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2. Gegenwärtige Wahrnehmungen

Sich mit Blick auf die Gegenwart mit Medien zu beschäftigen, lädt dazu ein, eigene Erfahrungen, eigenes Medienverhalten und die für die fortschreitende Moderne als dominierend zu beobachtende Präsenz von Medien zu reflektieren. Den Blick auf die gegenwärtige Mediennutzung zu werfen, offenbart eine Willkür, insofern sie auf einer Mediengeschichte aufbaut, die immer durch die Nutzung von Medien bestimmt war. In Orientierung an dem Medienwissenschaftler Jochen Hörisch8 erscheint es jedoch vertretbar, nachfolgend den Schwerpunkt der Betrachtungen auf die seit dem 19. Jahrhundert aufkommenden Medienformate zu legen.

Sowohl in der technologischen Entwicklung, insbesondere in den digitalen Medien, als auch in der Ausbildung einer „Kultur der Digitalität“9 können zwei Elemente aufgegriffen werden, die auch in öffentlichen Diskussionen immer wieder benannt werden: Beschleunigungseffekte und Skandalisierungen.

In jüngerer Vergangenheit wurden gesellschaftliche Beschleunigungseffekte vor allem von dem Soziologen Hartmut Rosa als bestimmendes Element einer nach Wachstums- und Steigerungslogiken funktionierenden Gesellschaft analysiert.10 Diese scheinen in der Entwicklung neuer Medienformate, im technologischen Fortschritt wie auch in der inhaltlichen Gestaltung digitaler Medien besonders anschaulich zu werden: Wer gestern noch als Nutzer_in eines sozialen Netzwerkes in dem Gefühl lebte, auf der Höhe der Zeit und geradezu gesellschaftlich avantgardistisch zu sein, gilt heute schon zur belächelten Gruppe derer, die die neuesten Entwicklungen nicht mitbekommen haben. Als Beispiel dafür kann Bundeskanzlerin Merkel gelten, die früh als Nutzer_in von Twitter als durchaus technikbegeistert galt und dennoch mit ihrer Aussage, das Internet sei „für uns alle Neuland“, im Jahr 2013 eine Welle des Gespötts ausgelöst hat.

Diese Beschleunigungseffekte durchziehen alle gesellschaftlichen Bereiche, entwickeln sich zu einer „Simultaneität“11 als Lebensform und werden in den Medien besonders anschaulich. Denn die digitalen Medien bilden im 21. Jahrhundert eine beeindruckende Wirkkraft auf öffentliche Diskurse und Meinungsbildungsprozesse aus. Politische Wahlen hängen nicht nur davon ab, ob ein Wahlkampfteam in einem Gesamtkonzept alle aktuellen Medienformate nutzt, sondern auch davon, ob die Prozesse der öffentlichen Debatten wahrgenommen und verstanden werden. Und zunehmend scheinen hier Mechanismen der Skandalisierung an Bedeutung zu gewinnen, an und in denen es fortlaufend zu lernen gilt.12 Insofern moderne Kulturen sich als lernend verstehen, damit also Wachstum und Steigerung zu ihren Wesensmerkmalen gehören, stellt der Skandal nicht nur ein singuläres Phänomen oder Ärgernis dar, sondern wird zu einem gesellschaftlichen Grundschema: „In dynamischen, also von Ungewissheit durchzogenen Situationen können Gesellschaften nicht anders lernen, als durch Versuch und Irrtum. Gesellschaftliches Lernen setzt voraus, dass Fehler gemacht, akzeptiert, genutzt werden.“13 Der Skandal ist eine der gesellschaftlich etablierten Lernsituationen. Was zu einem Skandal wird, gegen welche bestehenden und gesellschaftlich akzeptierten Werte also verstoßen wurde, verändert sich mit der Gesellschaft ebenso wie das Ablaufschema innerhalb eines Skandalgeschehens. Und in diesen Prozessen haben digitale Medien eine enorme Bedeutung erlangt, da mit und in ihnen Tendenzen der „Theatralisierung“14 und Inszenierung verstärkt werden.

Mit der Wahrnehmung aktueller Entwicklungen im Bereich der Medien, die in den nächsten Schritten weiter vorgenommen werden soll, ist immer auch die grundlegende Frage verbunden, welche gesamtgesellschaftlichen Phänomene sich daran ablesen lassen. Entsprechend einem wahrnehmungswissenschaftlichen Verständnis der Pastoraltheologie gehört die Beobachtung des Zeitgeschehens zu ihren konstitutiven Merkmalen, bevor sie zu pastoraltheologischen Reflexionen im engeren Sinn übergeht. Es geht also im Folgenden nicht darum zu klären, was gut oder schlecht sein könnte, sondern darum, zu beobachten, zu verstehen und nach möglichen theologischen und kirchlichen Lernfeldern Ausschau zu halten. Zu diesen Lernfeldern gehört es aber auch, Digitalität nicht bloß als ein weiteres Beispiel in der Kette innovativer Medien zu verorten, mit denen sich nichts Grundlegendes an der Wirklichkeit und dem menschlichen Zugang zu ihr ändern würde, wie dies vielen noch am Ende des 20. Jahrhunderts erschien.15

2.1. Gibt es eine Mediengesellschaft?

Kaum etwas prägt in den soziologischen Gesellschaftsanalysen des 21. Jahrhunderts die öffentlichen Debatten so stark wie der Begriff der Medien- und Informationsgesellschaft, mit dem ein kultureller Entwicklungsprozess beschrieben wird. Dessen Anfänge liegen im 19. Jahrhundert und münden in eine ausgefaltete „Kultur der Digitalität“16 des 21. Jahrhunderts.

Der Begriff der Medien korrespondiert einerseits mit Fragen der Öffentlichkeit, die zeit- und epochenbedingt in unterschiedlicher Verhältnisbestimmung zum Privaten liegen.17 Andererseits berührt die Frage nach den Medien die technische Entwicklung der Moderne wie auch die gesellschaftlichen Prozesse der Aufklärung.

Unterschiedliche Ansätze für soziologische und philosophische Medientheorien sind im 20. Jahrhundert entstanden. So beschäftigt sich Umberto Eco (1932–2016)18 mit der Kritischen Medientheorie der Frankfurter Schule (vor allem Theodor W. Adorno und Max Horkheimer) und setzt sich von deren Interpretation der Medien als Verfallsphänomen ab. Er entwickelt ein positives Verständnis der „Massenkultur“19, zu der auch die Medien gehören. Eco beobachtet im Umgang mit modernen Medien und Phänomenen der Massenkultur zwei Typen von Haltungen: den Apokalyptiker20, der (die) in einer undifferenzierten Kritik die eigene Sorge vor dem kulturellen Zerfall ausdrückt, und den Integrierten (die Integrierte), der (die) gleich ganz ohne kritische Reflexion der Massenmedien auszukommen scheint.

Hans Magnus Enzensberger bemüht sich weniger um eine vermittelnde und differenzierende Bewertung von Medien und betrachtet sie vor allem in ihrer Verbindung mit gesellschaftlichen Machtstrukturen, also der Politik. Medien sind bei ihm daher auch als Teil der volkswirtschaftlichen Prozesse zu verstehen, als ein Teil der „ökonomischen Struktur der Gesellschaft“21. Ein zentrales Anliegen ist bei ihm im Wissen um die gesellschaftsprägende Kraft der Medien als Inbegriff kommunikativen Handelns22 gerade auch deren demokratische Kontrolle.23 Enzensberger knüpft hier an Gedanken von Berthold Brecht24 an, der sich als Literat intensiv mit dem Medium Rundfunk beschäftigt hat und schon in den 1920er Jahren dessen propagandistische Potenziale reflektiert.25

Zu den wiederkehrenden Fragestellungen der Medientheorien gehört ganz maßgeblich das Verhältnis von Technik und Inhalt. Eine weitere, grundlegende Unterscheidung ergibt sich aus der Gegenüberstellung von Kommunikations- und Distributionsmedien: Während Kommunikationsmedien von der Vielfalt unterschiedlicher Sender, der damit einhergehenden Dezentralität und deshalb demokratisierenden Effekten zu bestimmen sind, zeichnen sich Distributionsmedien durch eine monopolartige Stellung der Sender mit eingeschränkter Interaktivität aus. Enzensberger bestimmt Distributionsmedien daher allein aufgrund ihrer technologischen Struktur als „ein undemokratisches, zentralistisches Herrschaftsmodell“26. Alle Medien können nach Enzensberger als Kommunikationsmedien wirken, zielen aber aufgrund ihrer technischen Eigenarten unterschiedlich stark darauf ab und benötigen daher eine demokratische Kontrolle.27 Schon hier wird erkennbar, dass die Rolle des Publikums ausgeprägt als eine aktive verstanden wird, die auf die Kommunikationsverläufe der Medien Einfluss nimmt und dies im Sinne seiner demokratischen Rechte auch tut. Inwiefern dies auf einer allzu optimistischen Sicht von Konsument_innen im Sinne eines „emanzipatorischen Mediengebrauchs“28 beruht, gilt unter Medientheoretiker_innen als umstritten, dürfte aber gerade mit der Verbreitung des Internets und der Etablierung der Social Media realistischer geworden sein.

Von besonderer Bedeutung ist die philosophische Betrachtung der Medien hinsichtlich des Konzeptes vom „herrschaftsfreien Diskurs“ bei Jürgen Habermas, wenngleich er sich selbst nur am Rande seiner Theorie mit Massenmedien beschäftigt. Medien gehören für ihn offenbar so sehr zu den Selbstverständlichkeiten menschlicher Kommunikation, dass sie kaum in ihrer Eigenart betrachtet werden müssen. In seiner „Theorie des kommunikativen Handelns“ wirken Medien lediglich verstärkend, auch weil das emanzipatorische Potenzial jeglicher Kommunikation ihre problematischen Elemente weit übersteigt.29 Hier erweckt der Theorieansatz von Habermas einen ausgesprochen idealistischen Eindruck.

In der Soziologie hat sich vor allem Niklas Luhmann mit dem Entwurf der Systemtheorie der Bedeutung von Massenmedien30 gewidmet. Sie zeichnet sich einerseits durch einen beeindruckenden Universalitätsanspruch (es gibt keine gesellschaftlichen Phänomene, die nicht systemtheoretisch aufzufassen wären) wie durch eine Inkompatibilität mit anderen Theorieansätzen aus. Für Luhmann besteht die Gesellschaft aus Systemen, die auf sich selbst bezogen und aufgrund ihrer eigenen Instabilität auf den Selbsterhalt ausgerichtet sind (Autopoiesis). Er betrachtet die Funktion der Medien vor dem Hintergrund eines sehr unwahrscheinlichen Gelingens von Kommunikation, zudem verhindern die Medien als „Zwischenschaltung von Technik“31 die direkte Kommunikation. Im System der Massenmedien gelten Medien als Techniken zur Ermöglichung von Dialog, wo dessen Unmittelbarkeit unterbrochen ist.

