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Eine Heimsuchung I Los Angeles

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Ich heiße Alexander Rief. Ich heiße Alexander Rief. Ich heiße Alexander Rief – und ich glaube, ich werde verrückt.«

Ich saß in der Business Class eines Jumbojets auf dem Flug nach L.A., als ich diese Sätze in mein Notizheft schrieb – wohl weil ich glaubte, dass mir die einfache Wiederholung meines Namens eine Art Halt bieten würde, während sich mein Verstand verabschiedete. Ich hatte meine Skizzen für das Demarco-Projekt in Pacific Palisades durchgesehen und fühlte mich relativ gut, ich hatte gegessen und keinen Alkohol getrunken, weil ich einen schwachen Kopfschmerz verspürte. Er fing etwa eine Stunde nach dem Start in London an, was nichts Ungewöhnliches war – außer dass Kopfschmerzen bei mir selten sind –, aber an diesen Schmerz erinnere ich mich, weil er sich fast wie ein Gegenstand in meinem Kopf umherbewegte, so als würde etwas durch mein Schädelinneres kriechen, vom Nacken ausgehend durch die rechte Kopfhälfte, um sich in der Mitte der Stirn festzusetzen. Ich nahm zwei Aspirin und wartete auf die Wirkung, aber sie schienen nicht zu helfen. Der Schmerz nahm stetig zu, so stark, dass ich ihn nicht mehr ignorieren konnte. Er war nicht bohrend, nicht pochend, aber er war da, unabweislich, und ließ nicht locker. Ich massierte meine Stirn mit den Fingerspitzen, ich rieb sie mit dem kühlenden Gel ein, das ich in der Kulturtasche der Business Class fand, und nahm mir schließlich meine Arbeit vor, in der Hoffnung, dass mir die Ablenkung Linderung verschaffen oder ich zumindest an andere Dinge denken würde als an Blutgerinnsel, Schlaganfälle und Tumoren, die sich immer stärker in meine Überlegungen drängten.

Ich sah mir also die Skizzen für die Demarco-Terrassen an, den Verlauf der Gehwege hinab zum Pool und die Randbepflanzung, ich nahm meinen Stift heraus und fügte den Zypressen, die ich hinter das Poolhaus gesetzt hatte, ein paar Schraffierungen hinzu.

Als ich gerade an den Laubschattierungen arbeitete, spürte ich meinen Arm plötzlich kalt werden, als wäre meine rechte Seite der Zugluft ausgesetzt. Im selben Moment spürte ich, aber ohne es wirklich zu fühlen, dass meine Finger den silbernen Stift fester umschlossen; ein leichter, aber deutlicher Tremor brachte die Spitze des Stifts zum Flirren wie den Zeiger eines Seismographen vor einem größeren Erdbeben.

Und dann begann ich – oder vielmehr meine Hand – zu malen, große kräftige Figuren quer über meine zarte Zeichnung der Demarco-Terrassen. Sie sahen x-förmig aus, doch jeder der vier Arme war horizontal in die Länge gezogen. Meine Hand richtete den Stift auf, damit er die Figuren richtig zeichnen konnte, und wenn eine fertig war, fing die Hand sofort mit der nächsten an. Bald war meine ganze Skizze bedeckt, und ich drehte das Blatt um, damit sie weiterzeichnen konnte – was sie auch tat, zielstrebig, sorgfältig, alle X-Figuren in derselben Größe, ohne dass etwas Hastiges oder Fieberhaftes daran war.

