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Verfolgung

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Anea bricht auf. Sie muss nicht besonders vorsichtig sein, ein gewisser Sicherheitsabstand genügt, denn die Yps haben keine Eile, treffen keine Maßnahmen gegen eine Verfolgung, weil sie keine befürchten.

Anea nutzt die natürlichen Gegebenheiten des Geländes, um nicht gesichtet zu werden. Der Trupp marschiert auf die Berge zu, die Hänge werden steiler, Täler werden zu engen Schluchten, Steilwände ragen auf. Mit den Kindern kommt der Trupp nur langsam voran.

Und dann wird es ganz plötzlich dunkel. Die Licht spendende Sonne ist verschwunden, ein anderer Himmelskörper wacht über die Welt, ein seltsames sichelförmiges Etwas, das nur wenig mattgraues Licht verschenkt.

Der Mond?

Ja, der Mond!

Der Yps-Trupp kommt zur Ruhe, rastet zwischen Nadelbäumen auf moosbedecktem Boden.

Sie zünden ein Feuer an. Die Kinder werden an den Füßen zusammengebunden und dürfen sich ausruhen und auf den Waldboden legen. Die Yps-Wesen packen derweil Steinkrüge aus, die in Lederbeuteln geschützt sind, und lassen sie untereinander kreisen. Die Stimmung ist gut, sie sprechen lautstark miteinander, in einer schrill-heiseren Sprache, die Anea nicht versteht. Sie stellen keine Wachen auf, sie erwarten keine Bedrohung.

Anea sucht einen Platz oberhalb des Lagers. Hinter einem Baum geschützt, vertraut sie auf die besondere Fähigkeit ihres Mantels, die sie schon während ihrer Wanderung sehen konnte, aber jetzt in ganz besonderem Maße erfährt. Der Mantel bildet die Farbe und Rindenstruktur des Baumes ab, gegen den sie sich mit dem Rücken lehnt. Er funktioniert so wie Larus es erzählte. Anea will warten bis der Trupp seinen Weg fortsetzt. Sie braucht keinen Schlaf, schließt aber trotzdem die Augen, aber ihre Wahrnehmung ist ununterbrochen.

In der Nacht erschallen seltsame Geräusche, ein piepsend forderndes Rufen, die dunkle kauzige Antwort, das Knacken von Ästen und Blattwerk mit anschließendem Getrampel eines fliehenden Tieres. Der Mond ist verschwunden. Ein matter, silbriger Schein kündigt den neuen Tag an.

Anea hört die schnarrenden Geräusche der Yps-Wesen, die sie im Schlaf ausstoßen. Sie geht vorsichtig an das Lager heran, will nach den Kindern sehen, sieht sie einträchtig auf dem weichen Waldboden beieinander liegen und schlafen. Sie sind an den Füßen gefesselt, und die Enden der Stricke laufen zu ihren Bewachern. Anea wirft einen Blick auf die in dunkle Jacken und robuste Beinkleider gehüllten Yps, die ihre helmartigen Kopfbedeckungen abgelegt haben, die knochigen Gesichter mit dunkelgrauer Erde bemalt, die Keulen und Stangen griffbereit neben sich. Die Stangen laufen an einer Seite spitz zu.

Anea geht langsam zurück, darauf bedacht, auf keinen trockenen Zweig zu treten, der unter ihrem Fuß zerbrechen könnte. Das Licht des neuen Tages nimmt zu, die Wesen werden unruhig, sie wachen auf. Der Erste erhebt sich, reckt seine Glieder, stößt einem seiner Kumpanen mit dem Stiefel in die Seite, artikuliert herrisch ein Kommando, zerrt die Kinder an den Stricken hoch, die schlaftrunken und müde auf die Beine kommen.

Aber den anderen Yps geht es nicht besser, auch sie brauchen eine Zeit, bis sie richtig wach sind. Sie greifen in ihre Beutel, holen etwas hervor, beißen ein Stück davon ab und kauen. Sie geben den Kindern einige Stücke ab.

