Читать книгу Das Bündnis der Drachen - Wolf Heichele - Страница 4

Willkommen auf Drakonland

Оглавление

Als die beiden Girls wieder zu sich kamen, hatten sie die Reste des Goldstaubs noch in ihren Haaren kleben und die Landkarte lag unverändert vor ihnen auf dem Tisch – ansonsten war der Dachboden aber nun vollkommen leer. Alle Gegenstände waren verschwunden. All die Dinge, die die Mädchen noch eben bestaunt hatten, waren weg. Wie vom Erdboden verschluckt! Und die Wände des Raums wirkten auf einmal so rau wie die Wände einer Höhle. Und sie waren viel höher. Und sie glühten rot!

Die beiden Schülerinnen starrten sich an. Ella zitterte am ganzen Leib, und die Tatsache, dass auch Tiara Angst ausstrahlte, machte sie umso nervöser. Normalerweise hatte Tiara doch vor nichts Angst.

Keine der beiden traute sich nach links oder nach rechts zu blicken. Und keine traute sich etwas zu sagen, denn beide spürten, dass sie nicht mehr allein waren. Nach einer gefühlten Ewigkeit nahm Tiara schließlich all ihren Mut zusammen:

»H … hallo. S .. s … sind sie das, Herr Fuchs?«

Ein Schweigen folgte, durchbrochen vom tiefen Atem eines Mannes. Ein kalter Schauer lief Ella und Tiara über den Rücken.

Einige Augenblicke später begann der Fremde zu sprechen. Zum Glück! Eine weitere Zeit des Schweigens wäre unerträglich gewesen. Die Mädchen zuckten allerdings stark zusammen, als er sprach, denn er sprach mit so kraftvoller Stimme, dass die Höhlenwände davon bebten.

»Ich bin nicht Herr Fuchs! Ich bin Dareios! Dareios, der Drachenhüter!«

Keines der Mädchen wagte ihn anzusehen. Ella rollte nur verstört mit den Augen.

»Oh, mein Gott, bitte lass das einen Traum sein«, flüsterte sie und hielt sich krampfhaft an Tiaras Händen fest.

Der Fremde aber sprach weiter. Tiara fiel auf, dass bei all der Kraft und Resonanz in seiner Stimme auch etwas Sanftes darin lag. Es war nicht die Stimme eines bösen Mannes, fand sie.

»Ihr zwei seid zu mir ins Drachengebirge gekommen. Dafür möchte ich euch danken, und euch willkommen heißen.«

Nun wagte Tiara endlich ihn anzusehen, und ihre Pupillen weiteten sich, als sie ihn musterte. Vor ihr stand ein groß gewachsener Mann mit feuerrotem Bart. Er mochte etwa fünfundfünfzig Jahre alt sein, und er maß bestimmt zwei Meter fünfzig in der Höhe – wenn nicht mehr. Jedenfalls wirkte er ein beträchtliches Stück größer als John, der Kapitän des Footballteams, und der war ja auch schon fast zwei Meter groß.

Der Fremde trug ein Gewand aus rotbraunem, zerschlissenem Leder, und in der rechten Hand hielt er eine Peitsche, die so groß war, dass man einen Blauwal damit hätte zähmen können.

Tiara versuchte zu sprechen. Doch noch lag ein Zittern in ihrer Stimme – zu imposant erschien ihr der Mann:

»W … wer sind sie? Ein Drachentöter?«

»Haha, nein«, lachte der Riese, dass die Wände dröhnten, »ich sagte Drachenhüter, nicht Drachentöter. Ich bin Dareios, der Drachenhüter vom Drachengebirge auf Drakonland.«

Ella, die ihn mittlerweile ebenfalls ansah, fand auch ihre Sprache wieder. Und sofort schlug ihre kühle Intelligenz durch:

»Ein Drachenhüter wollen Sie sein? Pah! Diesen Beruf gibt es nicht. Es gibt nämlich keine Drachen. Also gibt es auch keine Drachenzüchter oder, oder was auch immer. Ist das hier ein Witz, den sie mit uns veranstalten wollen, Herr Fuchs?«

Sie war der festen Meinung, dass es sich hierbei um eine Inszenierung der Westminster Schule handeln musste. Vielleicht war das eine einstudierte Aufführung ihrer Theatergruppe, deren einziger Zweck darin lag, sie und Tiara auf die Schippe zu nehmen.

Dareios aber sah sie mit scharfem Blick an, und da bekam Ella es mit der Angst zu tun.

»Wie heißt du denn, mein Kind?«, brummte der rotbärtige Hüne.

»Ella, ich heiße Ella, Sir«, antwortete Ella eingeschüchtert.