Die hier lediglich angedeuteten Theorieansätze veranschaulichen die entstandene Vielfalt und Unübersichtlichkeit der Medienreflexionen in den unterschiedlichen Feldern von Medienwissenschaft32, Kommunikationswissenschaft, Philosophie und Soziologie, die einer anwachsenden Notwendigkeit der Medienreflexion geschuldet sind.

Die zunehmende Innovationsgeschwindigkeit von einer intergenerationalen Entwicklung zu einer intragenerationalen Abfolge von Neuerungen33 ereignet sich vornehmlich im Bereich moderner Medien. Die mögliche Live-Übertragung von privaten Kameraaufnahmen mit dem Smartphone in den Formaten der Social Media steigert34 diese Beschleunigung35 und kann als Symbol für einen gesamtgesellschaftlichen Trend betrachtet werden, der aufgrund seiner rasanten Entwicklung wie auch seiner umwälzenden Dramatik als umfassend erlebt wird. Diese weitreichenden Dimensionen der Wandlungsprozesse sind für den Soziologen Ulrich Beck Anlass, von einer „Verwandlung“36 der Welt zu sprechen, um deren überfordernde37 Dimension auszudrücken. Die bloße Rede von einer „digitalen Revolution“ erscheint ihm demgegenüber als unzureichend.38 Der Philosoph Christoph Türcke identifiziert vor dem Hintergrund dieser Entwicklung in der „Logik der Sensation“39 ein zentrales Merkmal einer als „erregt“ erfahrenen Mediengesellschaft und verortet sie im Kontext des europäischen Aufbruchs der Neuzeit.40 Diese soziologische Analyse verbindet sich häufig mit Forderungen nach einem stärkeren regulativen Eingreifen, etwa in medienpädagogischen Kontexten und einem kulturpessimistischen Habitus.41 Die gesellschaftlichen Modi von Empörung und Erregung innerhalb öffentlicher Debatten lassen sich dabei als Teil einer durch digitale Medien geprägten politischen Kultur verstehen.42

Das 20. Jahrhundert kann nicht zuletzt aufgrund der Entstehung von Massenmedien, vor allem von Rundfunk, Film und Fernsehen und in seinem letzten Jahrzehnt des Internets, als wichtige Wendemarke betrachtet werden. Nach einer anfänglichen Phase mit einer Ausrichtung etwa des Rundfunks auf Unterhaltungsprogramme in der Weimarer Republik entsteht erst in den 1930er-Jahren ein Bewusstsein für die politische Relevanz der neuen Massenmedien.43 Das aufkommende Bewusstsein für deren strategische Verwendung im Rahmen der politischen Propaganda wie gerade auch als Instrument wirtschaftlichen Marketings charakterisieren das 20. Jahrhundert als wichtige Umbruchphase. Das Verhältnis von Medien, insbesondere von Presse, Radio und Film zu ihrer propagandistischen Nutzung, wird im Rahmen geschichtswissenschaftlicher Aufarbeitung immer wieder behandelt.44 Es wäre aber zu kurz gegriffen, wollte man diese Problematik der Instrumentalisierungen und Manipulationen auf bestimmte Epochen und wenige Akteure begrenzen. Generell gilt, dass es keine weltanschauliche oder politische Neutralität geben kann. Deshalb sind gerade die Pluralität von Akteuren und das Vermeiden von Monopolstellungen zentraler Bestandteil einer demokratischen Medienpolitik.

2.1.1. Medientheorie

Gerade im 20. Jahrhundert hat sich die theoretische Reflexion zum Medienbegriff in eine Vielzahl von Ansätzen und Theorien unterschiedlicher Fachrichtungen ausdifferenziert.45

Der Medienwissenschaftler Marshall McLuhan (1911–1980) entwickelt in der Faszination für das Fernsehen eine Kulturtheorie der Medien46 und spricht vom Ende der „Gutenberg-Galaxis“47, in dem der Buchdruck zum bestimmenden Medium geworden war. McLuhan analysiert Strukturen moderner Mediengesellschaften48, die von ihm zwar an der Beobachtung des Fernsehens (insbesondere in den nordamerikanischen Gesellschaften) festgemacht werden, aber darüber hinaus bis in die Gegenwart für die Einordnung der digitalen Medien als Verstehenshilfe genutzt werden. Dies wird gerade im Blick auf seine drei zentralen Thesen deutlich, die er inspiriert durch den Theologen Pierre Teilhard de Chardin49 entwickelt: 1. Medien sind Körperausweitungen, 2. Wir leben in einem globalen Dorf, 3. Das Medium ist die Botschaft.50 Gerade die dritte These (und der wohl am häufigsten zitierte Satz McLuhans) bedarf der weitergehenden Beschäftigung, um nicht missverstanden zu werden: Medium und Botschaft sind untrennbar miteinander verbunden und aufeinander verwiesen.51

Die Identifikation von Medium und Botschaft kann also durchaus weiter gefasst werden.

Auch wenn hier keine ausführliche Darstellung der Theorien McLuhans52 und seiner Wirkung für die Medienwissenschaft vorgestellt werden kann, wird in den drei genannten Thesen Entscheidendes erkennbar: Die Arbeit mit Medien, insbesondere den modernen Medien des 20. und 21. Jahrhunderts, erweitert den Wirkradius menschlicher Kommunikation massiv und lässt erkennen, dass Medien immer Bestandteil menschlichen Lebens waren (und damit nicht nur sein Instrumentarium!). Indem moderne Medien den Wirkradius menschlichen Handelns erweitern und schrittweise ortsunabhängig zum Einsatz kommen, relativieren sich geographische Gegebenheiten und deren Beschränkungen. Die sich daraus ergebende Vervielfältigung menschlicher Gestaltungsmöglichkeiten geht jedoch einher mit den Eigengesetzlichkeiten der Medien und ihrer Wirkung sowohl auf ihre Nutzer_innen wie auch auf ihre Inhalte. Wie die Herausgeber_innen und Redakteur_innen von Zeitungen den Autor_innen hinsichtlich von Themenwahl, Umfang und inhaltlicher Ausrichtung der Artikel Vorgaben machen, so ergeben sich beim Buchdruck für die inhaltliche Gestaltung Vorgaben der Wirtschaftlichkeit (z. B. für den Umfang von Büchern oder deren Genre). Diese Spezifika von Medien steigern sich bei bildgebenden Formaten des Fernsehens und des Internets noch einmal beträchtlich.53 Zwar erscheint die dritte These McLuhans geradezu „mediendeterministisch“54, sie richtet dabei jedoch nur das medienwissenschaftliche Interesse am Medium und nicht am Inhalt aus. Es gibt also durchaus eine Reihe von Faktoren, die für Inhalte maßgeblich sind. Die Eigengesetzlichkeit der Medien selbst gehört dabei jedoch zu den sehr einflussreichen Größen gegenüber den Inhalten, die bis in die Gegenwart vielfach unterschätzt werden. Deshalb können die Ansätze McLuhans ihn als „Vordenker des digitalen Computerzeitalters“55 erscheinen lassen, was seine bleibende Bedeutung für die Medienwissenschaften und seine Wiederentdeckung im 21. Jahrhundert erklärt.

Gerade die religiöse Prägung McLuhans hat zu einer größeren Rezeption im Raum von Kirche und Theologie beigetragen und er wird vereinzelt als prägende Gestalt eines „katholischen Medienzeitalters“56 betrachtet.

Lässt sich McLuhan als eine der Gründungspersönlichkeiten moderner Medienwissenschaften betrachten, ergibt sich mit deren Entwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine beachtliche Fülle an philosophischen Theorieansätzen.57 Sie sind eng verbunden mit soziologischen und philosophischen Theorien der Postmoderne, was insbesondere für die Diskursanalyse von Michel Foucault und die Dekonstruktion von Jaques Derrida bedeutsam ist. Sie gehen bei Frank Hartmann58 und Mike Sandbothe59 in die Entwicklung eigener Medienphilosophien über.

Neben McLuhan sei hier auf Vilém Flusser60 (1920–1991) verwiesen, der als Philosoph und Kommunikationswissenschaftler das Konzept einer „Kommunikologie“61 entwickelt hat.

Er entwirft einerseits (ähnlich wie auch McLuhan) eine Kulturgeschichte der Medien62 und knüpft an dessen „Epochenkonstruktion“63 an. Zentral ist dabei die (an die Thermodynamik angelehnte) Vorstellung der Entropie: Informationen zerfallen, werden vergessen und verschwinden. Hier wird eine häufig übersehene Funktion von Medien in der Speicherung von Informationen und in der Tradierung von Wissen sichtbar. Medien transportieren Informationen nicht nur über räumliche, sondern auch über zeitliche Distanzen hinweg. Indem Menschen mit Medien arbeiten, wirken sie den entropischen Prozessen des Verlustes von Information entgegen und setzen dem Verfall ordnende Systeme entgegen. Zentrale Elemente dieser Ordnungen sind kulturgeschichtlich variierende Codes, mit deren Hilfe Menschen Abstand zur Realität gewinnen, dadurch mit ihr umgehen können und sich dabei zugleich selbst finden. Was dies hinsichtlich der gegenwärtigen Epoche des „Technocodes“ für den Menschen und sein Selbstbild bedeutet, bleibt nach Flusser bislang noch offen. Flusser verspricht sich gerade durch die gesellschaftlichen Veränderungen aufgrund neuer Medien eine neue, „telematische“ Gesellschaftsstruktur. Von besonderer Bedeutung im Werk Vilém Flussers ist das Bild64, in dessen Zirkularität er ein Gegenüber zur Linearität der Schrift sieht65 und an dem er (in Anlehnung an die Phänomenologie Edmund Husserls) eine Kulturgeschichte der Wahrnehmung (Ästhetik) konzipiert.

Mit McLuhan und Flusser wird eine entscheidende Komponente der Medientheorien des 20. Jahrhunderts erkennbar: Medien sind nicht nur etwas, mit dem der Mensch zu tun hat und wozu er sich auf unterschiedliche Weise verhält. Sie sind weit mehr: Medien bestimmen ihrerseits menschliche Kommunikation, ja menschliches Leben überhaupt und sind nicht vom Menschsein zu lösen.

