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Eine Frau gerät in Versuchung

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„An der nächsten Raststätte muss ich Sie leider absetzen.“ Sigmar Kranich warf der Frau an seiner Seite einen bedauernden Blick zu. „Sie finden dort aber bestimmt jemand, der Sie bis Oldenburg mitnimmt. Vermutlich werden Sie daheim schon sehnsüchtig erwartet.“

Petra Meißner presste ihre Lippen zusammen und nickte. Erwartet wurde sie allerdings, jedoch nicht von einem lieben Menschen, sondern von Leuten, die Geld von ihr forderten. Eine Menge Geld. Dass sie auf einem Berg Schulden saß, hatte sie Horst zu verdanken, der ihr die Partnerschaft für das angeblich so gewinnträchtige Designerbüro aufgeschwatzt und sich nach seinem Bankrott über die Grenze abgesetzt hatte.

Ihre Hoffnung, ihn bei seinem Cousin in Klagenfurt zu erwischen, war fehlgeschlagen. Genau wie ihre verzweifelten Bemühungen, die Gläubiger zur Geduld zu bewegen. Man drohte ihr massiv. Sie wusste nicht, wie es weitergehen sollte, nachdem sie sogar schon ihr Auto verkauft hatte, um wenigstens nicht vom Vermieter auf die Straße gesetzt zu werden.

Dies war auch der Grund, warum sie per Anhalter reisen musste. Ein Glück, dass Sigmar Kranich ausschließlich seine zahlreichen Geschäfte im Kopf hatte. Während der stundenlangen Fahrt hatte er keinen einzigen Annäherungsversuch unternommen.

„Meine Eltern“, erzählte er ihr amüsiert, „wollen mich ja unbedingt unter die Haube bekommen. Sie glauben gar nicht, wen sie mir schon alles als Ehekandidatin vorgestellt haben. Schauderhaft! Ich bin selten genug daheim, aber jedes Mal endet mein Besuch in Peinlichkeiten. Um wenigstens diesmal meine Ruhe zu haben, habe ich am Telefon Andeutungen über eine bevorstehende Verlobung gemacht. Hoffentlich wirkt das. Mischen sich Ihre Eltern auch in Ihr Privatleben ein?“

Petra verneinte knapp. Sie besaß weder Eltern noch ein Privatleben. Dabei glaubte sie bei Horst an die große Liebe. Männer!

Für einige Minuten schloss sie die Augen und hing ihren trübsinnigen Gedanken nach. Deshalb sah sie auch nicht das Verhängnis auf sich zukommen. Sie hörte nur den erschrockenen Ausruf des Fahrers und kurz darauf das Kreischen von Bremsen, das in ohrenbetäubendem Krachen endete. Eine unsichtbare Faust packte Petra und schleuderte sie nach vorn. Wie mit Messern schnitt es durch ihre Brust. Dann verlor sie das Bewusstsein …

„Sie kommt zu sich.“ Wie durch einen dicken Wattebausch drangen diese Worte an Petras Ohr. Sie spürte, dass jemand ihre Hand hielt. So etwas war ihr vor Monaten zum letzten Mal widerfahren. Sollte Horst zurückgekommen sein?

Mit ihrem ganzen Willen stemmte sie sich gegen die bleierne Last ihrer Lider. Eine Frau beugte sich über sie, eine Frau in schwarzem Kostüm mit wachsfarbenem Gesicht. „Spürst du große Schmerzen, mein Kind?“, erkundigte sich die Fremde besorgt.

Petra wollte den Kopf schütteln, konnte ihn aber nicht bewegen. Erst jetzt merkte sie, dass sie offenbar in einer Gipsschale lag, die jede Bewegung unmöglich machte. Die Erinnerung kam allmählich zurück. Sie hatten einen Unfall gehabt. Es schien sie böse erwischt zu haben. Das Unglück verfolgte sie offenbar.

„Du hattest unglaubliches Glück“, fand die Frau dagegen. „Man hat dich aus dem Wagen ziehen können, bevor der Tank explodierte. Aber du musst jetzt sehr tapfer sein.“ Sie presste ein Taschentuch vor ihren Mund und brach in Tränen aus.

Eine Krankenschwester kam und führte die Schluchzende hinaus. „Dr. Löbig wird sofort nach Ihnen schauen“, versprach sie Petra, die sich nicht erinnern konnte, die Frau an ihrem Bett jemals zuvor gesehen zu haben.

