Читать книгу Harras - der feindliche Freund - Winfried Thamm - Страница 12
Kapitel 7 Mitte September 2000
ОглавлениеWieder zurück zu meiner Geschichte:
Nach dem Fest erzählte ich meiner Frau von dem belebenden Abend mit alten, lange nicht gesehenen Freunden und auch von Harras, der ihr von meinen Erzählungen aus meiner Vergangenheit schon bekannt war.
Sie hörte amüsiert zu und sagte noch ironisch, als sie meine Begeisterung in meinen Schilderungen wahrnahm: „Der Antichrist ist wohl aus der Hölle wieder auf die Erde geklettert.“
Wie recht sie hatte. Aber alles der Reihe nach.
Etwa vier Wochen nach diesem legendären Fest klingelte spät abends, es war schon nach zwölf, das Telefon. Ich saß im Arbeitszimmer und las einen Krimi. Unter dem Einfluss der gruseligen Lektüre und der nachtschlafenden Zeit nahm ich besorgt das Telefon ab und meldete mich.
„Guten Abend auch. Harras hier. Herr Biedermann ist noch wach?“
Ich sah förmlich sein ironisches Grinsen und ärgerte mich.
„Wenn du den Herrn Biedermann so verachtest, warum rufst du ihn dann mitten in der Nacht an, du Geier?“
„Pack das Messer wieder ein. Morgen ist Samstag, hast du abends schon was vor?“, fragte er versöhnlich. „Zufällig ist mir Reiner, der Wirt von der „Goldenen Stadt“ von damals, über den Weg gelaufen, du weißt, wen ich meine. Und der erzählte mir, dass er jetzt ein schickes Restaurant in Rüttenscheid hat. „Chez René“ hat es der alte Großkotz genannt. Da habe ich für morgen einen Tisch bestellt, für uns beide. Also bis morgen um acht, Annastraße 5.“ Und schon hatte er aufgelegt.
„Halt, ich hab doch noch gar nicht ... So ein arrogantes Arschloch!“, ärgerte ich mich.
„Das muss dein Teufelsfreund gewesen sein, stimmt’s?“, lästerte Helen aus dem Hintergrund. „Ich wette, du gehst hin.“
„Ja, hast schon gewonnen.“
Am nächsten Abend erreichte ich um fünf nach acht das „Chez René“, als jemand von innen an die Scheibe klopfte und mich herein winkte. Es war Reiner. Er sah kaum älter aus als vor zehn Jahren, als ich ihn das letzte Mal beim Kabarett in der Lichtburg getroffen hatte. Nur seine Haare waren sehr dünn und grau worden.
„Hey, altes Haus, wir haben uns ja Ewigkeiten ...“ „... nicht mehr gesehen“, ergänzte ich, als mich Reiner in seine langen Arme nahm und an seine fette Wampe drückte, als sei ich sein vermisster und tot geglaubter Bruder. Als er mich endlich wieder freigab, sah ich mich in seinem Laden um und entdeckte Harras an der Theke, auf einem Barhocker sitzend.
„Einen schmucken Laden hast du ja hier aufgetan. Gratuliere, so ’was Feines hätte ich dir gar nicht zugetraut.“
Dann wandte ich mich an Harras: „Grüß dich Harras, seit wann bist du denn schon hier?“
„Seit Punkt acht. Ich pflege pünktlich zu sein“, sagte er mit der Betonung auf „Ich“.
„Jetzt stell’ dich nicht so an, ich war um fünf nach hier, also auch quasi pünktlich.“
„Kommt Jungs, streitet nicht. Hier, für jeden ein Glas kühlen Weißen vom Feinsten und dann zeige ich euch erst mal mein Geschäft.“
Er winkte einer sehr jungen und sehr hübschen Kellnerin, die den Wein eingoss und die Gläser verteilte.
„Das ist unser Azubi Sabrina von der Hotelfachschule, die heute freiwillig hier ist, um euch zu bedienen und noch was dazuzulernen. Das nennt man Einsatz, was Jungs?!“, lachte Reiner laut.
