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Wolf Buchinger

Ursulas Lust

Den Tod auf den Punkt gebracht

„Nein, nein, es gefällt mir hier überhaupt nicht. Rundherum nichts wie siechendes Nichts, alle ausgelaugt, psychisch erledigt und gerade noch in der Lage, hell und dunkel zu unterscheiden. Keiner will auch nur eine einzige Sekunde hergeben, egal wie dreckig es ihm geht. Es ist zum Kotzen mit dieser Sturheit, sich sinnlos an das bisschen Leben zu klammern.“

„Sorry, wenn ich widerspreche, aber dafür sind Altersheime doch gemacht.“

„Erstens sind wir hier in einer Altersresidenz, das kostet mehr, also darf man auch mehr erwarten und zweitens wird hier viel verdient mit Zusatzleistungen, also tut man von der Leitung ebenfalls alles, um das Siechtum so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Ich hasse dieses System.“

„So wird es bleiben, solange es Menschen gibt. Bei Karl May habe ich als Jugendlicher gelesen, dass echte Indianer spüren, wann es soweit ist und sie der Gemeinschaft zur Last fallen. Dann nehmen sie Abschied und gehen immer geradeaus in die Prairie bis zum Ende ihrer Kräfte, setzen sich hin und warten, bis es soweit ist. Es soll sogar vorgekommen sein, dass sie mit den Geiern, die sich ahnend der Dinge, daneben gesetzt haben, geredet haben, etwa: „Bitte pickt mir erst die Augen aus, wenn ich sicher tot bin und nichts mehr spüre!“ Ob es die Vögel verstanden haben, wird man nie herausfinden, aber ich glaube, dass es selbst im Tierreich ein wenig Achtung vor dem Tod gibt.“

„Ein schöner Gedanke, ja, so sollte es sein. In unserer heutigen Zeit würde man wohl dann, wenn die Kräfte nachlassen, beim Überqueren einer Autostraße von einem Auto überfahren …“

„Hast du schon drüber nachgedacht, wie du es halten wirst, wenn es soweit ist?“

„Oh je, ich bin eher der Typ, der es drauf ankommen lässt und hofft, dass er abends einschläft und morgens schmerzlos gestorben ist.“

„So sterben nur drei Prozent, also vergiss es! Du hast also keine Vorstellung, bis wann du dein sicher einsetzendes Leiden akzeptieren wirst?“

„Nö, es ist doch naturgegeben, dass man ertragen muss, was auf einen zukommt. Es gibt heute unglaublich viele Möglichkeiten, Schmerzen zu unterdrücken.“

„Und irgendwann werden sie dennoch unerträglich. Und dann?“

„Tja, dann … dann … dann hoffe ich, bald zu sterben.“

„Und wenn es nicht funktioniert?“

„Dann hoffe ich weiter.“

„Immer weiter und mit noch mehr Schmerzen?“

„Äh, ja, du sprichst Selbstmord an? Ich soll mich selbst umbringen? Nö, nö, das kann ich nicht. Wenn ich mir vorstelle, dass ich mir eine Kugel in den Kopf schieße und eine Riesensauerei veranstalte … oder ich mich vor den Zug werfe und alle meine Körperteile liegen zerfetzt darunter oder kleben an der Lokomotive … oder ich springe von einer Brücke auf eine Straße und traumatisiere Autofahrer. Nein, danke für die Nachfrage. Ich weiß, dass ich zu feige dafür bin und bis zum Schluss durchaus in einem deiner Nachbarzimmer dahinvegetieren könnte. Ja, so sind wir Menschen.“

„Nein, nein, nein! Dreimal nein! So sind wir nicht! Wir müssen uns ändern, um jedem einzelnen einen würdevollen Tod zu ermöglichen.“

„Die Gesetzeslage macht es unheimlich kompliziert, selbst zu bestimmen, wann man gehen will, diesen Zirkus möchte ich nicht mitmachen.“

„Error! Seit Neuestem gibt es in Europa einen Wandel. Ausgerechnet die brave und biedere Schweiz erlaubt seit Jahren, dass man unter bestimmten Umständen nach Rücksprache mit zwei Ärzten und professioneller Begleitung einen Becher Gift trinken kann. Und nun ziehen andere Länder nach. Es geht also problemlos, wenn man es wirklich will, selbst wenn ein kleiner Ortswechsel nötig ist.“

„Du bist gut informiert. Du wirst es also tun?“

„Ja, ganz sicher, ich habe Wochen oder wahrscheinlich Monate gebraucht, um mir ganz sicher zu sein. Ja, ich werde es tun.“

„Mit was?“

„Mein Arzt kann mir einen Cocktail geben, der in wenigen Minuten schmerzlos alles erledigt.“

„Das klingt sehr geschäftsmäßig.“

„Soll es auch sein; nicht mit hochgejubelten Schein-emotionen, Weinen, Herzrasen oder was auch immer, wie wir es gewohnt sind, nein, ganz klar und logisch: „Ich habe keine Heilungschancen mehr, also ab in die Ewigkeit!“ Und dann runter mit dem Zeug, sanftes Einschlafen wie bei einer Narkose und fertig. Schluss, das war‘s. So wie wir es bei Hunden und Katzen machen. ‚Mein Liebling soll nicht mehr leiden, wir ersparen es ihm und lassen den Tierarzt eine Spritze setzen.‘ Das geht doch. Wir praktizieren es bereits. Nur nicht bei der Krone der Schöpfung. Leiden bis zum Geht-nicht-mehr. Ich gehe sogar einen Schritt weiter! Wenn mich die schlimmste aller Krankheiten treffen würde, hätte ich keine Probleme, mich zu verabschieden. Alle hier leiden unter Einsamkeit, also wird mich es auch treffen.“

„Bravo für diese Einstellungen!“

„Kein Beifall, bitte! Es ist unsere Pflicht, so zu agieren. Im Leben wollen wir doch auch alles im Griff haben, von der Schulausbildung über den Beruf bis hin zum gestylten Dasein als Rentner. Die Symbole ähneln sich: Abitur – leitende Funktion im Betrieb – mit dem Wohnmobil durch die halbe Welt … und dann folgt - wie das Amen in der Kirche - das unplanbare, aber sichere Dahinsiechen. Menschen mit genügend Kleingeld leisten sich ein Eliteleiden mit einer besseren Unterbringung oder eine Polin zur 24-Stunden-Intensiv-Betreuung mit horrende teuren Überlebensapparaten in der eigenen Wohnung. Da kostet ein Tag so viel wie der Unterhalt für hundert Flüchtlinge. Das ist unser Egoismus. Die Krankenkassen könnten deutlich günstiger sein, denn diese Menschen verursachen drei Viertel ihrer Heilungskosten in den letzten Monaten ihres Daseins. Man stelle sich mal vor, dass nur die Hälfte davon einen besseren, selbstbestimmten Weg gehen würde und schon hätten wir etliche Probleme gelöst.“

„Bewunderung!“

„Komm, lass uns eine Pause machen und auf unser Wohl anstoßen! Auf dass jeder seinen richtigen Weg finde! Ich hole die Gläser und du machst die Rotweinflasche da auf dem Tisch auf.“

Ursulas Lust

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