Читать книгу Wo ist Babahu - 5 Folgen in einem Buch - ohne Bilder - Wilma Burk - Страница 4
Viel zu viele Katzen
ОглавлениеAm Rande einer Stadt gab es einen kleinen See, um den sich viele hübsche Gärten mit einzelnen Häusern drängten. Manche davon waren einfach, andere anspruchsvoll. Hier lebte eine alte Frau einsam und allein im kleinsten Haus einer Straße. Niemand sah nach ihr. Wer kannte noch ihren Namen? „Katzenmutter“ nannte man sie.
Jeden Nachmittag pünktlich um vier Uhr stand sie in ihrem Garten und rief: „Miez, Miez, Miez!“ Es war Futterzeit. Dann kamen sie von allen Seiten heran, die braunen, die schwarzen, die weißen und die gefleckten Katzen, sie sprangen über Zäune oder krochen darunter durch. Wie viele waren es? Wusste es die alte Frau noch?
Zuerst war es ein Nachbar gewesen, der ihr eine herrenlose Katze gebracht hatte, dann noch einer und noch einer. So wurden es immer mehr, bis die Nachbarn die umherstreunenden Katzen nur noch als Plage empfanden.
Da war wohl niemand mehr, der auf die alte Frau gut zu sprechen war, weder die Müllers noch die Meyers, auch nicht Frau Ludwig oder die Familie Becker, schon gar nicht der unmittelbare Nachbar, Herr Ritter „Die Alte ist doch nicht mehr ganz richtig im Kopf“, sagten sie und: „Man sollte ihr die vielen Katzen wegnehmen.“
Besonders Herr Ritter tat sich damit hervor, ihr anzudrohen, er werde jede Katze fangen und im Tierheim abgeben, die noch einmal in seinen Garten käme. Doch bisher hatte er es nicht getan.
Die Kinder in der Straße, die längst hörten, wie abfällig die Erwachsenen über sie sprachen, plärrten ihr bald hinterher: „Katzenhexe“. Es machte ihnen Spaß, sie zu ärgern. Besonders schlimm war es im Winter, wenn der kleine See zugefroren war, wenn Schnee lag, dann war das Haus der Katzenmutter und ihre Katzen ein willkommenes Ziel für Schneebälle. Die donnerten nur so gegen ihre Fensterscheiben. „Da drin ist alles voller Katzendreck!“, schrieen sie und: „Die Alte stinkt!“ Dabei hielten sie sich ihre Nasen zu. Der Schlimmste von allen war der Dennis Becker, gerade zehn Jahre alt. Er war bemüht, den andern Kindern der Straße mit neuen bösartigen Einfällen zu imponieren.
Die Nachbarn sagten nichts dazu, rügten die Kinder nicht einmal oder ermahnten sie. Sie wünschten und hofften, die Katzenmutter würde es bald leid sein und aus ihrer Straße wegziehen. „Sie stört“, sagten sie, „Sie passt nicht hierher.“
Längst lagen die Eisluchse, die böse Menschen erbeuten wollen, auf der Lauer. Bei so viel Missgunst mussten diese Menschen für sie doch zur leichten Beute werden. Nur noch ein paar Bösartigkeiten fehlten, dann könnte kein Magihexer mehr an sie herankommen und sie ihnen streitig machen. Am Ende ihres Lebens würden diese Menschen zu Eistropfen werden und sie könnten sie für alle Ewigkeit mitnehmen in ihr eisiges Reich am Nordpol.
Sie jubelten, als einer der Nachbarn, vielleicht Herr Müller oder Herr Meyer, Gift in seinem Garten auslegte. Sofort rückte einer der Eisluchse dicht an ihn heran und rieb sich frohlockend die Pfoten.
Schon bald danach schleppte sich mühsam eine Katze mit Schaum vorm Maul zur Katzenmutter. Entsetzt wickelte sie das sich vor Schmerzen windende Tier in eine Decke, legte es auf ihren kleinen Handkarren, kratzte ihr Erspartes zusammen und lief so schnell sie konnte zum Tierarzt. Der aber konnte nicht mehr helfen, die Katze starb qualvoll.
Weinend, mit ihrem leeren Handkarren, lief die Katzenmutter nach Hause durch die Straße, in der die Nachbarn schweigend hinter den Fenstern standen.
Keiner fand ein Wort der Empörung oder des Bedauerns für sie. „Eine Katze weniger“, freute sich sogar einer.
Plopp, gleich saß ein Eisluchs bei ihm, wie bei dem, der das Gift ausgelegt hatte. Die andern warteten sprungbereit nur darauf, dass ein weiterer Nachbar einen bösen Wunsch äußerte. Nein, die Magihexer brauchten nicht erst zu kommen, bei diesen Menschen würden sie nichts mehr ausrichten können, dafür wollten die Eisluchse sorgen.
Doch noch ehe sie sich versahen, waren die Magihexer da und mit ihnen die Koboldiner. Die kümmerten sich sofort um die Katzen und sorgten dafür, dass keine mehr von dem Gift fressen konnte.
Die Magihexer sahen sich um und staunten, wie viele Eisluchse hier waren. Babahu juckte es, nicht nur denen, sondern auch diesen überheblichen Nachbarn einen Streich zu spielen. Aber Satano bremste ihn. „Dazu ist das, was hier geschieht, viel zu ernst“, meinte er.
„Gibt es in dieser Straße überhaupt noch einen Menschen, der keine leichte Beute für die Eisluchse ist?“, fragte Jojotu, der Tröster, entsetzt. „Was können wir tun? Wie soll ich die Katzenmutter trösten bei diesem Unfrieden?“
„Wir müssten jeden einzelnen der Nachbarn beeinflussen. Wie aber können wir das schaffen bei so vielen Eisluchsen?“ Ermano war ratlos.
„Und doch kann es in dieser Straße nur Frieden geben, wenn es uns gelingt, die Nachbarn mit der Katzenmutter zu versöhnen“, überlegte Asgeida, der Ausgleichende.
„Am liebsten würde ich die Eisluchse verjagen, gleich mit meinem Dreizack auf sie losgehen. Schaut nur mal, wie siegessicher die schon sind“, brummte Satano und stieß gereizt mit seinem Dreizack auf.
Fast unbemerkt sammelten sich die Eisluchse zu einer Front ihnen gegenüber, grinsten frech herüber und neigten ihre Hörner drohend.
Asgeida blickte nur flüchtig hin. Er grübelte: „Es muss etwas geschehen, was die Nachbarn den Groll gegen die Katzenmutter vergessen lässt.“
„Und was soll das sein? Wie willst du das erreichen?“, fragte Jojotu zweifelnd.
Babahu grinste. „Wir könnten die Koboldiner dazu bringen, alle Katzen weglaufen zu lassen. Dann ist Ruhe in dieser Straße.“
„Und die alte Frau wird darüber so unglücklich sein, dass ich sie nicht mehr zu trösten vermag. Das ist kein guter Vorschlag“, meinte Jojotu kopfschüttelnd.
Während Jojotu noch weiter ratlos klagte, rief Babahu plötzlich: „Ich weiß, was ich tue!“ und schwuppdiwupp schoss er los, noch ehe einer fragen konnte, was er im Sinn hatte.
Er überredete einen Koboldiner, einem Kater einzugeben, dass er eine lebendige Maus fangen und sie dem bösen Nachbarn, Herrn Ritter, vor die gerade offene Terrassentür legen sollte.
So geschah es. Wie von Babahu erwartet, rannte die Maus danach voller Angst und Panik durch die Tür ins Haus. Genüsslich plusterte sich Babahu auf, setzte sich davor und wartete ab.
Es dauerte nicht lange, da schallten gellende Schreie zu ihm heraus. Frau Ritter sprang auf Stuhl und Tisch. „Eine Maus! Mach die Maus tot!“, forderte sie ihren Mann auf.
„Diese verdammten Katzen! Nur die schleppen so etwas an.“ Herr Ritter fluchte und jagte hinter der Maus her. Die wieselte in ihrer Angst durchs Zimmer, versuchte sich zu verkriechen und wurde wieder hervorgejagt. Herr Ritter ihr hinterher. Er bekam sie nicht. Die Stehllampe rannte er um. Eine Bodenvase mit einem Strauß bunter Zweige ging zu Bruch. Das Wasser daraus ergoss sich auf den Teppich.
„Egon, pass doch auf!“, schrie Frau Ritter entrüstet von ihrem erhöhten Platz aus.
„Warte! Gleich hab’ ich sie!“ Herr Ritter gab nicht auf. In seinem Eifer, machte er einen Sprung nach vorn, ging dabei selbst zu Boden und riss einen Ständer mit Vogelbauer um. Der Kanarienvogel darin flatterte in Panik wie wild. Die Maus war weg.
„Hansi, mein armer Hansi! Was machst du? Bist du zu blöd, eine Maus zu fangen?“, zeterte Frau Ritter.
„Dann komm doch runter und fang sie selbst!“ Herr Ritter erhob sich missgelaunt, humpelte ein paar Schritte und sah sich suchend nach der Maus um. Nein, fangen konnte er sie nicht mehr. Als er sie wieder sah, lief sie geradeso zur Terrassentür hinaus, so, wie sie hereingekommen war. Blitzschnell sprang er vor und schloss die Tür. „Die ist weg!“, sagte er, als wäre es sein Verdienst. Fluchend machte er sich dann daran, das Vogelbauer wieder aufzustellen, während Frau Ritter von ihrem erhöhten Platz herunterstieg.
„Der schöne Teppich! Nun ist er hin!“, jammerte sie und bedachte ihren Mann dabei mit einem vorwurfsvollen Blick.
Der knurrte gereizt, richtete auch die Stehlampe wieder auf und versuchte den ramponierten Lampenschirm zu richten.
Babahu saß dabei und hielt sich seinen Bauch vor Lachen. Aber das Lachen verging ihm, als Herr Ritter die Stehlampe einschalten wollte, sie nicht erstrahlte, sondern es nur krachte und Funken sprühten. Mit einem zornigen Stoß hätte er sie beinahe erneut umgestoßen. Er kochte vor Wut. „Nun ist es genug! Jetzt unternehme ich etwas gegen diese verrückte Alte!“, schwor er.
Plopp, da sprang ein Eisluchs vor Babahu. „Das hast du gut gemacht!“, lachte er zynisch „Nun habe ich ihn da, wohin ich ihn haben wollte. Wusste gar nicht, dass du für uns arbeitest“, verhöhnte er ihn.
Entsetzt kamen die andern Magihexer dazu. „Was hast du getan?“, riefen sie verärgert. „Wie sollen wir jetzt die bösen Nachbarn mit der Katzenmutter versöhnen, wenn Herr Ritter einen Grund hat, die andern weiter gegen sie aufzuhetzen?“
Babahu wusste nicht, sollte er schuldbewusst oder wütend sein. Es wurmte ihn, dass sich dieser Eisluchs einfach vor ihn hingestellt hatte, ohne ihn zu bedrohen. So etwas hatte es noch nie gegeben. Der wird sich wundern! Das lasse ich nicht auf mir sitzen! Es ihm zu zeigen, das nahm er sich vor. Aber den andern verriet er davon nichts.
*
Wieder hockten sich die Magihexer zusammen und berieten, was sie für die alte Frau und ihre Katzen tun könnten.
Derweil zogen sich die Eisluchse immer enger vor ihnen zusammen und ließen sie nicht aus den Augen. Mit einem Schlag ihres Schwanzes würden sie ihnen entgegenspringen, um keinen von ihnen an ein Ohr der Menschen heranzulassen.
Doch wie sonst sollten die Magihexer einen Menschen beeinflussen, wenn sie ihm nicht durch ein Ohr in seine Gedanken hineinwirken konnten? Aufgeben wollten sie aber nicht. So machte einer nach dem andern einen Vorschlag. Nur keinem stimmten alle zu. Bedrückt schauten sie schließlich drein.
„Ja, können wir denn gar nichts für die alte Frau tun?“ Jojotu war verzweifelt. „Uns ist doch immer etwas eingefallen, selbst wenn es gegen die Eisluchse aussichtslos zu sein schien.“
Ratlos sahen sie sich an, bis Asgeida fragte: „Du bist so still, Babahu. Weißt du etwas?“
Zögernd blickte sich Babahu um. „Schon! Aber es wird euch nicht gefallen.“
Gespannt sahen sie ihn an.