»Du siehst hübsch aus in deinem Kleid. Bist du eine Prinzessin in deiner Welt, Ella?«

Ella sah an sich herab und erinnerte sich an das Prinzessinnenkostüm, das sie sich angezogen hatte.

»Wie? Ich? Oh! Nein, das ist nur eine Klamotte aus dem Archiv der Westminster Schule. Nein, ich bin ein ganz normales Mädchen, keine Prinzessin, Sir.« Dann stutzte sie kurz.

»Moment mal, was meinen Sie mit meiner Welt?«

»Na, deine Welt eben. Das hier ist nämlich nicht deine Welt.«

Ella sah sich um.

»Wie? Das ist nicht meine Welt?«

Der Drachenhüter näherte sich den beiden bis auf drei Meter und schüttelte den Kopf:

»Nein, Ella. Das ist nicht deine Welt. Aber du bist ein kluges Kind, nicht wahr? Und du liebst die Logik, richtig?«

Ella nickte.

Der Drachenhüter sprach mit feierlichen Worten weiter: »Könnte es sein, dass ihr eine Landkarte in euren Händen hieltet und dabei den Wunsch äußertet, Drachenfliegerinnen sein zu wollen?«

Ella und Tiara sahen sich verwundert an.

»Woher wissen Sie denn das?», fragte Tiara.

»Na, weil ich diese Karte selbst angefertigt habe, mein Kind. Sie dient als Übergangsmedium zwischen der euren und der Welt Drakonlands.«

Ella fröstelte. Dieser Dareios sah viel zu seriös aus, als dass seine Worte gelogen sein konnten. Also war es wirklich wahr? Sie fragte sicherheitshalber noch einmal nach:

»Wie meinen Sie das, wir wären nicht mehr in unserer eigenen Welt?

»Ihr habt eure Welt verlassen, Ella! Ihr seid nach Drakonland gereist. Auch wenn ihr das mit eurer menschlichen Logik nicht ganz erklären könnt, so habt ihr doch der Karte befohlen, die Reise in diese andere, parallele Welt anzutreten. In die Welt der Drachen und anderer Fantasiewesen, in die Welt Drakonlands.«

Tiara nickte und auch Ella glaubte jetzt, dass es wahr war.

Dareios lächelte milde:

»Tiara weiß es am besten. Sie selbst hat ja den korrekten Befehl zur Reise ausgesprochen. Ich hörte ihn hier oben in den letzten Winkeln des Drachengebirges widerhallen: WIR WOLLEN DRACHENFLIEGERINNEN SEIN!«

Tiara sah Dareios an:

»Das war es? Dieser ausgesprochene Wunsch hat uns hierher gebracht?«

»Ja, Tiara! Genauso ist es«, antwortete er, »aber macht euch keine Sorgen, die Reise zwischen unseren Welten funktioniert in beide Richtungen. Ihr werdet also wieder zurückkehren können.«

Ella und Tiara atmeten durch.

»Puh, eine äußerst positive Nachricht!«, meinte Ella erleichtert.

»Nicht so schnell, Prinzessin«, relativierte Dareios, »es gibt eine Bedingung dabei.«

»Oh, mein Gott, was kommt nun? Sagen Sie jetzt bloß nicht, wir sollen auf Drachen herumfliegen und Drakonland vor dem Untergang retten.« Ella lachte in die Runde, doch niemand lachte mit. Stattdessen waren es nun die Pupillen des Drachenhüters, die sich ungläubig weiteten:

»Woher weißt du das denn, Ella? Genauso ist es nämlich.«

»Das habe ich doch nur im Spaß gesagt«, beteuerte Ella. »Bitte! Bin ich jetzt noch schuld, dass wir auf Drachen fliegen müssen?«

»Nein, keine Sorge, du bist nicht schuld. Allerdings wurde euch mit dem Eintritt in die Welt von Drakonland tatsächlich auferlegt, dass ihr bestimmte Aufgaben erledigen müsst, bevor ihr wieder in eure Welt zurückkehren dürft. Ihr habt die Zauberwelt der Drachen betreten, ein Paralleluniversum, das neben dem euren existiert. Nur auserwählte Personen dürfen es betreten. Aber diese auserwählten Personen müssen hier etwas leisten – quasi als Gegenleistung dafür, dass sie diese fantastische Reise machen durften.

»Eine zweite Welt?«

»Ja, eine zweite Welt. Eine Welt, die parallel, aber real existiert. Eine Welt, die abenteuerlicher, aber auch schöner ist als die eure. Und ihr gehört zu den wenigen Auserwählten, die zwischen den Welten hin und her pendeln dürfen. Allerdings könnt ihr immer erst dann zurück in eure Welt, wenn ihr die jeweilige Mission abgeschlossen habt.«

Ella und Tiara blickten sich verunsichert an.