Der Stationsarzt nickte ihr aufmunternd zu. „Sie müssen sich mit Ihrem Schutzengel ausgezeichnet verstehen. Den Rest besorgen wir.“

„Wo bin ich hier eigentlich?“, wollte Petra wissen. „Und wie schwer bin ich verletzt?“

„Sie kommen wieder völlig in Ordnung“, erhielt sie zur Antwort. „Das verspreche ich Ihnen. Ein paar gebrochene Rippen, ein paar Schnittverletzungen. Das Schlimmste war wohl der Schock. Sie wurden auf Wunsch der Kranichs in unsere Privatklinik hier in Münster gebracht.“

„Die Kranichs“, wiederholte die Verletzte gedehnt. „Und was ist mit …“

Wieder wurde nach ihrer Hand gegriffen. Zwei graue Augen blickten sie beschwörend an. „Er hat ganz sicher nicht leiden müssen“, beteuerte der Arzt. „Er muss sofort tot gewesen sein.“

„O mein Gott!“, flüsterte Petra, bevor Tränen ihre Augen zu füllen begannen. Sie spürte nicht die beruhigende Hand auf ihrer glühenden Stirn. Noch einmal erlebte sie in Gedanken den Unfall, sah den energiegeladenen Geschäftsmann neben sich, der noch so große Pläne verwirklichen wollte. Er, der Erfolggewohnte, lebte nicht mehr.

Es hätte besser mich treffen sollen, überlegte sie düster. Auf andere Weise kann ich meinen Gläubigern ohnehin nicht entrinnen.

Sie schlief erschöpft ein, und als sie erwachte, war wieder die fremde Frau bei ihr, von der sie inzwischen ahnte, dass es sich um die Mutter des toten Sigmar Kranich handelte. Ein Mann ging im Zimmer auf und ab. Als er merkte, dass Petra wach war, eilte er auf sie zu und drückte ihr unter Tränen einen Kuss auf die Stirn.

„Jetzt haben wir nur noch dich“, brachte er mühsam hervor. „Das Schicksal hat es so gewollt, dass wir unseren Sohn verlieren und dafür eine Tochter bekommen.“ Da er Petras irritierte Miene sah, fuhr er hastig fort: „Was spielt es für eine Rolle, dass ihr noch nicht verheiratet wart. Sigmar hat uns am Telefon in den höchsten Tönen von dir vorgeschwärmt. Er liebte dich, deshalb bist du uns willkommen.“

„Aber ich …“

„Wir sprechen später über alles“, ergriff nun auch Frau Kranich das Wort. „Jetzt wollen wir dich nicht über Gebühr anstrengen. Wir wissen noch so wenig über dich. Nicht einmal deinen Namen und wo du zu Hause bist. Natürlich kannst du bei uns wohnen, sobald du aus der Klinik entlassen wirst. Unser Haus bietet genügend Platz. Wir konnten deine Angehörigen noch nicht verständigen, weil deine Papiere im Wagen verbrannt sind.“

„Ich habe keine Angehörigen mehr“, antwortete Petra leise. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Hier lag ein Missverständnis vor. Die Kranichs hielten sie für die Beinahe-Verlobte ihres Sohnes, die dieser nur erfunden hatte. Das musste sie aufklären.

Der eintretende Arzt vereitelte dieses Vorhaben. Er bestand darauf, dass die Patientin jetzt strikte Ruhe haben müsse.

Als die Kranichs gegangen waren, erkundigte er sich nach Petras Befinden. Da ihm ihre verstörte Verfassung nicht entging, glaubte er, sie über ihre Verletzungen beruhigen zu müssen. „Ein paar Monate wird es schon dauern, bis Sie nichts mehr spüren und auch die letzten Narben verschwunden sind. Danach aber werden Sie wieder so hübsch wie vor dem Unfall aussehen.“

Er sagte ihr noch viele nette Dinge, und Petra stellte konsterniert fest, dass offenbar erst ein schreckliches Unglück geschehen musste, damit sie endlich wieder menschliche Zuwendung erfuhr. Erst die Kranichs, deren Irrtum sie in eine fatale Lage brachte, und nun dieser mitfühlende Dr. Udo Löbig.