„Rede!“, forderte Satano.
„Also gut! Wie oft geht Dennis, der freche Junge von den Beckers, heimlich aufs Eis des Sees, obgleich die Eltern es ihm verboten haben. Wir könnten ihn ins Eis einbrechen lassen. Ihm würde das zugleich eine Lehre sein. Doch wir passen auf, dass ihm nicht wirklich etwas geschieht. Wenn wir aber dafür sorgen, dass die Katzenmutter ihn herauszieht, so wird er sich in seiner Angst an sie klammern und vergessen, wie gern er sie geärgert hat. Müssten die Beckers ihr dann nicht für seine Errettung dankbar sein? Vielleicht brauchten wir uns danach keinem der Nachbarn mehr zu nähern, um ihn zu beeinflussen. Wir könnten den Eisluchsen eine Nase drehen, weil bestimmt dadurch nicht nur die Beckers, sondern auch alle andern nachdenklich werden und mit der Katzenmutter nachsichtiger umgehen würden.“
Einen Moment schwiegen sie.
Die Eisluchse wurden misstrauisch, rückten ein Stück näher und hoben drohend ihre Eispickel.
„Das hört sich gut an“, überlegte Asgeida.
„Nur, wie soll diese alte Frau den Jungen retten? Sie ist viel zu schwach dazu“, gab Ermano zu bedenken.
„Ich werde ihr dabei helfen, ohne dass sie es merkt“, erklärte Babahu.
„Hm, das mit dem Eis, ihn da einbrechen zu lassen, kann ich übernehmen“, überlegte Satano.
„Dabei musst du aber höllisch aufpassen, damit du nicht selbst mit dem Eis in Berührung kommst. Du weißt, sonst wirst du erstarren und kannst nicht mehr schweben“, warnte Jojotu.
„Ja, ja, ich gebe schon Acht! Wenn ihr mir dabei nur die Eisluchse vom Leib haltet“, antwortete Satano.
„Und wer gibt dem Jungen ein, gerade jetzt zum Eis zu gehen? Es wird schwer sein, an ihn heranzukommen. Auch in seiner Nähe sitzt bereits lauernd ein Eisluchs“, fragte Jojotu.
„Das lasst mich nur machen. Den werde ich überlisten, wenn ich an allen anderen vorbeikomme. Ein einziger Eisluchs ist kein Hindernis für mich“, erwiderte Babahu grinsend,
„Sei nicht zu übermütig“, warnte Satano. „Du weißt, die Eisluchse warten nur darauf, dir eins auszuwischen, weil du sie zu oft zum Narren gehalten hast.“
„Keine Sorge! Den Gefallen tue ich ihnen nicht“, tat Babahu das ab.
„Nun gut! Doch wenn wir das erreicht haben, so hat die Katzenmutter darum noch immer nicht weniger Katzen. Darum werden die Nachbarn auf Dauer nicht geduldiger mit ihr umgehen.“ Ermano dachte bereits weiter.
„Warum hat sie überhaupt so viele Katzen? Weil sie nie nein sagen konnte, wenn ihr jemand eine gebracht hat. Wir brauchen nur dafür zu sorgen, dass nicht alle bei ihr bleiben. Bestimmt würde sie so manche Katze abgeben, wenn sie wüsste, dass sie in gute Hände käme“, überlegte Asgeida.
„Das ist es!“, rief Satano. „So machen wir es!“
Misstrauisch hatten die Eisluchse sie bis jetzt beobachtet. Aber plötzlich wurden sie unruhig und wandten sich ab.
„Was hat das zu bedeuten?“, wunderte sich Asgeida.
„Da ist etwas im Busch. Hört ihr? Die Nachbarn kommen wütend auf das Haus der Katzenmutter zu. Es ist zu spät! Was können wir tun?“, jammerte Jojotu.
„Abwarten! Unsere Chance kommt noch.“ Babahu gab nicht auf.
*
Während die Magihexer sich beraten hatten, war es Herrn Ritter gelungen, voller Groll und Wut, die anderen Nachbarn aufzuhetzen. Mit Sack und Stock bewaffnet zogen sie zusammen zum Haus der Katzenmutter. „Der Katzenplage machen wir jetzt ein Ende!“, rief einer. Sie wiegelten sich gegenseitig auf. Nein, es reichte ihnen, jetzt gab es kein Pardon mehr, jetzt halfen sie sich selbst. So meinten sie.
Nichts ahnend, noch immer traurig um die schöne Katze, die vergiftet worden war, stand die Katzenmutter in ihrem Haus und plättete einen großen Berg Wäsche. Schnurrend lag dabei ihre Lieblingskatze zu ihren Füßen, als es klingelte. Sie schlurfte zur Tür und konnte sich nicht erklären, wer zu ihr kommen sollte. Vorsichtig öffnete sie, aber sofort wurde ihr die Tür aus der Hand gerissen, sie selbst beiseite geschoben und herein drängten die Nachbarn. „Jetzt ist Schluss mit der Katzenplage!“, riefen sie und schlugen gleich los mit ihren Stöcken in jede Ecke. Sie scheuchten die Katzen aus ihren Verstecken, wollten sie greifen und in Säcke stopfen. Zum Tierheim sollten alle gebracht werden. Nicht eine sollte übrig bleiben. Aber die Katzen waren flink, wehrten sich, bissen und kratzten. Doch die Nachbarn gaben nicht auf.
Verzweifelt und hilflos versuchte die Katzenmutter ihnen Einhalt zu gebieten. Doch unsanft stießen die zornigen Männer sie aus dem Weg. Nahm sie eine Katze beschützend in die Arme, so wurde sie ihr entrissen und in einen Sack gesteckt. Rücksichtslos wüteten die Nachbarn. Die Eisluchse waren dicht bei ihnen und auf der Hut, um keinen Magihexer heranzulassen.
„Was macht ihr nur?!“ Die Katzenmutter gab verzweifelt auf. Sie setzte sich in eine Ecke und schlug die Hände vors Gesicht. Sie konnte es nicht verhindern, dass ihre Lieblinge gejagt, gefangen und in Säcke gesteckt wurden.
Den Eisluchsen gefiel das. Diese wütenden Menschen gehörten ihnen. Die Magihexer sollten nicht wagen, näher zu kommen. So schlossen sich viele zu einer Front gegen sie zusammen, während andere dicht bei den zornigen Männern blieben. Wie viele Eisluchse waren das inzwischen geworden, die nach den Magihexer mit ihren Tatzen schlugen, mit ihren Hörnern stießen, drohend ihre Eispickel schwangen und sie anfauchten? Nein, die Eisluchse wollten sich auch nicht einen dieser vor Wut bösen Menschen wieder abjagen lassen. Nur um das Plättbrett, mit dem noch immer heißen Eisen darauf, machten sie einen Bogen, mit Hitze wollten sie nicht in Berührung kommen. Das wäre zu gefährlich für sie. Es hätte sie unfähig gemacht zu springen und in ihr eisiges Reich zurückzukehren.
„Wir können doch nicht tatenlos zusehen, wie die Männer hier wüten. Sie sollen wissen, dass sie Böses tun“, empörte sich Ermano. Noch ehe es einer verhindern konnte, versuchte er über das Plättbrett weg an den Eisluchsen vorbeizuschweben, um einen der Männer zu erreichen.
Die Eisluchse verharrten nur so lange, wie er in der Nähe des heißen Plätteisens war. Kaum war er darüber hinweg, schlug einer von ihnen mit seinem Schwanz kräftig auf, sprang vor und bohrte ihm seine Hörner tief in den Wolkenleib. Ermano schrie auf und wich zurück. Die Augen des Eisluchses flackerten siegesfroh. Drohend schwangen auch die andern ihre Eispickel. Nein, an ihnen sollte kein Magihexer vorbeikommen.
Dennoch fuhr Satano vom Zorn gepackt mit seinem Dreizack voran auf die Eisluchse zu, um ihre Mauer zu durchbrechen. Doch auch er bekam nur die Tatze eines Eisluchses zu spüren. Asgeida, der ihm folgen wollte, konnte gerade noch zurückweichen, ehe ein Eispickel auf ihn niedersauste.
Es schien hoffnungslos zu sein. So schnell wie die Männer hinter den Katzen her waren, so schnell stießen sich auch die Eisluchse mit ihren Schwänzen ab und waren blitzschnell zwischen Mensch und Magihexer. Hilflos mussten sie mit ansehen, wie auch die Koboldiner nichts für die Tiere tun konnten und eine Katze nach der anderen gefangen wurde. -
„Warum gebt ihr nicht auf und zieht heim zu eurem Oberhexer. Hier habt ihr nichts mehr verloren“, forderten die Eisluchse schon siegessicher.
„So leicht machen wir es euch nicht!“, rief Babahu frech zurück.
„Hör sich einer den Kleinen mit der großen Klappe an. Gib auf! Uns kannst du nicht ärgern“, spottete ein Eisluchs.
„Dreimal Magidreck! Dir zahle ich es noch heim, du wirst dich wundern“, schrie Babahu.
„Wenn du dich nur nicht selbst wunderst. Nimm dich in Acht! Wir warten nur darauf, dich zu kriegen“, rief ein anderer Eisluchs mit vor Zorn funkelnden Augen und sprang herausfordernd vor.
„Hör auf, reize sie nicht!“, versuchte Jojotu, ihn zurückzuhalten. Ihm war nicht wohl bei diesen vielen Eisluchsen. Er blieb lieber im Hintergrund bei der Katzenmutter, während die andern unbeirrt versuchten, irgendeinen der Männer zu erreichen, um ihn zu beeinflussen. Dabei fingen sie sich mehr Hiebe ein, als sie gegen die Eisluchse austeilen konnten.
Es half alles nichts, hier schienen die Magihexer machtlos zu sein. Satano blickte sich um. Er sah immer mehr geschlossene Säcke, in denen Katzen jämmerlich schrieen. Bald würden auch die letzten eingefangen sein. Selbst die Koboldiner wussten nicht mehr, wie sie den Katzen noch helfen könnten und zogen sich mutlos zurück. „Wir haben nicht mehr viel Zeit, um deinen Plan zu verwirklichen, Babahu. Wenn die Männer erst alle Katzen eingefangen und weggebracht haben, ist es zu spät“, rief er den anderen zu.
„Das ist wahr, es muss jetzt geschehen“, stimmte auch Ermano zu und hielt sich nicht nur seinen schmerzenden Wolkenkörper, sondern noch einen Arm, den ein Eispickel getroffen hatte.
Babahu überlegte nicht lange. „Gut, dann lasst uns alles so machen, wie wir es besprochen haben. Ich kümmere mich jetzt um Dennis.“
„Pass auf, dass du mit dem Eis des Sees dabei nicht in Berührung kommst“, rief ihm Jojotu noch nach. Aber Babahu hörte es nicht mehr. Er war bereits aus dem Haus und in einen Nachbargarten zu Dennis geschwebt.
Der hatte hier gerade einen großen Schneemann gebaut. Noch musste sich der Eisluchs, der bei ihm war, in einiger Entfernung von ihm aufhalten, weil all seine böse Gedanken und Taten noch nicht dazu ausreichten, dass er näher an ihn heranrücken konnte. Zudem war er auch unaufmerksam, lauschte lieber, was nebenan im Haus der Katzenmutter geschah. So konnte Babahu leicht an ihm vorbei zu Dennis gelangen und ihm eingeben, zum See zu gehen, um von dort Schilf als Besen für seinen Schneemann zu holen.
Erst als es für ihn zu spät war, bemerkte der Eisluchs Babahu. Wütend drohte er mit seinem Eispickel und schlug mit seinem Schwanz auf, als wollte er ihm folgen. Aber er konnte ja Dennis nicht verlassen, so lachte Babahu nur höhnisch zurück und machte, dass er wegkam.
Am See traf er mit Satano zusammen. Lange brauchten sie nicht auf Dennis zu warten. Wie Babahu es ihm eingegeben hatte, näherte er sich dem See. In einiger Entfernung folgte ihm der Eisluchs und beobachtete misstrauisch die Magihexer. Babahu grinste und tat gelangweilt.
Dennis lief derweil am Ufer entlang. Er suchte sich die beste Stelle mit dem höchsten Schilf aus. Dann betrat er das Eis auf dem See. Vorsichtig ging er Schritt für Schritt immer tiefer in das Schilf hinein.
