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Amtsdeutsch

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Neulich haben mein Nachbar und ich gemeinsam im Garten gearbeitet.

Wir haben mein raumübergreifendes Großgrün so zurückgeschnitten, dass es die nicht lebende Einfriedung meines Nachbarn nicht überschreitet; dann haben wir die

Spontanvegetation entfernt und alles mittels eines einachsigen Dreiseitenkippers weggefahren.

Zu Deutsch: Wir haben den Baum beschnitten, damit er nicht mehr über den Zaun ragt, das Unkraut entfernt und alles mittels einer Schubkarre weggefahren.

Heute mache ich mir Gedanken über Beamtendeutsch. Die 10 Gebote zählen 279 Wörter, die Unabhängigkeitserklärung der 13 nordamerikanischen Staaten von 1776 zählt 300 Wörter, die EU-Verordnung über den Import von Karamell-Bonbons von 1981 besteht aus 25.911 Wörtern. Dass wir seit Johann Wolfgang von Goethe das Volk der Dichter und Denker und der Sprache sind, war sicher anders gemeint als in diesem Beitrag aus dem Bundessteuerblatt:

Es ist nicht möglich, den Tod eines Steuerpflichtigen als dauernde Berufsunfähigkeit im Sinne von § 16 Abs. 1 Satz 3 EStG zu werten.

Und die Post ist auch nicht besser:

Der Wertsack ist ein Beutel, der auf Grund seiner besonderen Verwendung nicht Wertbeutel, sondern Wertsack genannt wird, weil sein Inhalt aus mehreren Wertbeuteln besteht, die in den Wertsack nicht verbeutelt, sondern versackt werden.

Welcher Sack hat denn das verfasst - oder war es ein Beutel, vielleicht ein Dummbeutel? Oder mit dem Klammerbeutel gepudert? Zuviel Bocksbeutel getrunken?

Es ist mir persönlich gleichgültig, ob ich das Recht habe, ein Grundstück zu überqueren oder eine Grunddienstbarkeitsbewilligungserklärung besitze; ob ich im Bahnhof ein Drehkreuz passiere oder eine Personenvereinzelungsanlage; ob ich tanke oder eine Betriebsmittelaufnahme durchführe; ob Regen Oberflächenwasser darstellt; ob Diebstahl unrechtmäßige Besitz-Umstrukturierung heißt oder Kaffee koffeinhaltiges Bohnenheißgetränk genannt wird; sogar ob ein Hubwagen ein deichselgesteuertes Flurförderfahrzeug ist oder die Vermittlung eines Kindes in eine Pflegefamilie beeltern heißt. Ich nenne die Querstreifen auf der Autobahn nichtAbstandseinhaltungserfassungsvorrichtung, besuche keinen Lautraum, sondern eine Diskothek und eine Kopie ist für mich kein Mehrstück. Selbst ein Polizist nennt Handschellen nicht Schließzange und seinen Diensthund nicht Biosensor.

Das alles ist mir ziemlich egal. Aber folgendes mir ist nicht egal: Wenn ich mein Stammbuch verliere, wissen Sie, was dann weg ist: mein Lebensberechtigungsschein. Und das geht mir dann doch ein bisschen zu weit. Was passiert, wenn der zuständige Beamte meiner geliebten Behörde meiner überaus geliebten Heimatstadt sich weigert, mir diesen erneut auszustellen. Vielleicht, weil ich ihn mal nicht gegrüßt habe? Oder im Tennis geschlagen? Oder meine rauhfutterverzehrende Großvieheinheit (Kuh) von seinem Gras gefressen hat? Oder ich bei falscher Farbe über eine bedarfsgesteuerte Fußgängerfurt (Fußgängerampel) gegangen bin?

Um es in eben diesem Beamtendeutsch zu formulieren: Wenn ein Parkschein berechtigt zu parken, ein Führerschein berechtigt, ein Fahrzeug zu führen, ein Waffenschein berechtigt, eine Waffe zu besitzen: was bin ich dann ohne Lebensberechtigungsschein? Darüber mag ich gar nicht nachdenken.

Doch weg mit diesen dunklen Gedanken. Es muntert immer wieder auf, auch mal einen Blick über die Grenzen zu werfen: zu unseren Nachbarn. Diesmal in die Schweiz. Die sind auch nicht besser als wir, was Amtsdeutsch angeht.

Selbstreproduzierende Kleinflugkörper auf biologischer Basis mit fest programmierter automatischer Rückkehr aus allen beliebigen Richtungen und Distanzen“

Wir nennen sie Brieftauben.

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