Читать книгу Die Unaussprechliche - Wolf Awert - Страница 10

Pando

Оглавление

Pando sah Tama in dem Haus ihrer Familie verschwinden. Er wartete noch eine kurze Zeit, bis er sicher war, dass ihre Ankunft unbemerkt geblieben war. Dann hob er ab, flog zu Treibgut und verschaffte sich auf bewährte Art Einlass zu dessen Räumen. Er stöberte dort ein wenig herum und verschlief dann den Rest der Nacht. Im frühen Schein der aufgehenden Sonne nahm er die Gestalt von Dorman ein, betrachtete sich in einem Spiegel und gab seinem Gesicht einen Hauch mehr Jugendlichkeit. Schließlich wollte er nicht wie Tamas Vater wirken. Eher wie ein großer Bruder. Obwohl … Der Gedanke, nur ihr Bruder zu sein, missfiel ihm ebenfalls, auch wenn das das Äußerste war, was er im Augenblick erwarten konnte. Er seufzte, schob alle Gedanken an Tama beiseite und wartete. Bevor er irgendetwas unternahm, brauchte er Klarheit.

Treibgut war ein Frühaufsteher, der meist vor einem ausgiebigen Frühstück schnell noch seinen Werkraum besichtigte, um ein paar Dinge zurechtzulegen, die er für die Ideen brauchte, die ihn nachts besuchen kamen. Als er seinen Werkraum bereits besetzt vorfand, versteckte er seine Fassungslosigkeit hinter einem unwilligen Knurren und sagte nur: „Lasst diese Art des Erscheinens bitte nicht zu Eurer Gewohnheit werden, Dorman. Ich hoffe allerdings, dass Ihr mir irgendwann einmal bei Gelegenheit erzählt, wie es Euch gelingt, unbemerkt in meine Räumlichkeiten zu kommen. Was hat Euch denn dieses Mal zu mir getrieben? Braucht Ihr mal wieder etwas Geld? Vielleicht zur Abwechslung zweihundert Gold oder dreihundert?“

Der gestrenge Dorman wurde verlegen. „Zunächst wollte ich Euch mitteilen, dass Tamalone unbeschadet zurück in der Stadt ist. Wahrscheinlich im Elfenviertel oder bereits auf dem Heimweg.“

„Den niemand kennt. Wahrlich eine junge Frau voller Geheimnisse. Aber ich danke euch für die beruhigende Nachricht.“

Treibgut sah nicht beruhigt aus. Da war eine Aura der Wachsamkeit um ihn herum, die Dorman sehr wohl wahrnahm. Er räusperte sich. „Da ist noch etwas anderes“, sagte er. „Ich habe noch Schulden bei Euch.“

Treibgut nickte. Warum etwas erwähnen, was ihnen beiden bewusst war.

„Nun – ich bin ein Mann, für den Geld keine Bedeutung hat …“

„Mit anderen Worten, Ihr habt keines“, unterbrach Treibgut Dormans Satzgirlanden.

„Das ist zwar richtig, sollte Euch aber nicht beunruhigen. Wenn Ihr es dringend braucht, müsst Ihr es nur sagen und ich besorge es in ganz kurzer Zeit.“

„Und wie wollt Ihr das anstellen?“

Dorman grinste böse. „NA-R ist voll von reichen Familien, bei denen sich jeder bedienen kann, wenn er nur stark genug ist.“

„Wie stark Ihr seid, kann ich nicht beurteilen. Geschickt seid Ihr jedenfalls, wenn es um verschlossene Wohnungen geht. Aber es ist Euch doch wohl klar, dass ein solches Vorgehen ganz NA-R in Aufruhr versetzen würde.“

„Das ist zwar richtig, aber unvermeidbar, wenn Ihr Euer Geld schnell braucht.“

Treibgut verkniff sich ein Lächeln. „Wenn es Euch beruhigt, ich werde es überleben, wenn ich noch einige Tage darauf warten muss. Fünf Tage? Oder zehn?“

„Darauf hatte ich gehofft und einen Vorschlag mitgebracht.“

Treibgut seufzte innerlich. Diese zögernde Seite hatte er an Dorman bisher nicht kennengelernt. „Sprecht einfach aus, was Ihr zu sagen habt. Dann sehen wir weiter“, sagte er.