Satano mit seinem Dreizack schwebte über ihm. Der Eisluchs fluchte. Er konnte sich aber nicht mehr zwischen die Magihexer und Dennis drängen, die waren schon zu dicht bei ihm. Babahu frohlockte. Als Dennis sich weit genug vom Ufer entfernt hatte, glitt Satano hinunter und stieß seinen Dreizack vor den Füßen des Jungen in das Eis. Erst mit einem Knall, dann mit kräftigem Knirschen brach es unter ihm auseinander. Dennis schrie, griff wie wild um sich und fand keinen Halt. Stück um Stück brach das Eis weg. Er sank immer tiefer.
„Babahu, beeile dich!“, drängte Satano.
„Ja doch!“ So schnell es ging schleppte Babahu einen Balken heran, der für ihn fast zu schwer war. Mit einem Sprung wollte ihm der Eisluchs den Weg versperren. Zu spät! Babahu war schnell vorbei. Ungehindert glitt er zu dem Jungen und ließ den Balken fallen.
Sofort klammerte sich Dennis daran. „Hilfe!“, schrie er, „Hilfe!“ Doch niemand hörte ihn bei dem Lärm im Haus der Katzenmutter. Das eiskalte Wasser klebte seine Kleidung am Körper fest. Er fror entsetzlich. Krampfhaft umklammerte er den Balken, von dem er nicht wusste, woher er plötzlich gekommen war. Jeder Versuch, sich daran selbst herauszuziehen und zu befreien, misslang ihm. Er konnte nichts tun, als sich über Wasser zu halten. Bald waren ihm die Glieder so kalt, dass er sie kaum noch spürte. Die Hände drohten, ihm von dem Balken abzurutschen.
„Wo bleibt die Katzenmutter! Warum schickt Jojotu sie nicht?“ Satano glitt unruhig um Dennis herum.
Abwartend saß der Eisluchs im Schilf. Ihm wäre es recht, wenn Dennis ertrinken würde. Vielleicht reichten dessen böse Streiche bereits, um ihn danach zu einem grauen Eistropfen werden zu lassen, den er mitnehmen könnte in sein eisiges Reich. „Euer Plan geht wohl nicht auf?“, höhnte er.
„Mach dir keine Hoffnung! Du erbeutest Dennis nicht“, zischte Babahu wütend zurück.
Doch Satano mahnte ungeduldig: „Wir werden ihm heraushelfen müssen, wenn die Katzenmutter nicht bald kommt?“
Da knackten Zweige auf dem Weg zum See. Wie es ihr Jojotu eingegeben hatte, näherte sich die alte Frau, ohne selbst zu wissen, warum. Es hatte sie nur aus dem Haus getrieben, irgendwohin. Sie konnte es nicht mehr ertragen, ohnmächtig mit anzusehen, was mit ihren Lieblingen geschah. Sie hatte sich ihr Tuch umgelegt, es fest um die Schultern gezogen und war einfach hinausgegangen in die Kälte. Weinend hatte sie ihren Garten verlassen und kam nun zum kleinen See.
Zuerst erreichten sie die Hilferufe von Dennis in ihrem Kummer nicht. Aber dann – was war das? Die Stimme eines Kindes! Ihre Tränen versiegten. Suchend lief sie am Ufer entlang, nur von dem Wunsch beseelt, dem Kind zu helfen. Endlich entdeckte sie ihn, den hilflosen Jungen, gefangen zwischen dem Schilf im Eis, zitternd mit blauen Lippen. Sie erkannte, lange würde er sich nicht mehr über Wasser halten können. Sie hatte keine Zeit, Hilfe zu holen. Sie selbst musste versuchen, ihn zu retten, sie ganz allein. Suchend sah sie sich um, erblickte ein langes Brett, das Babahu dazu bereits hingelegt hatte, und überlegte nicht lange. Vorsichtig schob sie es auf das Eis, bis zu dem Balken, an dem sich Dennis festhielt. Langsam kroch sie darauf voran, ohne daran zu denken, dass auch sie in das Eis einbrechen könnte. Vor Anstrengung begannen ihr alle Glieder zu zittern. Sollte ihre Kraft nicht ausreichen? Sie verhielt einen Moment. „Pack das Brett! Zieh dich daran hoch!“, rief sie Dennis zu. Doch sie blickte nur in vor Angst geweitete Augen, sah ihn ein Stück vom Balken abrutschen und tiefer ins Eis sinken. Mühsam, mit ihren alten Gliedern flach auf dem Brett liegend, zog sie sich weiter vorwärts.
Jetzt war es Zeit für Babahu, ihr viel Kraft einzugeben. Geschwind glitt er dicht zu ihr heran. Tief musste er sich hinunterbeugen, um ihr dazu ins Ohr zu blasen. Beinahe hätte er dabei selbst das Eis berührt.
„Pass auf!“, rief entsetzt Satano.
Geschwind schwebte Babahu hoch.
Danach sahen beide gespannt zu, wie sich die Katzenmutter vorsichtig bis zum Ende des Brettes vorschob. „Gib mir deine Hand!“, forderte sie Dennis auf. Doch der starrte sie nur angstvoll an und ließ den Balken nicht los. Sie stöhnte und rückte ein Stück vor, über das Brett hinaus.
„Das geht nicht gut! Das schafft sie nie!“ Satano wollte vorschnellen, um ihr zu helfen.
„Warte!“, Babahu hielt ihn zurück.
Der Eisluchs lachte. „Passt nur auf, dass euch nicht beide ertrinken!“
„Darauf kannst du lange warten“, antwortete Babahu, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
„Wieso bist du so sicher?“ Satano fiel es schwer, ruhig zu bleiben.
„Ich habe ihr mehr Kraft eingeblasen, als sie jemals in jungen Jahren hatte“, versicherte Babahu.
„Trotzdem! Ich wünschte, wir hätten uns darauf nicht eingelassen“, meinte Satano.
„Da, schau! Du wirst bald anders denken. Jetzt hat sie ihn erreicht und kann ihn fassen. Sie wird es schaffen. Du wirst es sehen!“ Aufgeregt vor Spannung quoll Babahu hin und her.
Fest hatte die Katzenmutter Dennis gepackt. Mit ungeheurer Kraft musste sie ihn vom Balken lösen. Sofort klammerte er sich an sie und hätte sie beinahe hinuntergezogen. Mit letzter Anstrengung rutschte sie zurück und zog ihn dabei Stück für Stück heraus, bis er vor Kälte steif und zitternd auf dem Brett lag. Sie dachte dabei nicht darüber nach, woher sie die Kraft nahm. Sie war nur von dem Wunsch beseelt, Dennis, dieses Kind, vor dem Ertrinken zu bewahren, egal, was er ihr jemals angetan hatte.
Vorsichtig kroch sie zurück und zog ihn mit sich, bis sie das sichere Ufer erreicht hatte. Erschöpft verharrte sie einen Moment. „Du kannst mich jetzt loslassen und aufstehen“, forderte sie Dennis auf, der noch immer ihre Hand festhielt. Mühsam richtete sie sich auf und half ihm hoch. Vorsichtig führte sie ihn, der steif und zitternd kaum laufen konnte, in seiner triefenden und gefrierenden Kleidung, zurück, durch ihren Garten und in ihr Haus.
Sie hatte Dennis gerettet!
*
Kaum, dass er sich in der wohligen Wärme des Hauses befand, begannen ihm die Knie zu schlottern und die Zähne zu klappern. Mit großen Augen sah er auf das Treiben der Männer, die in ihrem Eifer, auch noch die letzte Katze zu fangen, von Zimmer zu Zimmer jagten und ihn gar nicht wahrnahmen. Wie viele Katzen jammerten schon erbärmlich in den Säcken?
Der Katzenmutter drehte sich ihr Herz um, sie konnte nicht hinsehen, aber was konnte sie dagegen tun, sie, die doch eigentlich schwach und alt war. Ohne auf irgendjemand weiter zu achten, zog sie dem Jungen die nassen Sachen vom Leib, nahm zwei Decken und wickelte ihn darin ein. Sie rubbelte ihm kurz Arme und Beine, ehe sie in die Küche ging, um Wasser für einen heißen Tee aufzusetzen. Dennis ließ alles mit sich geschehen. Die Glieder schmerzten ihm, sobald Wärme in seine Adern zurückkehrte. Bibbernd hockte er am Ofen.
Plötzlich stand sein Vater in der Tür. Eine Katze, die er gefangen hatte, hielt er im Fell gepackt. Zutiefst erschrocken blickte er auf seinen Sohn. „Was ist mit dir geschehen? Hat dir die Alte etwas getan?“, fragte er drohend.
„Nein, Papa“, wehrte Dennis ab.
„Warum bist du hier? Wo sind deine Sachen? Weshalb bist du in Decken gehüllt?“ Fassungslos verharrte er an der Tür, noch immer die zappelnde Katze in der Hand.
„Ich war am See ... bin ins Eis eingebrochen ... konnte nicht mehr heraus. Die Katzenmutter hat mich rausgeholt“, beichtete er und begann zu weinen.
„Du warst am See und bist ins Eis eingebrochen?“
„Ja! Fast schon untergegangen. Wenn sie nicht ...“
„Die Alte hat dich gerettet? Ganz allein?“ Fassungslos ließ er die Katze fallen und weglaufen. „Wieso hat sie das getan?“ Unsicher sah er sich um, auf das Treiben der andern und hörte das jämmerliche Klagen der Tiere.
„Ich hab wieder eine!“, rief einer der Nachbarn aus dem Nebenzimmer.
Wortlos ließ der Vater die Katzenmutter an sich vorbeigehen.
Die tat so, als wären er und die andern nicht da. Sie wurde gebraucht, das zählte für sie. Vorsichtig trug sie ein Glas mit Kräuterschnaps zu Dennis. „Hier trink das! Es wird dir helfen“, sagte sie und flößte es ihm ein.
Dennis schluckte. Es brannte und biss ihm in der Kehle. Er schüttelte sich und holte tief Luft. Wärme breitete sich in seinem Körper aus. Das Zittern ließ nach, während sie wieder unbeirrt, als wäre sie allein mit ihm, seine Glieder massierte.
Nachdenklich blickte der Vater zu ihr, wie sie sich um seinen Sohn kümmerte, als gäbe es nichts Wichtigeres für sie, als hätte er ihr nie das Leben schwer gemacht. Dabei waren die Nachbarn und er gerade dabei, ihr das Liebste zu nehmen, was sie noch hatte: Herrenlose Katzen, die ihre Hilfe brauchten. Lästig war sie ihnen damit geworden, so, wie vielleicht jede dieser Katzen irgendeinem Menschen lästig geworden war und darum ausgesetzt wurde. Was taten sie ihr nur an? War das wirklich nötig? „Hört auf damit! Es ist genug!“, rief er den Nachbarn zu.
Einer nach dem andern kam und fragte verwundert: „Warum?“ – „Was ist los?“
Als sie erfahren hatten, was geschehen war, wollten sie es nicht glauben. „Was denn, den schweren Jungen soll sie ganz allein aus dem zugefrorenen See ...?“ Sie zweifelten es an.
„Ich weiß nicht, wie sie es geschafft hat, aber es ist so. Kommt, wir müssen die Katzen wieder aus den Säcken lassen. Es muss eine andere Lösung geben“, redete der Vater auf die Nachbarn ein.
„Aber ...“, wollte Herr Ritter noch murrend einwenden. Doch er wurde überstimmt. Schon öffnete der Erste einen Sack. Die Katze schoss fauchend heraus und verkroch sich. Die Lieblingskatze der Katzenmutter lief gleich zu ihr und schmiegte sich dicht an sie.
„Liebes, da bist du ja wieder“, sagte sie, hörte auf, Dennis die Glieder zu massieren, drückte die Katze an sich und streichelte sie liebevoll. Unsicher blickte sie zu den Männern hinüber, als würde sie erst jetzt begreifen, dass sie da waren. Doch sie sagte kein Wort zu ihnen, sondern wandte sich gleich wieder Dennis zu. „Das Wasser kocht bestimmt schon. Ich werde dir einen heißen Tee machen.“
Dennis wurde rot - er konnte wieder rot werden. Nun schämte er sich bei ihrer Fürsorge für all die Streiche, die er ihr jemals angetan hatte.
