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ОглавлениеWALDBAUERN UND STEPPENKRIEGER
Gegen Ende der Bronzezeit, um anderthalbtausend Jahre vor unserer Zeitrechnung, drangen viehzüchtende Reiterkrieger auf der Suche nach Weidegründen aus den westasiatischen Steppen nach Westen vor. Sie stießen dabei auf eine archaische Kultur von Brandrodern und Wanderfeldbauern, die in gerodeten Lichtungen des schier endlosen europäischen Urwaldes mit ihren primitiven Hackpflügen Weizen, Gerste, Hirse und einige Leguminosen anbauten, Schweine, Schafe, Ziegen und Rinder züchteten, sakrale Steine (Megalithen) aufstellten, ihre Toten in Hügelgräbern bestatteten und einer Fruchtbarkeit bringenden Erdgöttin opferten. Die wilden Eindringlinge waren dank ihrer Pferde beweglicher als diese Bauern, und sie hatten die besseren Waffen. So gelang es den Indoeuropäisch (früher »Indogermanisch«) sprechenden Scharen, überall die bronzezeitlichen und megalithischen Bauern zu überrumpeln und zu unterjochen: Dorische Krieger legten die minoisch-mykenische Kultur in Schutt und Asche; latinische Stämme besetzten Italien und machten den »Rinderberg« (Capitolinum in Rom) zu ihrem Kultzentrum, andere wiederum eroberten Kleinasien, und die Protokelten (Urnenfeld-Kulturen) nisteten sich in Böhmen und Mitteleuropa ein. Auch die rückständigen Megalithvölker Skandinaviens, die Urgermanen, bekommen das neue Zeitalter zu spüren.
Wie sesshafte Pflanzervölker und Hackbauernkulturen anderswo in der Welt waren auch die vorindoeuropäischen Kulturen eher mutterrechtlich organisiert. Das bebaute Land wurde von den matrilinearen Clans betreut und bearbeitet. Die Erde selbst galt als heilig, als identisch mit der Großen Göttin. Miteinander blutsverwandte Frauen – Schwestern, Basen, Mütter, Töchter – bestellten in gemeinsamer Arbeit die Gärten und Äcker. Die Männer – das lassen ethnologische Studien von Stämmen auf vergleichbarer Organisationsstufe vermuten – kümmerten sich hauptsächlich um Krieg, Jagd und den Verkehr mit den Geistern und Götter. Sie faulenzten in Männerhäusern und gaben sich psychedelischen Träumereien hin. Nach der Initiation verlassen die Männer das Dorf ihrer Mütter und Schwestern und ziehen in das Dorf ihrer Frau. Für die an den Erdboden gebundenen Gärtner- und Hack- bauernvölker ist das die einfachste und ökonomischste Art und Weise, ihr Leben zu organisieren.
Der Hirsch, das Attribut von St. Hubertus und St. Eustachius. (W. AUERS, Heiligen-Legende, 1980).
Frühkeltische Reiterkrieger, dargestellt auf einer Schwertscheide aus dem Hallstätter Gräberfeld.
Hirtenvölker wie die Urkelten und ihre indoeuropäischen Verwandten sind dagegen fast durchwegs vaterrechtlich organisiert. Die Erbfolge geht durch die männliche Linie, Frauen ziehen ins Lager ihrer Ehegatten. Das hat nichts mit einer fiesen phallokratischen Verschwörung zu tun, wie Bachofen, Marx oder einige verbissene Feministinnen glauben, sondern ist eine ökologische Anpassung an die Bedürfnisse der Tierherden: Neue Weidegründe müssen ausgekundschaftet, erobert oder auch verteidigt werden. Rinderdiebstahl muss gerächt werden. Eine bewegliche, kampffähige Männergruppe, zusammengeschweißt durch patrilineare Blutsbande, kann diesen Erfordernissen am besten entsprechen.6
Die indoeuropäischen Reiterkrieger waren, wie Krieger fast überall, arrogant und eitel. Als die »Edlen«, »Aristokraten« (skr. aria, ir. aire; die Iraner, die Iren) oder »Helden« bezeichneten sie sich selbst. Das Wort Kelte bedeutet nichts anderes als »Held« (von altkelt. *kel, »treiben, antreiben«; verwandt mit altind. kaláyati, »Hirt, der sich gegen menschliche und tierische Räuber bewähren muss«). Wie ihre Verwandten, die wilden Skythen der südwestasiatischen Steppe, tätowierten die keltischen Krieger noch lange ihre Körper mit magisch-mythologischen Motiven, trugen Gold- und Silberschmuck, ließen sich buschige Schnurrbärte7 wachsen und stärkten ihren hellen Haarschopf mit Gipslauge, bis die Haare hart und strähnig waren und wie Hahnenkämme oder stachelige Pferdemähnen emporragten. Sie hielten – wie wir auch in den irischen Heldensagen nachlesen können – prahlerische Streit- und Reizreden und stritten sich bei Festmählern um das Recht auf die »Heldenportion« des Wildschweinbratens. Wer aber lauthals angab, musste seinen Worten auch Taten folgen lassen. Manches Saufgelage nahm ein blutiges Ende.
In der Schlacht packte diese Krieger oft die göttliche Wut, die kämpferische Ekstase, so dass sie sich die Kleider vom Leibe rissen und sich in Todesverachtung splitternackt auf ihre Feinde stürzten. Wie die Skythen waren die Kelten ebenfalls Kopfjäger. Voller Entsetzen schildert der Grieche Diodor Siculus den barbarischen Brauch: »Köpfe der gefallenen Feinde hauen sie ab und binden sie ihren Pferden um den Hals; die blutige Rüstung geben sie ihren Dienern und lassen sie unter Jubelgeschrei und Siegesliedern zur Schau tragen. Zuhause nageln sie diese Ehrenzeichen an die Wand, gerade als hätten sie auf der Jagd ein Wild erlegt.« Köpfe von vornehmen Feinden wurden in Zedern- oder Wacholderöl eingelegt und bei Bedarf Gästen vorgezeigt. Auch wurden Schädel in Gold gefasst und als Trinkbecher benutzt.
Für die Pflanzervölker ist die Sonne oft – aber nicht unbedingt – eine Frau, ein mütterliches Wesen. Für die Hirtenvölker dagegen ist die Sonne ein Krieger, für die Indoeuropäer ein strahlender Held, der auf seinem von vier edlen, weißen Rossen gezogenen Kampfwagen den Himmelsraum siegreich durchmisst. Für den Indoeuropäer war das Pferd, dem er seine Siege und Eroberungen zu verdanken hatte, das heiligste aller Tiere. Das war auch bei den Urkelten der Fall. Krieger und Pferd verbindet ein inniges Verhältnis. Das Pferd führt den Reiter in neue Länder, zu frischen grünen Weiden und nach dem Tod auch hinüber in die jenseitige Welt. Pferdeschädel, ganze Skelette oder auch nur Teile davon sowie Pferdegeschirr und -wagen sind überall im Keltengebiet als Opfer und Grabbeigaben bezeugt (BOTHEROYD 1995: 270). In den heiligen Hainen der Kelten und Germanen weissagten Pferde durch ihr Wiehern und das Scharren ihrer Hufe. Die Schädel geopferter Pferde konnten – wie wir auch im Märchen der Gänsemagd erfahren – von unsichtbaren Dingen Kunde geben. Bekannt sind die aufwendigen Pferdeopfer indisch-arischer Könige (STORL 1988: 159). Beim Antritt seiner Herrschaft verkehrte der irische König sexuell mit einer weißen Stute. Das Tier symbolisierte die Göttin des Landes, von deren Gnade seine Herrschaft abhängig sein würde. Die Schimmelstute wurde anschließend geopfert, im großen Kessel des Häuptlings gekocht und als totemische Mahlzeit verzehrt. In beiden Fällen symbolisiert das sakrale Pferdeopfer den legitimen Herrschaftsanspruch der Könige oder Häuptlinge. (Papst Gregor III. musste im 8. Jahrhundert den Kelten ausdrücklich den Verzehr von Pferdefleisch verbieten.)
Kelten waren Kopfjäger: Schädelnische aus Südgallien.
Keltische Krieger, prahlend und um die »Heldenportion« streitend.
Die ersten Kelten in Europa trugen noch Schwerter und Rüstungen aus Bronze. Nachdem dann aber die Hethiter, ein indoeuropäisches Hirtenvolk am Schwarzen Meer, die Verhüttung des Eisenerzes entdeckt hatten, dauerte es nicht lange, bis sich auch die keltischen Stämme in Mitteleuropa mit Eisen wappneten. Über die Welt der bronzezeitlichen, matriarchal organisierten Nachbarn der Kelten brach ein neues, härteres Zeitalter, das Eisenzeitalter, herein. Die neuen Eisenwaffen (Langschwerter) und -werkzeuge trugen im 7./8. Jahrhundert v. u. Z. zur Vormachtstellung der Urkelten in Mitteleuropa bei. Es kommt in dieser Zeit zur ersten Blüte der keltischen Kultur in Mitteleuropa, der so genannten Hallstattzeit.8 Das Wort Eisen geht auf das keltische *isaron zurück (verwandt mit sanskr. isira, »hart, stark«. Die Isar ist der »Eisenfluss«).
