Читать книгу Anea - Wolfgang Greuloch - Страница 4
Heats
ОглавлениеAls Anea den Bergkegel in der Ferne sieht, weiß sie, dass dieser Berg, der die anderen Erhebungen in seiner Umgebung deutlich überragt, ihr Ziel ist. Rauchschwaden treten aus seinen Flanken aus und steigen in die Höhe, so als wollte er eine Verbindung mit dem Himmel über sich schaffen. Ein dunkler Riese, wie ein Wächter über seine Nachbarn um ihn herum, der auch seine besondere Stellung belegt, weil er keine streifenförmigen weißen Felder auf seinem Rücken zeigt.
Anea wandert weiter. Das Gelände vor ihr ist ohne Herausforderungen, trockensteinig und hügelig. Sie muss einen Umweg laufen, um zwischen zwei felsigen Bergkämmen hindurch zu kommen, aber das Ziel bleibt im Sichtfeld. Irgendwann steht sie am Fuß des Berges, schaut nach oben, die Rauchschwaden sind dichter geworden und hüllen den Gipfel ein.
Sie muss da hoch. Es ist das Land der Heats, sie weiß es nun.
Der Aufstieg führt über scharfkantige, dunkelbraune Steine von unregelmäßiger Größe, manchmal zu größeren Haufen zusammengepresst, die anders sind als die Steine in den Bergen vorher und auf der Hochebene, die sie durchquerte. Die Stiefel aus den Blättern des Clantusbaums schützen ihre Füße. Sie sucht aber auch Trittstellen, die ihr einigermaßen flach erscheinen und Halt bieten. Plötzlich speit eine Spalte eine Rauchfontäne aus. Sie verharrt. Ist das eine Gefahr? Ist das eine andere Art des Molochs, den sie schon erlebte? Der Rauch bleibt träge in der Luft hängen, es kommt Nachschub aus der Spalte. Sie wandert weiter, ändert aber ihre Richtung, umgeht diese Stelle.
Anea weiß nicht, wie nahe sie dem Berggipfel ist, denn der Rauch kriecht den Berg hinab, ihr entgegen, es scheint, als wollte er sie am Aufstieg hintern. Bald ist sie vollständig in diesem grautrüben Nebel eingehüllt. Sie bleibt stehen, sie kann zwar noch einige Schritte weit sehen, aber etwas gemahnt sie abzuwarten. Sie hört Geräusche aus der Nebelwand, zischende, prasselnde, knisternde Laute. Der Nebel zieht zur Seite und gibt die Sicht auf drei schlanke, aufrecht stehende Säulen frei. Die Säulen scheinen aus dem gleichen dunkelbraunen Material zu sein, über das sie bisher gelaufen ist, sie sind größer als sie und bewegen sich jetzt. Sie sind es. Sie geben diese seltsamen Geräusche ab. Anea erkennt, die Säulen tauschen Informationen aus.
Anea geht langsam näher und sagt:
„Mein Name ist Anea. Der Creator schickt mich, um mit euch zu reden.“
Nichts geschieht.
Dann wieder prasselnde und knisternde Laute, eine Säule kommt in Bewegung, macht einen Schritt vorwärts. Jetzt sieht Anea, dass die Säule eine Körperstruktur besitzt, denn der Unterbau teilt sich für den Schritt nach vorne. Drei Schritte Distanz liegen zwischen Anea und der Säule. Sie erkennt eine Art Kopf, indem aus zwei Vertiefungen ein schwaches Glimmen dringt, ein Korpus und Arme, eine Erscheinung aus dunkelbraunen, unregelmäßig gebrochenen Steinen. Und es faucht sie an. Dabei legt es eine Öffnung frei, aus der ein heller Schein dringt.