Auch der Vater bedankte sich verlegen. „Das ist nicht nötig. Ich werde Dennis jetzt nach Hause zu seiner Mutter bringen“, sagte er.
„Und was wird mit den viel zu vielen Katzen?“, fragte Herr Ritter grollend, nachdem die Letzte frei gelassen war.
„Das wird sich finden“, meinte einer.
Bis auf Herrn Ritter war keiner mehr bereit, der Katzenmutter weh zu tun und ihr die Katzen mit Gewalt wegzunehmen. Mitleid für die alte Frau erfasste sie.
Wütend schlugen die Eisluchse mit ihren Schwänzen auf den Boden. Einer nach dem andern musste von den Männern zurückweichen und auf Distanz zu ihnen gehen. Mitleid war das Letzte, was einer empfinden durfte, der ihnen gehörte. Nur dicht bei Herrn Ritter blieb noch einer.
Asgeida überlegte nicht lange. Er erkannte seine Chance. Ehe ein Eisluchs einen Sprung nach vorn tun konnte, um ihn daran zu hindern, glitt er flink zum Nachbarn Meyer hin. Blitzschnell blies er ihm mit seiner Gedankenkraft ins Ohr, dass sie doch versuchen könnten, für etliche der Katzen ein neues Zuhause zu finden. Wütend schlug danach ein Eisluchs mit seiner Tatze nach ihm, als er zurückschweben wollte, und ihm dabei sehr nahe kam. Doch er traf ihn nicht. So sehr er auch fauchte und drohend seinen Eispickel schwang, flink glitt Asgeida an ihm vorbei.
Der Nachbar Meyer aber schlug sich an die Stirn und sagte: „Warum sind wir darauf nicht schon längst gekommen?“
„Worauf?“ Verständnislos sahen die andern ihn an.
Herr Meyer beachtete sie nicht, sondern wandte sich gleich an die Katzenmutter. „Warum müssen es so viele Katzen sein, reicht es Ihnen nicht, wenn es weniger sind?“
Verwundert blickte sie auf. „Ich habe mir die alle nicht ausgesucht. Soll ich sie verhungern lassen, wenn sie mir zulaufen? Oder wäre einem von Ihnen lieber gewesen, ich hätte die Katze nicht angenommen, die er mir gebracht hat?“, fragte sie und wischte sich die nun aufsteigenden Tränen aus den Augen.
Erstaunt sah einer zum andern. Dieser oder jener schlug sogar die Augen nieder.
Weinend saß die alte Frau vor ihnen.
Hilflos blickte Dennis mit hochrotem Kopf aus seinen Decken. Auch ihm rollten Tränen über das Gesicht.
Ein seltsames Schweigen erfüllte den Raum. Nur das Mauzen der verschreckten Katzen war zu hören, die sich eilig verkrochen, bis Herr Becker zur Katzenmutter ging und ihr die Hand auf die Schulter legte. „Es tut mir leid, was geschehen ist. Wir werden gemeinsam nach einer Lösung suchen“, sagte er.
„... und eine finden“, rief Herr Meyer. Sofort unterbreitete er den Vorschlag – den Asgeida ihm eingegeben hatte - über eine Annonce in der Zeitung dafür zu sorgen, dass einige der Katzen ein neues Zuhause finden könnten.
Dagegen hatte die Katzenmutter nichts einzuwenden, wenn es ihnen dort nur gutging. „Ich habe nie so viele Katzen gewollt“, sagte sie. „Nur zwei oder drei möchte ich behalten.“
Das gestand man ihr gerne zu, wenn es nur nicht viel zu viele wären.
Ja, so konnte es gehen, das sahen alle ein. Eilig hatten sie es jetzt, das Haus zu verlassen. Herr Becker trug Dennis, noch in Decken gehüllt, mitsamt der durchweichten Kleidung nach Hause, während die andern zu Herrn Meyer mitgingen, um eine Annonce für die Zeitung zu entwerfen.
Nur Herr Ritter beteiligte sich nicht daran. Fand er selbst drei Katzen zu viel, die bei der Katzenmutter bleiben sollten? Doch darum kümmerte sich niemand mehr.
Ruhe kehrte bei der alten Frau wieder ein. Vom Küchenfenster aus sah sie ihren Nachbarn nach, ehe sie die Näpfe für die Katzen füllte und sie zum Fressen hervorlockte. Hoffnung auf Frieden war eingezogen in die kleine Straße mit den Nachbarn, den Kindern und den vielen Katzen.
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Enttäuscht mussten sich die Eisluchse von den Männern zurückziehen, die nun der Katzenmutter sogar helfen wollten. Nur dem Herr Ritter, der es lieber gehabt hätte, wenn es keine Katze mehr gäbe, die zu ihm in den Garten kommen könnte, folgte noch einer in gebührendem Abstand. Die andern fauchten missmutig darüber, dass sie wieder von den Magihexern überlistet worden waren. Wütend und enttäuscht drohte dieser oder jener zu ihnen herüber, ehe er mit seinem Schwanz kräftig aufschlug und - plopp - wie ins Nichts verschwand.
Die Magihexer jubelten und lachten sie aus. Jetzt gab es hier für sie nichts mehr zu tun. Alles war friedlich, als wäre nichts geschehen. Nur ihre verängstigten Katzen tröstete die Katzenmutter in der Küche noch. Aber bald würde sie zufrieden in ihre Stube zurückgehen, um weiter die Wäsche aus dem Korb zu bügeln. Noch immer stand dazu das heiße Eisen auf dem Plättbrett neben dem Ofen im Zimmer.
Noch waren die letzten Eisluchse nicht verschwunden, da verließen auch die Magihexer, einer mach dem andern, das Haus der Katzenmutter. Es zog sie heim nach Magihexanien, damit Magifa ihre Wunden behandeln konnte. Auf die letzten Eisluchse achteten sie nicht mehr. Auch die könnten nichts Böses mehr anrichten und müssten bald verschwinden, davon waren sie überzeugt.
Nur Babahu misstraute ihnen. Was lungerten sie hier noch herum? Was führten sie im Schilde? „Was wollt ihr? Macht, dass ihr wegkommt! Ihr seht doch, hier ist für euch nichts mehr zu holen“, rief er ihnen zu und grinste triumphierend. Dabei war er auf der Hut vor einem Angriff. Listig hielt er sich in der Nähe des Wäschekorbs und des Plättbretts der Katzenmutter auf, weil darauf noch immer das heiße Plätteisen stand.
Die letzten Eisluchse schlugen nur grollend mit den Schwänzen auf und verschwanden, bis auf einen. „Dir wird dein freches Grinsen noch vergehen!“, rief er und machte zornig einen Satz auf Babahu zu. Flink wich Babahu zur Seite aus, so dass der Eisluchs fast das heiße Eisen berührt hätte.
„Schade, dass du dich nicht verbrannt hast, dann könntest du jetzt nicht mehr springen“, bedauerte er ihn höhnisch
„Das könnte dir so passen!“, zischte der Eisluchs zurück.
Jojotu, der als Letzter gerade durch die Wand hinausgleiten wollte, wandte sich um und mahnte: „Lass das, Babahu, und komm!“
„Warum? Fliegt nur voraus! Ich hole euch bald ein“, erwiderte er sorglos.
„Was hast du vor? Gib auf dich Acht!“, warnte Jojotu noch, dann verschwand auch er.
Babahu aber wollte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Wie oft hatte er sich gerade besonders mit diesem Eisluchs angelegt, der hier noch lauernd in der Stube hockte. Wie oft hatte er sich über ihn geärgert. Auch diesmal war er es wieder gewesen, der ihn verhöhnt und ausgelacht hatte. Das wollte er ihm heimzahlen, ihm einen Streich spielen, ehe er den andern folgte.
Auch der Eisluchs schien Ähnliches im Sinn zu haben. Er ließ ihn nicht aus den Augen, als wollte er herausbekommen, was Babahu vorhatte. So schlichen sie lauernd umeinander, bis der Eisluchs unverhohlen drohte: „Warte nur! Einmal kriege ich dich! Mach lieber, dass du wegkommst, sonst ergeht es dir schlecht!“
Babahu lachte. „Warum verziehst du dich nicht? Was willst du noch? Du bist hier überflüssig.“ Übermütig glitt er ihm flink an der Nase vorbei, so geschwind, dass die Tatze des Eisluchses nur ins Leere traf.
Da schlug der wütend mit dem Schwanz auf und machte einen Satz auf ihn zu. „Das machst du nicht noch einmal!“, drohte er.
Blitzschnell sauste Babahu zum Kachelofen und hinter das Plättbrett. „Komm her, wenn du etwas von mir willst. Oder hast du Angst vor der Hitze des Ofens?“
Der Eisluchs kniff zornig die Augen zusammen und zischte: „Sei dir nicht zu sicher!“ Er ging in die Knie und erhob den Schwanz erneut zum Schlag, als wollte er gleich mit einem Satz auf Babahu zuspringen.
„Du täuschst mich nicht! Du bringst dich nicht in Gefahr, mit Hitze in Berührung zu kommen“, frohlockte Babahu.
„Du wirst nicht ewig dort hocken können. Einmal musst du hervorkommen.“
„Dann versuch doch, ob du mich kriegen kannst!“, forderte Babahu ihn heraus und schoss in die Höhe.
Der Eisluchs schwang seinen Eispickel. Er traf ihn nicht.
Unter der Zimmerdecke, an den Wänden entlang sauste Babahu im Zimmer umher.
Wohin der Eisluchs auch sprang, Babahu war bereits woanders.
Plötzlich flüchtete noch eine Katze fauchend aus einem Versteck und folgte dem Ruf der Katzenmutter in die Küche.
Der Eisluchs fuhr mit einem Satz herum und ließ Babahu für einen Moment aus den Augen. Das war die Gelegenheit! Babahu gab dem noch immer heißen Plätteisen einen Stoß, dass es herunterfiel, genau auf den Schwanz des Eisluchses.
Gellend schrie der auf, wollte fliehen, aufspringen, doch es ging nicht mehr. Nichts fürchteten Eisluchse mehr als große Hitze. Kamen sie damit in Berührung, so verloren sie ihre Fähigkeit zu springen. Unfähig selbst in ihr eisiges Reich zurückzukehren, waren sie verdammt, an dem Platz zu bleiben, wo sie sich gerade befanden, wenn ihnen niemand half.
Verzweifelt versuchte der Eisluchs mit seinem Schwanz auf den Boden zu schlagen, sich abzustoßen. Es ging nicht mehr, er klebte fest am Boden. Er begann zu zetern, zu schreien, nach den anderen Eisluchsen zu rufen.
Babahu glitt um ihn herum und lachte höhnisch. „Na, was ist, kannst du nicht mehr springen? Oh, wie kommst du jetzt nach Hause?“ Ja, er fühlte sich sogar so siegessicher, dass er vor Übermut vor seiner Nase einen Purzelbaum schlug.
Das hätte er lieber nicht tun sollen, besser wäre es gewesen, wenn er sich schleunigst verzogen hätte. Doch er wollte die Schadenfreude auskosten, diesen Eisluchs so hilflos zu sehen.
Ehe er sich aber versah, waren, plopp, plopp, plopp, die anderen Eisluchse wieder da und es mussten noch mehr sein, als vorher hier gewesen waren. Die Hilfeschreie von dem verletzten Eisluchs hatten sie zurückgerufen. Jetzt war es für Babahu zu spät zu fliehen. Verzweifelt glitt er hin und her und suchte einen Ausweg. Doch die Eisluchse schlossen sich immer enger um ihn zusammen. Ihm wurde kalt. Kein anderer Magihexer war mehr weit und breit. Er wollte sie mit seiner Gedankenkraft zurückrufen. Es ging nicht. Er spürte, wie schwach seine Gedankenkraft wurde, eingeschlossen zwischen den eiskalten Eisluchsen. Noch nie hatte er sich so allein gefühlt. Was wollten sie, was konnten sie tun? Sie fauchten, aber sie sagten nichts und sie drohten auch nicht mit ihren Eispickeln. Als er jedoch versuchte nach oben zu schweben und dadurch zu entkommen, hoben sie die Eispickel zusammen, wie ein Dach über ihn, und Babahu war gefangen in ihrem Kreis. Warum schlossen sie sich immer enger um ihn zusammen, ohne nach ihm zu schlagen? Was hatten sie vor?