Für die Kelten ist Eisen absolut heilig. Es vertreibt Feinde und feindlichen Zauber. Auf den Britischen Inseln wird gelegentlich noch immer zum Schutz gegen Feen eine Eisenschere über der Wiege eines Neugeborenen aufgehängt (BOTHEROYD 1995: 95); in den Türpfosten geschlagene Eisennägel vertreiben Widergänger (ruhelose Tote). Ein Hufeisen, über die Tür gehängt, fängt das Glück auf oder schüttet es herab. Eisen vertreibt auch die Pflanzengeister – Heilpflanzen wurden deswegen sine ferrum (ohne Eisenwerkzeuge) gesammelt.
Epona-Relief aus Bregenz (Vorarlberg).
Die wandernden Schmiede und Knappen galten als Zauberer, als Magier, die es wagten die Eingeweide der Erde aufzureißen, die metallenen Embryonen aus dem Mutterschoß zu rauben und mit »Blitz und Donner« in der Schmiede zu bearbeiten. Sie mussten zaubern können, um die Wut der Erdmutter und der die Schätze hütenden Drachen abzuwenden. Auch mit den Gnomen und Kobolden im Gestein mussten sie zurecht kommen können. Es ist bemerkenswert, dass man sich noch immer überall im ehemals keltischen Europa die Heinzelmännchen in die Tracht der keltischen Knappen gekleidet, mit Kapuzen und Bauernkitteln, vorstellt.9
Auch der König galt bei den Kelten als mächtiger Magier, er war für das Gedeihen und die Fruchtbarkeit des Landes verantwortlich. Den wahren Thronanwärter – wie etwa den jungen Artus in der britischen Sage – erkannte man daran, dass er ähnlich dem Schmied als Einziger Eisen – das Eisenschwert – aus einem Stein herausziehen kann.
Keltische Langschwerter (La Tène/Schweiz).
Die urkeltische Gesellschaft war wie andere indoeuropäische Völker dreigeteilt, in den so genannten Lehr-, den Wehr- und den Nährstand. Die später als Druiden bezeichneten Opferpriester, Magier und Barden hüteten die heiligen Überlieferungen des Stammes und regelten das Verhältnis zu den Göttern, den Ahnen und dem Übersinnlichen. Der Kriegeradel trug die politischen Institutionen, stellte Könige und Richter. Das »Volk« (ir. bó-aire, »die Kuhbesitzer«), die Hirten und Bauern, die Handwerker und Händler, stellte den dritten Stand dar.
Für diese Indoeuropäer war Besitz von Vieh gleichbedeutend mit Reichtum. Rinderdiebstal war eines der größten Verbrechen, schwerwiegender noch als Totschlag und – wie auch aus den irischen Sagen hervorgeht – Anlass zu den meisten kriegerischen Auseinandersetzungen. Das Wort »Schatz« bedeutete ursprünglich Vieh. Das schlug sich auch in der Sprache nieder: Das englische Wort für Rinder, cattle, ist vom lateinischen capitale entlehnt, in der Bedeutung »Kopfzahl (capita) der Rinder« – ein Kapitalist ist also ein Rinderbesitzer. Das deutsche Wort »Vieh« ist im Englischen als fee (Gebühr, Bezahlung) vorhanden. Mit der Vergabe von Rindern ließen sich Friedensverträge besiegeln, die Götter günstig stimmen und als Wergeld sogar Mord und Totschlag sühnen (HUTTERER 1987: 81).
Die Wandlung: Geburt der europäischen Bauernkultur
Das mittlere und westliche Europa, in dem sich die indoeuropäischen Reiterkrieger niederließen, war größtenteils undurchdringlicher Urwald – Eichenwald, Buchenwald, sumpfiger Erlen- und Weidenbruch. Die dort ansässige Urbevölkerung, die Hackbauern und Megalithleute, bewohnten geschwendete (brandgerodete) Waldlichtungen. Sie lebten im Einklang mit dem Rhythmus des Waldes, eingebunden in den Wandel der Jahreszeiten. Diese grüne Welt, in der die große Göttin der Fruchtbarkeit, des Lebens und des Todes mit ihrem Gefährten, dem Begatter, dem Hirsch-, dem Eber- und dem Bärengott herrschte, war nicht wie das Grasland und die Steppe leicht zu erobern und zu besetzen. Der Wald und seine Götter ließen sich nicht unterjochen. Er »schluckte« die Eindringlinge, nahm sie und ihre Seelen allmählich in Besitz.
Schmiede, Magier der indoeuropäischen Kultur.
Heinzelmännchen tragen noch immer keltische Tracht.
Die Priester und spirituellen Führer der ehemaligen Steppenvölker besetzten die Kraftorte, die Megalithheiligtümer, die henges (wie etwa Stonehenge), die heiligen Quellen und Höhlen der Ureinwohner, aber die Kraft dieser Orte bemächtigte sich der neuen Herren und verwandelte sie in »Wald-Weisen«, in Druiden. Diese zogen sich dann selbst in die dichten Wälder zurück und schöpften aus der Weisheit des Waldes. Sie trugen Hirschleder, huldigten dem Hirschgott Cernunnos, dem Herrn der Tiere, und deuteten ihn als eine Erscheinung ihres Sonnengottes in seiner unterirdischen Gestalt.
Auch ist nicht anzunehmen, dass die kühnen Reiterkrieger die Ureinwohner restlos auslöschten oder vertrieben. Wie die Aryas in Indien oder die Dorer in Griechenland unterjochten sie die Ureinwohner, machten sie zu Mägden und Knechten, waren aber dennoch auf ihren Rat und ihr Wissen angewiesen. Wie viele Märchen und Sagen der indoeuropäischen Völker andeuten, erlagen sie dem Charme der Eingeborenenfrauen, vermählten sich und zeugten Kinder mit ihnen. Die Eingeborenenfrauen kannten die Geheimnisse des Waldes und dessen Jahreszeiten; sie wussten um die Brunnen mit heilendem Wasser, um die Wildpflanzen und Heilkräuter. Auch kannten sie noch die ortsgebundenen Naturgeister, die Drachen, Erdmännlein und Lichtelfen, und wussten, wie man sie ruft, wie man sie um Hilfe bittet, wie man sie freundlich stimmt. Sie blieben die geheimen Herrinnen das Landes.
Nicht nur vermählten sich zwei Kulturen, auch die Gottheiten der Steppenhirten verbanden sich mit denen des Waldes und des Feldes. In aufwendigem Ritual vermählte sich der keltische König bei Amtsantritt mit der Göttin des Landes.10 Er musste gesund und potent sein, sonst würde das Land unfruchtbar werden, sein Volk müsste ihn dann töten und die Territorialgöttin würde sich einen anderen nehmen (FRAZER 1991: 386). Die ehemaligen Steppenkrieger begannen auch immer öfter ihre Toten wie Saatkorn in den Schoß der Erdenmutter zu betten, anstatt sie im Lichtglanz und Rauch des Scheiterhaufens zu den Himmelsgöttern emporzuschicken. Die Verstorbenen wurden in Grabhügeln, den Síde, bestattet. Die Fürstengräber der Kelten wurden immer prunkvoller.
Auf diese Weise entstand allmählich im Laufe der frühen Eisenzeit – der Hallstattzeit zwischen 800 und 500 v. u. Z. – in Mitteleuropa und dann später im Balkan, in Frankreich, Nordspanien, Norditalien und Britannien jene Bauernkultur, die mehr oder weniger bis in die Neuzeit, bis zur industriellen Revolution, das Gesicht unserer Landschaft prägte. Erst von der Hallstattzeit an kann man von wirklichen Kelten sprechen. Erst durch die Synthese der matrifokalen Ureinwohner und der Indoeuropäer entsteht die ländliche europäische Volkskultur mit ihren unverkennbaren Zügen. Diese indigene keltische Bauernkultur wollen wir hier nun kurz skizzieren.
Keltische Landschaft
Typisch für die keltische Landschaft sind der Flickenteppich aus Wald, Wiese, Weide und Ackerland. Die Kelten lebten mit ihren patrilinearen Großfamilien auf Einzelhöfen oder in kleinen Weilern. Mit ihnen unter demselben Dach lebten die Haustiere – Rinder, Schafe, Ziegen, Pferde, Schweine, Geflügel. Die Gebäude waren zumeist rechteckig, gelegentlich rund. Wie in den Alpenländern noch heute befand sich der Stall oft an der kühleren Nordseite, derweil die menschlichen Bewohner, durch eine geflochtene Wand davon abgetrennt, die freundlichere Südseite des Hauses bewohnten. Die Häuser waren meist mit Stroh gedeckte Fachwerkbauten auf einem Bruchsteinfundament. Die Wände bestanden aus Weidenflechtwerk, das mit Lehm verschmiert und dann mit Kalk weiß verputzt wurde. Die Arbeit des Zimmerns wurde durch keltische Erfindungen – Holzbögen, in die Sägeblätter eingespannt wurden, Holzschrauben, metallene Feilen, Hobel und so weiter – erleichtert. Die Feuerstelle war das Herz des Hauses. Der Rauchfang galt als Ein- und Ausgang der Geister. Im Hof befand sich, oft beim Brunnen, eine Linde oder eine Eiche, in welcher der Sippengeist wohnte.
Vieh: Inbegriff des Reichtums bei den indoeuropäischen Völkern.
Die Grabhügel (Side) und Steinmonumente der Jungsteinzeit, galten den Kelten als Wohnorte der Götter und Geister.