„Was suchst du hier? Was willst du? Wer ist der Creator?“
Anea versteht die Fragen. Wer ist der Creator? Sie weiß darauf keine Antwort. Aber er beauftragte sie und so sagt sie:
„Der Creator schickt mich, um zwischen den Heats und den Colds Frieden zu stiften.“
Anfangs herrscht Schweigen zwischen den Heats, aber dann zischen und prasseln sie durcheinander. Schließlich sagt der eine, der vor Anea steht:
„Komm mit!“
Die Rauchschwaden um sie herum werden dünner, im Berg öffnet sich ein Schlund. Die Säulen marschieren auf den Schlund zu, der Heat, der Anea aufforderte mitzukommen, bewegt sich hinter ihr. Es ist kein Gehen, mehr ein ruckartiges Vorwärtsschieben. Die Kolonne durchquert die Öffnung, es wird schlagartig dunkel, was aber diese Heat-Wesen nicht daran hindert, in ihrem eigentümlichen Gang weiter zu marschieren. Aneas Augen regulieren sich rasch auf das fehlende Licht, sie erkennt die schattenhaften Umrisse ihrer Vorderleute. Die Kolonne wandert tief in den Berg hinein, bis irgendwann ein schwaches Glimmen in der Ferne zu sehen ist. Sie schreiten in einen gewaltigen Felsendom, der mit vielen Heats bevölkert ist, die zusammenstehen oder Anea unbekannten Tätigkeiten nachgehen. Das schwache Glimmen kommt an verschiedenen Stellen aus dem Berg selbst, um die sich die Heats besonders drängen.
Die Kolonne geht weiter, keiner der anderen Heats nimmt sie zu Kenntnis. Sie verlassen den Dom, gehen weiter durch Tunnel, durchqueren weitere Dome und gelangen schließlich in eine Felsenhöhle, die besonders hell erscheint. Hier glänzen Bergkristalle im Fels, reflektieren matt die wenigen Lichtstrahlen, die sie empfangen. Die gesamte Höhle ist von einem merkwürdigen Schein erfüllt, der noch durch einen wabernden Dunst getrübt wird. Hier stehen und sitzen etliche Heats in Gruppen und auch einzeln herum, die sofort auf die Kolonne aufmerksam werden und die Köpfe den Ankommenden zu wenden. Anea kann das an den verhalten glimmenden Vertiefungen erkennen.
Diese Heats wirken anders. Sie tragen helle Steine auf der Brust, die in Höhe der Schultern breit angeordnet sind und zur Mitte des Körpers keilförmig zulaufen. Andere tragen einen oder mehrere Steine am Kopf, die den Schein des spärlichen Lichts glitzernd zurückwerfen. Einer dieser Kopfsteinträger tritt nach vorne, die Kolonne hält an. Der Anführer, der Anea ansprach, berichtet fauchend, knisternd.
Anea versteht das Gesagte.
„Diesen Eindringling haben wir in Sektor Zchi aufgenommen. Einen Eindringling in dieser Form haben wir noch niemals gesehen. Er sagt, er sei geschickt worden, um Frieden zwischen Heats und Colds zu schaffen. Von wem er geschickt wurde, konnte er nicht sagen. Wir haben ihn mitgebracht, damit er diesen Umstand unseren Weisen erklären kann.“
„In Sektor Zchi?“, knisternd faucht der Angesprochene zurück, „Soweit konnte der Unbekannte vordringen, ohne dass er ihn daran gehindert habt?“
„Wir haben ihn bei seinem Aufstieg beständig beobachtet. Er ist allein und auch kein Cold. Er stellt keine Gefahr dar“, erklärt der Kolonnenführer.
„Ob er eine Gefahr darstellt, diese Bewertung überlass uns. Das ist nicht deine Aufgabe. – Was hat der Eindringling gesagt, er wolle Frieden stiften zwischen den Heats und Colds?!“
Die umstehenden Heats zischen knisternd. Lachen sie?
„Wer hat dich damit beauftragt?“, wendet sich nun der Wortführer an Anea.
„Der Creator übertrug mir diese Aufgabe, und ich werde sie erfüllen.“
Die Heats verstehen Anea. Das zischende Knistern wird lauter.