Ganz langsam bewegte sich dieser Kreis vorwärts; kaum merklich schoben sie Babahu vor sich her, ihm keinen Ausweg lassend. So glitten sie mit ihm aus dem Haus und durch den Garten. Hier streifte er schon über den Schnee am Boden. Sie hielten ihn so tief zwischen sich, dass es ihm unmöglich war, wie sonst darüber hinwegzuschweben. Wenn der Schnee ihm auch nicht schaden konnte, so mochte er das nicht, nicht jetzt! Er zitterte vor Angst und Kälte.
Als er begriff, was sie mit ihm vorhatten, erfasste ihn Panik. Sie drückten ihn ganz langsam hin zu dem kleinen, vereisten See hinter dem Garten.
„Lasst das doch! Das könnt ihr nicht machen!“, bettelte er.
Die Eisluchse lachten nur, sagten nichts, lediglich ihre Augen funkelten zornig.
An dem See angekommen, senkten sie ihre Eispickel immer tiefer über ihn, sodass er nicht mehr anders konnte, als mit dem Eis des Sees in Berührung zu kommen. Verzweifelt versuchte er, es dennoch zu vermeiden und machte sich so lang und so dünn wie es ging, dabei nahm er noch einmal all seine Gedankenkraft zusammen und rief nach den andern Magihexern um Hilfe. Ob sie ihn noch rechtzeitig hörten? Währenddessen senkten die Eisluchse unerbittlich ihre Eispickel über ihn. Er wollte sich daran festklammern, aber die waren so kalt, dass ihm die Hände gefroren. Da gab ihm ein Eisluchs noch einen letzten Stoß auf seinen Zipfelhut. Heftig schlug der auf dem Eis auf und mit ihm der kleine Wolkenkörper von Babahu.
Sofort war er unfähig zu rufen oder irgendetwas zu sagen. Er spürte, wie er erstarrte und bewegungslos wurde. Nur mit den Augen konnte er noch alles verfolgen. Er sah, wie die Eisluchse sich zum Ufer zurückzogen, wie sie lachten, fröhlich herumsprangen und mit ihren Schwänzen übermütig aufschlugen. Dann tanzten sie um ihn herum und verhöhnten ihn: „Na, Babahu, du frecher Magihexer, fällt dir nichts mehr ein?“
Und noch immer war weit und breit kein anderer Magihexer zu sehen. Warum wurden sie nicht darauf aufmerksam, was hier geschah? Waren sie wirklich alle so weit weg? War seine Gedankenkraft bereits erloschen? Konnte kein Hilferuf von ihm sie mehr erreichen? War es wirklich unmöglich geworden, dass auch nur einer kommen und ihn erlösen konnte? Er war wund vor Verzweiflung. Er wusste, von allein konnte er jetzt nie mehr nach Magihexanien zurückkehren. Es würde auch nichts helfen, wenn Magifa zur Erde käme. Nur in Magihexanien konnte einem erstarrten Magihexer geholfen werden.
Voller Reue dachte Babahu: ‚Hätte ich nur den Eisluchs in Ruhe gelassen!’ War es das bisschen Schadenfreude wert gewesen, dass er jetzt, so hilflos hier vergehen musste?
Die Eisluchse ließen von ihm ab und zogen sich ins Haus zurück zu dem von Babahu verletzten Eisluchs. Sofort schöpfte er Hoffnung. Die andern Magihexer werden ihn bestimmt bald vermissen, dann kämen sie zurück, würden nach ihm suchen und ihn hier finden. Ja, davon war er überzeugt. Die Eisluchse mussten nur erst einmal verschwinden.
Doch die Eisluchse dachten nicht daran. Sie nahmen den verletzten Eisluchs in ihre Mitte und, plopp, trugen sie ihn aus dem Haus springend zu Babahu an den See. „Da, schau ihn dir an, den frechen Magihexer, der dich so zugerichtet hat!“
„Geschieht dir recht, Babahu, du hast deinen Schabernack zu weit getrieben. Jetzt hast du Zeit genug, darüber nachzudenken. Wenn ich längst mit meinem geheilten Schwanz wieder springen kann, bist du verdampft, denn deine Magihexer werden dich nicht finden“, drohte ihm der verletzte Eisluchs.
Alle lachten triumphierend, dann nahmen sie den verletzten Eisluchs in ihre Mitte, und plopp, plopp, verschwanden sie mit ihm, heim in ihr eisiges Reich. Nur zwei Eisluchse blieben zurück, die sich Babahu bedrohlich näherten.
‚Die werden mich doch nicht anfassen’, dachte er voller Angst. Er wusste, dass dies jetzt möglich war. War auch sonst sein Wolkenkörper für sie nicht zu greifen, so war er in erstarrtem Zustand so steif, dass es ihnen gelingen könnte.
Ganz dicht kamen die Zwei heran. „Jetzt machst du eine Reise, die noch kein Magihexer vor dir je getan hat“, lachten sie, griffen zu, zerrten ihn vom Eis des Sees, nahmen ihn zwischen sich, schlugen zugleich mit ihren Schwänzen auf und hoch ging es in die Luft mit einer Geschwindigkeit, die Babahu die Sinne fast vergehen ließ, weil sie mit nur einem Schlag von einem Punkt der Erde zu einem andern gelangen konnten. Ihm wurde schlecht. Doch noch ehe er darüber recht nachdenken konnte, landeten sie wieder auf der Erde.
Wo waren sie? Das war nicht mehr die Straße von der Katzenmutter. Jetzt geriet Babahu in Panik, wie sollten ihn hier die andern Magihexer finden? Und er hatte nicht mehr viel Zeit.
„Na, gefällt es dir hier?“, fragte der eine.
„Der kann doch nicht antworten. Ihm ist die Sprache gefroren“, sagte der andere.
„Ach, richtig!“
Dann lachten und verhöhnten sie ihn: „Der arme Babahu kann nicht mehr reden, nein, wie ich das vermisse, sein Spotten und Frohlocken.“
„Ja, das ist ihm jetzt vergangen. Schau nur die Augen, die blanke Angst schaut da heraus. Das hast du nun davon, du frecher Magihexer.“
Dann packten sie ihn erneut und, plopp, stießen sie sich wieder mit ihren Schwänzen ab. Sie machten aber nur noch einen kurzen Sprung hinein in einen dunklen, von einem kleinen vergitterten Fenster kaum erhellten Raum. Er konnte nicht erkennen, was um ihn herum war. Hilflos stand er dort, wo sie ihn abgestellt hatten.
„Wir kommen wieder. Wir wollen sehen, wie du hier langsam verdampfst!“, riefen sie noch, dann schlugen sie mit ihren Schwänzen auf und weg waren sie.
Babahu war allein. Bittere Tränen rannen ihm aus den Augen, die er gerade noch bewegen konnte. Wie sollte er jemals wieder einen Wolkenkörper bekommen, wenn niemand ihn finden würde. Rufen konnte er die andern nicht mehr, weil er seine Gedankenkraft verloren hatte. Nein, er wusste, er musste hier langsam verdampfen. Ob die andern traurig wären? Würden sie begreifen, was mit ihm geschehen war, wenn er nie mehr nach Magihexanien zurückkehrte? Vielleicht waren sie aber auch froh darüber, weil sie sich oft genug von all seinen Späßen genervt fühlten. Nie mehr könnte er die Elflinge jagen und die Koboldiner ärgern. Da begann er, den Herrn des Lebens flehendlich um Hilfe zu bitten. Er wollte das alles wirklich nie mehr tun, wenn er ihn nur aus dieser schrecklichen Lage erlöste. Doch konnte der Herr des Lebens ihn ohne seine Gedankenkraft überhaupt hören? Noch mehr Tränen der Verzweiflung rannen aus seinen Augen, fielen zu Boden und wurden zu Eisperlen.
*
Inzwischen waren die anderen Magihexer nichts ahnend auf dem Heimweg nach Magihexanien. Vorbei flogen sie an Mond und Sonne durchs Universum zum Schwarzen Loch. Was fühlten sie sich gut. Sie hatten die Eisluchse besiegt! Sogar Ermano vergaß vor Freude darüber die Schmerzen seiner bösen Verletzungen. Dabei waren sie fast ratlos gewesen und doch hatten sie am Ende alles zum Guten wenden können. Sie konnten es nicht erwarten, den andern davon zu erzählen, besonders Malipu. Diesmal musste er anerkennen, wie klug sie gehandelt hatten.
„Wer von uns hatte eigentlich die gewagte Idee, Dennis ins Eis einbrechen zu lassen?“, fragte Satano.
„Das war Babahu“, antwortete Ermano.
„Na, da ist dir ja mal etwas Gescheites eingefallen“, wollte sich Satano lobend an Babahu wenden. Suchend sah er sich um. Der aber war nicht bei ihnen. „Wo ist er?“
„Er ist noch dageblieben, will wohl warten bis der letzte Eisluchs verschwunden ist und dann nachkommen“, erklärte Jojotu.
„Hoffentlich macht er keinen Blödsinn!“, meinte Ermano.
„Ja, hoffentlich!“, stimmte Satano zu und schüttelte seinen Kopf.“
„Er hat uns sicher bald eingeholt. Bestimmt will er es sich nicht entgehen lassen, mit uns den andern davon zu berichten“, glaubte Asgeida.
„Dieser Verrückte! Vielleicht will er dem letzten Eisluchs noch eins auswischen. Für Überraschungen ist er ja immer gut. Wenn er das schafft, soll es mir recht sein“, lachte Ermano.
„Vielleicht will er aber auch noch zu Oma Berta oder woandershin. Das weiß man bei ihm nie“, überlegte Satano noch.
Nein, allzu große Sorgen machten sie sich nicht um Babahu, den Schabernack. Sie waren von ihm gewöhnt, dass er oft eigene Wege einschlug.
*
Während all der Magitage, die Jojotu auf der Erde verbringen musste, saß Broncho oft auf einem Felsen und schaute hinunter ins Tal des Lebensflusses. Er wartete auf Mama Jo. Auch Babahu fehlte ihm. Mit ihm hatte es viel mehr Spaß gemacht, das Fliegen zu üben, als mit Zufido. Stolz war er gewesen, als Mama Jo ihn das erste Mal zur Quelle mitgenommen hatte, aber jetzt mit dem ewig ruhigen Zufido, das war langweilig. Und wer hatte sonst noch Zeit für ihn? Imada kam manchmal heran und fragte, ob er etwas für ihn tun könne.
„Ja, ruf Mama Jo von der Erde zurück“, antwortete Broncho dann.
Ratlos zuckte Imada die Schultern, das konnte er nicht. „Vielleicht würde es dir Spaß machen, bunte Steine zu suchen, doch dazu bist du wohl noch zu klein“, meinte er bedauernd.
„Solche Steine, wie Mama Jo in seiner Höhle hat?“
„Ja, genau solche.“
„Und er würde sich darüber freuen?“
„Bestimmt!“
„Wo kann man die finden?“ Neugierig sah sich Broncho um.
„Überall oben an den Bergen“, antwortete Imada und wies ringsherum auf die bunten Gipfel.
Enttäuscht folgte Broncho seinem Blick. „Die sind ja so hoch oben.“
„Einmal wirst auch du zu jedem fliegen können, sogar zum Zauberberg, aus dem du gekommen bist“, vertröstete ihn Imada.
„Ich bin aus einem Zauberberg gekommen?“, staunte Broncho und fragte sofort: „Weißt du, wo der ist?“
„Ja, ich war dabei, als wir dich in deinem Ei zusammen mit deinem Muttergeist dort aus der Tiefe des Schachtes geholt haben.“ Stolz reckte sich Imada auf.
„Könntest du mich hinführen?“ Bronchos Augen glänzten unternehmungslustig.
„Sicher!“
„Dann komm! Den will ich sehen.“ Schon sprang er von dem Felsen herunter und begann auf seinen Krallenfüßen loszulaufen, dabei immer die Flügel schwingend.
„Halt! Halt!“ Aufgeregt folgte ihm Imada.
Doch Malipu versperrte ihnen bereits den Weg. „Wo wollt ihr hin?“
„Zum Zauberberg“, antwortete Broncho hastig und versuchte, an ihm vorbeizulaufen.