Neben den Einzelhöfen gab es, meist auf Anhöhen, befestigte Fliehoder Wehrburgen (oppida), die ihren Zweck während kriegerischer Unruhen erfüllten.
Die keltische Landwirtschaft bestand aus einer ausgewogenen Mischung von Viehzucht und Ackerbau. Sie war dermaßen effizient, dass die gallischen Kelten Getreide und Vieh in größerem Ausmaß nach Rom exportieren konnten und dabei reich wurden. Die Römer bezahlten die wertvollen Güter aber auch mit einer überteuerten Droge, nach der die Gallier süchtig wurden – dem Wein.11 Der landwirtschaftliche Reichtum Galliens und Britanniens übte eine große Anziehungskraft auf die Römer aus (JAMES 1996: 124). Julius Caesar konnte seine Schulden bezahlen und die zerrütteten Staatsfinanzen Roms sanieren, nachdem er Gallien erobert und ausgeplündert hatte.
Der bis ins 20. Jahrhundert benutzte Räderpflug und die mit Eisen beschlagene Pflugschar sind keltische Erfindungen.
Materielle Kultur der Kelten
Die landwirtschaftliche Überlegenheit der Kelten basierte auf einer Reihe von Erfindungen, wie dem Wende- und Räderpflug (kelt. Carruaca; franz. charrue) mit einer eisenbeschlagenen Pflugschar und der eisernen Egge. Damit konnten die schweren, aber fruchtbaren Talböden beackert werden. Die überschüssige Feuchtigkeit der Böden – das atlantische Klima Europas ist regenreich – konnte durch die tiefen, gerade gezogenen Furchen besser abfließen. Die Praxis der Brandrodung hörte auf. Durch die neue Art des Pflügens entstanden die langen Parzellen (Zelgen), die wir noch heute kennen. Vor diesen keltischen Erneuerungen kannte man nur die hölzernen Hackenpflüge, die von Menschen oder Rindern gezogen wurden. Diese ritzten den Boden kreuz und quer, so dass in den brandgerodeten Flächen quadratförmige Äcker entstanden.
Auch stellten die Kelten strapazierfähigere Wagen mit Speichenrädern und Eisenfelgen her.12 Sie erfanden sogar das Kugellager, das aber nach der römischen Invasion wieder verloren ging. Dank des ledernen Pferdegeschirrs und Zaumzeugs, welche sie von den Skythen übernommen hatten, konnten sie mühelos ihre Pferde vor den Pflug oder den Wagen spannen. Die Ureinwohner hatten zwar schon zwei- und vierrädrige Fahrzeuge, die von Ochsen, Kühen oder gar sakralen Hirschen gezogen wurden. Aber diese Karren waren schwerfällig und fuhren auf Rädern, die aus Scheiben abgesägter Baumstämme bestanden. Die Wagen der Ureinwohner hatten weniger eine praktische als vielmehr eine sakrale Funktion: An den großen Feiertagen verließen die Erdgöttin und ihr Gefährte die »Anderswelt« (den großen Grabhügel) und fuhren in ihrem Kultwagen auf dem mit Reisigbesen sauber gefegten Sakralweg zum Dorfplatz. Die Toten wurden auf demselben Weg in der entgegengesetzten Richtung zu ihrer Bestattung gefahren. Der Wegerich war die einzige Pflanze, die auf den getrampelten, sorgfältig gekehrten Wegen Fuß fassen konnte. So wurde er zur heiligen Pflanze jener Großen Göttin, die später bei den Galliern Nantosvelta und bei den Römern Proserpina hieß und die in ihrem unterirdischen Reich die Totenseelen und die schlafenden Samen hütet. Noch im Mittelalter hieß die Pflanze »Kraut der Proserpina«. Später wurde sei zum »König des Weges« (Wegerich von kelt. rix, reiks = König) (STORL 2000: 105).
Die kleinen Felder der Brandroder erhielten keine Düngung außer der Asche der gefällten, verbrannten Bäume. Nach einigen Jahren nimmt die Fruchtbarkeit solcher Felder schnell ab, Unkräuter überwuchern die Äcker und die Bauern ziehen weiter. Die Kelten dagegen entwickelten neuartige Düngemethoden. Sie kalkten und mergelten den Boden. Sie legten Miststöcke an und brachten den kompostierten Mist auf den Böden aus. Sie beachteten die Fruchtfolge und legten Brachen ein.
Angebaut wurden Erbsen, Linsen, Mohn, Hafer, Dinkel, Emmer, Brotweizen, Gerste, Hirse, Wicken, weißer Gänsefuß, Butterraps und später kam noch der von den Slawen übernommene Roggen hinzu. Lein und Hanf zur Herstellung von Stoffen wurde ebenso angebaut wie die Färberpflanzen Waid und Wau. Gemüse zogen sie in eingezäunten Gärten und Obst, vor allem Äpfel, in Obstgärten. Schlehen, Vogelbeeren, Traubenkirschen, Brombeeren, Himbeeren und Holunderbeeren wurden zusätzlich in den Hecken, die die Höfe umgaben, gesammelt. Das Geerntete wurde in Erdmieten gelagert, das Getreide in Getreidesilos. Das Fleisch wurde im Rauchfang geräuchert oder in Salz eingepökelt. Die Milch ließ man zu Dickmilch gerinnen, die dann zu Käse verarbeitet wurde. Im Butterfass wurde gebuttert und die Butterkugeln anschließend in die großen kühlenden Blätter der Pestwurz oder des großen Ampfers (alem. blagge) gewickelt. In den Gebirgsregionen trieben die Kelten im Sommer ihre Rinder auf die Hochweide: Alp oder Alm sind ursprünglich keltische Worte, wie auch das Wort für den Melker, den Senn. Gejodelt haben die keltischen Sennen höchstwahrscheinlich auch schon – ihre Stammesgenossen, die keltischen (iroschottischen) Siedler im Appalachengebirge, kennen diese montane Ausdrucksweise ebenfalls. Gejodelt wird auch noch im Harz, an der nördlichen Grenze des keltischen Siedlungsgebiets. Der – ursprünglich keltischen – Sage nach jodeln und juchzen selbst die Bergmännlein und Wildfrauen und die Gespenster der Wilden Jagd.
Auch die Sense verdanken wir den Kelten.
Unter dem Hammer und Amboss keltischer Schmiede entstanden Sensen, mit denen effizienter geerntet werden konnte als mit der Sichel, mit der die Frauen der Ureinwohner ihre Felder einst abgeerntet hatten. Dank der Sense konnte man auch Heu machen und für die Stallfütterung im Winter sorgen, so dass die Kühe mehr und reichlicher Milch gaben.
Dreschflegel und Worfeln wurden entwickelt, um das Getreide auf einem Bretterboden, der Tenne, auszudreschen und um den Weizen von der Spreu zu trennen.
Die Kelten benutzten echte Mühlen mit Mühlrädern. Zuvor kannte man vor allem den Reibestein. Es gab Brotöfen, in denen echtes Brot gebacken werden konnte. Meist aber wurde das Getreide mit Milch als Brei verzehrt. Schweinefleisch und Bier waren die Lieblingsspeisen der Kelten. Sogar ihre Götter ernährten sich vornehmlich davon. Die Kelten sind auch die Erfinder von Bierfässern, sie perfektionierten die Imkerei und flochten Bienenkörbe. Der kostbare Honig galt als Medizin oder wurde zu Met (Honigbier) verarbeitet.
Die aus Lein, Hanf, Nessel oder Wolle gewobenen Stoffe färbten sie mit angebauten oder wilden Färbepflanzen, Rinden und Flechten. Das trug dazu bei, dass die Kleidung in jeder Gegend ihre eigenen Farben, Muster und Qualitäten hatte – so dass man schon an der Kleidung erkennen konnte, aus welcher Gegend jemand kam. Die Männer trugen gewöhnlich Zipfelmützen und, wenn es regnete, Galoschen (lat. gallicula = gallische Schuhe). Strapazierfähige, grobfädige, karierte Wollgewebe (Tartans, Tweeds) waren als Mantelstoffe beliebt. Als Erbe ihrer Vergangenheit als Reitervolk trugen die keltischen Männer Hosen (kelt. bracae, engl. breeches), die Frauen wadenlange Röcke – ein Brauch, der sich bis ins 20. Jahrhundert fortgesetzt hat. Die Frauen schmückten sich gerne mit Fibeln, Arm- und Knöchelreifen, Haarspangen und Halsketten; die Haare trugen sie lang und in Zöpfen (JAMES 1998: 68).
Gallische Erntemaschine.
Man schlief auf einem Strohlager, deckte sich mit Federbetten und Wolldecken zu.
Gesellschaftliche Organisation
Die keltische Gesellschaft war auf der Grundlage miteinander verwandter Sippen oder Klans (von kelt. clan = Kinder, Nachwuchs) innerhalb eines größeren Stammesverbandes organisiert. Die Klans waren zwar patrilinear, aber die Erblinie der Mütter spielte eine bedeutende Rolle. So verließen die Söhne meist das Elternhaus und wurden auf dem Gehöft des Mutterbruders, des »Oheims«, großgezogen. Die enge Verbindung zur Familie des Oheims (= altes Heim) blieb zeitlebens bestehen.