Dann führte er uns vom staubigen Keller voller Weine über Vorratskammern und Kühlräume durch sein chaotisches Büro in das Herzstück seines Stolzes, die Restaurantküche. Alles glänzte aus Edelstahl und sah großzügig und sehr professionell aus. Er stellte uns seinen Chefkoch August vor und sprach seinen Namen französisch aus. Wir begutachteten alles kritisch, auch den Koch, als wären wir von der Gewerbeaufsicht und lobten schließlich den ganzen Laden über den grünen Klee.
„Meine Crew könnt ihr heute nicht kennenlernen, schließlich ist ja mein Ruhetag, aber August hat eh noch was für morgen vorzubereiten, und wenn er schon mal da ist, wird er euch dann was Leckeres zaubern.“
„Und du, isst du nicht mit uns?“, fragte ich erstaunt.
„Nee, lass man, hab noch hinten mit der Buchhaltung zu tun“, kam es etwas verlegen mit einem Seitenblick zu Harras. „Jetzt lasst es euch schmecken. August und Sabrina sind ganz allein für euch da. Übrigens, ich habe euch eingeladen, versteht sich.“
Dann verzog er sich in sein Büro. Wir setzten uns in eine gemütliche Nische und tranken unseren Weißen.
„Was war das denn gerade? Reiner hat extra für uns an seinem Ruhetag seinen Laden aufgemacht und seinen Koch samt Kellnerin bestellt? Was soll das?“, fragte ich skeptisch. Eine Alarmglocke klingelte deutlich in meinem Hinterkopf.
„Ich wollte mal in Ruhe mit dir reden, ohne Ablenkung durch andere Gäste, Lärm und Hektik. Das brauche ich manchmal“, antwortete er mit schiefem Lächeln.
„Und deswegen reservierst du gleich ein ganzes Lokal, lässt den Chef die Rechnung übernehmen und nötigst das Personal zu unbezahlten Überstunden?“
„Jetzt hör mir mal zu!“, befahl er schmallippig. „Ja, so was mache ich manchmal, wenn mir danach ist. Ich kann mir das leisten. Aber in diesem Fall hatte ich bei Reiner noch einen Gefallen gut, weil ich ihm diesen Laden extrem billig besorgt habe. Da kann er ruhig mal für uns den Kochlöffel schwingen. Alles klar?“ Seine Stimme hatte Biss bekommen.
„Ja, ist ja schon gut. Geht mich auch nichts an. Frieden?“
Ich hielt ihm mein Glas hin, zum Anstoßen. Er nahm an.
Der Wein war geleert und der Aperitif gerade gekommen, da kam Harras schon zur Sache:
„Weißt du eigentlich noch, dass wir uns einmal ewige Freundschaft geschworen haben? Kennst du den Spruch noch:
Über Frauen, Geld und Ruhm steht das, was wir zusammen tun.“
Dabei hielt er mich mit seinem Blick fest und wartete.
Ich hielt ihm nicht länger stand und schaute auf mein Glas, als ich ergänzte:
„Freundschaft, die uns Freude schafft, H & H. Ja, ja, ich weiß es noch. Das hat jetzt im Nachhinein ein bisschen was von Indianerschwur. So was macht man, wenn man jung ist.“
Mir war das Thema peinlich.
„So etwas tue ich nur selten und nehme es sehr ernst.“ Das klang wie eine Drohung.
„Was willst du eigentlich?“
„Ich will, dass du diesen Schwur nicht so leichtfertig abtust. Das war ein Versprechen, eines der wenigen, die überhaupt zählen.“ Sein Ton wurde hart.
„Was soll das?“ Auch ich wurde bissig. Jetzt war er wieder mein alter Feind. „Du tauchst nach fünfundzwanzig Jahren plötzlich aus der Versenkung auf, spendierst mir ein erpresstes Gratismenü und meinst, eine alte Freundschaft bei mir einklagen zu können wie eine unbezahlte Mietschuld, eine Freundschaft, die du selbst zerstört hast. Hast du das vergessen? Mach dich doch nicht lächerlich.“
Seine Augen waren schmale Schlitze und seine Lippen ein dünner Strich.
„Bezeichne mich nie wieder als lächerlich, nie wieder. Merk dir das“, fauchte er.