Eng verbunden mit der medialen Entwicklung des 20. Jahrhunderts und deren Analyse durch McLuhan ist die Rede vom „Iconic Turn“. Einerseits ist damit die zunehmende Ausrichtung von Medien auf Bilder in der Alltagskultur gemeint, die gerade bei Fernsehen und Internet zentral ist. Der „Iconic Turn“ umschreibt jedoch weitergehende Elemente in allen gesellschaftlichen Bereichen, wie ihre philosophische und kulturtheoretischen Reflexionen.66 Inwiefern diese verstärkte Hinwendung zum Bild auch durch die Dominanz von Fernsehen und Internet initiiert und vorangetrieben wird, lässt sich kaum nachweisen, aber annehmen. Den Kunsthistoriker und Philosophen Gottfried Boehm veranlasst die zu beobachtende Bilderflut jedoch, gerade von einer „Bilderfeindlichkeit der Medienindustrie“67 zu sprechen. Technische Ansätze, mit Internetbrillen den Umgang mit der digitalen Welt vor allem optisch zu ermöglichen, gewinnen als Fortführung des „Iconic Turn“ große Plausibilität. Erst mediale Präsenz erzeugt optische Vertrautheit und ermöglicht damit Prominenz.

2.1.2. Das Bild

Dass die katholische Kirche mit ihren Liturgien und weltkirchlichen Traditionen solch einer vom „Iconic Turn“ geprägten Medienlandschaft besonders gut entspricht, ist eine populäre Annahme.

Die kulturwissenschaftliche, philosophische und theologische Reflexion des Bildes und seiner Wahrnehmung erfolgt weitgehend in den Feldern von Ästhetik und Phänomenologie.68

Im Kontext der Medienentwicklung des 20. Jahrhunderts fällt auf, dass das Bild hier zunehmend die Funktionen der Bezeugungsinstanz69 und der Bindung von Aufmerksamkeit70 (etwa im Sinne phatischer Kommunikation) übernimmt – und darin hinter den eigentlichen Potenzialen der Bildmächtigkeit zurückbleibt. Gleichwohl steht solch eine Entwicklung auch einer ganzen kulturgeschichtlichen Reihe von „Pictorial Turns“71, in denen die eine eindeutige Abgrenzung von bildlichen und sprachlichen Elementen ebenso problematisch wäre wie eine eindeutige Bestimmung visueller Medien in der Moderne.

In einer Mediengesellschaft, in der die Bildmedien zu einer dominierenden Stellung gelangen,72 findet sich die katholische Kirche in einer ungewohnten und vieldimensionalen Situation wieder: Hochformen barocker Kirchengestaltung, eine ungebrochene Spiritualität der Ikonographie und eine sinnenfreudige Liturgie gehen hier mit einer ins Geheimnisvolle changierenden Intransparenz organisationaler Abläufe ein Gemenge ein, das Raum für Verschwörungstheorien und Vorlagen für fiktive Romane bietet. Ist die katholische Kirche damit tatsächlich eine ideale Medienreligion? Stimmt die Annahme, müsste sich damit ein großes Evangelisationspotenzial verbinden. Das ist jedoch kaum zu beobachten.

Dass sich eine Bild-Religion in einer auf Bilder ausgerichteten Mediengesellschaft erkennbar schwertut, ihre Rolle zu finden, könnte in einem Paradox begründet sein: Während die klassische ikonographische Bedeutung des Bildes darin liegt, Menschen in andere Welten und komplexe religiöse Wirklichkeiten zu führen, besteht die Funktion des Bildes in modernen Mediengesellschaften gerade in der Reduktion von Komplexität und der Steigerung von Verständlichkeit.

Die katholische Kirche vermag zwar nach wie vor, in der klassischen Logik des Bildes zu agieren. Sie ist aber durch die visuelle Praxis der Postmoderne herausgefordert, sich auf gesellschaftliche Mechanismen einzulassen, von denen ihre eigenen Mitglieder und verantwortlichen Akteur_innen ohnehin auch selbst geprägt sind.

Insofern Aufmerksamkeit73 eine bestimmende Währung in einer Mediengesellschaft darstellt, scheint sich dabei für den bilderfreudigen Katholizismus tatsächlich ein großes Anknüpfungspotenzial zu ergeben. Begleitet wird dieses Potenzial jedoch von bitterer Ernüchterung: der medial-bildlichen Inszenierung von Papstwahlen74, Papst-Requien oder auch einer Fülle von sympathischen Bildern im Pontifikat Papst Franziskus steht eine optische Realität in Diözesen, Pfarreien und kirchlichen Einrichtungen gegenüber, die vor allem als Professionalitätsdefizit erlebt wird.75 Die Wahrnehmung kirchlicher Optik vor Ort bleibt in der Regel genauso hinter dem eigenen Anspruch zurück, die Verkündigung des Reiches Gottes zumindest zu unterstützen, wie dies in weltkirchlichen Bezügen zu beobachten ist (z. B. bei Weltjugendtagen). Die hier erkennbare Herausforderung wurde in den Skandalen um den Bau des Limburger Bischofshauses unübersehbar, in dem neben vielen Problemstellen auch die Kehrseite der optischen Affinität der katholischen Kirche erkennbar wurde: das Bild einer luxuriösen Sanitäreinrichtung wurde zum Negativsymbol einer verschwendungssüchtigen und klerikalistischen Institution, die zentrale Elemente ihrer eigenen Botschaft konterkariert.

Der Soziologe Hans Jonas wie auch der Medientheoretiker Vilém Flusser sehen in der menschlichen Fähigkeit, aus dem gesehenen Gegenstand durch Vorstellungskraft und Imagination ein Abbild zu schaffen, das Prinzip menschlicher Kommunikation überhaupt.76

Mit der gesellschaftlich zunehmenden Bedeutung digitaler Medien steigern sich auch die Inszenierungstendenzen77, also auch die Bedeutung des Visuellen. In der Stellungnahme „Virtualität und Inszenierung“ der Publizistischen Kommission der DBK wird diese Bedeutung des Bildes aufgegriffen und in medienethischer Einordnung reflektiert.

Eine besondere Rolle kommt in der Entwicklung medientheoretischer Ansätze der Fotografie78 zu, mit der sich etwa Walter Benjamin (1892–1940) in seiner „Kleinen Geschichte der Photographie“79 beschäftigt.80 Ihm ist auch der technische Fortschritt wichtig, der sich zunächst vor allem aus der Reproduzierbarkeit des Bildes ergibt, vor allem aber eine Geschichte des Lesens von Fotografie. Bestandteil dieses Lesens ist die Wahrnehmung der Aura der Fotografie, die eng mit der Welt bürgerlicher Aufstiegshoffnungen des 19. Jahrhunderts, dem Interesse an Inszenierungen und der Positionierung zwischen Kunst und Technikeuphorie verbunden ist.81 Mit ihm entsteht zudem ein Bewusstsein für die Bedeutung der Reproduktion.82

Sie bewirkt im 19. Jahrhundert nicht nur eine grundlegende Diskussion über den Kunstbegriff der Fotografie beziehungsweise den durch sie veränderten Kunstbegriff. Diese Auseinandersetzung wiederholt sich im 20. Jahrhundert im Umgang mit dem Film und der Entstehung der Filmtheorie83.

Gerade die Reproduzierbarkeit des Bildes in der Fotografie ermöglicht zunächst eine archivarische Funktion (etwa in der Popularität von Familienfotografien und Porträts84), später auch eine dokumentarische Funktion (im Aufkommen von Kameras in Privatbesitz und ihrer Verwendung im Zweiten Weltkrieg). Einerseits wird die Fotografie in der Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts zu einem Teilgebiet des Journalismus. Andererseits etabliert sie sich im Kontext der modernen Kunst85 und ordnet sich so in die Kulturgeschichte86 ein. Es kommt also zu einer deutlichen Weitung eines auf technische Bezüge reduzierten Fotografie-Verständnisses.87

Schließlich wird auch die Fotografie durch die Entwicklung der Digitalisierung grundlegend verändert, und dies nicht nur hinsichtlich der technischen Weiterentwicklungen und der Arbeitsbedingungen innerhalb des Fotojournalismus. Die Möglichkeiten, mit einem einfachen Smartphone relativ hochwertige Spontanaufnahmen anzufertigen und eigene Fotoaufnahmen auf Online-Plattformen wie www.flickr.com oder www.photocase.com anzubieten und zu vermarkten, erzeugt neue bildethische Fragestellungen,88 macht die Fotografie zu einem Feld der digitalen Massenkultur und erschwert die Profilierung professioneller Berufsbilder. Insbesondere die breite gesellschaftliche Etablierung von „Selfies“ mit Hilfe von mobilen Digitalgeräten (in der Regel Smartphone oder Tablet) kann zu einer philosophischanthropologischen Reflexion des Fotos in seiner Bedeutung für die Selbstwahrnehmung und die Inszenierung in der Öffentlichkeit führen.89

2.2. Wie ticken die „Digital Natives“?

Jüngere Bevölkerungsgruppen, zu deren Kindheitserfahrungen spätestens ab der Grundschule, häufig aber schon im Vorschulalter die Nutzung von digitalen Medien und mobilen Kommunikationsgeräten gehören, werden im Rückgriff auf Marc Prensky, John Palfrey und Urs Gasser90 als „Digital Natives“ bezeichnet. Häufig werden sie in soziologischen Ansätzen mit der „Generation Y“91 identifiziert und mit leichten Divergenzen in den Geburtsjahrgängen ab (!) 1980 verortet. Insbesondere die selbstverständliche Nutzung digitaler Medien,92 aber darüber hinaus auch andere soziologische Merkmale, wie ein verändertes Bewusstsein für ein ausgewogenes Verhältnis von Arbeit und Freizeit93 (Work-Life-Balance) oder Veränderungen im Konsumverhalten (abnehmende Bedeutung von immobilen Statussymbolen) bewirken in vielen Ansätzen eine scharfe Kontrastierung gegenüber älteren Bevölkerungsgruppen.94

In Verbindung mit dem technischen Fortschritt, der auch eine mobile Nutzung digitaler Medien ermöglichte, lässt sich beobachten, dass kein gesellschaftlicher Bereich moderner Gesellschaften von dem Einfluss digitaler Medien unbeeinflusst geblieben ist und bleibt. Eine Gegenüberstellung von digitaler und realer Welt, oftmals verbunden mit einer Wertung und häufig auch einer romantisierenden Verklärung der Vergangenheit („Wir haben uns früher noch ohne WhatsApp und Handy vor dem Freibad verabredet!“) erscheint kaum noch plausibel. Besondere Fokussierungen erfolgen in der Regel mit Blick auf generationsspezifische Lebensformen und Konsequenzen für die Arbeitskultur und das Arbeitsverständnis.95

Die selbstverständliche Nutzung digitaler Medien ist für Prensky Anlass, Konzepte des E-Learning und damit internetgestützte Formate pädagogischer Arbeit innerhalb des schulischen Unterrichts wie auch in außerschulischen Angeboten zu entwickeln und zu etablieren.