„Wie willst du das tun?“
„Das weiß ich nicht, aber die Stimme wird es mir sagen, wenn es soweit ist.“
„Welche Stimme?“
„Die Stimme, die manchmal zu mir spricht.“
„Du scheinst ein Fall für unsere Priesterweisen zu sein. Aber vielleicht bist du ein Spion, geschickt von den Colds, um uns auszuforschen. Bist du ein Spion?“, fragt der Heat mit dem glitzernden Stein im Kopf mit lautem Zischfauchen.
Was ist ein Spion? – Nein, sie ist kein Spion.
„Nein, ich bin kein Spion“, sagt sie.
„Du bist ein getarnter Kundschafter, geschickt getarnt, um uns auszuforschen, zu sehen, wie wir uns auf den nächsten Ansturm der Colds vorbereiten. Gib es zu und wir verschonen dich.“
„Ich bin gekommen, um Frieden zwischen euren Völkern zu stiften. Nichts anderes ist der Grund“, sagt Anea.
„Ja, ja, das wissen wir jetzt, aber es gibt keinen Frieden zwischen uns, niemals“, sagt der Wortführer, und zu einem anderen Heat gewandt: „Ruf den Ersten Priesterweisen herbei.“
Es dauert eine Weile, bis der Erste Priesterweise erscheint. Ihm wird berichtet; der Wortführer fragt ihn:
„Hast du jemals eine Erscheinung in dieser Form gesehen?“
„Noch niemals. Wir kennen nur einige Kreaturen, die in den Bergen leben. Die kleinen Kreaturen leben von Wurzeln, sie sind zahlreich. Die größeren nehmen die kleinen als Nahrung, sind aber weniger zahlreich. Aber eine Erscheinung in dieser Art, ist mir auf meinen Wanderungen nicht begegnet“, stellt der Priesterweise fest.
„Wo kommst du her? Wo ist deine Welt?“, fragt er Anea.
„Ich komme aus der Welt, die hinter den Bergen liegt, aus dem Wald. Ich bin viele Sonnenaufgänge gelaufen, um zu euch zu gelangen.“
„Es gibt keine Welt hinter den Bergen. Ich bin selbst viele Male, viele Sonnenaufgänge gewandert, und habe nie etwas anderes gefunden als die Berge. Unsere Welt ist umschlossen von der Welt der Colds, und die ist für uns undurchdringlich.“
„Dann täuscht dieses Wesen etwas vor, was es nicht gibt. Es muss ein Kundschafter der Colds sein“, stellt der Wortführer fest.
Der Erste Priesterweise geht um Anea herum, betrachtet die fremde Erscheinung von allen Seiten, von Kopf bis Fuß.
„Es ist glatt, trägt Farbe, aber nicht die Farbe der Colds, und besitzt eine seltsame Fratze als Gesicht, einen komischen Pelz an der höchsten Stelle. Es ist kaum anzunehmen, dass die Colds eine Tarnung dieser Art erschaffen würden.“
„Aber wenn unsere Feinde das nicht können, wer soll es sonst können. Und warum?“
Kein Heat gibt eine Antwort auf diese Frage.
„Warum machen wir eine schwierige Sache aus dieser Angelegenheit? Wir werfen den Eindringling in das steinerne Wasser!“, faucht einer der umstehenden Heats.
Der Priesterweise hebt eine seiner unförmigen Extremitäten.
„Ich schlage vor, wir machen einen Test. Wenn es ein Kundschafter der Colds ist, wird es zergehen. Dann wissen wir es genau.“
Und er schildert, wie dieser Test ausgeführt werden soll. Der Wortführer winkt einige Helfer herbei, der Priesterweise erteilt ihnen Anweisungen. Anea soll sich in eine Ecke setzen, wird ihr angedeutet. Die Heats fahren mit ihrer Diskussion und Unterhaltung fort. Niemand nimmt von dem unbekannten Wesen Notiz, bis eine Gruppe von mehreren Heats die Höhle betritt und dem Priesterweisen Bericht erstattet. Sie fordern Anea auf mitzukommen, führen sie durch verwinkelte Gänge, auch der Priester ist dabei, bis sie eine kleine Felsenkammer erreichen, die Anea betreten soll. Eine dunkle Kammer, die nur schwach durch einen Lichtschein aus einem Bodenkanal, der am Rand der Kammer entlangläuft, erhellt wird. Die Heats lassen Anea zurück, der Eingang wird knirschend verschlossen, Anea ist gefangen.
