Читать книгу Von kleinen und großen Leuten - Wilma Burk - Страница 4
Sein großer Wunsch
ОглавлениеJeden Morgen, nachdem seine Mutter ihm noch einmal über das Haar gestrichen und zum Abschied einen Kuss gegeben hatte, hüpfte Klaus fröhlich den kurzen Weg um die Ecke zum Kindergarten die Straße entlang. Die kleine Umhängetasche schien ihm dabei auf seinem Rücken hinterher zu springen. An der Ecke der Straße, drehte er sich noch einmal um und winkte seiner Mutter zu. Dann bog er ab und entschwand ihrem Blick.
Nun war er unbeobachtet. Das ließ ihn noch fröhlicher im morgendlichen Sonneschein an all den Menschen vorbeihüpfen, die, wie seine Mutter, zur Arbeit eilten. Sie beachteten den kleinen Jungen kaum, der mit klopfendem Herzen auf das große Schaufenster des Spielwarengeschäftes zu lief. Davor blieb er stehen, hob seine Hand, legte sie zum Gruß an die Stirn und murmelte: „Guten Morgen, Kapitän!“ So hatte er das in seinem Bilderbuch gesehen, wenn die Matrosen auf einem Schiff ihren Kapitän grüßten.
Und diese Puppe da im Schaufenster mit diesem blauen Anzug und der weißen Mütze war bestimmt ein Kapitän, davon war er überzeugt. Wie sie ihn ansah mit ihrem Puppenlächeln. Sie war nicht einmal sehr groß. Zu gerne hätte er sie gehabt. Er wagte aber nicht, es irgendjemand zu sagen. Eigentlich wusste er nicht, warum. Doch um ihn herum hatten stets nur Mädchen Puppen, und Papa sagte oft: „Du willst sicher ein richtiger Junge sein, oder?“. So schwieg er lieber und diese Puppe in dem Schaufenster war sein Geheimnis.
Jeden Morgen drückte er sich die Nase an der Scheibe platt und träumte von den großen Fahrten übers Meer, die er mit seinem Kapitän machen könnte. Jeden Morgen befürchtete er dabei, seine Mutter könnte ihn wieder zum Kindergarten bringen und er müsste an dem Schaufenster vorübergehen. Doch zum Glück meinte sie: „Du bist ja nun schon ein großer Junge, um allein um die Ecke zum Kindergarten zu laufen.“ – Ein großer Junge, der sich sehnlich eine Puppe wünscht? Nein, er sagte lieber nichts davon. Wenn er also mit Mutter oder Vater an dem Spielwarenladen vorbeiging, dann warf er nur einen vorsichtigen Blick zu dem Schaufenster, um sich nicht zu verraten.
*
So ging das lange Zeit, bis sein Geburtstag herankam. Da fragte ihn die Mutter, was er sich dazu wünsche. Allen Bedenken zum Trotz, begann er plötzlich zu hoffen, diese Puppe doch erhalten zu können. Vielleicht brauchte er sie sich einfach nur zu wünschen.
So oft er konnte, stand er nun vor dem Schaufenster und drückte sich an der Scheibe die Nase breit, dass sie weiß und kalt wurde. Sehnsüchtig schaute er auf seinen Kapitän, sollte er ihm wirklich bald gehören? Er brauchte sich nur zu überwinden und ihn Mama zu zeigen, wenn sie an dem Spielwarenladen vorbeigingen. Jeden Morgen nahm er sich das vor. Wenn Mama ihn dann aber mittags vom Kindergarten abholte, fehlte ihm wieder der Mut dazu, und er schlich an ihrer Hand nur mit einem scheuen Blick auf seinen Kapitän am Schaufenster vorbei.
Es dauerte noch einige Tage, bis er sich überwand und all seinen Mut zusammennahm. Kurz vor dem Spielwarengeschäft zog er an der Hand der Mutter und zog sie zum Schaufenster. „Was willst du mir zeigen?“, fragte sie.
„Da, diese … den kleinen Kapitän, den … den …“, stammelte er, bis es zuletzt aus ihm herausschoss: „Den wünsche ich mir!“
Ungläubig blickte die Mutter ins Schaufenster. „Zum Geburtstag?“, fragte sie noch zweifelnd.