„Digital Natives“ sind jedoch nicht nur durch die größere Selbstverständlichkeit in der Nutzung digitaler Medien zu bestimmen. Aus ihrer Medienprägung ergeben sich Konsequenzen für die Ausbildung persönlicher Identitäten und Fragen der Selbstwahrnehmung, für eine veränderte Verhältnisbestimmung von Privatheit und Öffentlichkeit (insbesondere hinsichtlich des „digitalen Fußabdruckes“, also der Daten, die jeder Mensch bei der Nutzung des Internets produziert), der Fähigkeit zu kritischer Reflexion von Informationsangeboten, der Wahrnehmung von Suchtpotenzialen und in vielen anderen Bezügen.

Insbesondere die erwerbstätige Bevölkerungsgruppe, die bis in die Mitte des 21. Jahrhunderts die Arbeitswelt prägen wird, wären demnach mehrheitlich als „Digital Immigrants“96 zu bestimmen: Sie eignen sich erst im Laufe ihrer Ausbildungsbiographie oder ihres Berufslebens die unterschiedlichen Fähigkeiten zur Nutzung und Gestaltung digitaler Medien an – um die fehlende Selbstverständlichkeit im Umgang mit ihnen zu ersetzen.97

Parallel zeichnet sich ab, wie sehr die Eigenarten der „Digital Natives“ zunehmend die verschiedenen Gesellschaftsbereiche bestimmen werden. Dies gilt etwa für die Arbeitswelt, die aufgrund der technischen Entwicklung massive Verdichtungen erfährt (z. B. ermöglichen bildgestützte Telefonkonferenzen via Skype eine große Effektivitätssteigerung der beteiligten Arbeitnehmer_innen). In wirtschaftlichen Prozessen, wie sie mit der gesellschaftlichen Etablierung des Online-Banking, mit Internetportalen für den Online-Handel wie Amazon oder eBay mit Beginn des 21. Jahrhunderts auch breite Bevölkerungsschichten erreicht haben, ist zu beobachten, dass mit den digitalen Medien auch das Konsumverhalten von Verbraucher_innen massiven Wandlungsprozessen unterliegt. Hier wird sichtbar, dass digitale Medien kein separater Bereich privater Lebensvollzüge, sondern ein alle Gesellschaftsbereiche durchziehendes Kontinuum darstellen. Längst ist die klassische Unterscheidung von virtueller98 und realer Welt in dieser Entwicklung obsolet geworden.99 Einerseits dürften sich damit auch Typologien wie „Digital Natives“ und „Digital Immigrants“ nivellieren und einebnen. Inwiefern es sich hierbei um eine unzulässige Komplexitätsreduktion handelt, ist Gegenstand anhaltender Diskussionen. Andererseits fällt auf, dass es insbesondere in der Soziologie mit einer systemtheoretischen Prägung kaum möglich ist, in der Digitalität überhaupt ein alle Gesellschaftsbereiche (und damit alle Systeme) bestimmendes Phänomen und Charakteristikum der Postmoderne auszumachen.100

2.3. Kirchliches Medien-Engagement

Kirchliche Medienarbeit ist mehr als das Marketing einer Organisation,101 die wie alle gesellschaftlichen Institutionen von Bekanntheit leben, um Mitglieder und Anhänger zu gewinnen und an sich zu binden. Kirchliche Medienarbeit als eine Ausformung kirchlicher Verkündigung gehört zum Selbstverständnis christlicher Nachfolge schlechthin. Neben dieser Einordnung der Medienarbeit in den Kontext der Verkündigung des Glaubens an die Reich-Gottes-Botschaft Jesu kommt es aber seit der Mitte des 20. Jahrhunderts und der gesellschaftlichen Verbreitung von bildgebenden Medien (zunächst vor allem des Fernsehens) zu einer beachtlichen Mediatisierung der katholischen Kirche, für die in besonderer Weise das Pontifikat Papst Johannes Pauls II. und die Einrichtung von Weltjugendtagen als herausragendes, internationales Medienereignis angesehen werden können.

Wie kein anderes Pontifikat zuvor war das Johannes Pauls II. durch eine beeindruckende Reisetätigkeit und ein Bewusstsein für die politischen Potenziale des Amtes geprägt. Ausdruck dieses Bewusstseins ist die Inszenierung von Bildern als selbstverständlicher, zugleich bewusst gestalteter Bestandteil des kirchlichen Amtsverständnisses: das Küssen des Bodens zu Beginn jedes Auslandsbesuchs, Bilder von Massengottesdiensten, der Gefängnisbesuch bei dem Papstattentäter Atta bis hin zum sterbenskranken Papst am Fenster des vatikanischen Palastes und dem Abschluss im Pontifikalrequiem.102

Die in Tradition und Geschichte verankerte, aber im 20. Jahrhundert mithilfe der bildgebenden Medien ausgebaute Affinität des Katholizismus zum Bild lässt sich als „Spiel von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit“103 verstehen.

Unter Papst Benedikt XVI. kam es zu bemerkenswerten Aufrufen an Kirchenmitglieder und auch an Kleriker, die sozialen Kommunikationsmittel aktiv zu nutzen. Dem entsprechen neue Initiativen auf Seiten des Vatikan zur eigenen Nutzung der Social Media, wie etwa die Internetpräsenz „pope2you.net104.

Auch auf diözesaner und örtlicher Ebene ist es in der katholischen Kirche Deutschlands seit 2005 zunehmend zur Entwicklung von Verkündigungsformaten mit einer Fokussierung auf den Social Media gekommen:

– Die Entwicklung eigener Apps als Programme für mobile Digitalgeräte bieten klassische Gebets- und Liturgieformen an. Dazu gehört etwa das Angebot des Stundengebets und der täglichen liturgischen Texte durch das Deutsche Liturgische Institut.

– Die Angebote im Bereich der Berufungspastoral mit YouTube-Produktionen, wie z. B. „Valerie und der Priester“.

– Klassische katechetische Materialien, wie „Mein Gott und Walter“.

– Kirchliche Verkündigungssendungen im Rahmen des digitalen Programms „Funk“ der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, wie „frei.willig.weg“.

Viele dieser Aktivitäten werden auf der seit 2004 bestehenden Internetplattform katholisch.de vernetzt oder eigens dafür produziert. Sie stellt das reichweitenstärkste Forum für katholische Medienarbeit im Bereich der digitalen Formate dar und ergänzt die ältere Plattform www.fernsehen.katholisch.de.

Durch diese Initiativen im Bereich digitaler Medien und vor dem Hintergrund gegenwärtiger kirchlicher Krisenphänomene entwickeln sich immer wieder Diskussionen um geeignete und zeitgemäße Formen der religiösen Kommunikation. Zu beobachten sind dabei enorme qualitative Schwankungen, Diskrepanzen zwischen zeitgemäßen, digitalen Projekten und klassischen Formaten, wie z. B. den Kirchenzeitungen oder der Predigt, in denen oftmals die Problematik einer milieuverengten kirchlichen Situation sichtbar wird.105

Drei Gruppen von Medienangeboten lassen sich dabei unterscheiden:

1. Produkte, die eigens von kirchlichen Einrichtungen oder in deren Auftrag mit dem Anliegen kirchlicher Glaubensverkündigung entwickelt worden sind.

2. Verkündigungssendungen, die auf der Basis der Konkordate, also staatskirchenrechtlicher Verträge, von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten produziert, inhaltlich aber von der Kirche verantwortet werden.

3. Produktionen, die in Verantwortung von dritten Akteuren, wie Privatpersonen, Produktionsfirmen oder Initiativen, entwickelt und produziert werden und aufgrund ihrer inhaltlichen Ausrichtung eine große Nähe zu Themen kirchlicher Verkündigung erkennen lassen, als didaktisch-katechetische Arbeitsmittel eingesetzt werden oder einfach grundlegende Fragen menschlichen Lebens (direkt oder indirekt) aufgreifen und kirchliche Bezüge nahelegen.

Stärker als über schriftliche Verlautbarungen oder Predigten ereignet sich die Kommunikation im Bild und wird damit ihrerseits von modernen Medien bestimmt. Sie wird Bestandteil einer „Weltkommunikation“106, in der die Macht der Bilder zu einer bestimmenden politischen Größe wird. Erst dem argentinischen Papst Franziskus gelingt es, aufgrund seiner Spontaneität an diesen Trend anzuknüpfen. Ihre Höhepunkte findet diese Form moderner kirchlicher Medienarbeit und Verkündigung in den Events der Weltjugendtage. Sie fungieren als inszenierte Symbiose von Jugendkultur und Papstamt und zeigen dabei die Ambivalenz einer verstärkten Papstzentrierung der Kirche mit entsprechenden Risiken: „Durch das Papstamt verfügt die katholische Kirche über eine einfache und für die Religion konforme Möglichkeit, ihr Glaubensangebot in einer personifizierten Weise zu kommunizieren: Sie hat eine Person, die qua Amt den katholischen Glauben symbolisiert.“107 Das Risiko, das die Ambivalenz dieser Entwicklung ausmacht, besteht darin, dass die auf das singuläre Amt fokussierte Aufmerksamkeit zentrale theologische Positionen, etwa die der Volk-Gottes-Theologie, konterkarieren kann und die Chancen für die Vermittlung zentraler Inhalte mit der Begeisterung eher ab- als zunehmen.

Wenn weltweit Säkularisierungsprozesse im 21. Jahrhundert weiter fortschreiten, wie dies nachweislich zumindest für wirtschaftlich prosperierende Gesellschaften von den Religionssoziologen Detlef Pollack und Gergely Rosta108 analysiert wurde, markiert dies auch eine Krise der kirchlichen Verkündigung.