Die keltische Arbeitsteilung hat sich bis in die Neuzeit erhalten. Die Männer arbeiteten mit dem Pflug und dem Großvieh, verrichteten Metallarbeiten, betrieben Handel oder Krieg; die Frauen waren für Garten, Kleingetier, Kochen, Spinnen, Weben und Heilkunde zuständig. Diese Rollen waren aber nicht starr fixiert. Die antiken Schriftsteller bezeugen, dass die Frauen sehr wohl aktiv ins Schlachtengetümmel eingreifen konnten (ZINGSEM 1999: 274).
Die Römer und Griechen gaben sich immer wieder erstaunt darüber, dass bei den Kelten (und Germanen) die Frauen einen praktisch gleichberechtigten Status innehatten, dass ihre Ratschläge ernst genommen wurden.13 Bei wichtigen Stammesangelegenheiten und -entscheidungen suchte man den Rat hellsichtiger Frauen. Diese Seherinnen, eigentlich Schamaninnen, lebten oft abgelegen und weissagten von einem Turm aus. Der runde Turm der Zauberer und Zauberinnen lebte weiter in den keltischen Märchen. Veleda (Weleda), die Seherin des Stammes der Brukterer am Niederrhein, die Plinius ausdrücklich erwähnt, ist die bekannteste unter ihnen. Sie genoss hohes Ansehen, da sie beim Aufstand gegen die Kolonialherren die Vernichtung der römischen Legionen geweissagt hatte. Nur mit größter Anstrengung gelang es den Römern, den so genannten Bataver-Aufstand niederzuschlagen und die berühmte Seherin in Ketten nach Rom zu bringen. Auch wenn die Brukterer Germanen waren, ist doch die Bezeichnung Veleda rein keltisch und bedeutet Seherin (walis./breton. gweled = sehen, Sicht). Veleto oder file (Mehrzahl filid) ist der druidische Seher und Dichter, der unter dem Schutz der Schwanengöttin Brigit steht und die schamanischen Techniken beherrscht, mit der Anderswelt in Kontakt zu treten (LEROUX/GUYONVARC’H 1996: 588).
Im Gegensatz zur biblischen Schöpfungsgeschichte treten Mann und Frau gleichzeitig und gleichrangig aus dem Stamm des Weltenbaums hervor. Diese grundsätzliche Gleichheit zeigt sich auch darin, dass beide, Mann und Frau, eine Mitgift in die Ehe einbrachten. Auch wurden die Töchter nicht verkuppelt, sondern hatten das Recht, den eigenen Ehemann zu wählen. »Sollte ein Mädchen heiraten, so organisierte man ein großes Fest, zu welchem alle jungen Männer geladen wurden. Das Mädchen traf seine persönliche Wahl, indem es dem Erwählten Wasser zum Händewaschen reichte« (FULGENTIUS, Buch II, in: MARKALE 1972: 34). In Appalachien, bei den iro-schottischen »Hillbillies« gibt es im November noch immer den »Sadie-Hawkins Day«, an dem unverheiratete Frauen den Mann, den sie haben wollen, »jagen« und nach dem Motto »get your man« zu fangen versuchen.
Tänze
Den Kelten verdanken wir die traditionellen Bauerntänze und Reigen. Der griechische Geograf Strabo staunte, dass bei diesem Barbarenvolk Frauen und Männer sich an den Händen halten und zusammen tanzen. In der klassischen Antike nämlich tanzten Männer und Frauen getrennt. Die Notfeuer – Mittsommerfeuer, Frühlingsfeuer, Augustfeuer, Erntefeuer – wurden in kreisförmigem Reigen ebenso umtanzt wie heilige Bäume. Die Tänze drehten sich dem Sonnenlauf entsprechend, drei Schritte vorwärts und einen zurück oder fünf Schritte vorwärts und drei zurück. Beim Sommersonnwendfeuer versuchte man die anderen so nahe wie möglich an die Flammen heranzuziehen, denn die Lohe galt als heilkräftig. Überhaupt glaubten die Kelten an die Heilkraft des Tanzes. Der Glaube ist noch nicht ganz ausgestorben: Noch immer tanzen Heilung suchende Epileptiker aus ganz Europa während der Pfingstwallfahrt einen Reigen am Grab des heiligen Wilibrord (in Echternach, Luxemburg).
Reigentänze.
Ringelreihen, Ringtänze, die die Kinder noch im 20. Jahrhundert Hände haltend um den Holunderbusch tanzten, sind die letzten Überreste alter heidnisch-keltischer Rituale, Rituale, die mit der Göttin Holle verbinden. Die holde Göttin ist, wie aus dem Märchen hervorgeht, diejenige, die die Kinder in die Welt schickt. Das folgende altüberlieferte Ringelreihenlied spricht vom Mündigwerden eines Mädchens und den Frauengeheimnissen:
»Petersilie, Suppenkraut
wächst in meinem Garten.
[Mädchenname] ist die Braut,
soll nicht länger warten.
Hinter einem Holderbusch
gab sie ihrem Schatz ’nen Kuss.
Roter Wein, weißer Wein
morgen soll die Hochzeit sein.«
Petersilie ist bekanntlich ein Periodenmittel, das ebenfalls gegen Unfruchtbarkeit bei Frauen, aber auch als Abtreibungsmittel verwendet wurde. Roter und weißer Wein stehen symbolisch für die Monatsblutung und den Samenerguss.
Getanzt und gefestet wurde an fast allen Feiertagen, bei der Ernte, bei Hochzeiten wie auch bei Beerdigungen. Auch nach der Bekehrung zum Christentum umtanzte das Landvolk mit seinen Reigen nicht nur Bäume – den Maibaum, die Dorflinde, alte Eichen, den Kirmesbaum – ‚ sondern auch die Gräber der Verstorbenen, heilige Kapellen und Wallfahrtsorte. »Die alten Begräbnisbräuche waren immer laut und heiter, mit viel Tanz, Gesang und bis ins einzelne nachgeahmten phallischen Ritualen« (SHARKEY 1982: 14). Letztere Praktiken wurden von Verordnungen wie den Statua Bonifacii unter Strafe gestellt. Immer wieder musste die Kirche Verbote erlassen. Zuletzt aber gab es dennoch den »Tänzer unserer Lieben Frau«, den heiligen Sankt Veit, der zum Patron allen Tanzens erkoren wurde und für die sich im Mittelalter verbreitende »Tanzkrankheit« zuständig war. Auch der heilige Johannes wurde schließlich zum Schutzheiligen des Tanzes am Johannisfeuer.
Bei den Winter- und Frühlingstänzen versuchten die Frauen mit kräftigen Sprüngen so hoch wie möglich zu springen, damit der Flachs oder Hanf ebenfalls hoch wachse.
In den Morriskentänzen (Morris dance), die in England zur Maifeier getanzt werden, ist das keltische Element nicht zu übersehen: Maskierte Tänzer stellen den im tiefen Wald lebenden, in Hirschleder gekleideten Wegelagerer Robin Hood, die schöne Maid Marian, Drachen, Narren und andere vogelfreie Waldbewohner dar. Hinter dem spendablen, frei lebenden Robin Hood und seiner Braut verbirgt sich die Reminiszenz an Cernunnos, den Geweih tragenden Hirschgott, und die Große Göttin. Dieser englische Fruchtbarkeitstanz ist ein Überbleibsel ähnlicher Tanzfeste, die überall in Europa im Mai im Wald, auf abgelegenen Hügeln und in der Einöde zu Ehren des gehörnten Waldgottes und der Göttin getanzt wurden. Behörde und Kirche verteufelten das Treiben. Sie sprachen von einem »Hexensabbat« oder gar von einer »Satansmesse«, bei der geile Hexen und Hexer einen Reigen um den stinkenden Teufel in Ziegenbockgestalt tanzten (MÜLLER-EBELING/ RÄTSCH/STORL 1999: 57).14
Bauernregeln, Rätsel und Sprüche
Das jahreszeitliche bäuerliche Brauchtum, die ländliche Spruchweisheit und die Rätsel haben vor allem keltische Wurzeln.15 Bei den Kalenderheiligen, die in den Bauernregeln erwähnt werden, handelt es sich oft um alte Keltengottheiten in neuem Gewand. Die den Jahreskreis begleitenden Merkregeln haben mit Wettervorhersage, mit günstigen Zeitpunkten für Saat, Düngen, Pflanzen- und Tierzucht, mit dem Mondeinfluss, dem Stand der Sonne und des Mondes im Tierkreis sowie mit den Kräften und Aspekten der Kalenderheiligen zu tun.