„Vielleicht könnte ich meine Schulden auch bei euch abarbeiten?“

Treibgut stieß einen Laut der Überraschung aus. „Wollt Ihr singen, mit Sachen jonglieren oder meine Wohnung säubern?“

„Ich dachte, ich könnte Euch bei Euren Artefakten helfen.“

„Als Hilfskraft hier in meiner Werkstatt? Danke, ich bevorzuge die geschickten Hände von Frauen.“

„Ich dachte eher an Eure Sammlung. Die alten Stücke aus der Vergangenheit der Menschen.“

Treibgut war plötzlich todernst. Bei seinen Artefakten verstand er keinen Spaß. „Wer hat Euch davon erzählt? Tamalone?“

„Niemand, ich habe sie mir angesehen. Hatte ja nichts zu tun diese Nacht.“

„Kerlchen, wenn auch nur eines meiner Schätze den geringsten Schaden genommen hat …“

„Ich musste sie nicht berühren, um sie zu lesen. Eure Sorgen sind also überflüssig.“

Treibgut setzte sich hin. Er hatte erst in diesem Augenblick bemerkt, dass er immer noch stand. „Dorman, wollt Ihr mir nicht sagen, wer Ihr seid?“

„Ein Mensch!“ Dorman sagte das so voller Stolz, als gäbe es nichts Größeres auf der Welt.

„Menschen haben wir in NA-R zuhauf. Sie stehen nicht besonders hoch im Kurs bei uns.“

„Erzählt mir nicht, dass Ihr noch weniger über Menschen wisst als ich. Ihr sammelt deren Artefakte.“

„Ich sammele alte Artefakte. Nicht nur die der Menschen, auch die von Elfen.“

„Es gibt keine alten Artefakte von Elfen. In den alten Tagen wäre die Benutzung von magischen Hilfsmitteln ein Zeichen der Schwäche gewesen. Heute sehen die Elfen das anders. Die Zeiten ändern sich und das immer schneller, befürchte ich.“

„Wollt Ihr damit andeuten, dass alle meine alten Artefakte von Menschen hergestellt oder getragen wurden?“

„Dass Komposits Artefakte herstellen, ist eine ganz neue Entwicklung. Und ja, es gab einmal eine Zeit, in der nur die Menschen diese Kunst beherrschten.“

„Gehen wir.“

„Wohin?“

„Zu meinen Artefakten. Da werden wir ja sehen, ob Ihr mir nützlich sein könnt.“

Dorman stand mit geschlossenen Augen vor Treibguts Sammlung, als wollte er den Geist vergangener Tage erriechen oder mit den Ohren einfangen. „Ich habe mich immer gefragt, ob die Menschen über eine eigenständige Magie verfügen wie die Drachen oder Elfen“, murmelte er so leise, dass Treibgut Mühe hatte, ihn zu verstehen. „Es gibt keine Vernunft ohne Magie und keine Magie ohne Vernunft. Warum sollten die Menschen eine Ausnahme bilden?“ Dann etwas lauter: „Hätte ich Eure Sammlung früher entdeckt, hätte ich mir meine Herumsucherei sparen können. Hier bei Euch befinden sich die Reste einer alten Magie, die einmal zu den Menschen gehört hat und lediglich neu belebt werden muss.“

„Ihr redet, als gehörtet Ihr nicht dazu, zu den Menschen.“

„Das ist noch nicht entschieden, mein Freund.“

Mein Freund? Wer, glaubte dieser Dorman, wer er war? Aber Treibgut traute sich nicht, etwas zu sagen, als er Dorman da so in sich versunken stehen sah.

„Die meisten Eurer Artefakte dienen einer Magie, die die Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten herstellt. So, als ob die Menschen einen ganz besonderen Ahnenkult pflegten. Tun sie das immer noch?“

„Ich muss gestehen, dass ich das nicht weiß. Hin und wieder plaudere ich auch mal mit unseren Komposits, die nur über wenig Elfenblut verfügen. Aber Ahnenkult gehört nicht zu unseren Plauderthemen.“

„Es gibt hier zwei Typen von Artefakten. Mit den einen lassen sich die Ahnen rufen, die anderen helfen den Ruf der Ahnen selbst zu verstärken. Und dann fällt mir auf, dass sich mit vielen Artefakten einfache Arbeiten des täglichen Lebens erleichtern lassen. Sie müssen einmal sehr viel stärker als das Elfenvolk gewesen sein.“

