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Epochenüberblick

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Beim Wort »Renaissance« denkt man zunächst an die überaus zahlreichen und großen Kunstwerke, welche Italien und besonders die Toskana im Quattrocento und in der ersten Hälfte des Cinquecento hervorgebracht haben. In schöpferischer Auseinandersetzung mit der Antike entstand damals eine neue Kunst, welche die Nähe zur Natur suchte und die Autonomie des Individuums neu begriff und darstellte. Im dafür grundlegenden Quattrocento schufen der Architekt Filippo Brunelleschi, der Bildhauer Donatello und der Maler Masaccio die wegweisenden Werke – inmitten eines Prozesses, den gegen sein Ende Giorgio Vasari historisiert und als typisch italienisch dargestellt hat, eines Prozesses, der ihm zufolge mit innerer Logik von Giotto zu Michelangelo Buonarroti geführt hatte. Bramante und Raffael hatten den klassischen Stil vollendet, Michelangelo führte darüber hinaus: alles Menschliche zum Ausdruck bringend und alle herkömmlichen Dimensionen übertreffend. Auf der Grundlage der neuen Kunst und der sie tragenden humanistischen Kultur und vor dem Hintergrund der nun sowohl christlich wie humanistisch verstandenen Rom-Idee erkannten die intellektuellen Eliten der [148]Zeit sich als italienische Nation, für die sie den Primat in Kunst und Kultur behaupteten. Ihre eigene Epoche begriffen sie als grundlegend modern gegenüber der römischen und der lateinisch-mittelalterlichen ihres Landes. Nicht nur Vasari, sondern die meisten Kunsttheoretiker des 15. und 16. Jahrhunderts haben sich in diesem Sinne ausgesprochen, wofür hier nur Leone Battista Alberti und Michelangelo selbst genannt seien. Und um die gleiche Zeit erarbeitete Pietro Bembo die Grammatik der von Dante und Petrarca geschaffenen toskanisch-italienischen Literatursprache.

Italien war das Land der ältesten und der meisten mittelalterlichen Universitäten gewesen; Humanismus und Renaissance entwickelten sich mehr in den (teils neuen) politischen Zentren und vor allem an den Höfen: in Florenz, Mailand und Venedig, in Rom und in Ferrara, Mantua und Parma, in der zweiten Hälfte des Quattrocento auch in Neapel. Die Regierungszentren wurden zumeist nach einheitlichem urbanistischem Programm im neuen Stil erbaut: mit Kirchen, Palästen und Bibliotheken, mit Plätzen, Brunnen und Skulpturen. Der Pluralismus der Halbinsel bewirkte, dass auch andere Städte eine außerhalb Italiens nur selten anzufindende Fülle von Kunstwerken hervorbrachten, so Arezzo, Bergamo, Bologna, Padua, Urbino und Vicenza.

Trotz charakteristischer Unterschiede, auch Gegensätzen zwischen den verschiedenen Zentren und Regionen (z. B. zwischen Florenz und Venedig) bildete sich ein innovatorischer, klassizistischer und rationaler Stil heraus, der von den Ausländern rezipiert wurde, so dass ein italianisiertes oder italianisierendes Europa entstand. Der Humanismus begründete neuzeitliche Wissenschaftlichkeit, [149]welche auch für die Anfänge der politischen Theorie (Niccolò Machiavelli, Francesco Guicciardini) wie der empirischen Naturwissenschaft wesentliche Anstöße gab. Ein biblischer Zweig des humanistischen Quellenstudiums hat in die Bemühungen um die Kirchenreform gewirkt und Anregungen für die Reformation gegeben, obwohl deren eher pessimistisches Menschenbild dem der Humanisten widersprach.

Schon diese kulturellen Prozesse und die darüber erfolgte Bewusstseinsbildung einer Elite berechtigen dazu, die Renaissance als erste große Epoche der italienischen Geschichte im engeren Sinne zu begreifen. Es gab direkte Bezüge zwischen neuem kulturellen und neuem politischen Selbstverständnis. Um sie zu verstehen, ist zunächst daran zu erinnern, dass die innovatorische Kraft des damaligen Italien von Anbeginn auch eine politische Dimension entwickelte (mit Ausnahme des Südens, welcher seit Ende des 13. Jahrhunderts in jenen feudalen Immobilismus zurückgefallen war, aus dem letztlich das Mezzogiorno-Problem erwachsen ist). In Nord- und Mittelitalien setzten sich politische Eigenständigkeit und Pluralismus durch; in den meisten Städten wuchsen die aristokratischen und die reich gewordenen bürgerlichen Familien zu einer neuen Oberschicht zusammen! Seit der zweiten Hälfte des Trecento wurden die Kommunen mehr und mehr durch die Signorien ersetzt: Ein Stadtherr (Signore) trat an die Spitze. Solche Signori (wie die Visconti in Mailand, die Scaliger in Verona, die Este in Ferrara, die Gonzaga in Mantua) tendierten zu erblicher Herrschaft, welche etliche von ihnen zum Prinzipat ausbauen konnten; das Umland wurde integriert. So wurden aus Stadtstaaten Flächenstaaten, und [150]diese wurden rational verwaltet, mit neuem Beamtentum und festen Grenzen. Die für ihre Zeit moderne Form italienischer Staatlichkeit, die in den Kommunen des 12./13. Jahrhunderts begonnen hatte, wurde stabilisiert. Jacob Burckhardt sprach in seiner Kultur der Renaissance in Italien vom »Staat als Kunstwerk«. Gerade die neuen Herrscher waren auch um kulturelle Legitimation bemüht und förderten Künstler und Humanisten. Kunstpatronage und Kunstpropaganda charakterisierten ihren Stil.

