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Stadt der Drucker und Verleger
ОглавлениеDie Bedeutung des Druckerhandwerks, von Büchern und anderen Veröffentlichungen ist für die Verbreitung neuer Informationen und Erkenntnisse aus Geographie und Kartographie nicht zu vernachlässigen. Die wachsende Zahl der Übersetzungen, die für den Humanismus so bezeichnend ist, begünstigte die Rezeption von Werken der antiken Kosmographen, vor allem von Ptolemäus. Nürnberg kann wie kaum eine zweite Stadt als Stadt der Drucker und Verleger bezeichnet werden. Dies sollte umso mehr hervorgehoben werden, als das gesamte Reich damals auf diesem Gebiet eine große Beschleunigung erlebte. Die in Mainz erfundene Druckerkunst entwickelte sich in Nürnberg, Augsburg und Ulm am dynamischsten. Mit den Druckern arbeiteten Künstler vom Rang eines Albrecht Dürer oder Hans Holbein zusammen. Die Expansion des Druckerhandwerks zeigt sich daran, dass es bis 1460 im ganzen Reich sechs Druckerpressen gab, während die Zahl in den 30 darauffolgenden Jahren auf 249 anstieg; aus der Zeit, in der Inkunabeln verlegt wurden, kennen wir die Namen von nicht weniger als 1100 Druckern.
Nürnberg erwarb als Zentrum von Buchdruck und Buchhandel rasch internationale Bedeutung. Die Drucker nahmen auch Aufträge aus dem Ausland an. So wurden in Nürnberg an der Wende zum 16. Jahrhundert die Lettern für die ersten russischen Bücher gegossen, die in Krakau und Prag erschienen.
Nürnberg war eine offene Stadt. Schon 1477 erschien hier die erste deutsche Ausgabe der Reisebeschreibung von Marco Polo, ein Werk einer der ältesten Druckwerkstätten der Stadt – jener von Friedrich Creussner. Für diese frühe Zeit lassen sich die Unterschiede bei der Aufgabenverteilung zwischen Verlegern und Druckern, den Personen, die Bücher planten und solchen, die sie illustrierten, kaum definieren, oft übten sie mehrere dieser Funktionen gleichzeitig aus. Als erste in Nürnberg eröffnete Druckerei gilt die Offizin von Johann Sensenschmidt, die im Jahr 1470 ihre Arbeit aufnahm. Niemand aber tat es dem „König der Drucker“, Anton Koberger, nach, der seine Werkstatt 1471 eröffnete. Er war damals einer der bekanntesten, vielleicht sogar der bekannteste Drucker Deutschlands. Die große Druckerei auf dem Aegidienberg besaß 22 Druckerpressen und beschäftigte zwischen 100 und 120 Mitarbeiter. Kolbergers Verlagsprofil war sehr breit gefächert; seine Druckerei verließen juristische und historische, theologische und philosophische Werke. Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts wurden hier rund 220 kleinere und größere Arbeiten gedruckt. Unter den schönsten Büchern zu nennen sind die deutsche Koberger-Bibel von 1483, eine Gebetsammlung des heiligen Fridolin mit dem Titel Der Schatzbehalter oder Schrein der waren Reichtümer des Heils und der ewygen Seligkeit von 1491, die 96 ganzseitige Holzschnitte von Michael Wolgemut enthielt, sowie die zwei Jahre später erschienene Weltchronik des Hartmann Schedel. Um 1500 begann Koberger eine Karriere als Juwelier, schloss seine Druckerei und konzentrierte sich in Zusammenarbeit mit anderen Druckereien auf das Verlagsgeschäft sowie auf den Buchhandel. Er besaß ein Verkaufsnetz in ganz Europa, seine Filialen befanden sich in Städten wie Basel, Buda, Krakau, Lyon, Mailand, Paris, Passau, Venedig, Wien und Breslau.