»Wir sind also auf Drakonland gestrandet und können hier erst wieder weg, wenn wir das Drachenfliegen gelernt, beziehungsweise Aufträge erledigt haben, die uns zugeteilt werden?«, fasste Tiara zusammen und sah den Drachenhüter dabei fragend an.

Der grinste zufrieden.

»Genauso ist es.«

Tiara’s Lippen verformten zu einem breiten Grinsen und sie stieß Schreie der Begeisterung aus.

»So kann sich nur eine Boxerin aufführen«, meinte Ella trocken, gab aber schließlich zu, dass auch sie neugierig geworden war. Nur, dass sie deutlich mehr Respekt vor dem hatte, was nun auf sie zukommen würde.

»Kommt mit nach draußen, Mädchen«, rief Dareios übermütig, »ich werde euch das Drachengebirge zeigen, und euch meinen Lieblingen vorstellen!«

»Ihren Lieblingen?«

»Ja! Meinen Drachen!«

Ella fröstelte gehörig bei dem Gedanken, echte Drachen kennenzulernen, während Tiara vor Freude kaum noch zu bremsen war.

»Folgt mir«, erklärte Dareios.

Als die drei aus der Höhle traten, erstreckte sich vor ihnen ein endloses Meer von roten Bergen. Es reichte bis zum Horizont und die Berge standen denjenigen im Himalaya in nichts nach, was Größe und Schönheit betraf. Im Westen als auch im Osten konnte man schwach den Ozean erkennen. Ein Hinweis darauf, dass es sich bei Drakonland tatsächlich um eine Insel handelte.

»Das alles gehört zum Drachengebirge?«, fragte Tiara, die von den Dimensionen überwältigt war.

»Ja. Drachen brauchen viel Platz, weißt du«, schmunzelte Dareios, »sie können furchtbar schnell fliegen und deshalb benötigen sie ein ganzes Gebirge für sich allein – eben die Drachenberge. Aber, da fällt mir ein. Wie heißt du denn eigentlich, Mädchen? Du hast mir deinen Namen noch gar nicht gesagt.«

»Oh, das hatte ich wohl in der Aufregung ganz vergessen. Ich bin Tiara.«

»Freut mich, Tiara.«

Dareios schüttelte ihr die Hand. Seine Hand war sehr warm, ja, fast heiß, wie eine Bratpfanne, die man kürzlich von der Feuerstelle genommen hatte.

»Oh, mein Gott«, rief Tiara und zog ihre Hand hektisch zurück.

»Keine Angst, das ist normal«, grinste Dareios. »Die Hände eines Drachenhüters sind wärmer als die von Menschen, denn sie sind an Hitze gewöhnt. Anders könnte ich meine Arbeit hier nicht machen.«

»Ah, verstehe«, grinste Tiara und pustete ihre Hand. Dareios lächelte:

»Du trägst übrigens die richtige Kleidung, um Drachen zu reiten, Tiara. Deine lederne Pilotenjacke wirkt robust und hält den Wind von dir fern. Und der Helm bietet dir zusätzlich Schutz.«

Tiara warf Ella einen Blick zu.

»Siehst du? Da trifft es sich doch gut, dass wir uns vorher noch eingekleidet haben.«

»Das mag ja für dich gelten«, meinte Ella, »aber sieh mich an. Mein Kleid ist denkbar ungeeignet, um damit mein Leben auf dem Rücken eines Drachen zu riskieren.«

»Oh, sag das nicht«, gab Dareios zu bedenken, »du wirst einen edelmütigen Drachen bekommen, der den Ansprüchen einer Prinzessin gerecht werden wird, da mach dir keine Sorgen. Und er wird so voller Feuer im Inneren sein, dass dich sein Körper wärmen wird.«

»Na, das freut mich«, lächelte Ella, konnte sich aber noch immer nicht so ganz mit dem Gedanken anfreunden, echte Drachen zu sehen.

»Falls ihr euch übrigens fragt, warum die Berge rot sind«, fuhr Dareios fort, »so liegt das an dem hohen Eisenanteil im Gestein. Anderswo könnten Drachen über einen längeren Zeitraum nicht überleben, denn sie benötigen viel Eisen – so wie die Menschen Nahrung und Mineralstoffe benötigen. Woanders könnten sie einen solch hohen Eisenanteil dauerhaft nicht vorfinden.«

Das Bündnis der Drachen

Подняться наверх