Die Namenstage der Heiligen dienten nicht nur zur Zeitbestimmung, die Heiligen selbst bringen das Wetter. Im Baselland heißt es zum Beispiel:
»Jörk [St. Georg, 23. April] und Marx [St. Markus, 25. April] bringen öppis Args;
Und Philipp, Jakobi [1. Mai]
sy au no zwe grobi.«
Am Tag des Traubenheiligen Urban, am 25. Mai, bekränzt man die Sankt-Urbans-Brunnen; in Sargans tauchen die Weinbauern eine Statue des Heiligen in einen Brunnen. Die Merkregel dabei lautet:
»Das Wetter, das Sant Urban hat, findet auch in der Lese statt.«
Viele Regeln sind nur regional anwendbar. In der Innerschweiz, um den Pilatus, und analog auch in anderen Gegenden der Schweiz heißt es in Bezug auf das Heueinbringen: »Hat Pilatus einen Hut, so ist das Wetter gut.« Im Allgäu gibt der Apostel der Allgäuer, der heilige Magnus (6. September), die beste Zeit zur Aussaat des Wintergetreides an: »Sankt Mang säet den ersten Strang.«
Viele Regeln beziehen sich auf gute Naturbeobachtungen, die wertvolle praktische Hinweise für den Bauern geben. Hier einige bewährte Beispiele:
»Grünt die Eiche vor der Esche,
bringt der Sommer große Wäsche;
grünt die Esche vor der Eiche,
bringt der Sommer große Bleiche.«
»Gibt’s der Eichenblüten viel,
füllt sich auch des Kornes Stiel.«
Zu den Eisheiligen, die Mitte Mai erscheinen, heißt es:
»Pankrazi, Servazi, Bonifazi
sind drei frostige Bazi
und zum Schluss fehlt nie
die kalte Sophie.«
»Bienenschwarm im Mai
ist wert ein Fuder Heu;
aber ein Schwarm im Juni,
der lohnt kaum die Müh.«
»Regnet es Johanni sehr,
sind die Haselnüsse leer.«
Eine bewährte Holzschlagregel besagt:
»Wer sein Holz um Christmett fällt,
den sein Haus wohl zehnfach hält.«
Unzählige Regeln dieser Art sind im ganzen ehemaligen keltischen Europa in vergleichbarer Fassung überliefert. Wenn es sich nur um dummen Aberglauben handeln würde, dann wären diese Regeln sicherlich nicht von Generation zu Generation in den Familien mündlich weitergegeben worden. Es ist absurd anzunehmen, dass diese Regeln, obwohl sie sich auf christliche Heilige beziehen, erst im christlichen Mittelalter entstanden. Die Sprache dieser Sprüche ist formelhaft, manchmal recht archaisch. Sie prägen sich leicht ins Gedächtnis ein, da sie meist in zweizeiligen Reimen gefasst sind. Auf ähnliche Weise gaben die Druiden in ihren Waldschulen ihr Wissen weiter.
Aus Märchen, Legenden und den Gesängen der Barden wissen wir, dass die Druiden einander oder ihren Schülern Rätsel aufgaben. Es gab Frage-und-Antwort-Kämpfe unter den Barden. Naturgeister und Heinzelmännchen geben dem Menschen Rätsel auf, die sie lösen müssen, um dem Verderben zu entgehen. Selbst die Götter veranstalten Rätselduelle, wie wir in der skandinavischen Sage von Odin und dem Riesen Wafthrudnir erfahren. Die keltisch-germanische Lust am Rätselfragespiel hat sich ebenfalls in der Bauernkultur erhalten. Der alte Bergbauer aus dem Waadtländer Jura, Arthur Hermes, der selbst so etwas wie ein Druide war, pflegte noch die Kultur des Rätselratens. Manchmal trug man die Rätsel, die er aufgab, tagelang mit sich herum, bis einem plötzlich die einzig mögliche, einzig richtige Antwort einfiel. Das war bestes Trainig für das Denken und das genaue Beobachten. Eines der Lieblingsrätsel des Bauernphilosophen Hermes ist zugleich eines der ältesten überlieferten Rätsel:
»Flog ein Vogel federlos
auf den Baum blattlos,
kam die Jungfrau mundlos,
fraß den Vogel federlos.«16
Und: »Was brennt ums Haus, zündet’s aber nicht an?«17
Märchen, Sagen, Legenden
Im ländlichen Europa wurden jeden Tag Märchen erzählt. Nicht nur Kinder lauschten den Alten, den Großmüttern und Großvätern, die Meister der Erzählkunst waren, sondern jeder und jede, die sich am Abend beim Feuer niederließen. Diese echten Volksmärchen haben – ebenso wenig wie die echten Volkslieder – nichts mit Fantasterei zu tun, »niemals sind sie bloßes Farbenspiel gehaltloser Phantasie«, schreiben die Gebrüder Grimm. Das Wort Märchen kommt von dem althochdeutschen márí oder máre und bedeutet »Nachricht« oder »Kunde«. Märchen sind Kunde oder Botschaften aus übersinnlichen Bereichen, aus der Anderswelt, von den Göttern und Geistern, den Naturwesen und den Ahnen. Märchen zeugen von realen, in der inneren wie auch in der äußeren Natur vorhandenen ätherischen und astralen Kräften und Wesenheiten und kleiden diese in die bunten Bilder der Imagination, in die Sprache der Seele. Sie sind keine willkürlichen Erfindungen wie die moralisierenden Kunstmärchen. Auch mit Pädagogik, Psychologie oder Psychoanalyse im herkömmlichen Sinn haben sie nichts zu tun. Sie sind Wegweiser für Reisen in die Anderswelt, an der auch wir – im Rausch, in der Verliebtheit, im Traum, in Krankheit, im Tod – teilhaben. Sie sind Nahrung für die Seele, Nahrung für das ewige, göttliche Kind in uns. Nicht jeder kann Märchen erzählen. Bei den meisten Völkern sind es nur die Lebenserfahrenen, die Alten, die Weisen, die Hellsichtigen, die das können. Wenn sie erzählen, dann weiß jeder, dass das Erzählte stimmt.18
Die Volksmärchen, von Grossmüttern und anderen Märchenerzählern und -erzählerinnen über Generationen hinweg weitergegeben, haben keltische Wurzeln (Zeichnung Ludwig Richter).
In die alten europäischen Märchen sind die spirituellen Schätze der keltischen Geistesschau hineingeheimnisst worden. Keltisches Seelenleben, keltische Wahrträume und Erfahrungen mit der ganz realen, wenn auch unsichtbaren Anderswelt sind darin enthalten.19 Die Kelten, so schreibt der Märchenforscher Rudolf Meyer, haben, auch wenn sie in ihrer nationalen Kraft durch das Römertum gebrochen wurden, ihr Wesen auf geheimnisvolle Art und Weise in alle Kulturen des Abendlandes hineingebracht und diese mit spirituellen und künstlerischen Impulsen befruchtet. »Gerade die Fähigkeit zu bildhaftem Welterleben, wie es in den Märchen, Sagen und Legenden seinen Ausdruck findet, ist von dieser Strömung ausgegangen und hat damit für lange Zeit der Seelenverarmung entgegenwirken können, die unserer Zivilisation von der einseitigen Herrschaft einer intellektuellen Kultur immer gedroht hat und durch eine in Dogmen erstarrende Religion nicht aufgehalten werden konnte« (MEYER 1985: 268).
Alle Völker kennen Märchen. Die keltischen aber, die uns geprägt haben, besitzen einen besonderen Klang und Geschmack. Da kommen Schwäne und Schwanenjungfrauen vor, Weisheitsbrunnen, edle Ritter und Jungfrauen, Feuer speiende Drachen und Schätze, dankbare Tote, magische Hirsche, Bären, Raben, weiße Schlangen, Zwerge und Riesen, scheinbare, vom Schulwissen unbelastete Toren, die eigentlich Helden sind, Gänsemädchen, in denen sich die Göttin verbirgt. Es geht um Entrückungen ins Elfenreich, um Verzauberung und Erlösung. Kurz, das Innenreich der Seele tritt nach außen.
Auch Pflanzen kommen in den Märchen vor. Wir erfahren viel über die Heilpflanzen, Giftgewächse und Zauberkräuter der Kelten. Die Elfen im Land der ewigen Jugend tragen Fingerhutblüten als »Elfenkäppchen«; Äpfel des Lebens und giftige Äpfel des Todes gibt es, Wacholder, ein altes magisches Räucherkraut, Haselnüsse und -ruten, die mit den Toten in Verbindung stehen, blühende Weiß- und Rotdornzweige, mit denen sich die göttliche Braut des Königssohns schmückt. Märchen sind auch die Sprache der Seele der Natur. Waldtiere kommen da vor und naturnahe Menschen – Bauern und Bäuerinnen, Fischer, Gärtner, Hirten, Holzfäller, Jäger.
Germanen
Kelten und Germanen werden immer wieder miteinander verwechselt. Nationalistisch verbrämte Ideologien in ganz Westeuropa haben immer wieder die einen oder anderen propagandistisch in den Dienst ihrer nationalen Egoismen eingespannt, so dass es für den Laien recht schwierig ist, sie auseinander zu halten. Dieses Problem ist nicht neu. Die Römer und Griechen haben diese Völker ebenfalls kaum unterscheiden können.
Die »Germanen« tauchten erst um das Jahr 100 v. u. Z. auf und zwar, als die Kimbern und Teutonen, die in der Hoffnung, gutes Ackerland zu finden, die Alpen überquerten und in Norditalien einfielen. Die Römer reagierten auf die Bitte der Barbaren mit militärischer Gewalt. Die Stärke und Wildheit dieser Krieger – auf ihren Rundschilden schlitterten sie die Schneehänge hinab und kämpften nackt, »mit wildem, grässlichem Geschrei« – jagte den Legionen Angst und Schrecken ein. Es gelang der besser ausgerüsteten, disziplinierten römischen Armee jedoch, die Eindringlinge regelrecht abzuschlachten. Ob es sich bei diesem Furor teutonicus wirklich um »Germanen« und nicht um Kelten gehandelt hat, ist jedoch fraglich. Es kann sein, dass die Kimbern ein keltoskythischer Stamm (Kimmerier) war, den es irgendwann einmal nach Norden verschlagen hatte. Auf jeden Fall trug ihr Häuptling Boiorix einen typisch keltischen Namen (Bojor = Name eines keltischen Stammes, nach dem Böhmen und später Bayern benannt wurde; rix = König); der Name der Teutonen (von teut, ir. tuath), ist rein keltisch und bedeutet schlicht »Volk«. Mit den Kimbern und Teutonen zogen auch drei helvetische Stämme, darunter die Tiguriner – die Stadt Zürich (Turicum) ist nach ihnen benannt (NACK 1977: 58).