Schweigen, nur wieder dieser starre Blick. Diesmal hielt ich ihn aus, bis er fragte:
„Was habe ich denn ach so Böses getan?“
„Hast du das ernsthaft vergessen? Das sieht dir ähnlich.“
„Nein, das habe ich nicht. Ich will nur deine Version hören. Es gibt bekanntlich immer mehrere Wahrheiten. Erzähl sie mir, dann hörst du meine.“
Jetzt versuchte er wieder dieses charmante Lächeln, was nicht ganz glückte.
„Okay, ich weiß zwar nicht, was das soll, aber ... Du weißt vielleicht noch, dass ich damals unsterblich in Scarlett verliebt war, die mich nach einer kurzen Affäre in die Wüste geschickt hatte, fallen gelassen wie einen faulen Apfel und zu ihrem Eifelbauern zurückkehrt war. Ich war am Boden zerstört, konnte es nicht fassen und fühlte mich ausgelöscht und völlig leer. Ich erzählte dir, meinem Freund, all meinen Schmerz. Und du sagtest – ich weiß es noch wie heute und werde es nie vergessen – das Geilste für dich sei, dass du sie mal so richtig durchfickst und ich sollte dabei zusehen, weil ich anscheinend gar nicht wüsste, wie so was geht. Dann hast du einen Lachanfall gekriegt und konntest gar nicht mehr aufhören vor Spaß an deiner eigenen Bösartigkeit. Du warst eine Sau, eine verdammt kaltherzige Sau. Ich habe dich angeschrien und du hast nicht aufgehört, mir zu beschreiben, wie du sie nimmst, von vorne von hinten und was weiß ich. Du hast mir ihr orgastisches Stöhnen und Röcheln vorgespielt und immer wieder deine Teufelslache, deine diabolische Fratze. Ich habe geheult und geschluchzt. Ich war völlig hilflos. Dann bist du urplötzlich auf meinem Sofa eingeschlafen und ich habe dich nicht wieder wach bekommen, um dich rauszuwerfen, so blau, wie du warst.
Als ich am nächsten Morgen aufstand, warst du weg. Das Einzige, was du mir hinterlassen hattest, war ein vollgekotztes Klo und ein dickes Brandloch in meinem neuen Sofa. Mein Gott, warum sitze ich eigentlich mit dir hier?“
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass uns jemand wieder neue Getränke gebracht hatte. Ich stürzte den Inhalt des Glases hinunter, ohne zu wissen, was ich da trank und steckte mir eine Zigarette an. Das kühle Getränk beruhigte mich etwas.
„Ja, so war es. Du hast recht, das war gemein von mir. Aber hast du dich einmal gefragt, in deinem ach so großen, süßen Schmerz, warum ich das getan habe? Du hast doch gar nicht mehr gesehen, was wirklich abging, was sie mit dir gemacht hat, diese Scarlett, ein Name, ein Programm. Diese Fotze auf Beinen bis zum Himmel hat dich verarscht.“
„Mein Gott, hast du eine Ausdrucksweise.“
„Das ist nur die passende Wortwahl. Sie hat dich als weiches Heulkissen benutzt, sich von dir wieder aufbauen zu lassen. Sie hat ihren Eifeltypen mit dir betrogen, um ihn weich zu kriegen und hat dich gleich mit fertiggemacht. Sie hat dir nie gesagt, dass sie dich will und bei dir bleiben will. Du hattest sie damals mit dem schönen Wort ,ambivalent‘ beschrieben. Sie hat dir mit ihrem arroganten Prinzessinnengetue völlig den Kopf verdreht. Ich hatte dir vorher schon berichtet, wie sie dich hinter deinem Rücken anderen Leuten gegenüber beschrieb: das naive Weich-Ei, der amüsante Pausenclown, der harmlose Irre, der wie Wachs zwischen ihren Beinen dahinschmolz und ihr Gedichte schrieb. Das einzig Passable an dir sei dein Klavierspiel. Sie hat sich über dich lustig gemacht, dich der Lächerlichkeit preisgegeben. All das hatte ich dir klarzumachen versucht. Nur warst du taub und blind und liebeskrank. Meine Methode war nicht die feine Art und auch nicht sehr effizient, das habe ich dann auch gemerkt. Deswegen bin ich abgehauen. Und außerdem war ich an dem besagten Abend ziemlich blau.“
„Das war immer schon deine Entschuldigung. Dann hättest du nicht so viel saufen dürfen.“
„Gut, dass du im besoffenen Kopf keinen Scheiß gemacht hast. Als ich dich dann anrief, hast du sofort wieder aufgelegt und das nicht nur einmal. Ich habe vor deiner Tür im Auto stundenlang auf dich gewartet. Als du dann schließlich aus dem Haus kamst und ich dich ansprach, bist du wortlos weitergegangen. Geht man so etwa mit einem Freund um? Du hast mir einfach keine Chance gegeben. So, das ist meine Version. Und jetzt sage ich etwas, was mir sehr schwer fällt: Ich bitte dich hier und jetzt offiziell um ... Verzeihung, Henning. Das war eine Ecke zu hart für dich. Das hätte ich wissen müssen. Entschuldige.“
Er trank seinen Campari-Orange aus, schaute in sein leeres Glas und dann fest in meine Augen.