Vergebens, Malipu hielt ihn fest. „Zum Zauberberg? Der ist viel zu weit entfernt von hier. Was hast du ihm erzählt, Imada?“
„Nur, dass er von dort her ist.“ Imada wand sich verlegen.
„So ein Unfug. Hast du ihm nicht gesagt, dass er so weit nicht laufen kann?“
„So genau nicht. Ich meinte nur, zu allen Bergen könne er einmal fliegen“, verteidigte sich Imada.
„Ach so! Ja, dann nicht so ungeduldig, kleiner Broncho. Deine Flügel werden dich einmal weit tragen; deine Beine können es nicht“, erklärte Malipu ihm nachsichtig lächelnd.
„Aber ein bisschen kann ich schon fliegen“, behauptete Broncho eifrig und schlug sogleich heftig mit seinen kleinen Schwingen, so dass Malipu und Imada zurückwichen.
„Ist ja gut! Ich weiß es. Nur wenn du größer bist, wird es noch besser gehen.“ Damit wollte Malipu weiterschweben, doch er zögerte, als sich Larifax unten vom Lebensfluss her näherte.
Aufgeregt rief er: „Kommt alle zum Erzählplatz. Die andern kehren von der Erde zurück. Ruft Magifa! Sie werden ihn brauchen, so, wie sie aussehen. Sie müssen heftig mit den Eisluchsen gekämpft haben.“
„Mama Jo kommt zurück! Mama Jo!“ Sofort hatte Broncho den Zauberberg vergessen, machte einen Satz und begann mit den Flügeln schlagend den Berg hinunterzulaufen.
Um ihn herum und an ihm vorbei schwebten die anderen Magihexer, auch Malipu. Nur Imada rief erst eifrig: „Ich hole Magifa!“, glitt los zu dessen Höhle und prallte fast mit ihm zusammen, als der gerade herauskam.
Vor Schreck fiel Magifa, dem Magier, sein Zauberstab aus seinem Wolkenleib. „Ich bin nicht taub!“, fuhr er Imada an, nachdem er gerade noch ausweichen konnte.
Schuldbewusst bückte sich Imada und wollte den Zauberstab aufheben.
„Lass das! Nicht anfassen!“, wehrte Magifa entsetzt ab.
Doch Imada zog seine Hand bereits schnell zurück. Ihm war, als würde er sich die Hand verbrennen, sobald er damit in die Nähe des Zauberstabes gekommen war. Der glitt von allein zur Seite und schien zu glühen.
„Das fehlte mir noch, dass du Tollpatsch mir die Zauberkraft meines Stabes verdirbst“, schimpfte Magifa. Er streckte seine Hand über den Stab. Sofort hörte der auf zu glühen und sprang von allein hoch in seine Hand. Magifa schob ihn zurück in seinen Wolkenleib und machte sich auf den Weg zum Erzählplatz am Lebensfluss.
Imada folgte ihm bedrückt.
Vor ihnen rannte noch immer der kleine Broncho mit den Flügeln schlagend so schnell er konnte den andern Magihexern hinterher. Voller Angst rief er dabei: „Mama Jo, wo bist du? Bist du auch verletzt?“
Doch Jojotu kam ihm bereits entgegen. „Nein, nein! Es ist nicht schlimm.“ Er nahm ihn in die Arme und führte ihn behutsam zum Erzählplatz am Lebensfluss, wo sich die andern um die Heimkehrer scharten.
Neugierig und ungeduldig warteten alle darauf, was sie von der Erde zu berichten hatten. Schlimm musste es dort zugegangen sein, so verletzt wie sie waren. Besonders Ermano schien schwere Hiebe von den Eisluchsen abbekommen zu haben. Ungeduldig warteten sie auf Magifa? Er sollte nach ihren Wunden sehen und ihre Schmerzen lindern, bevor sie erzählten, was ihnen widerfahren war.
„Da bist du ja endlich!“, wurde er empfangen, als er dazukam. Alle aufgeregten Fragen verstummten. Sie wichen auseinander und ließen ihn zu den verletzten Magihexern durch.
Imada folgte ihm wie sein Diener. „Ohhh! Das sieht wirklich böse aus“, rief er wichtig, als er die Verletzung von Ermano sah. Dann schob er sich neben Magifa. „Ich helfe dir, wenn du mich brauchst“, bot er eifrig an.
Verständnislos sah Magifa zu ihm. „Das fehlte mir noch!“, antwortete er und schob ihn beiseite. Auch die andern Magihexer drängten Imada zurück, sie wollten genau sehen, was Magifa tun würde.
Der sah sich zuerst schweigend alle Wunden an. „Das geht sehr tief in deinen Wolkenleib hinein. Da dürfen wir keine Zeit verlieren, wenn das noch ausheilen soll“, stellte er bei Ermano fest und zog seinen Zauberstab hervor. „Schließe deine Augen, konzentriere dich mit all deiner Gedankenkraft nur auf dich selbst, damit du nicht spürst, was geschieht“, forderte er ihn auf und strich ihm mit seiner Hand über die Augen. Erst als er merkte, dass Ermano seine Augen fest geschlossen hielt, nahm er seinen Zauberstab und setzte ihn mit dem Stern voran an die Verletzung an. Wie von selbst schnitt der Stern mit seinen Zacken in die Wunde und zog den Stab tief hinein, um dann Stück für Stück von unten herauf das Loch im Wolkenkörper langsam zusammenzuziehen. Dabei entwich Dampf, der wässrig wurde, ins Moos tropfte und versickerte.
„Oh!“, riefen alle erschrocken und wichen zurück. Das hatten sie noch nie gesehen. Wenn das mal bei einem von ihnen gemacht werden musste, dann war Magifa bisher stets mit demjenigen in seine Höhle gegangen. Bei Ermano wäre dazu wohl keine Zeit mehr gewesen.
Nachdem Ermano seine Augen wieder geöffnet hatte und noch leise jammerte, nahm Magifa schmerzstillende Tücher aus seinem Wolkenleib und legte ihm davon eins auf. Auch auf die größeren Wunden der andern legte er je ein Tuch und über alle kleineren strich er sacht mit seinem Zauberstab, bis sie sich schlossen und verheilten. Die verletzten Magihexer stöhnten sehr bei der Behandlung, sie ließen sich gern von den andern dabei bedauern, erhöhte dies doch ihr Gefühl der Wichtigkeit. Der kleine Broncho drängte sich dicht an Jojotu und schloss die Augen. Er wollte nicht sehen, wie Mama Jo wehgetan wurde.
Als Magifa seinen Zauberstab wieder in seinen Wolkenleib zurückgeschoben hatte, sich aufplusterte und zu den andern setzte, wollten die Magihexer endlich beginnen ihre Geschichte von der Katzenmutter zu erzählen. Doch Imada sah mit großen Augen wie erstarrt den Lebensfluss entlang, wies mit der Hand zu einem Felsen und stammelte: „Da, da! Was ist das?“
Alle drehten sich um.
Sie sahen nichts.
„Was meinst du?“, fragte einer.
„Da hat ein seltsames Wesen um den Felsen geschaut. Schwarz war es, mit Fühlern am Kopf, wie bei den Koboldinern, und wo wir Hände haben, hatte es Scheren“, erklärte Imada.
„Scheren als Hände ...? Imada, so etwas gibt es nicht!“, behauptete Asgeida.
„Doch! Ich habe es gesehen. Das Wesen hat zu uns hergeblickt. Was war das?“
„Und wo ist es jetzt? Ein Fantasiegebilde war das von dir. Haha!“, spottete Pontulux.
„Glaubst du wirklich, nur du und niemand sonst von uns hätte das bemerkt, wo wir hier alle zusammensitzen“, fragte Malipu.
„Aber es war da, nur ganz kurz! Was hat das zu bedeuten?“, gab Imada nicht auf.
Fragend sah Malipu zu Magifa. „Was meinst du?“
„Geistwesen können viele Gestalten haben. Hier, glaube ich, hat dir aber unser Licht, das sonst keine Schatten wirft, einen Streich gespielt. Es kann Flecken für kurze Zeit dunkler erscheinen lassen, so dass sie wie Schatten wirken. Ich glaube, so etwas hast du gesehen und dich davor erschreckt“, erklärte Magifa.
„Aber ...“, wollte Imada widersprechen. Doch er biss sich lieber auf die Lippen und schwieg. Sie wollten ihm nicht glauben und würden ihn nur verhöhnen.
„So, nun ist es auch Zeit, endlich zu erfahren, warum ihr so verletzt von der Erde zurückgekommen seid“, forderte jetzt Malipu und beendete damit jede Vermutung um ein seltsames Wesen, das Imada gesehen haben wollte.
Alle stimmten zu und die Erzähler setzten sich in Positur, um den andern von ihrem aufregenden Erlebnis bei der Katzenmutter zu berichten. Endlich konnten sie alle wissen lassen, wie klug sie gewesen waren und dadurch die Eisluchse besiegt hatten, obgleich es fast aussichtslos schien. Die Magihexer lauschten ihnen voller Spannung. Bei jedem Wort rückten sie enger zusammen. Jeder der heimgekehrten Magihexer verstand es aber auch nur zu gut, ihnen auszumalen, wie schwer es gewesen war, gegen die Eisluchse zu kämpfen, um die Menschen beeinflussen zu können. Dabei versäumte keiner von ihnen zu betonen, was gerade er dazu beigetragen hatte. Stolz berichteten sie von ihrem Plan, den kleinen Dennis ins Eis einbrechen zu lassen, damit die Katzenmutter ihn retten konnte.
„So riskant das auch gewesen war, es war der beste Einfall, den wir je hatten! Dadurch brauchten wir uns keinem der wütenden Menschen mehr zu nähern, um ihn zu beeinflussen. Auch den Widerstand der Eisluchse mussten wir dazu nicht überwinden, und doch machte es die Männer nachdenklich. Nun waren sie von allein zur Besinnung gekommen und keine Beute mehr für die Eisluchse“, berichtete Satano abschließend. Beifall heischend sah er sich um. Was sagte Malipu dazu?
Der blickte ihn nachdenklich an und fragte: „Wer von euch hatte diesen gewagten Einfall?“
Satano zögerte. Doch nur einen Moment. Dann erklärte er: „Das war Babahu.“
Überrascht sah Malipu auf. „Babahu? Das hätte ich nicht gedacht?“
Betroffen schlugen die Heimkehrer ihre Augen nieder. Nicht einer von ihnen hatte bisher Babahu erwähnt. Jeder hätte am liebsten den Erfolg für sich allein verbucht.
Ehe noch einer ein Wort des Lobes finden konnte, sagte Atanus abfällig: „Gefährlich war das, was Babahu eingefallen ist und was ihr gemacht habt. Das hätte schiefgehen können. Nur so ein verrückter Kerl wie er kann auf so etwas kommen?“
Das gefiel Bemasus gar nicht. Heftig gab er Atanus einen Stoß in die Seite und verteidigte Babahu: „Es ist aber alles gut ausgegangen! Ich finde, es war eine glänzende Idee. Darauf wärst du nie in deinem Magileben gekommen! Das hättest du dich nie getraut.“
Atanus lächelte säuerlich. „Aber du hättest ...“, wollte er heftig antworten.
Doch Larifax, der Listige, rief dazwischen: „Ich finde auch, es war eine gute Idee. Das war so listig, als hätte ich es mir ausgedacht.“
„Das war raffiniert und nicht verrückt.“ Eifrig gab auch Imada seine Meinung kund. Wenn Malipu es nicht rügte, dann musste es doch gut sein.
Alle sprachen über Babahu, warum sagte er selbst nichts dazu? Suchend sah jetzt einer den andern an, bis einer fragte: „Wo ist Babahu?“
Ja, wo war Babahu? Er wollte doch nachkommen. Warum kam er nicht?
Aufgeregt redeten alle durcheinander: „Ist er auf der Erde geblieben?“ – „Warum seid ihr ohne ihn zurückgekommen?“ – „Habt ihr nicht auf ihn gewartet?“ – „Habt ihr ihn vergessen?“ – „Hat er nicht gesagt, was er noch tun wollte?“ Erst als Pontulux vermutete, er könne auf der Erde noch zum alten Schloss geflogen sein, beruhigten sie sich wieder. „Hatte er nicht gesagt, dass er bestimmt irgendwann dorthin zurückkehren werde, um nach einem alten Geist zu suchen, den Magifa dort vermutet?“
Das hielten sie für möglich. Das sah dem verrückten Kerl ähnlich, wieder klammheimlich dorthin zu fliegen. Dieser oder jener war schon gespannt darauf, was er danach zu erzählen hatte.