Ich saß da, fast atemlos, während meine rechte Hand selbstständig fortfuhr, die Seite vollzumalen. Einmal legte ich die linke Hand beruhigend auf meine rechte Faust, aber sie schien unfähig, irgendeine Wirkung auszuüben, der Stift bewegte sich weiter, ich nahm meine Linke wieder weg und schaute zu, wie die Masse der X-Figuren die Seite füllte. Wenn das Personal auf dem Gang vorbeilief, beugte ich mich über das Heft, damit es aussah, als würde ich schreiben. Mittlerweile schwitzte ich heftig und wurde von einer Panik ergriffen, die mir völlig unbekannt war. Während sich meine rechte Hand wie aus eigener Willenskraft über das Papier bewegte, fragte ich mich, ob es in meinem Gehirn zu einer Fehlfunktion gekommen war – ob der Kopfschmerz signalisierte, dass irgendein wichtiges Blutgefäß geplatzt war oder meine Neurotransmitter ihren Dienst versagten –, und in meinem inneren Ohr hörte ich ein stummes Wehklagen, den hilflosen Jammer der Verzweiflung, als hätte meine Seele, die Seele von Alexander Rief, die Macht über den Körper verloren, den sie bewohnte.

Der »Anfall« dauerte wohl – ich weiß es nicht genau – fünf oder zehn Minuten, ich hatte nicht auf die Uhr geschaut. Plötzlich hielt meine Hand inne, und der Stift verharrte auf dem Papier. Ich spürte, wie mein Arm wieder warm wurde, als ich ihn sanft mit den Fingern der linken Hand berührte. Ich ließ den Stift fallen und öffnete die Faust. Mein Kopf war nach dem inneren Aufruhr völlig leer, und ich atmete langsam durch. Vorsichtig nahm ich den Stift auf, drehte ihn in den Fingern und schrieb meinen Namen. »Ich heiße Alexander Rief. Ich heiße Alexander Rief …« Es dauerte etwa zehn Minuten, bis ich mich einigermaßen beruhigt hatte und feststellte, dass der Kopfschmerz verschwunden war.

»Ich sitze in der fortschreitenden Dämmerung dieses kalifornischen Gartens«, schrieb ich an dem Abend in mein Tagebuch, »und frage mich, was mir im Flugzeug passiert ist. War es der Arbeitsstress? Ein Mini-Nervenzusammenbruch? Solche abnormen Erscheinungen können einen aus heiterem Himmel treffen, wie ich weiß, aber bis jetzt war mein Leben völlig frei von derartigen Nervenkrisen gewesen, egal wie groß der Stress war, in dem ich mich befand. Jetzt bin ich müde, fühle mich aber völlig normal. Ich habe Stella in London angerufen, aber entschied mich, ihr nicht zu erzählen, was mir widerfahren ist. Ob das klug war, weiß ich nicht. Aber warum sollte ich ihr unnötig Sorgen machen. Morgen Demarco und die Besprechung der Umgestaltungspläne. John-Jo kommt am Dienstag nach.«

Der restliche Abend verlief ohne besondere Vorkommnisse. Ich rief den Zimmerservice an, bestellte und aß einen Teller Capellini, trank eine halbe Flasche Chardonnay und versuchte, so lange wie möglich wach zu bleiben, um den Jetlag zu mildern, meine innere Uhr zu überlisten, die noch auf Londoner Zeit eingestellt war. Ich spazierte durch die kühlen, schwach beleuchteten Gärten des Hotels und dachte wieder an den Vorfall im Flugzeug, ging die Ereignisse der Reihe nach durch auf der Suche nach irgendwelchen Antworten. Eine naheliegende Erklärung fand sich nicht. Zurück im Zimmer, nahm ich mir das Notizheft vor, sah mir die verunstalteten Skizzen für die Demarco-Terrassen an und zerbrach mir den Kopf über das dichte Gewirr kryptischer Figuren, die meine Hand quer über die Seiten gemalt hatte. Was waren das für Zeichen? Was sollten diese verlängerten X-Arme besagen? Auch wenn ich das Notizheft um neunzig Grad drehte, wurde ich nicht klug daraus. In der Senkrechten sahen sie aus wie schematisch dargestellte Sanduhren oder Eieruhren – Zeichen ohne jede Bedeutung, wie es schien. Ich malte eins auf einem Blatt Hotelpapier nach, wobei ich mich plötzlich fragte, ob dieser Akt neue Symptome auslösen würde, aber diesmal gehorchte die Hand meinem eigenen Willen. Wie hatte Hamlet zu Horatio gesagt: »Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt …« Ich machte das Licht aus und schlief relativ schnell ein.