Ob sie sich ihm anvertraute? Vielleicht war er bereit, mit den Eltern des Toten zu reden, die sich geradezu verzweifelt an die Hoffnung klammerten, dass ihnen wenigstens ein Teil ihres einzigen Sohnes geblieben war: die Frau, die er geliebt hatte.

Da der Mediziner zu einem anderen Patienten gerufen wurde, blieb ihr noch Zeit, darüber nachzudenken.

Sie fiel in einen kurzen, unruhigen Schlaf, in dem sie ein scheußlicher Traum quälte. Sie wurde von ihren Gläubigern verfolgt. Die Menschen blieben auf der Straße stehen und zeigten mit Fingern auf sie, während Horst mit einer anderen Frau im Café saß und ihre Not überhaupt nicht zur Kenntnis nahm.

Schweißgebadet wachte sie auf. Ihr wurde klar, dass im Augenblick niemand wusste, wo sie sich zur Zeit befand. Der Unfall und der verbrannte Pass eröffneten ihr die Chance, ein völlig neues, unbelastetes Leben zu beginnen. Ohne Schulden.

Doch dann sagte sie sich, dass man früher oder später ihre wahre Identität feststellen würde. Sie konnte nicht vor ihrer Vergangenheit davonlaufen.

Aber vielleicht gab es einen anderen Weg. Niemand brauchte jemals zu erfahren, dass sie mit Sigmar Kranich nicht einen einzigen Kuss getauscht hatte. Es gab keine andere Frau, die ihr diesen Platz streitig machen konnte. Ein Betrug zwar, aber ein gnädiger Betrug an einem verzweifelten Ehepaar, das sie in ihre Familie aufnehmen wollte.

Die Kranichs waren wohlhabend. Nicht im Traum hätte sie daran gedacht, dass die beiläufigen Erzählungen des freundlichen Mannes, der sie am Autobahnzubringer mitgenommen hatte, für sie einmal von Bedeutung sein würden. Geschäfte in der Schweiz, Geschäfte in Belgien und fast überall in Europa. Geschäfte auch in Übersee und sogar in Kuwait.

Was bedeutete für diese Leute schon ein Betrag von achtzigtausend Euro? Sie müsste diese Schulden nicht einmal zugeben. Das Mindeste, was sie als Familienmitglied zu erwarten hätte, wäre ein blendend bezahlter Job. Sie könnte nach und nach alles zurückzahlen. Petra seufzte tief.

„Schmerzen?“

Petra zuckte zusammen. Sie hatte Dr. Löbig nicht eintreten hören. Nun stand er vor ihr, fühlte ihren Puls und zeigte eine besorgte Miene.

„Ich würde gern telefonieren“, bat Petra. Es gab da eine Freundin, die sie über den Vorfall informieren, vor allem aber um Rat fragen wollte.

„Das erledige ich für Sie. Sie dürfen sich noch nicht anstrengen. Sagen Sie mir die Nummer.“

Petra entspannte sich. „Ist nicht so wichtig. Danke. Eine Frage, Herr Doktor. Die Kranichs …“

„Ich soll Ihnen das hier geben“, fiel er ihr ins Wort und legte einen Briefumschlag aufs Bett. „Herr Kranich bittet um Verständnis, dass er sich in den nächsten Tagen nicht um Sie kümmern kann. Seine Frau erlitt vorhin einen Nervenzusammenbruch. Außerdem ist das Begräbnis vorzubereiten, und die Firma darf auch nicht vernachlässigt werden.“

Petra spürte Erleichterung. Sie brauchte sich nicht sofort zu entscheiden, ob sie die makabere Komödie mitspielen wollte. Sie vermutete einen Brief in dem Umschlag, entnahm ihm jedoch einen unterschriebenen Blankoscheck. Ratlos blickte sie den Arzt an.

„Sie sollen den Betrag nach Bedarf einsetzen“, erklärte dieser. „Da der Inhalt Ihrer Handtasche ein Opfer der Flammen wurde, könnten Sie sich nicht einmal eine Zeitschrift kaufen.“

Petras Hand, die den Scheck hielt, zitterte leicht. Ihr wurde bewusst, dass dieser Fetzen Papier ihre Rettung bedeuten konnte. Jede Bank würde ihr dafür die dringend benötigten achtzigtausend Euro auszahlen.