Auch Malipu gab sich mit der Erklärung zufrieden. Schließlich wusste man nie, was der verrückte Babahu gerade anstellte. „Wenn er in Not wäre, hätte er sich längst mit seiner Gedankenkraft gemeldet und uns zu Hilfe gerufen“, erklärte er.
Ja, und wenn sich Malipu nicht sorgte, warum sollten sich dann die andern sorgen? Er würde schon irgendwann wieder auftauchen und seine Späße treiben.
*
Noch hatten sich danach nicht alle auf den Weg zurück zu ihren Höhlen gemacht, als einer rief: „Der Berg wird rot!“
„Endlich! Endlich!“ Sofort quirlten sie durcheinander. Viel zu lange hatten sie darauf gewartet, den süßen Trank aus der Quelle zu schöpfen, den es nur gab, wenn sich der Gipfel darüber rot färbte. Jetzt hatte es jeder eilig, seinen Becher zu holen und zum köstlichen Trank zu kommen.
„Nicht so schnell!“, zeterte Broncho und lief bald springend, bald mit den Flügeln flatternd Jojotu hinterher.
Sofort schwebte der langsamer und ließ die anderen vorbei. Doch nicht, ohne Broncho zu mahnen: „Beeil dich! Sonst sind die besten Plätze vergeben.“
So war es dann auch, als sie bei der Quelle ankamen. Oben drängten sich die Elflinge, unten die Koboldiner und dazwischen die Magihexer. Jeder dachte nur an sich, keiner kümmerte sich um den andern. Das war ein Schubsen und Knuffen. Jojotu gelang es gerade, einen Becher voll zu ergattern, dann wurde er wieder weggedrängt. Wie sollte es da der kleine Broncho schaffen, seinen Schnabel in den süßen Trank zu tauchen. Es tröstete ihn nicht, dass Jojotu ihn von seinem Becher trinken ließ. Er verstand es nicht! Alle waren stets so besorgt um ihn und hier taten sie, als gäbe es ihn nicht. Wütend richtete er sich auf, schrie mit fast schon mächtiger Stimme eines Bronchotaurier einmal auf und schlug so stark er konnte mit seinen Flügeln.
Was war das? Die Elflinge wurden von der Quelle weggeweht, als hätten sie selbst keine Flügel. Die Magihexer hielten sich erschrocken ihre Zipfelhüte fest, ihnen war, als wollten sie davonfliegen. Sogar die schwerfälligen Koboldiner unten an der Quelle kugelten zur Seite.
Verdutzt hielt Broncho inne. „War ich das?“, fragte er.
„Ja, mit deinem Flügelschlag“, antwortete Jojotu überrascht.
„Verdreibelt noch einmal! Dass der Kleine bereits solche Kraft hat, hätte ich nicht gedacht. Halte dich in Zukunft damit zurück“, mahnte Malipu. Dann sorgte er dafür, dass Broncho gleich über den Koboldinern ungehindert seinen Schnabel in das köstliche Nass tauchen konnte.
Gierig saugte er den süßen Trank auf, und auch Jojotu fand noch Gelegenheit, einen Becher voll zu schöpfen. Doch nur allzu bald floss aus der Quelle wieder der übliche Quellsaft. Unbemerkt hatte sich der Gipfel des Berges gelb gefärbt, und damit war die süße Quelle versiegt.
*
Viel Magizeit war vergangen, auf der Erde längst Frühling geworden, und noch immer war Babahu nicht zurückgekehrt.
„Warum kommt er nicht? Wo bleibt er nur?“, fragte Imada ungeduldig.
Nicht nur er wurde unruhig, auch Malipu begann sich zu fragen, was ihn so lange davon abhalten könnte heimzukehren.
Doch Satano sagte: „Der verrückte Kerl! Wer weiß, wo er sich herumtreibt?“
„Vielleicht haben ihn die Eisluchse erwischt. Es würde mich nicht wundern. Angedroht haben sie es ihm oft genug“, antwortete Pontulux mit verkniffenem Grinsen.
„Das wäre ja ...“, erschrocken schlug Imada mit beiden Händen an seinen Zipfelhut.
„Blödsinn!“, fuhr Satano Pontulux an. „Wie kannst du das nur denken! Noch nie ist ihnen das bei einem von uns gelungen.“
„Ist ja gut! Ist ja gut!“ Missmutig brummend wandte sich Pontulux ab.
„Vielleicht ist er bei Oma Berta und passt auf, was dort geschieht. Vielleicht will er dabei sein, wenn die Eltern in die andere Stadt fahren, um sich dort alles anzusehen“, vermutete Jojotu.
*
Inzwischen packten die Eltern den Koffer, um in die andere Stadt zu fahren und sich die Filiale der Firma, die der Vater übernehmen sollte, anzuschauen. Ein schöner Frühlingstag war es, als die Mutter die Kinder und eine dicke Tasche mit Sachen zu Oma Berta brachte, ehe sie losfuhren. Noch hatten sie mit den Kindern nicht über ihre Umzugspläne gesprochen, doch die hatten längst erneut etwas erlauscht. So standen Paul, und Pauline bedrückt herum und tobten nicht wie sonst durch die Wohnung. Paul hatte einen kleinen Rucksack auf dem Rücken und Pauline ihren ausgefransten Schlafhasen im Arm.
„Was ist? Freut ihr euch nicht, eine Woche bei Oma Berta bleiben zu können?“, fragte die Mutter verwundert.
„Doch, doch!“, versicherten beide wie aus einem Mund.
„Nur, warum müsst ihr überhaupt wegfahren?“, druckste Paul herum.
„Junge, ich habe es euch gesagt. Vati hat geschäftlich in der anderen Stadt zu tun und ich fahre mit.“
„Ich will aber nicht wegziehen“, rief Pauline weinerlich.
Überrascht sah die Mutter auf.
„Die Kinder glauben, etwas erlauscht zu haben, und machen sich Gedanken. Ich habe ihnen schon gesagt, dass sie sich bestimmt verhört haben“, erklärte Oma Berta.
„Nein, wir haben uns nicht verhört! Erst gestern habt ihr wieder davon gesprochen. Ich habe es genau verstanden“, beharrte Paul.
„Ich auch!“ Pauline rannen Tränen aus den Augen. „Und ihr habt noch gesagt, Oma Berta würde nicht mitkommen.“
Erschrocken sah die Mutter zu Oma Berta.
Die zuckte nur hilflos mit den Schultern.
Etwas ratlos wollte die Mutter daraufhin wissen: „Kinder, warum habt ihr nicht gleich danach gefragt?“
„Ihr wolltet nicht, dass wir es hören, habt so geheimnisvoll getan“, erwiderte Paul.
„Ja, da trauten wir uns nicht!“ Noch leise schluchzend wischte sich Pauline die Tränen aus dem Gesicht.
„Doch wenn man von etwas spricht, so muss es nicht gleich geschehen. Das war nur eine Überlegung von Vati“, versuchte die Mutter die beiden zu beruhigen.
„Ich habe ihnen gesagt, selbst wenn sie sich nicht verhört hätten, es wäre noch längst nicht entschieden“, berichtete Oma Berta.
„Du hast auch gesagt, du würdest mitkommen und nun?“, warf Pauline ihr vor.
„Ich habe nur gemeint: Wenn es so weit ist, werde ich darüber nachdenken“, verteidigte sich Oma Berta und sah ratlos zur Mutter.
Paul schwieg mit verkniffenem Mund.
„Nun hört mal zu! Nichts wird so schnell entschieden. Ob wir nun in eine Stadt ziehen oder ob Oma Berta mitkommt, alles will gut überlegt sein. Das braucht Zeit. Macht euch nicht so viele Gedanken. Bald sind wir wieder da. Vielleicht lacht ihr dann über eure Sorgen. Seid lieb und macht Oma Berta keinen Kummer, sonst ist sie noch froh, wenn sie euch los ist“, scherzte die Mutter und verabschiedete sich.
Die Kinder winkten ihr nach. Doch kaum war sie nicht mehr zu sehen, wandte sich Paul trotzig um. „Und ich ziehe nicht mit, wenn die umziehen wollen“, sagte er mit finsterer Miene.
„Das geht nicht, wir allein ...“ Schon begannen bei Pauline die Tränen erneut zu fließen. „Ich will hierbleiben, bei dir, aber auch mit Mama und Vati“, jammerte sie.
„Kommt, hört auf, euch den Kopf zu zerbrechen! Ihr habt gehört, Vati will sich erst alles ansehen, ehe er sich entscheidet. Wahrscheinlich gefällt es ihm dort ebenso wenig wie beim letzten Mal in der anderen Stadt. Dann habt ihr euch umsonst aufgeregt“, redete Oma Berta auf die Kinder ein und holte ihren Lieblingspudding zum Abendbrot aus dem Kühlschrank. Nebenbei fragte sie: „Wollt ihr heute gar nicht wissen, was es Neues bei den Magihexern gibt?“
Doch nicht einmal das schien die beiden begeistern zu können. Es war eine bedrückte Runde, die da um den Tisch saß und lustlos den Pudding löffelte.
*
Schon am dritten Tag, nachdem die Eltern weggefahren waren, rief die Mutter an. „Wir kommen vorzeitig zurück. Fred brauchte nicht lange zu überlegen, er will die Stellung annehmen“, berichtete sie aufgeregt. „Das ist eine wundervolle Filiale. Fred wäre dumm, wenn er darauf verzichten würde. Weit mehr Geld als bisher kann er auch verdienen.“ So redete die Mutter eifrig, als wollte sie sich noch selbst überzeugen.
Oma Berta hörte schweigend zu. Wie weh das tat! Ängstlich fragend blickten die Kinder sie an, das machte es ihr nicht leichter. Sie würde also die Kinder verlieren, wenn sie nicht mit ihnen umzog. Bald würde sie wieder allein sein wie früher.
„Was sagst du dazu?“, drängte die Mutter vorsichtig.
„Ich freue mich für Fred“, antwortete Oma Berta schweren Herzens.
„Denke nicht, dass wir dich vergessen werden. Wenn du es dir nicht noch überlegst und mit uns umziehst, dann musst du uns oft besuchen kommen.“
„Sicher!“, sagte Oma Berta. Doch sie wusste, sie würde kaum einmal die weite Reise machen. „Willst du es den Kindern selbst sagen?“
Die Mutter zögerte. „Weißt du, ich wäre dir dankbar, wenn du das übernimmst. Du kannst es bestimmt besser als ich.“
„Ist gut!“ Oma Berta legte den Hörer auf.
„Was ist?“, fragten Paul und Pauline wie aus einem Mund.
„Ja, Kinder ...“, weiter kam sie nicht.
„Die wollen umziehen! Stimmt’s?“, rief Paul sofort.
„Die sind gemein!“, weinte Pauline gleich los.
Nur mühsam konnte auch Oma Berta aufkommende Tränen unterdrücken. Umständlich nahm sie ihre Brille ab und begann sie zu putzen. „Ja, Kinder, nun ist es einmal so. Ihr solltet auf euern Vater stolz sein, wenn man ihm so eine Stelle zutraut, dann ist er sehr tüchtig in seinem Beruf.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln.
„Das kann er auch hier sein. Dazu müssen wir nicht in die andere Stadt ziehen“, jammerte Pauline.
Paul presste die Lippen zusammen. Seine Augen glänzten verdächtig. „Na, dann sollen sie doch umziehen, aber ohne mich!“, trotzte er mit zittriger Stimme.
„Oma Berta, du musst mitkommen“, bettelte Pauline.
„Wenn du nicht mitkommst, dann bleibe ich bei dir“, schluchzte Paul.
„Kommt, Kinder, warten wir erst einmal ab, was eure Mama erzählt“, wich Oma Berta ihnen aus.
„Du willst nicht mitkommen“, vermutete Pauline.
„Ich kann nicht mitkommen“, berichtigte Oma Berta.
„Verdammt! Warum muss das auch so weit weg von dir sein?“, klagte Paul.