Nach einer Weile wird der Schein aus dem Kanal heller, eine glucksende wabernde Masse drückt von außen in den Kanal und lässt den Inhalt steigen. Das Licht dieser zäh fließenden Masse wird immer heller, steigt aber nicht über den Rand der Rinne, umschließt die Standfläche von Anea. Das matte Licht dieses Stoffs erleuchtet die Höhle. Anea schaut in diese blassrote bis hellgelbe, blubbernde Masse. Sie kniet nieder, magisch angezogen von diesem Etwas, streckt die Hand aus und empfindet etwas Seltsames, etwas, das sie bisher nie wahrnahm. Etwas geht von diesem hellroten Brei aus, sie spürte es in der Hand, es ist gefährlich, es wird ihr schaden.
Sie zieht die Hand zurück, die Wahrnehmung lässt nach. Sie streckt die andere Hand aus, das gleiche Ergebnis. Je näher sie diesem Brei kommt, umso stärker wird die Wahrnehmung von Gefahr. Sie legt die Hand wieder an den Körper. Bald nimmt sie die Gefahr am ganzen Körper wahr. Diese blubbernde Masse birgt nicht nur Licht, sie birgt noch etwas anderes, ihr Fremdes, etwas, was sie bisher nicht kannte.
Die Wahrnehmung wird immer stärker, sie drückt von allen Seiten auf ihren Körper, ein unsichtbarer Feind, dem sie nichts entgegensetzen kann. Sie empfindet bereits eine Art Lähmung und ihr Instinct-File zwingt sie zur Bewegungslosigkeit.
Das ist der Test.
Aber was soll das Ergebnis sein?
Anea ruft die Stimme.
Sie bekommt keine Antwort. Sie sackt zusammen. Zum Hinlegen ist die Plattform zu klein; sie darf der grellen Masse nicht zu nahe kommen.
Der Mantel!
War das die Stimme? Nein, das war sie nicht. Der Mantel, jetzt darf sie ihn benutzen. Sie holt ihn aus der Tasche. Für die Heats ist alles an ihr Eins, sie können die Tasche nicht von ihrem Kleid unterscheiden. Mühsam streift sie den Mantel über, vorsichtig schlägt sie die Kapuze über den Kopf, legt die Arme auf die Knie und den Kopf darauf.
Bald merkt sie die nachlassende Wahrnehmung der Gefahr. Der Mantel schützt sie. Langsam weicht das seltsame Empfinden, die von dem Licht ausgehende Lähmung lässt nach. Nach einiger Zeit wagt sie, in Richtung Kanal aufzublicken. Sie sieht, der Lichtschein ist schwächer geworden, die Masse fließt kaum noch, wälzt sich nur noch träge vorwärts, die Oberfläche weist dunkle Flecken auf, gibt kaum noch grelles Licht ab. Sie wartet und beobachtet, kann ungefährdet das Gesicht dem Strom zuwenden.
Sie streckt vorsichtig die Hand aus, registriert die Wahrnehmung nur noch schwach. Die Masse im Kanal wird immer dunkler, die dunklen Flecken auf der Oberfläche haben zugenommen, bald geht nur noch ein schwacher Lichtschein von ihr aus, der gerade ausreicht, um in der Felsenzelle eine Orientierung zu ermöglichen. Anea faltet den Mantel zusammen und steckt ihn in die Tasche.
Bald danach läuft der Fels auseinander und gibt den Eingang frei. Ein matter Schein dringt von außen in die Zelle, der Erste Priesterweise betritt die Höhle.