Das, was er bisher getan hatte, waren keine Affekthandlungen gewesen.

Er stieß eine bellende Lache aus, warf sich dann gedankenschnell unter den Pferdeleib, riß den kleine-

ren Revolver aus dem Halfter und schoß.

Aber zwei Kugel stießen ihm den Arm zurück.

Wyatt Earp und Doc Holliday hatten geschossen.

Die Menschen auf der Straße schrien auf.

»Wyatt Earp!« brüllte ein Mann. »Das ist Wyatt Earp! Zur Seite, Leute!«

Aus dem Marshals Office stürzte ein junger Mann mit dem Stern auf der Brust.

Kid Kay! Er war seit fast einem Jahrzehnt der Hüter des Gesetzes von Wichita, Wyatts einstiger junger Deputy!

Mit weiten Augen sah er zu dem Missourier hinüber.

»Wyatt!«

Der Marshal verließ den Vorbau und zerrte den nur am Arm verletzten Banditen dann unter dem Tier hervor.

Holliday rannte aus dem Hof und blieb in der Mündung der Seitengasse, aus der Heeth gekommen war, ­stehen, den Revolver noch im Anschlag.

Sieben Yard vor ihm auf dem Schecken saß Eg Fleming. Aus kalten Augen musterte er den Gambler.

»Steig ab, Brother!« rief Holliday ihm mit klirrender, nicht einmal lauter Stimme zu.

Der Outlaw trug die Waffen des Georgiers und zog jetzt einen der elfenbeinbeschlagenen Colts.

»Laß das Eisen stecken, Eg. Du kannst nicht damit umgehen«, warnte ihn der Gambler.

Da glitt der Bandit langsam aus dem Sattel und machte drei Schritte auf die Gassenmitte zu.

Auf etwa sechs Yard standen sie einander gegenüber.

Die Colts in den Fäusten.

Eg Fleming war ein mittelgroßer Bursche mit verschlagenen Augen und harten Gesichtszügen. Er reckte sich auf und verzog den Mund zu einer breiten Lache.

»Die Partie steht eins zu eins, Doc Holliday.«

»Das stimmt nicht«, entgegnete der Gambler so leise, daß Fleming Mühe hatte, ihn zu verstehen.

»Wieso?« Die Augen des Tramps wurden unruhig.

»Weil der Colt in deiner Hand nicht geladen ist.«

Fiel er auf den Bluff herein?

Ja, er wandte den Blick, wenn auch nur für den Bruchteil eines Augenblicks, zur Waffe.

Da federte Holliday zur Seite.

Die Kugel des Verbrechers fehlte den Georgier. Holliday stieß den Revolver vor; der Schuß brüllte dem Desperado entgegen und stieß ihm die Waffe aus der Hand.

Aber auch Eg Fleming zeigte jetzt, daß er zur härtesten Sorte der Banditen gehörte.

Er ließ sich zu Boden fallen und zog den anderen Revolver.

Aber so blitzschnell er dieses Manöver auch ausgeführt hatte – er stand vor dem größten aller Gunfighter, den der weite Westen je gesehen hatte. Er war nicht der Mann, der einem Doc Holliday im Revolverkampf wirklich etwas entgegenzusetzen gehabt hätte.

Der Gambler stand wie aus Erz gegossen da; nur die Mündung des Revolverlaufs machte eine winzige Bewegung.

Dann zuckte der Blitz dem Tramp entgegen und entriß ihm auch den zweiten Colt.

Holliday blickte aus kalten Augen auf den Verbrecher nieder.

»Steh auf, Fleming!«

Da tauchte Wyatt Earp hinter der Straßenecke auf. Er hatte den Mörder Rodney Heeth am Kragen gepackt, schleppte ihn auf Fleming zu.

»Hier, sag diesem Mann da, der Eg Fleming heißt, daß du mir eben erklärt hast, er hätte Liz Wardrup erschossen.«

Heeth senkte den Kopf.

Fleming spie vor ihm aus.

»Dreckskerl!« krächzte er, »das wolltest du mir anhängen!«

Inzwischen hatten sich zahlreiche Menschen auf den Gehsteigen angesammelt.

Wyatt rüttelte Heeth kräftig durch.

»Du hast von Prince aus den Brief nach Furnace geschrieben. Der Mann, dessen Namen du dazu benutztest, wußte nichts davon.«

Heeth nickte nur mit gesenktem Kopf.

Vielleicht hoffte er insgeheim doch, Abraham und die beiden Morris-Brüder seien noch unentdeckt und könnten ihn heraushauen. Aber aus diesem Wahn riß ihn der Marshal heraus.

»Das Spiel ist aus, Heeth. Sie sind alle hinter Gittern, Abraham, die Morris-Brüder, Ferry Fleming, und jetzt kommt ihr beide dran.«

*

Sie fanden ihren gerechten Lohn.

Daß der Mörder dem Strick entging, dankte er der Fürsprache des Marshals. Er kam nach Sescattewa in die Steinbrüche der Lebenslänglichen, die er erst nach siebenundzwanzig Jahren als Toter verlassen konnte, um auf dem Boot Hill neben dem Straflager in die Erde zu kommen.

Der alte Rancher nahm es mit Bitterkeit auf. Aber sein krankes Herz überwand auch diesen Schmerz. Er bekam das Geld und konnte seinen Traum verwirklichen, den Schluß an die Bahnlinie zu bauen.

Noch heute führt das kleine Teilstück von der großen Linie Wichita-Tulsa hinüber zu der inzwischen sehr vergrößerten Rinderzucht, die im-mer noch die Bezeichnung H-Ranch trägt.

Wyatt Earp und Doc Holliday waren noch einige Zeit auf der Ranch und machten sich dann auf den Heimweg nach Dodge.

Aber obgleich die Stadt nur hundertfünfzig Meilen vor ihnen lag, sollte es noch ein sehr hindernisreicher Weg werden, der über tausend Meilen weiter wurde und hinunter in die glühende Sierra Arcada führte.

– E?N?D?E?–

Wyatt Earp Box 14 – Western

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