„Ich brauche nichts“, meinte sie matt. „Ich will nur recht schnell wieder gesund werden.“

„Finden Sie es denn hier bei uns so unerträglich?“

Überrascht blickte Petra den Mediziner an. Seine Frage klang, als bedauerte er, dass sie fort wollte.

Zum ersten Mal betrachtete sie den Mann mit den entschlossenen und doch seltsam weichen Zügen und dem ein wenig ungebärdigen Haar aufmerksamer. In Gedanken tauschte sie seinen Arztmantel gegen Jeans und legeres T-Shirt. Darin musste er phantastisch aussehen.

Du hast vielleicht Sorgen, schalt sie sich im nächsten Augenblick. Was geht dich dieser Bursche an? Hast du den Männern nicht schon genug Unglück zu verdanken? Erst die von Horst verschuldete finanzielle Ausweglosigkeit und nun auch noch der Unfall.

„Hätten Sie wohl einen Spiegel für mich?“, fragte sie anstelle einer Antwort. „Ich fürchte, ich ähnle momentan einem Monster.“

„Eher einer geheimnisvollen Mumie“, räumte Udo Löbig belustigt ein. „Aber über Ihr Aussehen brauchen Sie sich wirklich keine Gedanken zu machen. Ich kann Herrn Kranich sehr gut verstehen, dass er sich in Sie verliebte.“ Sein Gesicht nahm einen erschrockenen Ausdruck an. „Entschuldigen Sie, bitte! Das war sehr instinktlos von mir. Wenn Sie irgend etwas benötigen, lassen Sie es mich wissen. Ich sorge dann dafür, dass Sie es bekommen.“

Petra hatte noch nie einen so sympathischen Arzt erlebt. Sie fragte sich, ob er nur deshalb so nett zu ihr war, weil er ihr etwas Schreckliches verheimlichte. War sie etwa doch schwerer verletzt, als er eingestehen wollte? Würde sie nie wieder so sein wie früher?

„Sagen Sie mir die Wahrheit, Doktor!“, drängte sie. „Werde ich jemals wieder laufen können?“

Udo Löbig lächelte. „Laufen? Springen, tanzen, Bäume ausreißen, alles, was Sie wollen. Ihre Nackenwirbel haben einen kleinen Nasenstüber abbekommen, aber das ist nichts Besorgniserregendes. Wir müssen Sie nur für einige Zeit ruhigstellen.“

Er kam jeden Tag, um sich nach ihrem Befinden und eventuellen Wünschen zu erkundigen. Von Herrn Kranich hörte Petra erst nach einer Woche wieder etwas. Er bat sie um Verständnis für sein langes Schweigen. „Sigmar deutete am Telefon an, dass ihr euch während eines Geschäftsessens kennengelernt habt. Ich entsinne mich auch noch, dass er sich an einem deiner geplanten Projekte beteiligen wollte. Was war es doch gleich?“

„Ein Designerbüro“, platzte Petra heraus und biss sich anschließend auf die Lippe. Wäre jetzt nicht der passende Moment gewesen, um den Irrtum aufzuklären?

„Tatsächlich? Der Junge musste überall mitmischen. So war er nun einmal. Ständig neue Geschäfte im Kopf. Deshalb waren wir auch so froh, als wir von dir erfuhren. Wir hatten uns schon auf unseren ersten Enkel gefreut. Es sollte nicht sein. Aber dein Projekt darf deswegen nicht scheitern. Wie hoch sollte Sigmars Beteiligung sein? Du bist doch sicher an Termine gebunden.“

„Ich kann jetzt nicht an Geschäfte denken, Herr Kranich. Es ist alles so entsetzlich.“

„Ich heiße Arnold“, sagte der Mann mit Nachdruck. „Ich habe große Pläne mit dir. Aber erst musst du gesund werden. Du hast den Scheck noch gar nicht eingelöst.“

„Das tue ich noch. Ganz bestimmt. Ich habe hier ja alles, was ich brauche.“

„Niemand kannte Sigmar besser als ich. Er war ein Energiebündel. Bei seinen Transaktionen legte er ein atemberaubendes Tempo vor. Leider auch beim Autofahren. Nun hat er mit seiner unseligen Raserei auch dein Leben gefährdet. Wir stehen in deiner Schuld.“

„Mir ist ja nichts Ernstliches passiert“, wandte Petra ein, der das Gespräch immer größeres Unbehagen bereitete. Sie wünschte sich weit fort.