„Wie dem auch sei. Heute sind sie jedenfalls erheblich zurückgeblieben. Stark sind sie nur durch die hohe Zahl ihrer Nachkommen.“

„Wenn ich die Magie für mich arbeiten lassen kann, brauche ich keine Waffen und auch nur wenig Werkzeuge. Wenn mir dann aber ganz plötzlich die Magie verloren geht, bin ich recht hilflos, weil mir viele Fähigkeiten fehlen. Es kommt zu Hungersnöten, Krankheiten. Die Menschen müssen eine schlimme Zeit hinter sich haben. Aber sie sind nicht dumm und lernen. Neue Artefakte stellen sie allerdings nicht mehr her. Die kaufen sie sich lieber bei den Komposits und benutzen deren Elfenmagie. Das ist für mich schwer zu verstehen.“

„So schwer wie für mich Eure Fähigkeit, meine Schlösser zu öffnen?“

„Könnt Ihr nicht einfach mit dem Gedanken leben, dass Schlösser mich lieben und sich freiwillig für mich öffnen?“

„Nein, das kann ich nicht, weil so eine Erklärung nicht mehr als dummes Geschwätz ist, mit dem Ihr meinen Verstand beleidigen wollt.“

„Es gibt hier viele Artefakte, die die Elfen nicht kennen, weil sie so etwas nie gebraucht haben. Dadurch verzichten sie auf ganze Gebiete der Magie. Ihr solltet Euch unverzüglich an die Arbeit machen und endlich den universellen Magieverstärker zusammenbauen“, sagte Dorman.

„Wieso habe ich auf einmal das Gefühl, dass Ihr das Kommando hier übernehmen wollt?“, fragte Treibgut etwas ungnädig.

Dorman machte unschuldige Augen. „Wen oder was sollte ich denn kommandieren wollen?“

„Das weiß ich noch nicht, aber glaubt mir, ich werde es nicht sein.“

„Vergesst es. Es geht weder um mich noch um Euch. Der Magieverstärker ist deshalb wichtiger als alles andere, weil Tamalone über die Gabe verfügt, die Magie der Menschen zu erwecken. Das habe ich erst jetzt und hier verstanden. Was wäre das für ein Geschenk, durch sie die Magie der Menschen zurückzubekommen. Aber ihr fehlt die Kraft, die dazu nötig ist. Warum die Menschen ihre Magie verloren haben, weiß ich nicht. Woher sie sich diese Kraft früher einmal besorgten, ist eine weitere Frage, auf die ich gern eine Antwort hätte. Eine verlorene Kunst ist sie geworden. Heute beherrscht diese Magie niemand mehr.“

„Außer Euch.“

„Ich wünschte, es wäre so. Aber Eure Sammlung von Artefakten könnte mir erzählen, zu was die Menschen einmal fähig waren. Nur einige wenige Eurer Sammlerstücke sind tot. Ob ich in ihnen noch etwas finde, kann ich nicht versprechen. Andere schlafen und lassen sich möglicherweise wecken. Und noch andere sind lediglich ein wenig müde. Sie werden sprechen. Aber all das wird mehr Zeit kosten, als wir im Augenblick zur Verfügung haben. Ihr müsst deshalb den Magieverstärker bauen, und ich werde Tama so lange beschützen, bis Ihr endlich fertig seid.“

Das war keine Sprache, in der Treibgut sich zu unterhalten bereit war. „Zunächst hätte ich gern mein Geld zurück“, sagte er. „Mir fällt gerade ein, dass ich es doch dringender brauche, als ich gedacht habe. Schließlich könnte es sein, dass ich sehr teure magische Substanzen einkaufen muss, damit ich endlich den Magieverstärker bauen kann.“ Treibguts Stimme war tonlos und sein Blick hart.

