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Die Träne eines Harlekins

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Kaum mit dem Karton vom Kostümverleih am Abend nach Hause gekommen, packte Melanie die Kleidung einer Zigeunerin aus und probierte sie an. Es war Faschingszeit. Alle sprachen in der Kleinstadt nur noch über den Maskenball, der im Theatersaal stattfinden sollte. Jeder tat geheimnisvoll, wollte nicht verraten, welche Verkleidung er für sich gewählt hatte. Melanie hatte Glück gehabt, noch dieses Kostüm zu bekommen, denn in jedem Verleih im Umkreis der Stadt leerten sich bereits die Regale.

Ob sie Leon darin gefallen würde, wenn sie sich ihm bei der Demaskierung zu erkennen gab? Sie liebte ihn, den Bäckergesellen, der nicht weit von ihrem Haus entfernt in einer Bäckerei arbeitete. Sie wollten bald heiraten. Prüfend drehte sie sich vor dem Spiegel und schwang dabei den roten Rock. Sie zog das schwarze Mieder straffer über ihren Busen und zupfte an der weißen Bluse darunter, damit ihr Ausschnitt richtig zur Geltung kam. Vorsichtig probierte sie die Perücke mit den langen, schwarzen Haaren auf und steckte eine rote Blume hinein. Keck legte sie sich noch zuletzt das bunte Tuch mit den Fransen um die Hüfte. Ja, so gefiel sie sich und mit der Maske vor dem Gesicht würde Leon sie nicht erkennen. Doch ihn würde sie bald finden. Sie wusste längst, dass er als Harlekin zum Ball gehen wollte. Das würde ein Spaß werden! Sie sah auf die Uhr. Oh, sie musste sich beeilen, bald würde Leon kommen und er durfte nichts von dem Kostüm sehen.

Es nützte ihr aber nicht, dass sie sich schnell die Sachen auszog und den Karton unter dem Schrank versteckte. Leon war an diesem Abend früher als sonst zu ihr gekommen. Angezogen von dem hell erleuchteten Fenster des Hauses hatte er aus der Dunkelheit heraus hineingespäht und sehen können, was Melanie anprobierte. Er wartete noch, bis das Licht im Zimmer verlöscht war, dann läutete er und tat so, als käme er eben erst.

Als der Tag gekommen war und Melanie und Leon getrennt zum Maskenball gingen, frohlockten beide in dem Glauben, den andern bald erkennen zu können.

*

Voller Spannung betrat Leon den bunt geschmückten Theatersaal. Gemurmel vieler Menschen, Rufen, fröhliches Lachen und die ersten Takte der Musik der Kapelle schallten ihm entgegen. Tische und Stühle um die Tanzfläche herum waren noch fast leer. Suchend liefen zunächst die maskierten Menschen umher, immer bemüht, herauszubekommen, wer sich unter dieser oder jener Maske verbarg. Ob Melanie bereits hier war? Er würde sich ihr nicht so bald zu erkennen geben, sondern sie ruhig in der Ungewissheit ein Weilchen zappeln lassen. Das nahm er sich vor. Neben ihm jauchzten zwei auf, die sich erkannt hatten. Das ging ja schnell. Leon ließ seinen Blick umherschweifen. Eigentlich müsste er Melanie auch bald finden. Suchend schob er sich vorwärts durch das Gewimmel der hereinströmenden Menschen.

Die Ersten begannen zu tanzen und drängten ihn von der Tanzfläche. Noch hatte er keine langen schwarzen Haare, noch keinen roten Rock gesehen. Dort aber, der verwegene Seeräuber, war das sein Chef, der Bäcker? Na ja, wer weiß? War wohl doch schwer, jemanden hinter seiner Verkleidung auszumachen. Wie gut, dass er bereits wusste, hinter welchem Kostüm sich Melanie verbarg. Ob sie erst noch kommen würde? Er lehnte sich an eine Säule und wollte den Eingang im Auge behalten. Dröhnend begann die Kappelle zum nächsten Tanz zu spielen. Alle drängten an ihm vorbei zur Tanzfläche. Eine pummelige Bauersfrau mit Apfelbäckchen unter der Maske packte ihn und zog ihn, seine Abwehr nicht beachtend, mit. Wer war sie, kannte er sie? Er war froh, als sie sich nach dem Tanz wieder von ihm trennte.