Später kam Dr. Löbig und stellte ein paar Blumen auf den Nachttisch. „Damit es Ihnen bei uns ein bisschen besser gefällt“, erklärte er und fuhr zögernd fort: „Herr Kranich hat den Wunsch geäußert, Sie in sein Haus zu transportieren und dort von seinen Ärzten betreuen zu lassen. Davon würde ich zwar abraten, muss das aber Ihrer Entscheidung überlassen. Transportfähig wären Sie.“

Der Gedanke entsetzte Petra, aber wie sollte sie den Kranichs eine Ablehnung erklären, ohne sie zu verletzen? Der Schmerz, den sie zu tragen hatten, war groß genug.

„Sie sind der Arzt“, entgegnete sie. „Sie wissen am besten, was für mich gut ist.“

„Dann behalten wir Sie also hier.“ Er schien erleichtert zu sein, und in Petra klangen diese Worte noch lange nach.

Ob er sich in mich verliebt hat?, überlegte sie. Dieser Gedanke gefiel ihr, aber er führte ihr auch ihre verzweifelte Situation vor Augen. Nie wieder würde sie mit einem Mann glücklich sein können. Sie brachte eine schwere Hypothek in jede Beziehung ein. Eine Hypothek über achtzigtausend Euro, die mit jedem Tag durch anfallende Zinsen noch größer wurde.

Ihr Blick streifte den Scheck, der neben den Blumen lag. Drängte Arnold Kranich ihr das Geld nicht förmlich auf? Sie brauchte nur zuzugreifen.

Aber dann würde sie von diesen Leuten endgültig vereinnahmt werden. Der Geschäftsmann hatte von Plänen gesprochen, die er mit ihr hatte. Wie würde er auf ihr Geständnis reagieren, dass ein anderer Mann in ihrem Kopf herumspukte?

„Telefon für Sie, Frau Meißner!“ Eine Krankenschwester brachte den Apparat.

Es war einer ihrer Gläubiger. „Erst dachte ich ja, dass Sie sich ebenfalls aus dem Staub gemacht haben“, begann er. „Aber inzwischen erfuhr ich von Ihrer Beziehung zu dem verunglückten Geschäftsmann. Deshalb bin ich bereit, Ihnen Zahlungsaufschub zu gewähren. Dafür erwarte ich allerdings, dass ich bei künftigen Aufträgen der Kranichs berücksichtigt werde. Sie können das sicher arrangieren. Falls nicht …“ Er ließ die Drohung unausgesprochen.

Der Mann war gefährlich. Dass er sie gefunden hatte, bewies, dass ihm alles zuzutrauen war. Vor allem aber zwang er sie zu einer Entscheidung. „Sie bekommen Ihr Geld, Herr Franzke“, versprach sie. „Sie wissen ja jetzt, dass ich Ihnen nicht davonlaufen kann.“

Nach dem Telefonat angelte sie sich den Scheck und einen Kugelschreiber und setzte entschlossen die fünfstellige Zahl ein.

Es verging kein Tag, an dem Dr. Löbig sie nicht mit irgendeiner kleinen Aufmerksamkeit überraschte. „Tun Sie das für alle Ihre Patienten?“, wollte sie mit klopfendem Herzen wissen.

„Nur für solche, die ich bestechen möchte“, gab er mit einem Lausbubenlächeln zurück. „Ich würde mich nämlich sehr gern einmal mit Ihnen unterhalten. Nicht hier in der Klinik, sondern irgendwo ganz ungezwungen bei einem Glas Wein.“

„Und wann?“

„Nächste Woche. Dann befreien wir Sie nämlich von Ihrem Gips. Soll ich den Scheck zur Bank bringen?“

Petra griff erschrocken danach und bekam seine Hand zu fassen. Rasch legte er die zweite darauf. „Das hat Zeit“, murmelte sie nervös.

„Was ich Ihnen zu sagen habe, hat keine Zeit“, entgegnete er beinahe trotzig. „Es besteht bald kein Grund mehr, Sie noch länger hierzubehalten. Dann werde ich Sie nie wiedersehen.“

„Möchten Sie das denn?“

„Ich weiß, dass ich nicht so sprechen dürfte“, sah der Arzt ein. „Sie haben einen schweren Schicksalsschlag hinter sich. Aber ich mache nun einmal nicht gern aus meinem Herzen eine Mördergrube, und dieses Herz schlägt für Sie.“

Noch immer hielt er ihre Hand umfangen. Petra zog sie nicht zurück. Sie fühlte sich auf angenehme Weise beschützt und wusste doch, dass sie dieses Gefühl zerstören musste.