John-Jo Harrigan – mein alter Freund und Kompagnon – raufte sich das rötliche Resthaar und verdrehte die Augen, als er den Blick vom dunstig blauen Horizont des Ozeans abwandte und mich verständnislos anstarrte.

»Demarco ist völlig perplex«, sagte er. »Deine ursprünglichen Zeichnungen haben ihm gefallen. Sehr sogar.«

»Sie waren falsch. Alles war falsch. Die Form des Pools war falsch.«

»Er will einen rechteckigen Pool. Seine Frau ist eine passionierte Schwimmerin. Sie will jeden Tag ihre Bahnen ziehen.«

»Wenn sie die neuen Pläne sieht, wird sie ihre Meinung ändern. Keine Ahnung, was ich mir da gedacht habe. Warte ab, bis du sie gesehen hast, J.-J.« Ich tätschelte seine Hand. »Das Haus wird sensationell.«

»Er sagt, er toleriert keine Verzögerungen.« John-Jo zündete eine seiner stinkenden Zigarillos an.

»›Tolerieren‹ – finde ich gut.«

»Der hat seinen Doktor in Princeton gemacht. Das ist kein bescheuerter Milliardär.«

»Und wir sind keine bescheuerten Architekten. Es gibt keine Verzögerungen.«

Wir liefen auf dem Pier von Malibu in Richtung Strand.

»Ich glaube, auf dem Pier ist Rauchen erlaubt«, sagte ich.

»Was ihn wohl wirklich vor den Kopf gestoßen hat«, sagte John-Jo nachdenklich, »ist die Tatsache, dass du unrasiert zur Besprechung gekommen bist.«

»Ich bin Landschaftsarchitekt, kein Buchhalter.«

»Lässt du dir einen Bart stehen?« John-Jo gluckste, als wäre die Vorstellung völlig abwegig.

Ich strich über mein stachliges Kinn. »Mir war einfach nicht nach Rasieren«, sagte ich trotzig. »California Dreaming.«

John-Jo lachte. »Du bist und bleibst ein alter Hippie. Ich habe Stella gewarnt, sie wollte nicht auf mich hören. ›Stella-Darling‹, habe ich gesagt, ich erinnere mich genau. ›Du heiratest einen gottverdammten Hippie.‹« Er lächelte mich an. »Gehen wir einen trinken«, sagte er und zeigte auf ein Bar-Restaurant, das gerade öffnete. »Danach fahre ich zu Demarco und mache ihm klar, dass du ein Genie bist.«

Ich zog aus dem unmöglichen Luxusschuppen mit den üppig-feuchten Gärten aus, um die Pläne für Demarcos Anwesen in vollkommener Einsamkeit zu überarbeiten, und mietete ein Studio Apartment in Venice, eine Straße vom Strand entfernt, mit Schlafsofa, Duschkabine und Kochnische. Es war ziemlich spartanisch und nach einer nachmittäglichen Putzaktion blitzsauber. Ich besorgte mir einen großen Zeichenblock, ein paar Federn, Pinsel und farbige Tinten und machte mich an die Arbeit. Mir war klar, dass ich etwas liefern musste, was sofort überzeugte; meine neuen Entwürfe unterschieden sich so dramatisch von den alten, dass sich Demarco auf den ersten Blick in sie verlieben musste. Mit Überzeugungsarbeit, egal wie bemüht, war er nicht zu gewinnen. Ich hatte einen einzigen Schuss frei, also mussten die Zeichnungen absolut perfekt sein, die Kühnheit des Entwurfs so zwingend, dass sie auf Anhieb überwältigte.