In Mailand hatte Gian Galeazzo Visconti (gest. 1402) die größte Ausdehnung seiner Macht erreicht, welcher aber das administrativ wie militärisch sehr effiziente Venedig durch die Eroberung der Terra ferma Grenzen setzte. In Mittelitalien behielt Florenz lange seine republikanische Verfassung, welche erst Cosimo de’ Medici seit 1434 faktisch zur Signorie umgestaltete. Die Päpste hatten seit der Beendigung des Schismas (1417) den Kirchenstaat wiederhergestellt und suchten den Feudalismus des Adels zurückzudrängen.

So entstand bis um 1450 auch ein mehr oder weniger gleichförmig strukturierter politischer Raum Italien; geprägt durch eine wenigstens in Ansätzen gemeinsame Sprache (das Toskanische, welches sich langsam verbreitete, in Rom erst unter den Medici-Päpsten Leo X. und Clemens VII.), durch Polyzentrismus (welcher noch durch Jahrhunderte verhindern sollte, dass das gemeinsame nationale Bewusstsein auf einen Staat hin drängte), durch ähnliche soziale Strukturen und politische Systeme mit neuartiger Diplomatie, durch das Streben nach equilibrio (Gleichgewicht) und nach libertà d’Italia, d. h. nach Unabhängigkeit der italienischen Fürsten und Staaten zunächst [151]von französischer, dann ebenso von spanisch-habsburgischer Einflussnahme. Das Wissen um solche politische Gemeinsamkeit wurde vertieft durch die humanistischen Historiker, von Giovanni Villani über Flavio Biondo und Leonardo Bruni bis zu Machiavelli und Guicciardini, welche eine gemeinsame nachantike Geschichte Italiens postulierten und damit eine Idee vortrugen, welche dann im 18. Jahrhundert, d. h. in einer Zeit direkterer nationaler Selbstvergewisserung, Ludovico Antonio Muratori mit seinen monumentalen Quellenstudien vertieft hat.

Durch den Frieden von Lodi (1454) entstand ein Gleichgewicht zwischen den italienischen Staaten, welches die kulturelle Blüte abgesichert hat. Doch die relative Schwäche der meisten italienischen Staaten und die fortwährende Konkurrenz zwischen ihnen, welche zunehmend auch auswärtige Interventionen einkalkulierte, provozierte den Ausgriff König Karls VIII. von Frankreich nach Neapel (1494). Damit begann ein erneuter Kampf in und um Italien, der seit etwa 1520 um die Hegemonie Habsburgs oder Frankreichs über die Halbinsel (und darüber hinaus in Europa) ging. Ihn gewann Kaiser Karl V. (Friede von Cambrai 1529, Friede von Crépy 1544), schließlich sein Sohn König Philipp II. von Spanien (Friede von Cateau-Cambrésis 1559). 1454 hatten die italienischen Staaten untereinander paktiert; in den Jahren 1529, 1544 und definitiv 1559 einigten sich auswärtige Großmächte über Italien; die libertà d’Italia war unterdrückt. Von den verbleibenden Staaten waren Savoyen und Toskana, Genua und Mantua inzwischen Spanien oder der Casa d’Austria eng verbunden.

Politischer und wirtschaftlicher Bedeutungsverlust bedingten einander. Um 1450 waren noch Ober- und [152]Mittelitalien das Zentrum des Welthandels aufgrund der Beherrschung des Mittelmeeres. Um 1550 war das östliche Mittelmeer in den Händen der Osmanen, der Welthandel weithin auf die neuen atlantischen Seewege verlagert. Italien geriet allmählich an den Rand der europäischen Handels- und Wirtschaftsentwicklungen. Erst Aufklärung und Risorgimento haben in Italien wieder eine Modernität geschaffen, die mit der der Renaissance vergleichbar war.

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