„Wenn uns doch die Magihexer helfen könnten“, wünschte sich Pauline.
„Was sollen die schon tun? Sind doch nur Geister aus einer Geschichte“, erklärte Paul überheblich.
„Aber vielleicht ...“ Oma Berta lächelte vielsagend und setzte sich ihre Brille wieder auf. „Noch seid ihr hier. Bis ihr umzieht, kann noch so viel geschehen.“
„Du meinst?“ Unsicher sahen beide sie an.
*
In Magihexanien saß derweil Malipu vor seiner Höhle mit Magifa zusammen. „Das wird eine schwere Aufgabe für uns werden. Wenn wir Oma Berta nicht dazu beeinflussen können, dass sie mit in die andere Stadt zieht, dann wird sie wieder von den Kindern getrennt werden. Und wir können es nicht einmal verhindern“, sagte er und kratzte sich nachdenklich den Kopf.
„Ja, alles vermögen auch wir nicht zu ändern, nicht einmal ich mit meiner Magie. Wir müssen abwarten, was noch geschieht und schauen, ob wir eingreifen können“, antwortete Magifa.
Ein jauchzender Aufschrei lenkte ihre Blicke zu Broncho, der in einiger Entfernung bei den Felsvorsprüngen mit Imada und Larifax das Fliegen übte. Glücklich darüber, wie hoch er gekommen war, flatterte er über den beiden auf der Stelle, die Krallenbeine weit von sich gestreckt.
„Ganz schön kräftig sind die kleinen Schwingen bereits geworden“, meinte Magifa.
„Die kleinen Elflinge hat er damit schon umhergeweht. Wir werden ihn bald bremsen müssen, sonst wirbelt er auch uns durcheinander, so wie es sein Muttergeist getan hat.“
Kaum hatte Malipu das gesagt, schlug Broncho immer kräftiger mit seinen Schwingen. Schon geschah es: Imada und Larifax hielten ihre Zipfelhüte fest, und stemmten sich, so gut sie konnten, gegen den Druck, den er erzeugte. Es half ihnen aber nichts, sie wurden einfach umgeweht.
Broncho quietschte begeistert vor Vergnügen und kam herunter. Sobald sich die beiden jedoch wieder gefangen hatten, begann er erneut, kräftig mit den Flügeln zu schlagen und sich in die Höhe zu erheben. Noch ehe sie etwas sagen konnten, wurden sie vom Fleck weggeweht.
Auch Maliputti, der sie heimlich beobachtet hatte, warf es aus seinem Versteck hinter einem Felsvorsprung hervor. Rot vor Verlegenheit duckte er sich, als Broncho herunterkam.
Neugierig sah Broncho zu Maliputti. „Das macht Spaß!“, rief er ihm zu und wollte beginnen, noch einmal mit den Flügeln zu schlagen. Doch dazu kam er nicht mehr.
„Hör auf damit!“ Eilig schwebte Jojotu heran.
„Aber es ist so lustig, Mama Jo“, schmollte Broncho.
„Für dich! Für die andern ist es alles Andere als lustig, weggeweht und umgeworfen zu werden“, tadelte Jojotu.
Auch Malipu und Magifa waren schnell herbeigekommen. „Das darfst du nie in der Nähe von uns und den anderen Geistwesen tun“, ermahnte ihn Malipu.
„Aber ich will fliegen“, protestierte Broncho.
„Das sollst du auch, genauso wie dein Muttergeist. Nur in unserer Nähe musst du lernen zu gleiten, so, wie er es getan hat“, erklärte Magifa.
„Ich soll gleiten können wie ihr?“, wunderte sich Broncho.
„Ja. Deine Flügel können dich tragen. Du musst es nur richtig anstellen“, erklärte Larifax.
„Und wie geht das?“ Erwartungsvoll breitete Broncho seine Flügel aus.
Neugierig hatte Maliputti alle Flugversuche von Broncho beobachtet. Am liebsten wäre er schon längst dazugeschwebt. Doch die Scheu vor diesem kleinen Bronchotaurier hielt ihn noch zurück.
Als nun aber überlegt wurde, wie Broncho es anstellen könne, nur gleitend zu fliegen, vergaß er seine Furcht und rief: „Ich weiß das! Ich habe gesehen, wie es dein Muttergeist getan hat.“
Sofort watschelte Broncho mit seinen Krallenfüßen auf ihn zu und fragte: „Willst du das mit mir üben?“
„Ich weiß nicht.“ Noch zögerte Maliputti.
„Nun zier dich nicht! So langsam müsstest du deine Furcht vor dem Kleinen überwinden können. Lange genug ist er jetzt bei uns“, redete Malipu ihm zu.
„Ich werde dich nie in den Schnabel nehmen, wie es mein Muttergeist getan haben soll“, versicherte Broncho. „Schau, wie klein der ist, da passt du gar nicht hinein. Und richtige Schnabelzähne habe ich auch noch nicht.“ Weit riss Broncho seinen Schnabel auf, damit er hineinsehen konnte und verdrehte dazu seine Augen.
Jetzt lachte Maliputti. „Mach den Schnabel wieder zu, ich glaube dir! Dann komm mit, zu den kleinen Felsen da hinten.“
„Ich komme auch mit!“, rief Imada und beeilte sich, den beiden zu folgen.
Einträchtig zogen die drei fort, um Broncho das Gleiten zu lehren. Der Bann war gebrochen, eine Freundschaft begann.
„Das wurde ja auch Zeit“, sagte Malipu und schaute ihnen zufrieden nach.
Bald schallte fröhliches Gelächter von den kleinen Felsen zu den andern herüber. Zuerst stieß Broncho sich von den Felsen ab, schlug mit zum Boden hin ausgestreckten Krallenbeinen seine kleinen Schwingen und konnte sich damit gerade in der Höhe halten, ohne vorwärts zu fliegen.
„Warum bleibe ich auf der Stelle?“ Enttäuscht ließ sich Broncho wieder herab.
„Das ist komisch“, fand Imada.
Maliputti schüttete sich aus vor Lachen. „Auch auf der Erde fliegt kein Vogel mit so ausgestreckten Beinen. Du musst sie anziehen.“
„Ach so!“ Wieder stieß sich Broncho vom Felsen ab, schlug ein paar Mal kräftig mit den Flügeln, legte seine Beine an und breitete die Schwingen. Da sein Flügelschlag aber zu kräftig gewesen war, glitt er zuerst mit so viel Schwung zu Boden, dass er nicht nur auf den Schnabel fiel, sondern sich überschlug und auf dem Rücken landete. Hilflos lag er da und strampelte mit seinen Krallenbeinen in die Höhe, während die andern vor Vergnügen quietschten.
„So etwas passiert doch sonst nur mir“, freute sich Imada.
Broncho fand das gar nicht lustig. „He, helft mir lieber wieder hoch!“, rief er ungeduldig.
Schnell packte Maliputti zu. Nur Imada verharrte wie erstarrt.
„Willst du ihm nicht helfen?“, forderte Maliputti ihn auf.
Doch Imada wies mit der Hand zu einem Felsen und stammelte: „Da! Da war es wieder.“
Maliputti ließ Broncho los, drehte sich um und schaute auch zu dem Felsen. „Sag bloß, du hast wieder so ein schwarzes Ding gesehen.“
„Ja, und diesmal waren es sogar zwei. Sie beobachten uns“, behauptete Imada.
„Und nun sind sie weg. Du spinnst ja!“, tat Maliputti es ab.
„Aber wenn ich sie doch gesehen habe“, bekräftige Imada.
Da sah Maliputti erst ihn an, dann nachdenklich zu dem Felsen.
Doch Broncho saß noch immer unglücklich am Boden und beklagte sich: „Was ist, wollt ihr mich hier so verdreht sitzen lassen? Ich habe nichts gesehen.“
„Wird auch wieder so ein Lichtschatten gewesen sein, von dem Magifa gesprochen hatte“, erklärte Maliputti und forderte Imada auf, ihm zu helfen, Broncho hochzuheben.
Imada sagte nichts mehr, griff zu, und gemeinsam stellten sie ihn auf seine Krallenfüße.
Weiter ging es. Während Imada immer wieder zu dem Felsen blickte, gelang es Broncho mit jedem Versuch besser. Bald wollte er nicht mehr von einem Felsen springen, sondern aus dem Stand hochsteigen.
Ein Blick noch, sah jemand zu, der mit ihm schimpfen könnte? Und schon schlug er übermütig heftiger mit den Flügeln und kam höher, bis Maliputti und Imada von dem Druck, den er erzeugte, umgeweht wurden. Jetzt war es an ihm, über die zwei zu lachen. Doch Maliputti und Imada fanden es sogar lustig. „Mach das noch mal, nur nicht zu doll!“, forderten sie Broncho auf.
Bei allem Vergnügen der drei, irgendwann war es dann so weit: Broncho stieg mit sanften Flügelschlägen auf, glitt ein Stück, machte erneut einen Flügelschlag und glitt weiter. So kam er Stück für Stück voran. Neben ihm her schwebten Maliputti und Imada. „Er kann es! Er kann es!“, riefen sie den Magihexern zu, über deren Köpfe sie hinwegflogen und nicht einer von denen wurde mehr umgeweht. Nur als er sanft bei Jojotus Höhle landen wollte und ihm schon zurief: „Mama Jo, schau, ich kann gleiten!“, schaffte er es nicht abzubremsen, glitt herunter, jammerte noch: „O weh!“ und riss Jojotu um.
Der griff erschrocken nach seinem Zipfelhut, damit er ihm nicht vom Kopf fiel, richtete sich danach wieder auf und sagte: „Doch so landest du jetzt nicht immer. Das musst du noch üben.“
Maliputti und Imada grinsten, zu komisch hatte das ausgesehen, wie Broncho auf Jojotu gelandet war und nun erneut hilflos auf seinen Flügeln saß. Sacht ließen sie sich neben ihm nieder und halfen ihm wieder auf seine Krallenbeine. Erschöpft ließ Broncho seine Flügel hängen.
„Für heute ist es genug. Ihr habt schon viel erreicht. Jetzt muss sich Broncho erst einmal ausruhen“, wandte sich Jojotu an die beiden.
„Aber morgen ...?“, wollten sie wissen.
„Ja, morgen wieder. Ihr müsst ja noch das Landen üben.“ Dabei lächelte Jojotu verschmitzt.
Maliputti und Imada schwebten lachend davon.
Broncho aber musste von Jojotu nicht erst aufgefordert werden, in sein Nest zu kriechen. Fast fielen ihm bereits die Augen zu, als er in die Höhle watschelte und dabei glücklich murmelte: „Ich kann fliegen und gleiten, jetzt bin ich richtig groß. Nicht wahr, Mama Jo?“
„Ja, mein Kleiner“, antwortete Jojotu und gab Acht, dass er sich richtig in sein Moosnest kuschelte, ehe er einschlief.
*
Noch aufgekratzt von ihrem Treiben mit Broncho, fragte Maliputti unternehmungslustig Imada: „Was meinst du, ob wir mit ihm morgen durch die Berge fliegen können? Ist doch langweilig, nur bei den Felsen zu bleiben.“
„Ist das nicht ein bisschen zu früh? Was wird Malipu dazu sagen“, gab Imada zu bedenken.
„Wenn Babahu jetzt hier wäre, der würde nicht zögern, mit ihm viel weiter weg zu fliegen. Was er auch getan hat, es hat Spaß gemacht.“
„Ihr zwei seid immer zusammen gewesen. Du vermisst ihn sehr?“
„Ja! Der wüsste bestimmt besser als ich, was Broncho tun müsste, um nach einem Flug sanft zu landen.“
„Mir fehlt Babahu auch. Wo er nur ist? Ob er sich noch auf der Erde aufhält?“
„Wenn ihm nur nichts zugestoßen ist.“ Kaum hatte Imada das gesagt, spürte er mit seiner Gedankenkraft, dass er zur Erde gerufen wurde. „Aus dem Flug morgen wird nichts, ich werde auf der Erde gebraucht“, rief er Maliputti zu und drehte sich um. Er sah, wie auch Larifax, der Listige, und Pontulux, der Zwicker, sich bereit machten, aufzubrechen und glitt rasch zu ihnen. Gemeinsam schwebten sie zum schwarzen Loch und weiter zur Erde, um eine neue Aufgabe zu lösen.