„Okay, angenommen. Ist ja auch schon so lange her.“
Wir grinsten uns an.
„Habt ihr endlich aufgehört euch zu streiten? Ich dachte schon, ich müsste das schöne Essen in den Gulli werfen. Gott sei Dank ist die Vorspeise sowieso kalt. Habt ihr euch auch wieder vertragen, sonst esse ich das selbst und werfe euch aus meinem Laden. Streithähne bringen Unglück.“
Reiner stand mit einer großen Platte gemischter Meeresfrüchte am Tisch und blickte besorgt auf seine Ehrengäste.
„Alles klar, wir lieben uns wieder“, grinste Harras und küsste mich auf die Wange.
„Ach, wie süß!“, spielte Reiner den Schwulen und dackelte, die schweren Hüften schwingend, wieder in sein Hinterzimmer.
Um halb zwei in der Nacht warf Reiner uns auf die Straße, nicht ohne uns vorher eine Droschke bestellt zu haben. Wir verabschiedeten uns herzlichst und versprachen mit ganzen Völkerstämmen wiederzukommen, um ihn reich und berühmt zu machen. Es war in herrlicher Abend.
Als ich am nächsten Abend Helen vom Treffen mit Harras erzählte, endete meine Schilderung – ich weiß es noch genau – mit dem Satz: „Ich bin froh, dass wir unseren Groll begaben konnten, der alte Sauhund, der zwielichtige.“
„Ist ja schön, dass ihr jetzt wieder richtig Freunde sein könnt, nachdem ihr euch eure Schäufelchen und Eimerchen zurückgegeben habt und euch nicht mehr mit Sand beschmeißt, auf Indianer-Ehrenwort, aber, wie alt seid ihr eigentlich?“, war Helens Kommentar.
Im Allgemeinen liebte ich ihren Sarkasmus, in diesem Moment eher weniger.
„Jetzt hör mal, dass wir ein jahrelanges Missverständnis ausgeräumt haben, ist doch wohl nicht infantil, oder?“, entgegnete ich gekränkt.
Ich hatte Helen natürlich nur die entschärfte Kurzfassung unseres Streites vor zwei Jahrzehnten erzählt.
„Ja, das mag ja sein“, erwiderte Helen jetzt ohne Ironie, „aber diese Geschichte mit dem Freundschaftsschwur ist doch wirklich lächerlich. Ich habe den Eindruck, dass dein alter Freund Harras nicht einmal ansatzweise erwachsen geworden ist. Alles dreht sich in euren Gesprächen um die Vergangenheit und um ihn, deinen Harras. Er bestimmt den Treffpunkt, er arrangiert das Essen, er sorgt für die Verbindung zu dem altbekannten Wirt, er fordert als Höhepunkt die alte Freundschaft ein – was auch immer das bedeuten soll – und er wäscht sich wieder rein von Schuld vor dir. Und das mit einer Verbissenheit, die schon sehr seltsam ist. Ich bin mal gespannt, was der sonst noch so vor hat. So und jetzt lassen wir das Thema, der Typ macht mich aggressiv.“
„Lass’ mir doch die Freude, einen alten Freund wiedergefunden zu haben.“
„Lass’ ich ja.“
„Das merk’ ich.“
„Ist jetzt gut?“
„Na gut.“