2.3.1. Der Pfarrbrief als Beispiel unterschätzter Potenziale

Ein Print-Medium, das über lange Zeit auch innerkirchlich in seiner Bedeutung stark unterschätzt wurde und oftmals noch wird, stellen Schriften auf Pfarr- und Gemeindeebene dar. Die Deutsche Bischofskonferenz hat dazu 1995 und 2001 Grundlagenpapiere veröffentlicht. Diese Mitgliedermagazine firmieren in der Regel unter dem Titel „Pfarrbrief“109 und werden von Pfarreien verantwortet. Unter dem übergeordneten Titel gibt es nicht nur eine große Bandbreite in der inhaltlichen Gestaltung von einfachen Gottesdienstordnungen bis hin zu redaktionell erstellten Zeitschriften. Die inhaltliche Bandbreite wie auch die Professionalität in der grafischen Gestaltung drücken die jeweilige Zielrichtung der „Pfarrbriefe“ aus. Ob ein Pfarrbrief sich in einer Auflage von wenigen hundert Exemplaren auf die aktiven Gottesdienstbesucher_innen ausrichtet110 und lediglich in der Kirche zur Mitnahme angeboten wird, bildet eine tendenziell verengte Wahrnehmung kirchlichen Lebens ab. Gerade in der Zusammenlegung mehrerer Pfarreien zu Groß-Pfarreien sind vielerorts Bemühungen entstanden, mit den Pfarrbriefen alle Kirchenmitglieder innerhalb des Pfarrgebietes zu erreichen und sie in die Gestaltung eines Medienkonzeptes auf Pfarreiebene mit entsprechender Internetpräsenz zu integrieren. Viele Pfarrbriefe erreichen damit eine Auflagenstärke von mehr als 10.000 Exemplaren. Sie werden überwiegend in ehrenamtlichen Redaktionsteams erstellt und oftmals auch noch von Ehrenamtlichen als Hauswurfsendung verteilt: „Kein anderes Medienangebot, das über kirchlich-religiöse Themen informiert, erreicht Katholiken besser als dieses Basismedium.“111

Bemerkenswert erscheint zudem die starke Beachtung durch die Adressat_innen.112 Die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale ergeben sich daher aus der grundsätzlichen Ausrichtung eines Pfarrbriefes. Sowohl in der redaktionellen Erarbeitung und den journalistischen Beiträgen wie auch in Design und Layout kommt es bei dem wichtigsten Medium der Kirche immer noch zu Qualitätsdefiziten113, so dass eine Diskrepanz zu den Standards anderer Postwurfsendungen oftmals unübersehbar ist.

Um Pfarreien im Bemühen um die Gestaltung ihrer Mitgliedermagazine zu unterstützen, wurde bereits 2002 der überdiözesane Hilfsdienst www.pfarrbriefservice.de gegründet. Ähnliche Unterstützungsformen bieten einzelne Diözesen bei dem Design und der Pflege von Internetseiten an wie auch mit dem Angebot von Fortbildungsmaßnahmen für Haupt- und Ehrenamtliche.

Neben den neuen Aufbrüchen, die in der inhaltlichen und grafischen Gestaltung von Pfarrbriefen im Zuge von strukturellen Veränderungen der Pfarreien zu beobachten sind, wie auch im gewachsenen Bemühen, gemeindliche Milieuverengungen auch in der Ästhetik der pastoralen Praxis kritisch zu reflektieren, gibt es mittlerweile ähnliche Initiativen auf diözesaner Ebene.

Die Diözese Essen beschloss 2013 als erste angesichts des eklatanten Rückgangs von Abonnementzahlen die Einstellung ihrer diözesanen Kirchenzeitung114 zugunsten einer neuen Mitgliederzeitschrift mit dem Titel „Bene“. Solche Mitgliederzeitschriften, die vorrangig aus Kirchensteuermitteln finanziert werden, konnten sich jedoch auch nach diözesanen und lokalen Versuchsphasen bislang nicht etablieren. Sie markieren zudem den Übergang von kirchlichem Journalismus zu einem bloßen Kirchen-Marketing.115 Es kann davon ausgegangen werden, dass eine derartige Mitgliederzeitschrift sehr viel stärker der veränderten Verhältnisbestimmung von Kirchenmitgliedern entspricht, die zwar nur punktuellen Kontakt zu Gottesdiensten oder gemeindlichem Leben suchen, sich aber dennoch bewusst für ein Verbleiben in der Kirche entschieden haben und diese mit der Zahlung ihrer Kirchensteuer unterstützen.

2.3.2. „Körperschaft öffentlichen Rechts“

Das kirchliche Medien-Engagement baut auf einer Reihe von rechtlichen Grundlagen auf, die in Deutschland das Verhältnis zwischen Staat und Kirche als Kooperationsmodell fundieren. Dies ermöglicht es den Kirchen als Körperschaften öffentlichen Rechts auch innerhalb staatlicher beziehungsweise öffentlich-rechtlicher Rundfunkangebote, eigene Sendeplätze mit rein kirchlichen Themen und in eigener Verantwortung für die inhaltliche Gestaltung zu prägen.

Damit stellt die deutsche Situation des Kooperationsmodells zwischen dem Staat und ausgewählten Religionsgemeinschaften im Status einer „Körperschaft öffentlichen Rechts“ im Vergleich zu fast allen anderen Staaten einen Solitär dar: Es bietet den rechtlichen Rahmen für eine ganze Reihe religiöser Verkündigungsmöglichkeiten innerhalb öffentlich-rechtlicher Medien. Im vierzehntägigen Rhythmus werden beispielsweise evangelische und katholische Sonntagsgottesdienste in ARD oder ZDF übertragen. Das „Wort zum Sonntag“ stellt ein weiteres Beispiel für derartige Kooperationen dar. Mit ihm erhalten die großen christlichen Kirchen einen prominenten Sendeplatz im Samstagabendprogramm der ARD.116 Als zweitälteste Sendung im deutschen Fernsehen ist das „Wort zum Sonntag“ immer wieder auch aufgrund seiner klassischen Gestaltung belächelt und in seinem Bedeutungsverlust analysiert117 worden. Es verfügt aber dennoch über eine beträchtliche Einschaltquote und erreicht durchschnittlich etwa eine Million Zuschauer_innen.118 Die Formen der Kooperation zwischen Staat und Gesellschaft stellen nicht nur ein Spezifikum des bundesdeutschen Verhältnisses von Staat und Kirche dar: „Diese rundfunkstaatsvertraglich abgesicherte Zugangskonstellation, in deren Zusammenhang man auch vom sogenannten Drittsenderecht der Kirchen spricht (eigenverantwortliche Sendungen Dritter!), stellt für die Verkündigung der Kirche im öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem – auch im Blick auf andere Systeme weltweit – ein nicht zu unterschätzendes Privileg dar.“119 Diese Privilegien verdeutlichen auch, dass kirchliche Sendungen in den staatlichen Medien auf eine gesamtgesellschaftliche Verantwortlichkeit ausgerichtet sind und inhaltlich nicht bloß auf einen rein binnenkirchlichen Adressat_innenkreis ausgerichtet sein sollen.

Ähnliches gilt für Morgenandachten120 und andere kirchliche Sendungen im Hörfunk, die auf „Drittsenderechten“ aufbauen, eine gesellschaftliche Pluralität innerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abbilden und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt dienen sollen.121 Auch hier wurde mit der Etablierung digitaler Medien immer wieder eine Krise bis hin zum Niedergang des ganzen Mediums prognostiziert. Dennoch hat sich der Hörfunk einen festen Platz im Zusammenspiel unterschiedlicher Medien erhalten können.

Ein herausragendes Beispiel für kirchliche Präsenz in Programmen von privaten Fernsehsendern ist die Serie „Schwarz greift ein“, die seit 1999 für den Sender Sat1 produziert wurde und eine kirchliche Kooperation im Rahmen des Unterhaltungsprogramms darstellt.

Die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten und Privilegien, die den Kirchen im öffentlichen Rundfunk und (in deutlich geringerem Umfang) auch bei privaten Sendern zugestanden werden, haben Überlegungen zu eigenen Fernseh- und Rundfunksendern in alleiniger Verantwortung der Kirchen immer wieder blockiert. Zwar gibt es entsprechende Angebote in vielen anderen Staaten.122 Sie sind jedoch nur mit einem enormen finanziellen Aufwand möglich und erreichen in der Regel nur eine sehr viel kleinere Zuschauer_innen- und Zuhörer_innenschaft aus kirchlich fest beheimateten Kreisen. In dem Kooperationsmodell kirchlicher Verkündigungssendungen innerhalb nichtkirchlicher Medienangebote entsteht hingegen eine sehr viel größere Reichweite, die Möglichkeit, die begrenzten Zielgruppendefinitionen123 einer ohnedies milieuverengten Kirchenmitgliedschaft zu überschreiten und ein Einbringen in gesamtgesellschaftliche Diskurse. Diese größere Zielgruppenbreite auf Basis des Kooperationsmodells ergibt sich auch durch Programmgestaltung und Ausrichtung einzelner Medienangebote.

So richtet sich das Rundfunkangebot des Deutschlandradios an einem stärker akademisch ausgerichteten Adressat_innenkreis aus. Ansätze, mit Rundfunkangeboten auch jüngere Bevölkerungsschichten zu erreichen, haben zur Entstehung neuer Sender, wie z. B. „1Live“, geführt. Seit der Jahrtausendwende konnten sie sich auffallend erfolgreich einerseits gegenüber Fernsehsendern wie MTV und auch gegenüber digitalen Medien behaupten. In ihrer Unterschiedlichkeit wird schnell erkennbar, dass kirchliche Sendebeiträge124 hier von Menschen wahrgenommen werden, die sonst kaum durch klassische Verkündigungsformen der Kirchen erreicht werden.125 Dieses „Erreichen“ neuer Hörer_innen und Zuschauer_innen ist jedoch nicht in einer restaurativ-missionarischen Form zu instrumentalisieren. Es ist vielmehr ein Lernort für die Kirche selbst, die hier ohne Rückgriffe in vormoderne Machtmechanismen ausschließlich Inhalte ihrer Botschaft und deren Konfrontation mit den alltäglichen Lebenserfahrungen als etwas „Lebensrelevantes“126 anzubieten hat.

Das Verhältnis von Religion und Öffentlichkeit unterliegt in modernen Gesellschaften massiven Wandlungsprozessen. Die Präsenz von (meist extremistischen) Ausformungen von Religion in den Medien und öffentlichen Debatten im 21. Jahrhundert sind vereinzelt sogar Anlass, von einer „Wiederkehr der Religion“ zu sprechen.

In dem Bemühen von medienhermeneutischen Ansätzen wird ein prophetischer Ansatz bedeutsam, der nicht nur von vagen Zukunftsprognosen und auch nicht nur von kritischen Gegenwartsanalysen bestimmt ist, sondern sich als aktives Einmischen in Prozesse der Gegenwart versteht, um darin zeitgenössische Solidarität zu realisieren. So ist die naheliegende Frage, wie ein „Einmischen“ in den Mediensektor in der katholischen Kirche beobachtet und analysiert werden kann.