Der Name »Germanen« ist keine Eigenbezeichnung dieser Stämme – ebenso wenig wie »Aboriginee« oder »Indianer« Eigenbezeichnungen der australischen oder amerikanischen Ureinwohner sind –, sondern wurde von Caesar erfunden.20 Aus politischem Kalkül heraus schilderte er sie als bedrohliche Macht und begründete damit seinen Anspruch auf militärische Ressourcen und Rüstungsgelder. Vor ihm hatte niemand von den Germanen gesprochen (DÖBLER 1975: 89).
Der Geograf Strabo (64 v. u. Z) fand auch kaum einen Unterschied zwischen den Kelten und Germanen, außer, dass die Germanen östlich des Rheins leben und »noch größer, noch wilder und noch blonder« seien als die Kelten westlich des Rheins. »Die in Gallien lebenden Römer nennen sie deswegen Germanen, weil sie damit ausdrücken wollen, dass sie die genuinen, die ›echten‹ (lat. germani), die originalen Kelten sind« (STRABO). Diese vereinfachende Einteilung – linksrheinische Kelten und rechtsrheinische Germanen –, die dem Machtstreben Caesars diente, blieb, obwohl völlig unbegründet, bis heute in den Köpfen bestehen.
Wer waren nun die Germanen, die im Aussehen und in ihren seelischen Anlagen den Kelten so nahe standen? Es handelt sich um nordeuropäische Ureinwohner, um matrifokale Sippen von Megalithbauern, die ihre Toten in Hünengräbern begruben, Hackpflug- bau und Fischerei betrieben. Südschweden, Jütland und Schleswig-Holstein ist ihr Kerngebiet. Steinzeitliche und bronzezeitliche Felszeichnungen in Schweden zeigen schon viele Motive, die bei den Nordgermanen auch später noch charakteristisch sind: Schiffe mit Drachenköpfen und Sonnensymbolen, Krieger mit Rundschilden, Skiläufer, Rinderpflüge, Hirsche, ein gehörnter Mann mit großem Hammer, der wahrscheinlich ein Prototyp des Fruchtbarkeit spendenden Himmelsgottes Donar-Thor ist.
Germanenzug.
Einstmals glaubten die Vorgeschichtler, dass die indoeuropäischen Invasoren die indigenen Megalithbauern ausgerottet oder verdrängt hätten. Diese Annahme ist aus mehreren Gründen kaum mehr haltbar:
1. Skelette von neolithischen Skandinaviern zeigen »keine größeren Abweichungen von den Schweden unserer Zeit«, sondern vielmehr »ausgeprägte nordische Rassekennzeichen« (STRÖM 1975: 22).
2. Die extreme Hellhäutigkeit und andere vererbte physische Merkmale deuten – im Sinne der darwinistischen Theorie – auf eine langfristige biologische Anpassung an ein lichtarmes Klima. Tatsächlich gehört Nordwesteuropa zu den Gebieten der Erde mit größter Bewölkungsdichte und, vor allem in den kurzen Wintertagen, kaum Sonne. Helle Haut ist da kein Nachteil. Im Gegenteil, extrem helle Haut gewährt einen Überlebensvorteil, sie absorbiert ein Maximum an ultravioletter Strahlung, was wiederum die körpereigene Synthese von Vitamin D begünstigt. (Vitamin D ist wichtig für den Kalziumstoffwechsel.)21 Die klimabedingte natürliche Auslese in Richtung heller Haut, blonder Haare und blauer Augen nimmt Hunderte von Generationen in Anspruch. Sie muss also vor mehreren Jahrtausenden eingesetzt haben (HARRIS 1996: 111) und spricht für die kontinuierliche Ansässigkeit der Bevölkerung des Nordens.
In anderen Worten, außer von kleineren Verbänden gab es vermutlich keine massive Einwanderung und Besiedlung von Indoeuropäern, wie es um 1000 v. u. Z. weiter im Süden der Fall war. Die »Germanen« sind vor allem Nachfahren bodenständiger skandinavischer Ureinwohner. Ein reger Handel mit ihren südlicheren Nachbarn – sie tauschten Bernstein und Felle gegen Bronze – brachte sie in Kontakt mit mancher neuen Idee. Der Kulturwandel von der Steinzeit hin zur Bronzezeit fand vor allem durch Akkulturation statt – so der Fachausdruck für die Übernahme fremder Kulturgüter und Lebensweise. Auch die Sprache wurde allmählich »indogermanisiert« – dennoch ist ein Drittel des germanischen Wortschatzes nicht indoeuropäischen (indogermanischen) Ursprungs. Das betrifft vor allem Worte, die mit Schifffahrt zu tun haben. Viele Pflanzen- und Tiernamen, Wörter wie See, Segel, Strand, trinken, laufen, Bein, Weib usw. haben keine indoeuropäischen Entsprechungen – lauten also im Sanskrit, in den lateinischen, keltischen, slawischen und anderen indogermanischen Sprachen ganz anders (HUTTERER 1975: 44).
Schon während der Bronzezeit rücken diese brandrodenden Urgermanen nach Süden, Osten und Westen vor, wo sie vor allem auf Kelten treffen. Die Kelten werden zu den Lehrmeistern dieser primitiven Völker (NACK 1977: 40). Von den Kelten übernehmen sie Eisentechniken, samt der Mythologie des magischen Schmieds (Wieland, engl. Wayland); sie lernen mit Pferden umzugehen und eignen sich die landwirtschaftlichen Techniken der Kelten an; sie lernen die rotierende Getreidemühle und die Töpferscheibe kennen. Keltischer Einfluss macht sich auch in der Sprache bemerkbar. Auffallend groß ist die Zahl keltischer Lehnwörter aus gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Bereichen. Darunter befinden sich Amt und Beamter (von kelt. ambactos = Bote, Diener), Deutsch (kelt. teut, altir. tuath), Eid, Erbe, Geisel, Reich (kelt. rigiom; dazu rigs, rix = Herrscher, König; vgl. Alberich = König der Alben, Dieterich = Herrscher des Volkes, Wegerich = König des Weges, Vercingetorix = Herr der Krieger, Asterix usw.), Schalk (altkelt. für Sklave, Unfreier) und Zaun (kelt. dun, gall. dunum = ein mit Palisadenzaun befestigter Ort, eine Burg; daher das englische Wort town = Ortschaft; dazu Lugdunum = Burg des Lug, Lyon). Heer, Sieg, Beute und einige andere Begriffe, die einem einfacheren Naturvolk Eindruck machen, sind wahrscheinlich ebenfalls von den Kelten übernommen worden (HOPE 1999: 19). Hinzu kommen noch einige Worte, die mit Metallurgie (Eisen, Lot = Blei) und mit Pferden zu tun haben, etwa Zelter, Hengst oder Mähre (ein Marschall wäre ursprünglich ein »Pferdeknecht«).
Bronzezeitliche Felszeichnungen aus Skandinavien.
In der späteren Eisenzeit, der La-Tène-Zeit, verlief die südliche Grenze der germanischen Stämme entlang der Linie Holland-Leipzig-Breslau. Der kulturelle Austausch und die Kontakte intensivierten sich. Märchen, Mythen und Göttervorstellungen überquerten Stammesgrenzen. Der Kult der Mistel gelangte zu den Germanen, ebenso wie der Kult des Sonnengottes Belenos und des ihm geweihten psychedelischen Nachtschattengewächses, des Bilsenkrauts. Belenos und seine Braut, die Blütengöttin, erscheint bei den Nordstämmen als Baldur und Nanna. Lugus oder Lug, der clevere, feurige Gott, der alles zur Vollendung bringt, erscheint in Loki, dem kosmischen Terminator. Den filigranen, verschnörkelten, surrealistischen Kunststil, den »Tier- und den Pflanzenstil«, den die La-Tène-Kelten nach skythischem Vorbild weiterentwickelten, charakterisierte auch bald die Kunst der Germanen. Wie eng die Verbindung und wie rege der Austausch war, zeigt sich darin, dass der berühmte keltische Silberkessel aus Gundestrup oder der Bronzekessel aus Rynje- by in dänischen Mooren, weit außerhalb des eigentlich keltischen Siedlungsgebiets, als Opfergabe versenkt wurden.
Die Kelten waren aber nicht einseitig die Geber-Kultur (doner culture). Zur Zeit Caesars und der gallischen Kriege hatten sich keltische Gruppen auch den Germanen, etwa den Sueben, angeschlossen. Caesar selbst erkannte, dass bei zahlreichen nordost- und ostgallischen Stämmen germanische Herkunft hohes Prestige besaß (WOLFRAM 1995: 54). Es kam zur »Germanisierung« etlicher keltischer Stämme, so dass die beiden Gruppen tatsächlich schwer auseinander zu halten sind.