Dorman erwiderte diesen Blick nur kurz, trat einen Schritt auf Treibgut zu und umarmte ihn mit einer Kraft, dass Treibgut sich kaum mehr rühren konnte. So hart Dormans Griff war, so weich erklang seine Stimme. „Verzeiht mir, mein Freund. Ich darf Euch doch so nennen. Es ist allein die Sorge um Tamalone, die mich ungeduldig werden ließ.“ Von einem auf den anderen Moment verließen Härte und Kraft Dormans Arme und er gab Treibgut wieder frei. „Ihr wollt unbedingt wissen, wie ich Eure Schlösser öffne? Gut. Ich zeige es Euch. Passt gut auf. Dort, das Amulett, das an dem Silberhaken hängt.“

Das Amulett befreite sich von seinem Haken, stieg in die Luft auf und kam, wie von einem Luftkissen getragen, herangeschwebt.

Treibgut traute sich nicht zu atmen, aus Angst, ein einziger Atemzug könnte Dorman in seiner Konzentration stören, und das wertvolle Stück, aus Knochen geschnitzt und mit Dornen aus Messing durchbohrt, würde dann zu Boden stürzen und zerbrechen. „Vorsicht, Mann,“ flüsterte er, als Dorman das Artefakt mit sicherer Hand ergriff und es aus der Luft pflückte wie einen Apfel vom Ast eines Baumes.

„Ich beherrsche nur diesen einen Menschenzauber, den ich Euch gezeigt habe. Die Kraft dazu wurde mir angeboren. Und Ihr habt kein Artefakt dafür. Wahrscheinlich ist er selten gewesen.“

Treibgut rieb sich die Arme an den Stellen, wo Dormans Hände sie gedrückt hatten. „Ihr seid ein Narr, wenn Ihr ernstlich glaubt, dass ich nach all dem, was Ihr mir grad offenbart habt, mich jetzt so einfach hinsetze und am Magieverstärker arbeiten werde. Wir haben Zeit. Zumindest so lange, bis Tamalone zurück ist. Und ihr dürft sie gern weiterhin Tama nennen, weil ich weiß, dass Ihr es auch sonst so haltet. Sagt mir, was Ihr bei einer oberflächlichen Durchsicht der Artefakte erkennen könnt.

Dorman verfluchte seine Ungeduld, überlegte nur kurz, dann nickte er und trat vor die Wand, an deren Artefakte Merjina gerade arbeitete. „Zeigt auf ein Artefakt und ich sage Euch, was mir dazu einfällt.“

Treibgut zeigte auf ein Artefakt mit der Nummer 41.

„Ihr habt einige Artefakte hier, die wirken wie ein Fernrohr. Ihr schaut hinein und alles wird so groß, dass ihr die Einzelheiten erkennen könnt. Es ist nur gleichgültig, in welche Richtung ihr schaut. Auch sind es keine Rohre. Ich vermute, man kann über sie den Kontakt zu anderen Welten oder Orten herstellen. Praktisch, wenn man etwas verloren hat und es wiederfinden muss. Das Artefakt 41 gehört zu dieser Gruppe und doch auch wieder nicht. Es enthält noch sehr viel Kraft. Aber ich kann es nicht nutzen. Für mich schaut es ins Nichts. Und man kann mit ihm auch nichts wiederfinden, was man verloren hat. Wir brauchten einen Menschen mit magischen Fähigkeiten. Wir brauchen Tama.“

„Mir brummt der Kopf. Ich weiß nicht, was ich von all dem halten soll. Das klingt für mich, als wären die Menschen einst erheblich mächtiger gewesen als die Elfen.“

„Möglich, aber ich glaube nicht, dass ihre Magie so mit ihrer Natur verbunden war, wie es bei den Elfen der Fall ist. Alle Elfen sind Magier oder Zauberer, wenn sie es darauf anlegen. Ich kann mir das bei den Menschen nicht vorstellen. Aber was weiß ich schon sicher über dieses Volk.“

„Es ist doch Euer Volk.“

„Wenn Ihr das sagt.“

Treibgut geleitete seinen ungeladenen Gast zur Tür und von dort zurück in die Werkstatt. „Ich werde mich um den universellen Magieverstärker kümmern. Aber sagt, Ihr wisst nicht zufällig, welches Wesen den Zahn geliefert hat, von dem mir lediglich eine kleine Scheibe zur Verfügung steht?“

Pandos Schritte gerieten kurz aus dem Takt. Dann sagte er: „Nach allem, was ich weiß, muss der Zahn schon recht alt sein.“

Die Unaussprechliche

Подняться наверх