In der Nachkriegsgeschichte der katholischen Kirche in Deutschland sind mit der institutionellen Ausdifferenzierung der Kirche auch eine Fülle von Medienaktivitäten entstanden. Besondere Impulse gingen zudem vom Zweiten Vatikanischen Konzil und dem Dekret „Inter Mirifica“127 zum Umgang der Kommunikationsmittel aus.

Zu ihnen gehören auf Ebene der Diözesen Pressestellen, aber auch religions- und medienpädagogische Arbeitsstellen, die einerseits Medien für Katechese und Religionsunterricht für Haupt- und Ehrenamtliche anbieten und andererseits der Entwicklung von Medienkompetenzen bei pastoralen Akteur_innen fördern sollen. Im weiteren Sinn sind auch Diözesanbibliotheken und Pfarrbibliotheken zu diesem Angebot zu zählen. Einzelne Diözesen haben darüber hinaus in der Gestaltung eines eigenen, regionalen Medienprofils profilierte Schwerpunkte gebildet. Das kann beispielhaft an dem Internetradio www.domradio.de der Erzdiözese Köln veranschaulicht werden, aus dem seit seiner Gründung im Jahr 2000 ein wichtiger Anbieter von kirchlichen und gesellschaftlichen Informationen, Debatten und gottesdienstlichen Angeboten geworden ist.

Zahlreiche Medienaktivitäten wurden zudem auf Bundesebene gebündelt und in Trägerschaft der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) entwickelt. Dies galt für den „Film-Dienst“, bei dem alle in Deutschland gezeigten Kinofilme in einer eigenen Zeitschrift rezensiert wurden. Im Jahr 2004 kam das gemeinsame Internetportal www.katholisch.de hinzu. Es gilt als Beispiel dafür, dass journalistisches Arbeiten zunehmend im Rahmen eines kirchlichen Angebotes an Bedeutung gewinnt.

Zu den großen Ansätzen der Bischofskonferenz gehört ein eigenes Institut zur Ausbildung von Journalist_innen, das 1968 gegründet wurde. Es hat sich weit über kirchliche Kreise hinaus einen herausragenden Ruf in der Szene journalistischer Ausbildung erworben. Seit 2008 residiert das „Institut zur Förderung des publizistischen Nachwuchses“ (ifp) in München und bietet studienbegleitende Ausbildungsgänge und berufsbegleitende Seminare an.

Ähnliche Ausbildungsangebote zur Vermittlung journalistischer Kompetenzen werden von kirchlichen Einrichtungen auch im Umfeld universitärer Felder angeboten. Sie verstehen sich in der Regel als Beitrag, Kommunikationsprobleme128 zwischen kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit und Journalist_innen zu verringern. Eng verbunden mit der Qualifizierung journalistischer Nachwuchskräfte und der Arbeit von www.katholisch.de ist die Katholische Nachrichtenagentur (KNA). Sie bietet kirchliche und kirchennahe Informationen, unterhält Korrespondentenbüros, Landes- und Regionalbüros.

In weitgehender institutioneller Unabhängigkeit ist schon 1995 das Internetportal www.kath.de entstanden. Es stellt eines der frühen Informationsportale von kirchlichen und gesellschaftlichen Veröffentlichungen im Internet dar. Zu einer besonderen Herausforderung haben sich daneben Portale und Internetforen aus dem traditionalistischen Milieu entwickelt. Sie zeichnen sich in der Regel durch Schwerpunktsetzungen im traditionellliturgischen Bereich wie durch eine politische Nähe zu nationalkonservativen und rechtspopulistischen Gruppierungen aus.129

Auch die Vernetzung von katholischen Journalist_innen in der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP) gehört zu den Initiativen, die jenseits institutioneller Ansätze Vernetzungen von journalistischen Akteur_innen ermöglichen.

Dass die rechtliche Basis der Konkordate kaum mehr der kirchlichen Stellung in der Gesellschaft wie auch der Entwicklung der Medien entspricht, wird im Aufbau von Spartensendern wie KiKA, Arte oder 3Sat oder bei Internetformaten von ARD und ZDF sichtbar. Da hier nicht auf jahrzehntelange Erfahrungen und Traditionen aufgebaut werden kann, müssen neue Formate und das Maß kirchlicher Präsenz durch eigenverantwortete Sendungen jeweils neu verhandelt werden. Als Beispiel kann hier auf die Kooperation von ARD und ZDF verwiesen werden, die mit dem Titel „Funk“ im Jahr 2016 ein internetbasiertes Fernsehprogramm für Jugendliche und junge Erwachsene entwickelte (vgl. www.funk.net). Darin sind katholische und evangelische Kirche mit der Sendung „frei.willig. weg“ vertreten.

Zur Geschichte der katholischen Medien gehören seit den 1960er-Jahren auch Unternehmen, mit denen die kirchlichen Medienaktivitäten gebündelt und effektiv gestaltet werden sollten. Zu größerer Bekanntheit gelangte dabei das Verlagshaus Weltbild, das mit Buchläden in ganz Deutschland einer größeren Öffentlichkeit bekannt ist. Vor allem mit seiner Insolvenz im Jahr 2014 erlangte das Verlagshaus traurige Berühmtheit und warf Diskussionen um die Notwendigkeit von Wirtschaftsunternehmen im Besitz von Diözesen auf.130 Andere Unternehmen, wie die Tellux-Gruppe, eine seit 1960 bestehende Produktionsgesellschaft aus 22 Einzelunternehmen, bestehen fort und bilden ein ausdifferenziertes Netzwerk. Dazu gehören Verlage für religiöse und theologische Literatur, zu deren Anteilseignern verschiedene Diözesen gehören (wie z. B. der Benno-Verlag im Besitz von vier ostdeutschen Diözesen), Verlage von Ordensgemeinschaften und Säkularinstituten (z. B. Vier-Türme-Verlag der Benediktinerabtei Münsterschwarzach, Don-Bosco-Verlag des Salesianerordens) und auch Verlage, die sich vorrangig durch ihre Angebotspalette mit religiösen, theologischen oder katechetischen Veröffentlichungen im kirchennahen Umfeld verorten.

Zu den großen Veränderungen der Medienarbeit der katholischen Kirche gehörte die Gründung des Katholischen Medienhauses in Bonn. Unter einem gemeinsamen Dach wurde hier die Katholische Nachrichtenagentur (KNA) mit dem Informationsportal „www.katholisch.de“, der Zeitschrift „Filmdienst“ und bis 2016 der ZEIT-Beilage „Christ und Welt“ (vormals Rheinischer Merkur) zusammengeführt und die Videoproduktion konzentriert.

Das Portal „www.katholisch.de“ gehört in den zurückliegenden Jahren zu den profiliertesten und ambitioniertesten Aufbrüchen der institutionellen katholischen Medienarbeit. Es bildet das lange Zeit erfolglose Bemühen einer gemeinsamen und einheitlichen Medienpräsenz der deutschen Diözesen ab. Neben diesem vielbeachteten Projekt der Bischofskonferenz haben sich freie Initiativen mit großer Kreativität und beachtlichen Nutzerzahlen entwickelt. Im überkonfessionellen Bereich der Printmedien kann dies für das „Froh-Magazin“ gesagt werden. Im Bereich digitaler Veröffentlichungen sind das „sinnstiftermag“ oder seit 2014 das theologische Feuilleton „www.feinschwarz.net“ zu nennen.

2.4. Herausforderungen digitaler Mediennutzung

Insbesondere mit der Entstehung von Massenmedien im 20. Jahrhundert und der flächendeckenden Etablierung von digitalen Medien im 21. Jahrhundert zeigen sich spezifische Fragestellungen, die im Raum von Theologie und Kirche vor allem in zwei Feldern aufgegriffen werden: der Befähigung zum Umgang mit Medien und der Reflexion ethischer Fragestellungen. Auf beide Segmente soll im Folgenden näher eingegangen werden.

2.4.1. Medienpädagogik

Innerhalb der Pädagogik hat sich die Medienpädagogik als Teilgebiet in den zurückliegenden Jahrzehnten zunehmend etabliert.131 Neben medientheoretischen Reflexionen und empirischen Untersuchungen zur Bedeutung von Massenmedien im 20. Jahrhundert wuchs hier in den zurückliegenden Jahrzehnten das Bewusstsein für Medien als Teil der Kultur und der Gesellschaft. Und mit der zunehmenden Durchdringung aller Gesellschaftsbereiche durch digitale Medien gehört der Umgang mit deren Potenzialen zu den zentralen individuellen und kollektiven Kompetenzen. Die Vermittlung von Medienkompetenzen kann dementsprechend nur Teil einer umfassenden Medienbildung sein.132

Medien sind nicht nur Informationsquellen, sie sind auch Instrument zur sozialen Vernetzung und Interaktion. Sie sind in ihrer Prägekraft auf die Identitätsentwicklung, die Orientierung an Vorbildern und die Orientierung an Werten für Heranwachsende von ähnlich großer Bedeutung wie Peergroups.133 Sie sind Ort gesellschaftlichen Lebens und öffentlicher Diskurse. Medien sind damit auch Machtinstrument und können in ihrer Komplexität und gesellschaftlichen Wirkung auch zur Erfahrung von Überforderung führen. Medienpädagogik wird sich deshalb immer auch einer „Ambivalenzdidaktik“134 verpflichtet sehen.135 Zunehmend sind damit in den zurückliegenden Jahren auch im Segment des Religionsunterrichtes Chancen und Ambivalenzen internetbasierter Kommunikation in den Blick gerückt.136 Der Umgang insbesondere mit digitalen Medien macht Mechanismen sozialer Ausgrenzung sichtbar und kann „kommunikationskulturelle Problemlagen“137 verschärfen. Dementsprechend ist die Befähigung zum Umgang mit modernen Medien138 als zentrale Aufgabe jeglicher Pädagogik zu identifizieren. Dazu gehört auch die Wahrnehmung und kritische Reflexion139 von problematischen und Ungerechtigkeiten manifestierenden Mechanismen internetbasierter Kommunikation.