Ich hatte ein Telefon, aber beschloss, niemandem meine Nummer zu geben. Mit dem Hotel vereinbarte ich, dass meine Anrufe notiert wurden, und mehrmals am Tag ging ich hin, um sie zu erledigen. Weder John-Jo noch Stella sagte ich, dass ich ausgezogen war. Wenn ich anrief, dann scheinbar aus dem Hotel – ein Trick, der leicht umzusetzen war. Erst später sollte er sich als verhängnisvoll erweisen.

»15. Mai. Dienstag, glaube ich. Gute Arbeit in den letzten zwei Tagen, intensiv und konzentriert. Ich könnte diese Zeichnungen an eine Galerie verkaufen. Eine merkwürdige Sache: Ich hatte mich in den vier Tagen seit meinem Umzug nicht rasiert, und der Bart begann zu kratzen und zu jucken. Als ich zur Tat schritt, stellte ich fest, dass ich meine Kinnlade rasieren konnte, aber nicht meine Oberlippe. Ich setzte den Rasierer unter der Nase an, doch meine Hand streikte. Ich versuchte es mit der anderen Hand – ohne nennenswerten Erfolg. Es war, als wären meine Muskeln erstarrt. Als verweigerten sie einfach die Befehle meines Gehirns. Überall sonst, an Wangen und Kinn konnte ich ungehindert herumschaben. Ich spülte den Rasierschaum weg und erblickte die Ansätze eines stattlichen, breiten Schnurrbarts, der nicht an den Mundwinkeln endete, sondern sich in elegantem Schwung über die Wangen erstreckte. Komischerweise gefiel mir, was ich sah. Ich musste an die alten Fotos gewisser Cowboys denken: Buffalo Bill oder Wyatt Earp. Ein Look aus dem tiefsten neunzehnten Jahrhundert, dachte ich – höchste Zeit für ein Revival.«

Woher diese Unbeirrbarkeit? Ich hatte mir nie zuvor einen Schnurrbart wachsen lassen, wieso jetzt? Ich deutete es als unbewussten Wunsch, mich an Venice anzupassen, ein typischer Bewohner dieses bizarren Küstenareals zu werden, das sich zwischen dem biederen Santa Monica und den Industriebrachen der Flughafengegend erstreckt.

Meine Tage verbrachte ich meist arbeitend im Atelier, machte kurze Ausflüge zum Waschsalon und zum Supermarkt, schlief prächtig auf meiner schmalen Couch und ging jeden Morgen bei Sonnenaufgang zum Joggen an den Strand. Mein Schnurrbart wuchs. Einmal sah ich mein Spiegelbild in einem Schaufenster, als ich, die braune Einkaufstüte im Arm, nach Hause lief – ich war in Jeans und T-Shirt, mein grau werdendes Haar wild und ungekämmt –, und es dauerte einen Moment, bis ich mich erkannte. Ein Schnurrbart kann ein vertrautes Gesicht von Grund auf verändern. Ich blieb stehen, ging näher zum Schaufenster und starrte: Was ich sah, gefiel mir. Niemand würde mich erkennen, und ich weiß noch, dass ich still vor mich hin lächelte, während ich weiterlief. Ich rief Demarco an und machte einen Termin für den nächsten Tag. Die Zeichnungen waren vorzeigbar.

An dem Abend ging ich in eine Bar namens Moon. Sie war dunkel und aufdringlich mit Mondmotiven dekoriert: vielfarbige Monde überall. Die Musik war laut und hämmernd, die Kundschaft aber – das war schließlich Venice – bemerkenswert gemischt: alle Altersklassen, alle Looks, von schön bis schräg, also fühlte ich mich wie zu Hause. Ich setzte mich an die Bar und bestellte einen Cocktail namens The Sea of Tranquility, blau in der Farbe, merkwürdig süßsauer im Geschmack – ohne über seinen Gehalt nachzudenken. Ich schlürfte meinen Drink, doch meine Aufmerksamkeit war völlig von dem Mädchen hinter der Bar gefesselt.