Mit dem Zusammenbruch des römischen Imperiums kam es zur Völkerwanderung. Die Germanen, die ihrerseits dem Druck wandernder slawischer Völkerschaften ausgesetzt waren, drängten weiter nach Süden und überlagerten die romanisierten keltischen Restvölker. Die germanischen Franken übernahmen die Herrschaft in Gallien (es wurde zum Frankenreich); die Markomannen, die sich selbst Bayern (nach dem keltischen Stamm der Boier) nannten, besiedelten von Böhmen aus den bayrisch-österreichischen Raum; die Langobarden schufen ihr Königreich in der Lombardei, im ehemals keltischen Cisalpina; die Burgunder ließen sich an der Rhone nieder; der mächtige Stamm der Alemannen besiedelte die Schweiz, das Elsass und Baden und gliederte die keltische Restbevölkerung in ihre Verbände ein; Angeln und Sachsen setzten auf die Britischen Inseln über und schufen das Land der Angeln (England); Goten, ursprünglich aus Südschweden stammend, zogen bis nach Andalusien und ans Schwarze Meer – und dann kamen die iro-schottischen Mönche, Erben der keltischen Druiden, und machten sich daran, diese wilden, germanischen Heiden zu einem Christentum zu bekehren, das noch viele keltische Züge trug und dann das ganze Mittelalter prägte.
Die Wikinger aus Norwegen und anderen skandinavischen Ländern, die zwischen dem 8. und 11. Jahrhundert das christliche Europa verunsicherten, stellen die letzte Welle der germanischen Ausdehnung dar. Die Drachenschiffe dieser Seeräuber, Händler und Siedler erreichten im Westen Nordamerika und im Osten die Wolga und das Schwarze Meer.22 Sie besiedelten Island, welches sich um 1000 n. u. Z. zum Christentum bekehrte. Zweihundert Jahre später schrieb der isländische Politiker und Staatsbeamte Snorri Sturlson (1179–1241) die Edda, eine Sammlung von Heldenliedern und Mythologie aus spätheidnischen Zeiten. Die Edda ein unterhaltsames, wunderbares literarisches Werk, ist aber nicht, wie einige Ideologen es auf den Schild hoben, »die Bibel« der Germanen. Das Werk gehört der big tradition, der Kultur der Fürsten und höfischen Barden (Skalden) einer Gesellschaft am Rande des germanischen Siedlungsgebiets, an. Die Edda gibt also kaum Einsichten in den alltäglichen Glauben und den Kultus der Germanen, schon gar nicht der südlicheren keltisch-germanischen Stämme aus der Zeit des Caesar oder Tacitus, tausend Jahre zuvor (DOBLER 1975: 101).
Das heutige Europa kennt keine sauber getrennten Völker oder Rassen, wie es einigen Gelehrten im 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts im Bann der sozialdarwinistisch gefärbten Rassenlehre und der überzogenen Nationalismen vorschwebte. Man kann nur grob sagen, gegen Norden nimmt das germanische Element zu, gegen Osten das slawische und baltische, gegen Westen das keltische und gegen Süden das romanische.
Keltisches Erbe heute
Wir sehen, die Kelten haben sich nicht einfach in Luft aufgelöst, noch sind sie ausgestorben. Sie sind noch lebendig, als »allgegenwärtige Unterströmung des abendländischen Geisteslebens« (RUDOLF MEYER). Sie lebten weiter in der ritterlichen, romantischen Kultur der Minnesänger mit ihrer geheimen Blumensprache – noch immer »sagen wir es mit Blumen«. Sie lebten weiter im Gralskult, in den echten Volksliedern und -tänzen, in den Dichtungen des Wolfram von Eschenbach und anderer Troubadouren, zuletzt in den Werken eines Richard Wagner.
Country-Music, Hillbillie-Musik und Bluegrass, die von den Nachfahren iro-schottischer Einwanderer, die sich im Appalachengebirge niederließen, gesungen und gespielt wird, ist rein keltisch in ihrem Rhythmus und ihrer Melodie. Es ist die typische Musik der Barden, die in einer analphabetischen Gesellschaft Nachrichten in Form von Balladen von Ort zu Ort weitertragen und eine Liebe zum Wortspiel und zur Erzählkunst aufweisen.
Auch in der Literatur, in den Fantasy-Erzählungen eines John R. R. Tolkien, und in Filmen wie »Avalon«, »König Artus«, »Highlander«, »Camelot«, »Excalibur« oder »Monty Python« lebt keltisches Kulturgut munter weiter. Im amerikanischen Western reitet der Cowboy noch immer, wie der keltische Held, zum Schluss allein auf seinem treuen Pferd in den Sonnenuntergang, in die Anderswelt. Keltisch anmutende Krieger mit Fantasiewaffen und Tätowierungen geistern durch die virtuelle Realität der Computerspiele.
Von den La-Tène-Kelten übernommener germanischer Kunststil: Eingangspforte einer aus germanischer Tempelbaukunst hervorgegangenen Stabkirche.
Keltischen Ursprungs sind aber auch alltägliche Gepflogenheiten, Vorlieben beim Essen, wie der morgendliche Haferbrei oder in Amerika der Schinken (bacon) zum Frühstück, das Biertrinken am Stammtisch, das Bild vom »röhrenden Hirsch« an der Wohnzimmerwand – in unbewusster Erinnerung an Cernunnos, den Waldgott –, der quasi sakrale Status von Hund und Pferd und vieles mehr.
Und jetzt, wo wir uns in einer Zeit ökologischer und gesellschaftlicher Unausgeglichenheiten befinden, wo wir uns gefährlichen, kaum beherrschbaren Technologien ausgeliefert haben und wieder Sinn und Halt suchen, da tritt aus den verborgenen Quellen des kollektiven Unterbewusstseins unverhofft hier und da die unterschwellige keltische Strömung wieder an die Oberfläche. Und zwar in folgenden Bereichen:
1. Ökologie: Es wird zunehmend versucht, die Natur als einen ganzheitlichen, lebendigen Organismus zu verstehen (Gaia-Hypothese), nicht nur als belebt, sondern auch als beseelt. Man spricht wieder von den Rechten der Tiere. Man erkennt, dass Bäume und Wälder heilig und lebenstragend und nicht nur als auszubeutende, wenn auch nachwachsende Rohstoffreserven zu betrachten sind. Man erkennt, dass sie nicht nur zum Wirtschaftswachstum beitragen, sondern auch unsere Seele nähren und gesund halten. In der Landwirtschaft werden vor allem in der biologisch-dynamischen Methode, wie es einst die Kelten taten, feinstofflich-ätherische, energetische und astronomische Gesichtspunke mit berücksichtigt.
Keltisch-germanischer Krieger – mit typischem Langschwert und Hosentracht.
Beliebtes Motiv seit keltischen Zeiten: röhrender Hirsch.
2. Spiritualität: Eine neue Spiritualität stellt sich zunehmend gegen die lebens- und naturfeindlichen Dogmen – »macht Euch die Erde untertan«, Entmündigung der animistischen Völker durch Missionierung – einer versteinerten Kirche und ebenso gegen ein gefühlstotes Wissenschaftsestablishment, das im Namen der Humanität sadistische Tierversuche und nicht rückgängig zu machende Erbgutmanipulationen vornimmt. Die Götter und Elementarwesen erwachen in den Imaginationen vieler Menschen. Man öffnet sich wieder dem Wunder, man erlebt wieder die Engel und Gottheiten, man spricht von der Wiederverkörperung und der Tatenvergeltung (Karma) über den Tod hinaus. Keltisches Schamanentum zeigt, dass man keine unbezahlbar teure Raketentechnologie braucht, um in andere Welten zu reisen.23
3. Autonomiestreben: Das Dorf von Asterix, Obelix und Miraculix steht für Dezentralisation, freie Entwicklung jeder menschlichen Individualität und Gemeinschaft, für Eigenständigkeit der organisch gewachsenen Regionen, für eine lebensbejahende Anarchie. Es steht gegen die kollektiven Zwänge zugunsten ferner Machtinteressen, gegen Bevormundung durch einen allmächtigen Staat, sei es das imperiale Rom, Berlin, Brüssel oder Washington.
4. Frauenbewegung: Allmählich wird wieder anerkannt, dass die Frau als Geliebte, Mutter und lebenserfahrene alte Weise die Erhalterin des Lebens ist. Sie ist es auch, die den Männern die Macht delegiert. Das geschieht aber nicht aus Machtsucht oder Geltungsbedürfnis, sondern als Trägerin des archetypischen Weiblichen, als Verkörperung der Göttin. Der keltische Ritter oder Barde hatte seine Dame, der er seine Abenteuer, Siege oder Lieder widmete. Manchmal war diese weibliche Gefährtin keine sterbliche Frau, sondern eine Holde, eine Schwanenjungfrau oder andere Andersweltliche. Auch die Götter der Heiden hatten ihre weiblichen Begleiter, die ihnen an Rang nicht nachstanden. Oftmals waren die Götter, ähnlich dem Shiva der südasiatischen Mythe, ohne die weibliche Energie (Shakti) völlig machtlos und ohne Leben.