Schon hier wird deutlich, dass sich Medienpädagogik nicht auf didaktische Einzelfragen und die Vermittlung von Kompetenzen beschränken lässt und deshalb zur Medienbildung140 weiterzuentwickeln ist.141

So ergeben sich in der Medienbildung vielfältige Zielsetzungen, neben der Befähigung von Menschen zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit Medien. Medienpädagogik hat in der Ausbildung von Pädagog_innen sowohl im Umgang mit zeitgemäßen Medien zu qualifizieren (Mediendidaktik) als auch für die weitergehenden Effekte der Mediennutzung in Gesellschaft, Familienleben und individueller Entwicklung zu sensibilisieren. Zunehmende Bedeutung erhält dabei ein vernetztes Lernen (Blended Learning), in dem unterschiedliche Lernebenen miteinander verknüpft werden und beispielsweise eine zeitgemäß gestaltete Unterrichtseinheit mit Onlineangeboten verknüpft wird (E-Learning). Diese Kombinationen steigern nicht nur die Flexibilität, sodass Lernangebote orts- und zeitunabhängig werden, was insbesondere im Bereich der Erwachsenenbildung von zunehmender Bedeutung ist. Sie ermöglichen auch eine größere Eigenständigkeit der Lernenden in der Zusammenstellung für ihren konkreten Bedarf im Sinne eines „autonomen Selbstlernens“142 und fördern damit – ein entscheidendes Kriterium für den Einsatz digitaler Medien in der religionspädagogischen Arbeit – die „Selbsttätigkeit“143.

Wenn sich auch in der Religionspädagogik bei Lernenden und Lehrenden in dem Bewusstsein für die Bedeutung von E-Learning und Blended Learning Unsicherheiten ergeben, kann dies viele Gründe haben (z. B. individuell unterschiedliches und generationsspezifisches Mediennutzungsverhalten). Es kann aber im Sinne eines „abduktiven Lernprozesses“144, bei dem in der Verunsicherung die Möglichkeiten neuer Erkenntnisse entstehen, eine Chance ausgemacht werden: Die Gegenüberstellung und profilierte Abgrenzung von Lernenden und Lehrenden wird in der Arbeit mit digitalen Medien nivelliert. Hier entsteht also die Möglichkeit, gemeinsam nach Antworten und Erkenntnissen zu suchen.

Grundlage für eine solche kooperative Konzeption von Religionspädagogik ist die ausreichende Kenntnis zur Nutzung digitaler Medien.145 Die Lernplattformen www.rpi-virtuell.net oder www.rpp-katholisch.de bieten dazu Materialien für die Gestaltung von Religionsunterricht und katechetischen Einheiten. Genauso wie die „Medienstellen“ der Diözesen bieten sie zudem eine Fülle von Materialien an, um der Präsenz von Religion in Internet, Film und anderen Medien nachzugehen. Derartiges Aufspüren bereits praktizierter Religiosität gehört zur religionspädagogischen Vermittlung von Wahrnehmungskompetenz und setzt sich im Kennenlernen kirchlicher Präsenz fort. Als Beispiel aus jüngerer Zeit sei hier auf den Firmkurs „vernetzt“146 hingewiesen, bei dem in die einzelnen katechetischen Einheiten auch die Arbeit mit mobilen Kommunikationsgeräten und Social-Media-Formaten integriert ist.

2.4.2. Medienethik

Mit der flächendeckenden Verbreitung der Internetnutzung im beruflichen und privaten Bereich war zu beobachten, dass hier Herausforderungen für die Formen zwischenmenschlicher Kommunikation entstanden: Wirtschaftsunternehmen und Institutionen entwickelten deshalb schon in den 1990er-Jahren für Mitarbeiter_innen Verhaltenscodices, die sich als Formen der „Netiquette“ verbreitet haben. Diese Entwicklung veranschaulicht, dass mit allen Medien auch spezifische ethische Fragestellungen aufgeworfen werden.

Die bereits aufgezeigte Instrumentalisierung von Medien im Kontext von Propaganda und politischer Manipulation haben bereits ein erstes Feld medienethischer Reflexion aufgezeigt.

Ansätze für die Frage nach einem angemessenen Umgang mit den Medien bestimmen in Deutschland vor allem in der Zeit nach 1945 das Anliegen neu aufzubauender Medienformate, vor allem im Zeitungswesen. Dabei kommt der demokratischen Absicherung durch Rundfunkräte, aber auch der journalistischen Selbstkontrolle ein hoher Stellenwert zu, um einen Schutz vor einseitiger, politischer Einflussnahme zu gewährleisten. Neben dem Schutz der Pressefreiheit (Art. 5 GG) entsteht Regulierungsbedarf insbesondere im Jugendschutz147 und beim Schutz von Persönlichkeitsrechten Einzelner, sodass es auch Missformen der „regulierten Selbstkontrolle“ gibt. Nicht nur aufgrund der technischen Entwicklung, sondern auch aufgrund der sich wandelnden Rechtswahrnehmungen entsteht die Notwendigkeit, das Maß der Regulation immer neu zu bestimmen.148 Die Rede vom „Regulierungsloch“149, etwa hinsichtlich der Verbreitung von privaten Fotoaufnahmen, offenbart, dass medienethische Bewusstseinsbildung und rechtliche Bestimmung mit technischen Entwicklungen wie auch mit dem praktischen Medienverhalten kaum Schritt halten. Die Veränderungen in der öffentlichen Wahrnehmung von Moral und Recht lassen sich leicht am Umgang mit gesellschaftlichen Normen nachzeichnen. Eine herausgehobene Bedeutung kommt in der Selbstkontrolle der Medien seit 1956 dem „Deutschen Presserat“150 zu. Dessen Ziel ist die Wahrung von Pressefreiheit und journalistischen Arbeitsmöglichkeiten (seit 2009 auch in Zuständigkeit für journalistische Onlineangebote). So gehört der Schutz von Journalist_innen ebenso zu seinen Aufgaben wie das Verhindern von Monopolisierungstendenzen, die Vertretung des Pressewesens gegenüber den staatlichen Organen und die Bearbeitung von Beschwerden. Da der Deutsche Presserat lediglich Rügen151 und Missbilligungen aussprechen kann, ansonsten aber nicht über Sanktionsmöglichkeiten verfügt, kommt es immer wieder zu Diskussionen über dessen Effektivität.152 Das größte Problem aber ist seine Beschränkung auf reine Pressearbeit, also seine fehlende Zuständigkeit für Rundfunk, Fernsehen und Internet. Ähnlich ausgerichtete Gremien als Instrumente der Medien-Selbstkontrolle entstanden mit den Rundfunk- und Fernsehräten zur Vernetzung von öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten mit der Zivilgesellschaft und zur unabhängigen Bearbeitung von Programmbeschwerden. Hinzu kommt der Deutsche Werberat153, der sich naturgemäß nicht an journalistischen Grundsätzen der Wahrheit und Informationspflicht ausrichtet.154 Im Bewusstsein dafür, dass auch Werbung in besonderer Weise eine prägende Funktion für öffentliche Kommunikation und Gesellschaftsprozesse eigen ist, richtet sich hier die Kontrolle auf Fragen wie die Frauenfeindlichkeit155, Herabwürdigung von Minderheiten oder auf die Vermeidung von „Schleichwerbung“, also der erkennbaren Trennung von journalistischem Angebot und Werbung.

Da sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Grenzen dieser Mediensegmente kaum noch eindeutig ziehen lassen, zeigt sich zunehmend Klärungsbedarf. Überlegungen zu einer alle Medien umfassenden „Stiftung Medientest“156 haben dies zum Ausdruck gebracht.

Unter dem Begriff der Medienethik157 haben sich unterschiedliche Arbeitsfelder und verschiedene Fragestellungen entwickelt, die hier vor allem exemplarisch aufgezeigt werden sollen: ethische Fragen in der Werbung,158 ethische Fragen im Umgang mit Bildrechten und bildethische Reflexionen,159 Manifestierungen von gesellschaftlicher Ungerechtigkeit in der Verstärkung von Geschlechterstereotypen160. Nicht erst in Fragen des Jugendschutzes wird im Hinblick auf Gesetzgebung wie auch in der medialen Selbstkontrolle das Bewusstsein für Wirkungen von Medien und öffentlicher Kommunikation reflektiert.161

Ein besonderes Feld stellen medienethische Fragestellungen im Bereich des Internets und insbesondere der Social Media dar. Aufgrund der jungen Entwicklungsgeschichte ergeben sich viele Fragen, die nicht zuvor schon in ähnlicher Weise gesellschaftlich geklärt werden konnten und Bestandteil einer „Ethik im digitalen Zeitalter“162 sind:

a) der Umgang mit einer Fülle von personenbezogenen Daten, die bei einzelnen Unternehmen gesammelt, für wirtschaftliche Zwecke genutzt oder als Ware Dritten angeboten werden,

b) die Frage von rechtlicher und ethischer Verantwortlichkeit163 weitgehend eigenständig agierender Technik,

c) die Internationalität im Umgang mit Datenschutzbestimmungen,

d) die Suchtgefahren bei internetgestützten Spielen,164 Glücksspiel und Pornografie,165

e) der Umgang mit Anonymität insbesondere im Hinblick auf Straftaten im Bereich des „Darknet“,166

f) die Ausgestaltung des Jugendschutzes in Werbung167 und Film,

g) die mangelnde Transparenz von ökonomischen Interessen innerhalb der verschiedenen Digitalformate und die Auswertung von konsumentenbezogenen Daten,

h) die Wahrung von Urheber_innenrechten,168 für die im Jahr 2017 bei der Interessenvertretung von Autor_innen und Verlagen, der VG-Wort, neue Regelungen gefunden werden konnten.

Um die gesellschaftliche Diskussion dieser Fragestellungen zu forcieren und innerhalb der EU-Staaten zu einer abgestimmten Gesetzgebung zu finden, wurde im Jahr 2016 eine „Digitalcharta“ entwickelt, in der Grundsätze für ethische Bestimmungen zur Digitalität formuliert und in das EU-Parlament eingebracht wurden (www.digitalcharta.eu). Der Diskussionsprozess dazu hält weiter an und kann in einer eigenen Internetpräsenz beobachtet und auch mitgestaltet werden.

Neben dieser Reihe von gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen, die auf nationaler und auch auf internationaler Ebene bislang noch der Klärungen und der öffentlichen Meinungsbildungsprozesse bedürfen, gibt es auch eine Reihe medienethischer Fragen, die weniger in der Öffentlichkeit präsent sind und kaum auf eine rechtliche Regelung abzielen. Dazu gehört die Frage, wie angesichts von ökonomischen Zwängen, unternehmerischen Fusionen und der personellen Reduzierung von Redaktionen Qualitätsjournalismus als wichtiger Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft gewährleistet werden kann. Des Weiteren: Wie wird der pietätvolle Umgang mit Menschen, die ein Selbstbestimmungsrecht nicht wahrnehmen können oder nicht mehr haben, in einer Gesellschaft konsensfähig gestaltet (z. B. bei der bildlichen Darstellung von Unfallopfern oder in der Kriegsberichterstattung)?