»19. Mai. Dieses Mädchen war nicht schön, es hatte ein verhärmtes Gesicht, unregelmäßige Zähne und einen spitzen Stecker in der Unterlippe. Ihre rechte Schulter war dunkel mit irgendeinem verschlungenen kabbalistischen Symbol tätowiert. Sie trug ein verschossenes Turnhemd, Radlerhosen aus Elastan und klobige Wanderstiefel. Nach meinem dritten Sea of Tranquility und meinem dritten Zwei-Dollar-Trinkgeld lächelte sie mich endlich an und fragte, ob ich etwas zu feiern hätte. ›Morgen‹, sagte ich. ›Stell schon mal den Champagner kalt.‹ Sie hatte Ringe an allen Fingern, auch an beiden Daumen, wie ich bemerkte. ›Gut bei Kasse, was?‹, sagte sie unbeeindruckt. ›Wo bist du überhaupt her?‹ Sie wischte die Dollars in ihre Tasche. Ich war betrunken, aber ich wollte sie, wollte diesen Lippenstecker auf meinem Körper spüren. Also sagte ich ihr, wer ich war und wo ich herkam und dass ich morgen Abend wiederkommen würde, zum Champagner. Sie verriet mir ihren Namen: Leandra.«

Ich ging hinunter zum Strand. Es war ein Sonntag, aber der größte Andrang war schon vorbei, nur vereinzelte Rollerblader oder Radfahrer flitzten über die Betonwege, und einige Venezianer waren noch auf den Beinen: die Huren, die Bodybuilder, die Bettler, die Kartenleser, die Monologisierer und etliche andere verlorene Seelen, die murmelnd auf und ab flanierten. Ich kam an einem Gitarristen vorbei (beide Beine amputiert, wie sich zeigte), der in einem Friseurstuhl saß und verhalten ein paar Akkorde spielte, und die Kombination aus der Musik, meinen Seas of Tranquility, dem nahen Ozean mit seiner Brandung und der warmen Brise löste in mir ein tiefes, epiphanisches Glücksempfinden aus. Ich spürte, dass ich an einem wichtigen Punkt in meinem Leben angekommen war – keine radikale Wende oder ein großer Einschnitt, nur an einem dieser Wegzeichen, einem Meilenstein. Ein harmloses Signal des Älterwerdens vielleicht, der inneren Uhr, die mir die Stunde schlägt.

»Ich seh dir an, dass du ein Glückspilz bist«, sagte eine Stimme. »Ein Erfolgstyp.«

Einer dieser Wahrsager mit seinem Standardspruch, dachte ich, drehte mich um und sah einen großen, schlanken Mann mit schwarzem Filzhut und Schärpe, überall Fransen und Perlen, als würde er sich um die entsprechende Rolle in einem Laienspiel bewerben. Er streckte mir ein Büschel Heidekraut entgegen.

»Siehst du«, sagte er. »Du bist ein Schotte, und ich habe Heidekraut. Ich wusste, dass ich heute einen Schotten treffe.«

Kein Wahrsager, dachte ich, nur einer von den üblichen Irren in Venice. »Ich bin Engländer«, sagte ich. »Das ist ein großer Unterschied.«

»O nein, du bist ein Schotte. Kauf mir mein Heidekraut ab. Fünfzig Dollar. Es bringt dir Glück.«

»Nein, danke«, sagte ich und ging weiter. Sein Glück brauchte ich nicht.

»Schenk es doch Sarah.«

Ich stockte.

»Schenk es deinem Mädchen, Sarah. Sarah, deiner Geliebten.«

»Ich fürchte, da liegst du falsch. Hör zu, das wird jetzt peinlich.«

»Dann deiner Tochter Sarah.«

»Ich habe zwei Söhne. Gute Nacht.«

Ich ließ ihn stehen, ging mit großen Schritten davon, verfiel dann wieder ins Schlendern und versuchte das Glücksgefühl heraufzubeschwören, das mich für so kurze Zeit erfüllt hatte, aber es kam nicht zurück. Die absurden Gewissheiten des Wahrsagers hatten mir die Stimmung verdorben, seine Worte nagten an mir, während ich nach Hause ging. Heidekraut als Glücksbringer – wieso? Wer behauptete so was? Aber der Gedanke, dass ich es hätte kaufen sollen, ließ mich nicht mehr los.