Da war aber gleich eine andere bei ihm und dann noch eine. Er tanzte und tanzte. Wo war nur Melanie?

Endlich, während des Tanzens sah er eine Zigeunerin an der Bar stehen. Das war sie, seine Melanie. Doch wie sie mit aufreizenden Gesten diesen aufgeputzten Kapitän neben sich anlachte?! ‚Na warte! Gleich hole ich dich da weg’, dachte er. Nahm denn der Tanz mit dieser kokett Verkleideten, die er gerade im Arm hielt, kein Ende? Mit dem letzten Ton der Kapelle löste er sich von ihr und ließ sie einfach stehen. Er lief zur Bar. Melanie war weg. Verdammt! Es war ja nicht so einfach, in dem Gewühle von quirlenden Menschen jemanden zu finden.

Viel Zeit war so vergangen. Wie oft sah er schwarze Haare im Tanz vorbeifliegen, wenn er aber glaubte, sie zu haben, war sie wieder verschwunden.

*

Erhitzt durch das Tanzen ging er in vorgerückter Stunde hinaus in einen Gang, der zum Park führte, um sich abzukühlen. Hier drückten sich im Halbdunkel schmusende Pärchen herum, die dem Trubel im Saal für kurze Zeit entfliehen wollten. Grinsend sah er sich um. ‚Wer weiß, wer hier mit wem?’ … dachte er noch, dann erstarrte er. Eine Zigeunerin lag eng umschlungen in unzweideutiger Pose im Arm dieses verwegenen Seeräubers. Wie gebannt blieb er stehen. Melanie! Das tat weh! Sie konnte unmöglich glauben, dass er der Seeräuber sei. Nein, ganz eindeutig hatte sie Vergnügen daran, sich von diesem Kerl küssen zu lassen. Am liebsten wäre er hingegangen und hätte die beiden auseinandergerissen. Er spürte bereits, wie ihm vor Enttäuschung Tränen in die Augen stiegen. Sollte er dastehen wie ein weinender Harlekin? Wie konnte sie ihm das antun? Er lief in eine stille Ecke und wischte sich die Tränen ab. Er hatte sich ihrer immer so sicher gefühlt. Musste er umdenken, an ihrer Treue zweifeln? Enttäuschung wandelte sich in Zorn.

Als die beiden sich voneinander lösten und in den Saal zurückgingen, rief er laut: „Sie gehört zu mir!“ Wie von Sinnen vor Wut und Enttäuschung rannte er ihnen nach. Er achtete nicht auf die Menschen ringsrum, ergriff die Zigeunerin, presste die Widerstrebende an sich und küsste sie, dass ihr die Luft wegblieb.

Einen Moment schien sie erstarrt in seinen Armen zu verharren. Dann stieß sie ihn von sich und haute ihm eine runter, dass ihm der Kopf zur Seite flog.

„Aber Melanie “, stammelte er verstört und wollte erneut nach ihr greifen. Sie wehrte sich; ihre Maske verrutschte.

„Chefin!“ Entsetzt wich Leon zurück. Vor ihm stand die Bäckersfrau. Er hielt sich die Wange und spürte, wie ihm das Blut zu Kopf stieg. Der Seeräuber machte einen drohenden Schritt auf ihn zu. Es war sein Chef, der Bäcker.

Jetzt legte jemand von hinten eine Hand auf seine Schulter. Er drehte sich um … Klatsch, traf seine andere Wange ein kräftiger Schlag. Vor ihm stand noch eine Zigeunerin.

„Ich habe alles gesehen. Hast du geglaubt, ich weiß nicht, wer du bist?“, rief sie und rannte weinend davon.

„Melanie!“ Er sah sie im Getümmel verschwinden. Fröhliche, lachende Menschen machten es ihm schwer, ihr zu folgen.

Aber es war doch nur ein Maskenball!

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