Ein profiliert theologischer Beitrag zu Fragen der Medienethik wurde von Johanna Haberer mit der Formulierung von „10 Geboten für die digitale Welt“169 vorgelegt, in denen vor allem eine ausgeprägte Skepsis gegenüber den Social Media erkennbar wird.

Aktuelle Beschäftigungen mit medienethischen Fragestellungen und Problemfeldern aus katholisch-theologischer Perspektive finden zunehmend in der Zeitschrift „Communicatio socialis“ statt. Bereits 1968 von dem Theologen und Publizisten Franz-Josef Eilers gegründet, wurde die Zeitschrift 2013 in einer Profilierung auf die Medienethik spezifischer ausgerichtet.170

Intensive gesellschaftliche Diskussionen um das Vertrauen gegenüber Informationsangeboten im Internet entstanden bereits in den 1990er-Jahren im Umgang mit dem Online-Lexikon Wikipedia, das sich in kurzer Zeit als allgemein zugängliche Informationsquelle etablieren konnte, in Wissenschaft und Lehre jedoch aufgrund seiner Anfälligkeit für Manipulationen auf starke Vorbehalte traf.171

Auch mit dem Erstarken populistischer Parteien in einer ganzen Reihe westlicher Gesellschaften entstanden gegenüber etablierten Medien eine breit aufgestellte Kritik und der Verdacht der interessegeleiteten Auswahl von Informationen. Diese Auswahl von Informationen ist Bestandteil jeder redaktionellen Arbeit und erzeugt immer wieder Spekulationen über offene und verdeckte Motive für entsprechende Prioritätensetzungen:

Die negative Einschätzung klassischer Medienformate und die Bevorzugung direkter Kommunikation in Social-Media-Formaten, wie z. B. Twitter, bewirken in der Regierungszeit des US-Präsidenten Donald Trump ein gesteigertes Problembewusstsein im Umgang mit Medien.

Neben der geschilderten strategischen Auswahl von Informationen gehören auch lancierte Falschmeldungen, sogenannte „Fake News“, zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Ereignissen. Mit der karikaturesk beschönigenden Umschreibung „alternativer Fakten“ markieren „Fake News“172 nichts anderes als die altbekannten Phänomene von Lügen, Fälschungen und Betrug. Werden diese Phänomene und ihre Auswirkungen auf gesellschaftliche Debatten und konkrete Regierungsarbeit in der Fokussierung auf digitale Medien besonders dramatisch dargestellt, zeugt dies auch von Geschichtsvergessenheit. Das anschaulichste Beispiel liefert hier ausgerechnet die Kirchengeschichte mit der „Konstantinischen Schenkung“. Es handelt sich um eine um 800 n. Chr. gefälschte und auf das Jahr 315 n. Chr. datierte Urkunde, mit der Kaiser Konstantin I. der Kirche bzw. Papst Silvester I. von Rom und all seinen Nachfolgern große Territorien Mittelitaliens überlassen haben sollte. Der auf die Fälschung aufbauende Betrug konnte maßgeblich zum Aufbau der weltlichen Macht des Papstamtes und zur Rechtfertigung der dominanten Position des Patriarchates von Rom gegenüber den östlichen Teilen der Kirche (insbesondere gegenüber dem Patriarchat von Konstantinopel) beitragen. Damit ist die „Konstantinische Schenkung“ ein Inbegriff der menschlichen Erfahrung, dass Fälschungen und Lügen wohl zu allen Zeiten gerade auch in alltäglichen Lebensvollzügen173 unabhängig von ihrer moralischen Bewertung menschliches Zusammenleben geprägt haben. Fake News sind also kein spezifisches Phänomen des 21. Jahrhunderts oder der digitalen Medien, ihre Wahrnehmung und Diskussion erfolgt jedoch mit einer zunehmenden Sensibilität, da die neu entstandenen Medienformate die Filterfunktion von Redaktionen weitgehend eliminiert haben und allen Interessierten die Möglichkeit bieten, aktiv öffentliche Diskurse mitzugestalten. Daraus leitet sich eine gesteigerte Erwartung an die Transparenz von Medienarbeit, politischen Entscheidungen und der Arbeit von Institutionen allgemein ab, wie auch der populäre Ruf nach Authentizität als Bemühen um Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit in öffentlicher Kommunikation: Die Schwierigkeit der Bewertung von verlässlichen Informationen erzeugt Unsicherheitserfahrungen („Auf wen ist noch Verlass, wenn sich selbst seriöse Informationsquellen widersprechen?“). Diese Unsicherheit legt zunächst eine Grundhaltung des Verdachtes nahe, der sich kaum durch eigene Überprüfungen ausräumen lässt, als Medienkritik formuliert wird und dabei in extreme Ausformungen von Verschwörungstheorien174 übergeht. Demgegenüber stellen der Ruf nach Transparenz175 insbesondere gegenüber Institutionen und die damit einhergehende Vulnerabilität die Spiegelung der eigenen Verunsicherung dar. Der Ruf nach Authentizität176 von Entscheidungsträger_innen und Informant_innen ist daneben die einzig verbleibende Form der Vergewisserung und Absicherung. Er ist der fast verzweifelte Versuch, einen verlässlichen Realitätsbegriff zurückzugewinnen.177 Der zunehmende Stellenwert von Transparenz und Authentizität zeigt sich damit auch als markantes Ergebnis medialer Entwicklungen. Ob sich die Kirchen als Institution und ihre Amtsträger diesen Erwartungen stellen, etwa im transparenten Agieren bei Skandalen oder im Umgang mit kirchlichen Finanzen, wird vielen Zeitgenossinnen zum Ausweis ihrer Demokratiefähigkeit. Eine unmittelbare Konsequenz für kirchliche Kommunikation und den Verkündigungsdienst ergibt sich aus der gesteigerten Erwartung an Authentizität, insofern die Bedeutung des persönlichen Glaubenszeugnisses178 innerhalb der kirchlichen Verkündigung (z. B. bei der Predigt, aber auch bei kirchlichen Sendungen) an Bedeutung zunimmt.

Im theologischen und kirchlichen Bemühen um Fragestellungen der modernen Medien fällt auf, dass es zu ausgeprägten Einseitigkeiten der medienethischen Themenfelder kommt: etwa die medienethische Profilierung von wissenschaftlichen Instituten und Lehrstühlen oder die medienethische Ausrichtung von diözesanen und überdiözesanen Einrichtungen. Dies zeugt in der Regel einerseits davon, dass deren gesellschaftliche Prägekraft vor allem hinsichtlich ihrer problematischen Aspekte wahrgenommen wird.179 Es ist andererseits Ausdruck einer problematischen Reduzierung der kirchlichen Verkündigung auf moralische und ethische Fragestellungen, die seit der Mitte des 20. Jahrhunderts für die öffentliche Wahrnehmung der katholischen Kirche auf fatale Weise dominierend geworden ist und den Eindruck einer – freilich kaum mehr akzeptierten – „Moralagentur“180 erzeugt. Die Veröffentlichungen der Deutschen Bischofskonferenz wie auch die Einrichtung von Institutionen zeugen von dieser Einseitigkeit und sind damit womöglich Ausdruck von Verunsicherungen und Ressentiments insbesondere gegenüber digitalen Medien auf kirchenleitender Ebene.181

Zugleich stellt die hohe Innovationsgeschwindigkeit der digitalen Medien staatliche Gesetzgebung wie auch die allgemein ethischen Reflexionen vor die Herausforderung je neuer Bewertungen und Einschätzungen. Von dieser Herausforderung sind keine gesellschaftlichen Bereiche ausgenommen, wie z. B. die Vorgaben von kirchlichen Institutionen wie Caritasverbänden und Diözesen für die Aktivitäten ihrer Mitarbeiter_innen im Bereich der Social Media zeigen.

Die in den Social Media vervielfachte Zahl möglicher Informationsquellen und -formate können für Nutzer_innen (Rezipient_innen) zu einem Überangebot von Nachrichten führen. Die Bewertung unterschiedlicher Informationsquellen und die Reflexion der eigenen, selektiven Wahrnehmung als Grundkompetenz bürgerlichen Medienverhaltens sind damit auch elementarer Bestandteil moderner Medienpädagogik. Gerade im Segment der Social Media verschmelzen zudem die klassischen Rollen von Anbieter_innen und Nutzer_innen. Frühere Monopolstellungen zur Steuerung von öffentlicher Kommunikation sind dadurch obsolet geworden, wie sie beispielsweise für die staatlichen Sicherheitsbehörden wie die Polizei im Rahmen eines Katastrophenfalls akzeptiert waren. Niemand käme auf die Idee, im Rahmen eines Amoklaufes, wie er 2016 in München stattfand, sich durch eine polizeilich verordnete Nachrichtensperre am Posten von Bildern hindern zu lassen. Daraus entstehen nicht nur für staatliche Institutionen Anfragen an die Sicherheitsstruktur einer Gesellschaft. Die Möglichkeiten zur Veröffentlichung von Fotos, Audio- und Videoaufnahmen oder einfachen Statements von jedermann/–frau zu jeder Zeit nivelliert sehr weitgehend traditionelle Autoritäten: Hochschuldozent_innen, deren Vorlesungen aufgenommen und veröffentlicht werden; Prediger_innen und Liturg_innen, deren Gottesdienste im Livestream übertragen werden. Sie alle erleben die Ambivalenz eines potenzierten Wirkradius und damit die Aufwertung des gesprochenen Wortes durch zeitnahe Veröffentlichung.

Versuche, mit dem „Recht am eigenen Bild“ widerstrebende Rechte miteinander abzustimmen, erscheinen eher hilflos.

Verbunden ist mit der Nivellierung traditioneller Autorität eine Pluralisierung und Zunahme derer, die Informationen veröffentlichen.182 So ist die Autoritätsnivellierung mit einer Demonopolisierung von Redaktionen und journalistischen Berufen verbunden.183 Jeder und jede kann sich aktiv zu jedem Sachverhalt öffentlich äußern und damit den persönlichen Wirkradius der eigenen Meinung erweitern. Der Soziologe Hartmut Rosa hat darauf verwiesen, dass insbesondere digitale Medien deshalb durch zwei Effekte bestimmt sind: die Beschleunigung184 (gesellschaftlich wie auch persönlich) und das Bemühen um Resonanz185.

Die katholische Kirche und die Medien

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