Odell Demarco erwartete mich auf der Baustelle: cremefarbenes Hemd mit rehbrauner Hose und cremefarben abgesetzten rehbraunen Schuhen. In das neue Fundament des Hauses, das John-Jo für ihn entworfen hatte, wurde gerade Beton gegossen. Dahinter, dem Ozean zugewandt, lag ein sanft abfallendes Stück Ödland von drei Hektar Größe, das ich in einen Paradiesgarten verwandeln sollte. Sein Lächeln, als wir uns die Hand schüttelten, wirkte ein wenig gezwungen.

»Hey, Alex«, sagte er zur Begrüßung. »Der Schnurrbart – toll. Passt zu dir.«

»Danke, Odell«, sagte ich. Er hatte mir nicht angeboten, ihn zu duzen, aber es war bewährte Praxis bei Harrigan-Rief, nicht vor Klienten zu buckeln, egal wie reich sie waren. Wenn er mit Mr Demarco angesprochen werden wollte, musste er mich mit Mr Rief ansprechen.

»Wo ist Yolanda?«, erkundigte ich mich, es musste sich um die zweite oder dritte Mrs Demarco handeln.

»Yolanda ist ziemlich besorgt, wenn ich ehrlich sein darf«, sagte Demarco, und die Ehrlichkeit glänzte besorgt in seinen Augen. »Sie wollte, dass ich allein mit dir spreche. Aber sie bat mich, auf dem Dreißig-Meter-Pool zu bestehen.«

»Wäre sie doch nur gekommen«, sagte ich. »Der Pool ist jetzt fast sechzig Meter lang.« Ich legte meinen Skizzenblock auf die breite, glänzende Motorhaube seines Wagens. »Können wir anfangen?«

Am selben Abend bestellte ich im Moon eine Flasche Vintage Krug bei Leandra und bestand darauf, dass sie mit mir trank. Ich hörte das Pling ihres Lippensteckers, als das Glas ihren Mund berührte.

»Oh, ich hätte einen Toast ausbringen müssen«, sagte sie. »Was feiern wir?«

Ich erhob mein Glas. »Nieder mit allen Philistern«, sagte ich. Demarco war bemerkenswert ruhig und bestimmt gewesen, als er mich am Vormittag feuerte, und ich sah urplötzlich den Milliardär in ihm, die kalte Überheblichkeit des Magnaten. Er befahl mir, sofort zum Originalentwurf zurückzukehren, was ich höflich verweigerte. Darauf befahl er mir, ihm den Originalentwurf auszuhändigen – mit seinen geraden Terrassen und exakten Symmetrien –, was ich ebenfalls verweigerte. Er drohte mir mit Klage; ich verwies auf verschiedene Klauseln unseres Vertrags. Er verkündete, er werde den Bau des Hauses stoppen und ein anderes entwerfen lassen; also drohte ich ihm mit einer Klage von Harrigan-Rief.

»Sie haben die Möglichkeit, den Entwurf zu akzeptieren oder abzulehnen«, sagte ich. »Mehr nicht.«

»Aber das ist Irrsinn! Wo ist der Pool? Was soll dieser Hügel, den Sie dort hingesetzt haben? Und was ist das?«

»Ein Bambushain.«

»Sind Sie verrückt geworden? Ich mache mich zum Gespött!«

»Sie haben die Chance, sich einen Ruf als Mann von besonderem Geschmack und Weitblick zu erwerben.«

Wir tauschten noch ein paar weitere indirekte Beleidigungen, bis er mich des Grundstücks verwies und John-Jos Nummer wählte.