Hartmann Schedel war nicht nur Verfasser der umfangreichen und reich illustrierten Weltchronik, sondern auch ein bekannter Büchersammler, der die größte Privatbibliothek Nürnbergs besaß. Geboren 1440 in dieser Stadt, verlor er im Alter von elf Jahren seine Eltern und wurde von seinem Vetter Herrmann Schedel aufgezogen. Herrmann hatte in Leipzig und Padua studiert; nach der Beendigung seines Medizinstudiums praktizierte er in verschiedenen deutschen Städten, ehe er sich in Nürnberg niederließ. Überall, wo er sich aufhielt, gehörte er, ganz unabhängig von seiner beruflichen Spezialisierung, zu den eifrigsten Benutzern von Bibliotheken – was bei den Ärzten oft der Fall war –, wo er eigenhändig sehr viele Bücher kopierte. Er trug auch eine ansehnliche Sammlung von Werken aus den unterschiedlichsten Wissensgebieten zusammen, er besaß medizinische und juristische Abhandlungen, Chroniken, astronomische und astrologische Traktate. Unter den Klassikern in seiner Sammlung sind Juvenal, Horaz und Terenz, von den späteren Autoren besaß er unter anderem die Briefe des heiligen Hieronymus, die Schriften von Petrarca, Boccaccio, Philelph und Enea Silvio de’ Piccolomini. Nach Herrmanns Tod wurde seine Bibliothek teilweise aufgelöst, doch ein recht großer Teil kam in die Hände von Hartmann Schedel, der von seinem Vetter die Liebe zu Büchern übernommen hatte. 1466 erhielt Hartmann in Padua – so wie sein Vetter – den Doktortitel in Medizin; 1484 wurde er Stadtarzt in Nürnberg. In Padua studierten damals übrigens viele Vertreter von Nürnberger Bürgerfamilien. Als er sein Wirken in der Pegnitzmetropole begann, befanden sich in seiner Bibliothek unter anderem Werke von Cicero, Einhard, Dantes Göttliche Komödie und Piccolominis Europa, außerdem sammelte er medizinische, geographische, kosmographische und astronomische Abhandlungen sowie griechische Inschriften, über die er eine Monographie zu schreiben gedachte. Im Gegensatz zu seinem Vetter und vielen anderen Bücherfreunden des 15. Jahrhunderts verachtete Hartmann Schedel gedruckte Bücher nicht. Seine Leidenschaft reichte weit, und er erhielt viele Bücher als Geschenk von Freunden, aber auch von dankbaren Patienten, da er nebenbei ständig als Arzt praktizierte. Die Korresondenz von Hartmann Schedel belegt seine hervorragenden Kenntnisse der antiken Literatur, er las und kopierte viel. Außerdem sammelte er noch Münzen, alte Stiche usw. Derartige Interessen waren für jene Zeit typisch, viele Menschen waren leidenschaftliche Sammler. Schedel ist als lokaler Humanist zu bezeichnen, als wissenschaftlicher Dilettant, der sich zugleich aber ungemein um die Wissenschaften verdient machte.
Der Katalog seiner Bibliothek umfasst 623 Werke, doch enthält dieser sicherlich nicht alle in seinem Besitz befindlichen Titel, da er anscheinend nicht mit der Registrierung der Neuerwerbungen nachkam. Wichtig ist, dass der Verfasser der künstlerisch prächtigen Weltchronik zu Büchern eine konkrete Beziehung hatte, es war ihm nicht um kostspielige Illuminationen oder schöne Einbände zu tun, sondern alle Werke waren für den praktischen Gebrauch bestimmt. Nur beispielhaft sei erwähnt, dass es hier, abgesehen von den oben genannten Büchern, Werke aus den unterschiedlichsten Gebieten gab, so über Mathematik und Philosophie, antike Schriftsteller und Kirchenväter wie den heiligen Ambrosius und den heiligen Hieronymus, er besaß auch die berühmtesten Werke der europäischen Literatur wie den bereits genannten Dante, Petrarca und Boccaccio, eigenhändig hatte er Poggio Bracciolini und Piccolomini kopiert. Auf Piccolominis Schriften griff Schedel bei der Ausarbeitung seiner Weltchronik vielfach zurück. Von seiner Leidenschaft für Bücher mag die Tatsache zeugen, dass sich 40 Bände selbst von ihm angefertigter Abschriften aus unterschiedlichen Werken erhalten haben. In Schedels Sammlung fanden sich Abhandlungen wie Strabons De situ Asie, Africe et Europe, zwei Ausgaben von Ptolemäus’ Geographie, De chorographia von Pomponius Mela sowie ein deutlich didaktisches Gedicht des griechischen Dichters Dionysios Periegetes aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. mit dem Titel De situ orbis. Periegetes, der heute sehr viel unbekannter ist als Strabon oder Ptolemäus, war ein im Mittelalter durchaus beliebter Autor, der viele Nachrichten aus Ethnographie, Geographie und Geschichte vermittelte.
Schedels Liebe zu Büchern drückt sich auch in seinem Testament aus, das 1494 angefertigt wurde, einige Wochen nach dem Erscheinen der deutschen Fassung seiner Weltchronik, die ursprünglich auf Latein entstanden war. Am 3. März 1494 entschied Schedel, abgesehen von anderen Bestimmungen über seinen Besitz, über das Schicksal seiner reichhaltigen Bibliothek. Er ordnete an, dass die Bücher nach seinem Tod an einem Ort bleiben sollten, um von seinen Nachfahren verwendet zu werden; sie sollten sauber und nach dem im Katalog enthaltenen System in guter Ordnung gehalten werden. Schedels Einstellung weist auf die große Bedeutung hin, die er den weiteren Geschicken seiner Bibliothek zumaß; er war sich über ihren Wert im Klaren und sah die Chance, durch sie seinen Namen in den nächsten Generationen vor dem Vergessen zu bewahren.
Der letzte Wille des Nürnberger Bücherliebhabers ging in Erfüllung. Die Bibliothek wurde vom letzten Nachfahren Schedels an Johann Jakob Fugger verkauft und gelangte dann in den Besitz des bayerischen Herzogs Albrecht V. (1528–1579). Mit kleinen Ausnahmen blieb sie erhalten und wurde zur Grundlage der damaligen Königlichen Bibliothek, der heutigen Bayerischen Staatsbibliothek in München. Einem Verzeichnis von 1908 zufolge enthielt sie 670 Drucke und über 370 Handschriften.