5. Heilkunde: Immer mehr Menschen erkennen, dass die Schulmedizin unbezahlbar geworden und mit Risiken behaftet ist – allein in den USA sterben nach offiziellen Schätzungen (LEMONIK 1999: 38) jährlich 100000 Menschen aufgrund ärztlichen Versagens oder falsch verschriebener Pharmazeutika. Bei weiteren 2,5 Millionen kommt es zu Gesundheitsschäden und zum Teil bleibenden Beeinträchtigungen (ARNDT 1999: 56). Die schärfste Waffe unter den pharmazeutischen Produkten, die Antibiotika, verlieren nicht nur zunehmend an Wirksamkeit, sondern haben echte Killerstämme unter den Bakterien erzeugt. Da bietet sich die aus keltischen Wurzeln stammende Heilkräuter- und Bäderkunde als sanfte, aber wirksame Alternative an. Ihr liegt die Erfahrung von vielen tausend Jahren zugrunde.
Im Gegensatz zur Psychoanalyse und Psychotherapie erweist sich die traditionelle schamanische Heilweise, die metaphysische Aspekte mit einbezieht, als viel effektiver. Der Schamane reist in die Anderswelt und weiß mit den Krankheit bringenden transsinnlichen Wesenheiten umzugehen, er behandelt nicht nur die materiellen, organischen Schäden, die diese Wesenheiten bewirken. Auch verlorene Seelen kann der Schamane oder die Schamanin in der jenseitigen Welt wiederfinden oder als »Sterbehilfe« die fortgehenden Seelen ein Stück in den Himmel begleiten. Auch die Kraft der Erdstrahlen und Wasseradern, mit denen die Kelten bewusst umgingen, findet wieder zunehmend Berücksichtigung, ebenso wie auch die kosmisch-astronomischen Einflüsse. Aus all dem ergibt sich eine neue Heilkunde, neben welcher der Medizinapparat mit seiner materiell-reduktionistischen Arbeitsweise einen recht armseligen Eindruck macht.
6 In der heutigen Zeit, in der wir weder als primitive Bauern noch als Hirtennomaden leben, befindet sich das Geschlechterverhalten im Wandel und die Geschlechterrollen werden selbstverständlich ganz anders definiert. Rapider sozioökonomischer Wandel, Konsumkultur und Informationsgesellschaft haben zu Unsicherheiten bezüglich traditioneller Geschlechterrollen geführt.
7 Diodor schreibt über diese Seehundschnauzbärte: »Wenn sie trinken, fließt das Bier gleichsam durch eine Reuse« (Pörtner 1997: 293).
8 Die Hallstattkultur wurde nach Hallstatt im oberösterreichischen Salzkammergut benannt, wo sich eines der ältesten Salzbergwerke der Welt befindet. Das keltische Wort hall (breton. holen, kymr. hal) bedeutet »Salz«. Salz war einer der wichtigsten Bodenschätze in einer Zeit, als es noch keine Kühltechnik gab. Hallstatt war ein wichtiger Handelsort der damaligen Zeit.
9 Die Sage von Wieland, dem Schmied, steckt voller archaischer keltischer Motive. Er ist ein Zauberer ersten Ranges; er ist mit einer Andersweltlichen, einer Schwanenjungfrau vermählt und fliegt mit selbst konstruierten Schwanenflügeln. Aus den Schädeln der Kinder des Königs, der ihn gedemütigt hat, schmiedet er goldene Trinkgefäße.
10 Die frühmittelalterliche Sage von dem Ritter Wolfdieterich, der die Raue Ilse, ein wildes Waldweib, minnen muss und dann entdeckt, dass sie die schönste aller Frauen und Königin des Landes ist, geht auf diesen keltischen Brauch zurück.
11 Diodorus Siculus, der griechische Historiker aus dem 1. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, schreibt über die Rauschsucht der Kelten: »Die Gallier lieben den Wein ausserordentlich; sie gießen den Wein, der von den Kaufleuten eingeführt wird, unvermischt hinunter und nehmen das Getränk, dem sie so ergeben sind, im Übermaß zu sich, bis sie berauscht im Schlaf versinken oder in einen Zustand des Wahnsinns geraten. Viele italische Kaufleute benutzen daher (…) die Trinksucht der Gallier zu ihrem Vorteil. Sie führen ihnen Wein zu, sowohl zu Wasser auf den schiffbaren Flüssen als zu Lande auf Wagen, und gewinnen durch diesen Handel unglaubliche Summen. Denn für ein Fässchen Wein erhalten sie einen Sklaven.« Feuerwasser für die Indianer, Opium für die Chinesen! Drogen als machtpolitischer Faktor – schon damals!
12 Die Wagenbreite bzw. die Entfernung zwischen den Rädern bei den typischen keltischen Wagen betrug vier Fuß und achteinhalb Zoll. Interessanterweise wurde dieses Maß auch zur Standardbreitspur der amerikanischen Eisenbahnen. Ist das nun Zufall oder so etwas wie die Aktivierung einer unbewussten kollektiven Erinnerung, eines »morphischen Feldes«?
13 Tacitus schreibt über die kelto-germanischen Stämme: »Die Germanen glauben sogar, den Frauen wohne etwas Heiliges und Seherisches inne, deshalb achten sie auf ihren Rat und hören auf ihren Bescheid. Wir haben ja zur Zeit des [verewigten] Vespasian erlebt, wie Veleda lange Zeit bei vielen als göttliches Wesen galt. Doch schon vor Zeiten haben sie Albruna und mehrere andere Frauen verehrt, aber nicht aus Unterwürfigkeit und als ob sie erst Göttinnen aus ihnen machen müssten.«
14 Altkeltisch oder gar vorkeltisch ist ebenfalls der Horntanz, den die Einwohner von Abbot’s Bromley im englischen Staffordshire am ersten Montag nach dem 4. September auffuhren. Die zwölf männlichen Tänzer verkleiden sich als Reiter, Maid, Narr, Schütze; sechs der Tänzer tragen echte Rentiergeweihe.
15 Einige Gelehrte nehmen irrtümlich an, dass die Bauernregeln aus Babylonien oder aus der klassischen Antike stammen und von den Römern oder von Mönchen später nach Mitteleuropa gebracht wurden (Hauser 1973: 22). Diese These lässt sich ebenso wenig halten wie diejenige, die das Aufstellen von Menhiren und anderen Megalithsteinen auf ägyptische Einflüsse zurückführen will.
16 Antwort: Schneeflocke, Winterbaum, Sonne.
17 Die Brennnesseln.
18 Als die Kulturfunktionäre im stalinistischen Osteuropa die Märchen umschreiben wollten und aus Prinzen klassenbewusste, heldenhafte Traktoristen, aus Rittern Rotarmisten, aus Drachen Kapitalistenbonzen und aus Prinzessinnen Heldinnen der Arbeit machen wollten, fand niemand Freude daran. Die alten »klassenfeindlichen«, feudalistischen Märchen wurden im Volk, wie überliefert, weitererzählt.
19 »Gemeinsam allen Märchen sind die Überreste eines in die älteste Zeit hinaufreichenden Glaubens, der sich in bildlicher Auffassung übersinnlicher Dinge ausspricht« (WILHELM GRIMM).
20 Viele der heutigen Sprachforscher glauben, dass Germane die Bezeichnung eines bestimmten keltischen Stammes sein könnte. Die im 19. Jahrhundert popularisierte Annahme, dass das Wort »Speermänner« – von ger = Speer und man = Mann – bedeuten könnte, lässt sich nicht halten.
21 Anthropologen konstatieren derartige vererbbare Anpassungen an geografische Gegebenheiten überall auf der Erde. So etwa haben die Eskimo, als Anpassung an die extreme Kälte, über Jahrtausende hinweg durch eine positive natürliche Auslese dieser Merkmale einen besonders kompakten Körperbau und einen effizienteren Kohlehydratstoffwechsel entwickelt. Die dunkle Hautfarbe vieler tropischer Völker ist eine Anpassung zum Schutz gegen hohe ultraviolette Einstrahlung; sie entwickeln weit weniger häufig Hautkrebs als hellhäutige Europäer. Die langen, dünnen Nasen der Araber weisen auf eine biologische Anpassung an ein extrem trockenes Klima hin (JOHNSTON/SELBY 1978: 250). Die Quechua-Indianer, die seit Jahrtausenden die hohen Anden besiedeln, und ebenfalls die Tibeter im Himalaya konnten sich durch allmähliche Ausbildung einer vergrößerten Lungenkapazität an die Höhenlagen gewöhnen, in denen der Sauerstoffgehalt der Luft sehr niedrig ist (NICKELS/HUNTER/WITTEN 1979: 358). Auch dass Indoeuropäer und Ostafrikaner Kuhmilch gut verwerten können, während Ostasiaten und andere Populationen davon Magen-Darm-Krämpfe bekommen, ist biologische Anpassung, die durch die Symbiose Kuh-Mensch während mehrerer tausend Jahre zustande kam.
22 Die Wikinger oder Waräger traten im Osten als Raubhändler und Sklavenjäger auf und gründeten das Reich der Rus (Russen). Die Kosaken rühmen sich, Nachkommen der Wikinger zu sein. Unser Wort Sklave geht eindeutig auf die Slawen zurück, die die Wikinger im Westen verkauften.
23 Arthur Hermes, der »Druide« des Waadtlands, sagte es treffend: Die Astronauten sind mit ihrer Raumfähre Apollo 11 nicht auf dem »Mond« gelandet, sondern im Bereich der Materie, also der »Erde«, geblieben. Zum Mond und zu den Mondkreaturen kommt man nur mit einem »geistig-ätherischen Raumschiff«.