„Ja!“, bestätigte er und fügte ängstlich hinzu. „Du hast gesagt, ich soll dir sagen, was ich mir wünsche.“
„Schon! Aber Klaus, das ist eine Puppe, eine Matrosenpuppe, wie kannst du dir …“
„Das ist ein Kapitän“, verbesserte sie Klaus.
„Nein, das ist eine Matrosenpuppe, wie sie kleine Mädchen gerne haben“, beharrte die Mutter und lachte nachsichtig. „Du bist ein Junge. Wie kannst du dir eine Puppe wünschen. Was sollen die andern Kinder dazu sagen, wenn du in die Schule kommst?“
„Ich muss sie ihnen ja nicht zeigen“, versuchte Klaus, seine Mutter zu überzeugen.
„Wie willst du damit überhaupt spielen?“, wollte die Mutter wissen.
Oh, das wusste er! Er würde ein großes Schiff aus Papier bauen und damit den Kapitän übers weite Meer fahren lassen. Vielleicht konnte er das Boot sogar auf den kleinen Teich im Garten setzen. Doch er sagte es nicht mehr. Mama hatte über seinen Wunsch gelacht, ihn ausgelacht.
Auch Papa lachte schallend, als er von seinem großen Wunsch erfuhr. Er nahm ihn zwischen seine Knie, fuhr ihm mit seiner groben Hand durchs struppige Haar und amüsierte sich: „Eine Puppe! Wirklich eine Puppe? Lass dich anschauen! Tatsächlich, du bist ein Junge! Was willst du mit einer Puppe? Ein richtiger Junge braucht die nicht. Und ein richtiger Junge willst du doch sein? Warte nur, was du alles für tolle Sachen zum Geburtstag bekommst, da vergisst du die alberne Puppe.“
Alle, denen Mama von seinem Wunsch erzählte, lachten, bestimmt auch die Omi, als Mama mit ihr telefonierte. Er mochte es gar nicht mehr hören. Sehnsüchtig blickte er weiter jeden Morgen in das Schaufenster zu dem Kapitän, der nun unerreichbar für ihn blieb.
*
Eines Tages aber war er verschwunden. Sollte er ihn doch noch zum Geburtstag bekommen? Jetzt konnte er den Tag nicht mehr erwarten. Vor Aufregung schlief er die Nacht davor kaum.
Und am Morgen danach stand er vor seinem Geburtstagstisch. Nur ein Geschenk suchte er … Es war nicht da. Ihn interessierte nicht das ferngesteuerte Auto, nicht die Süßigkeiten, nicht, was sonst noch darauf lag. Ihm war, als würde er gar nichts zum Geburtstag bekommen. Er sagte brav: „Danke!“, umarmte die Eltern und verkroch sich mit seinem alten Bilderbuch von einem Schiff mit Matrosen und einem Kapitän in eine Ecke. Plötzlich jedoch überlegte er: Die Omi, sie wusste auch von seinem Wunsch, vielleicht …
Die Eltern wunderten sich sehr, weshalb er ständig fragte, Wann denn die Omi endlich käme. Doch als sie kam, brachte auch sie ihm nicht den Kapitän, sondern nur ein Buch mit vielen Bildern über die Seefahrt. „Dafür interessierst du dich doch“, sagte sie.
Er nahm es und Tränen der Enttäuschung rollten ihm über die Wangen.
„Junge, was ist?“, fragte die Omi verwundert.
„Der Kapitän … ich dachte, du …“
„Die Puppe! Du hast erwartet, dass ich …“
Klaus nickte stumm.
„Ja, wenn der Wunsch so groß war! Ich gehe gleich und hole sie“, sagte Omi und wollte zur Tür raus.
„Halt!“, mischte sich der Vater ein. „Der Junge braucht keine Puppe!“
Doch auch die Mutter sah nun, wie groß der Wunsch ihres Jungen war und stimmte mitleidig der Omi zu.
Klaus aber schüttelte weinend seinen Kopf. „Er ist nicht mehr da.“
„Darum hast du gedacht …“, begriff Omi.
„Ja“, nickte Klaus.
Tröstend nahm Omi ihn in die Arme. „Ach, mein Junge, das ist im Leben nun einmal so, dass uns nicht alle Wünsche erfüllt werden.“
Und während sie ihm noch die Tränen aus dem Gesicht wischte, sagte der Vater: „Und das ist gut so! Eine Puppe für einen Jungen! Wo gibt es denn so was?“