„Das liegt nur daran, weil Sie nicht das Geheimnis Ihrer rätselhaften Mumie kennen“, wandte sie ein.

„Ich weiß genug. Wer es geschafft hat, Sigmar Kranich um den Verstand zu bringen, muss nicht nur bildhübsch, sondern vor allem auch im Geschäftsleben überaus erfolgreich sein. Nur das konnte ihn beeindrucken. Genau das ist mein Problem. Wissen Sie, was ein Arzt an dieser Klinik verdient?“

Petra schwieg. Was sollte sie auch darauf antworten? Dass sie bereit wäre, ihn mit einem Batzen Schulden zu beglücken? Das würde Udo Löbigs Sympathien für sie abrupt abkühlen. Davor fürchtete sie sich. Nein, für sie gab es nur den einen Weg.

Als nach einer Woche der Gips entfernt wurde, kamen die Kranichs, um sie abzuholen. „Hoffentlich gefallen dir deine Zimmer“, sagte Susanne Kranich liebevoll. „Du sollst dich bei uns wohlfühlen.“

Hilfesuchend hielt Petra nach Dr. Löbig Ausschau, der ihrem Blick jedoch auswich.

Auf Arnold Kranich gestützt, nahm sie den Scheck und riss ihn in der Mitte durch. „Ich kann es nicht“, murmelte sie.

Der Mann an ihrer Seite schmunzelte. „Über Geld brauchst du dir keine Gedanken mehr zu machen. Du gehörst jetzt zu uns. Ich habe dir bereits ein Büro einrichten lassen. Du wirst die Geschäfte in Sigmars Sinne weiterführen. Selbstverständlich kannst du auf meine volle Unterstützung zählen.“

In Petras Augen schossen Tränen. „Verzeiht mir“, stieß sie hervor. „Ich bin nicht die, für die ihr mich haltet. Sigmar und ich haben uns nie geliebt. Er hatte auch nicht die Absicht, sich zu verloben. Weder mit mir noch mit einer anderen Frau. Ich weiß, ich hätte den Irrtum gleich aufklären müssen, aber manchmal tut man eben das Falsche.“

Sie erklärte stockend, wie es zu der Verwechslung kommen konnte. Nur ihre finanziellen Sorgen ließ sie unerwähnt. Selbst wenn sie ihr ganzes Leben daran zu tragen hatte, würden sie sie kaum so stark belasten wie die Lüge, in die sie sich um ein Haar unrettbar verstrickt hätte.

Während das fassungslose Ehepaar das Krankenzimmer verließ, ließ sie sich auf ihr Bett fallen. Mit brennenden Augen starrte sie gegen die Decke und merkte gar nicht, dass die Tränen ungehindert flossen.

Jemand tupfte behutsam ihre Wangen ab. Petra fuhr in die Höhe. „Du – Sie sind noch da?“

„Ich werde immer da sein, Petra, wenn du es mir erlaubst“, betonte Udo Löbig zärtlich.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte sie rau.

„Es gibt also einen anderen Mann“, vermutete der Arzt enttäuscht.

„Zwei“, stellte Petra richtig. „Ich schulde ihnen viel Geld. Mehr, als ein Arzt in dieser Klinik verdient. Ich passe nicht in dein Budget.“

„Aber du passt in mein Leben. Gemeinsam werden wir auch die größten Schwierigkeiten meistern, da bin ich ganz sicher. Irgendwie treiben wir die achtzigtausend schon auf.“

Petra wurde blass. „Woher weißt du?“

„Dieser Betrag stand auf dem Scheck. Du ahnst nicht, wie froh ich bin, dass du nicht zu den erfolgreichen Geschäftsleuten wie die Kranichs gehörst. Das hätte dich für mich unerreichbar gemacht.“

Sie lächelte schmerzlich. „Du meinst, Armut verbindet.“

„Mit dir bin ich reich, Liebes.“ Dann nahm er sie vorsichtig in die Arme und küsste sie.

Tausend Küsse - komme Freitag!

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