Im Rückblick glaube ich, dass ihn die Veränderung des Swimmingpools am meisten ärgerte – und der Gedanke an Yolandas Reaktion auf meinen Entwurf. Tatsächlich hatte ich die Aufschüttung eines ungleichmäßigen konischen Hügels vorgeschlagen (anstelle sanft abfallender breiter Terrassen) und um den Fuß des Hügels einen bogenförmigen Wasserlauf, der, in der Mitte verengt, auf der meeresseitigen Flanke des Hügels in ein breites Becken (mit Überlauf) mündet. Es gab keine einzige gerade Linie, und die Wege, die ich vorgesehen hatte, schlängelten sich durch das unebene Gelände und bohrten sich durch künstliche Schluchten, bis sie sich im grünen Dunkel des Bambushains verloren.

Meine Entwürfe überließen nichts der Phantasie. Ich hatte zwei Ansichten gezeichnet: Die eine zeigte die Anlage direkt nach der Fertigstellung, die andere so, wie ich sie mir zehn Jahre danach vorstellte. Alles war bis aufs i-Tüpfelchen geplant. Die Gärten des Hauses Demarco in Pacific Palisades wären die Krönung meines Schaffens geworden.

»23. Mai. Seit drei Tagen habe ich mein Zimmer nicht verlassen. Leandra bringt mir zu essen, zu trinken und Zigaretten, wenn sie aus der Bar kommt. Wir haben es uns zur Gewohnheit gemacht, am Morgen miteinander zu schlafen – sie sagt, dass sie nach ihrer Nachtschicht zu müde ist. Ich fand es enttäuschend, dass sie nur dieses eine Tattoo hat und dass sie ihren Lippenstecker zum Schlafen herausnimmt. Ihr Körper ist auffallend blass. Wenn ich nicht zu verkatert bin, vögeln wir vor dem Frühstück, und sie freut sich über die hundert Dollar, die ich ihr aufdränge. Heute Nacht, sagt sie, bringt sie mir ein paar Pillen, um mich ›ein bisschen aufzupeppen‹, wie sie sagt.«

Leandra und ich verbrachten etwa eine Woche in dieser temporären Zweisamkeit, bis sie meiner überdrüssig wurde. Zumindest nahm ich an, dass es Überdruss war – es konnte auch schlichte Enttäuschung sein. Als sie eines Nachts nicht von der Bar zu mir kam, ging ich am nächsten Tag hin, um sie zur Rede zu stellen, aber sie gab mir unmissverständlich zu verstehen, dass es vorbei war. Ich bot ihr einen Preis von zweihundert Dollar, und sie rief den Manager.

»Du ekelst mich an«, waren ihre letzten Worte. »Schau mal in den Spiegel. Nimm ein Bad. Du stinkst.«

Die nachfolgenden Tage vergingen in einer Art Nebel. Ich ließ das Tagebuchschreiben sein und fing an, hemmungslos zu trinken. Es gab ein Mädchen, das mir aufgefallen war, in einem Spätimbiss, wo ich mir, vom Hunger hinausgetrieben, etwas zu essen besorgte. Eine Mexikanerin, glaube ich, sie hieß Encarnación. Sie war mollig, hatte ein freundliches Lächeln, weißblonde Strähnchen im Haar und viele dünne Goldketten um den Hals. Ich putzte mich heraus und lud sie zum Dinner ein. Wir aßen chinesisch in Santa Monica und gingen zu Fuß zurück – in mein Apartment. Dort küssten wir uns mitten auf dem Fußboden, als es klingelte.

Vor der Tür stand John-Jo Harrigan. Ich sah, wie er einen Blick an mir vorbei auf Encarnación warf, die unbekümmert ihre zerknautschte Bluse glatt strich.

»Komm, Alex. Es geht nach Hause«, sagte John-Jo sanft.

Der Mann, der gerne Frauen küsste

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