Dann setzt der Trupp seinen Marsch fort. Anea folgt ihm. Sie marschieren gegen eine Steilwand, ein schmaler, gefährlicher Weg führt nach oben. Die Kinder sind jetzt getrennt. Jedes besitzt einen Aufpasser, der darauf achtet, dass keines den steilen Abhang hinunterfällt. Anea muss mehr Distanz halten, auf diesem Weg gibt es nur wenig Deckung. Ihr Mantel hilft ihr, aber macht sie nicht vollkommen unsichtbar. Plötzlich hört sie keine Stimmen mehr, nicht die Sprache der Yps, noch das Stöhnen der Kinder, die immer angetrieben werden müssen.

Anea verharrt, lauscht. Lauscht auch in ihr Inneres, aber sie bekommt kein Zeichen. Keine Stimme, welche ihr sagt, vorsichtig zu sein oder vielleicht umzukehren. Vielleicht ist die innere Stimme verstummt und teilt ihr nichts mehr mit?

Sie lugt um die nächste Ecke, der Pfad führt weiter an der Steilwand entlang, aber der Trupp ist nicht zu sehen. Anea geht weiter, bereit sich schnell zurückzuziehen. Aber keine Yps stürzen plötzlich hintereinander auf sie zu. Sie ist allein. Oder wird sie beobachtet? Wenn ja, woher? Aus welcher Deckung heraus? Hier gibt es keine Deckung, außer vom Rand der Steilwand. Anea hebt ruckartig den Kopf, schaut nach oben. Nichts.

Sie geht weiter, immer weiter. Plötzlich steht sie am Ende des Pfades. Büsche und Sträucher versperren den Weg, bis sie sieht, dass in den Felsen ein schmaler Durchgang besteht. Sie schiebt die Zweige und Äste beiseite und zwängt sich in den Spalt, der aber für ihre Größe gut zu bewältigen ist. Einige Meter schwieriges Gehen, bücken und kriechen und dann ist der Durchgang geschafft, der Pfad wird breiter und ist wieder normal begehbar. Sie eilt schnell weiter und bald hört sie Stimmen, die von den eng stehenden Schluchtwänden zurückgeworfen werden.

Sie hat den Trupp wieder eingeholt.

Die Schlucht wird weiter, der Weg steigt an. Findlinge liegen verstreut umher, werden größer. Es scheint, als hätten Riesen die gewaltigen Steine den Abhang hinuntergerollt. Zum Spaß oder zur Abwehr von Feinden, die es geschafft haben, durch den geheimen Zugang zu kommen?

Anea sieht die hinten laufenden Yps. Jetzt ist sie auf Sichtweite heran und kann normal folgen. Aber ihre Verfolgung geht dem Ende entgegen, denn einige Höhenmeter über ihnen, an einem mit Bergkiefern und Unterholz bewachsenen Hang, schallen dem Trupp laute Rufe entgegen. Dort sind weitere Yps. Und scheinbar hat der Trupp mit den Kindern sein Ziel erreicht, den Eingang zu ihrer ureigenen Welt. Sie wie es Larus erzählte.

Anea wartet ab, sieht den Yps-Trupp einen schmalen Pfad hinaufgehen und hinter Sträuchern verschwinden. Dort muss der Eingang zu ihrer Höhle, zu ihrer Unterwelt liegen. Die heiseren, polternden und lauten Zurufe zwischen den Wachtposten und den Eingetroffenen bestärken Anea in ihrem Eindruck.

Was sollte sie tun?

Abwarten, sie muss die Dunkelheit abwarten und dann die Pforte besichtigen und natürlich herausfinden, wie vielen Wachen vor dem Eingang postiert sind. Aber sie könnte bis zur Dunkelheit den Eingang umgehen und von oberhalb den Pfortenbereich erkunden.

Sie klettert in einiger Entfernung den Hang hinauf, huscht dann in Richtung der Stelle, an welcher sie die Pforte unter sich vermutet. Bald hört sie das Gemurmel von Yps, die Wächter, die vor dem Tor Wache halten. Vorsichtig robbt sie näher, nicht auf den Schutz ihres Mantels vertrauend, und kann bald die Wachen vor dem Eingang auf Baumstämmen sitzen sehen. Zwei.

Sie überblickt nicht den kompletten Vorhof der Pforte, aber es sind nur zwei, die miteinander sprechen. Das heißt aber nicht, dass noch ein Dritter, vielleicht sogar noch ein Vierter, außerhalb ihres Blickfeldes sitzt oder steht. Nach einer gewissen Zeit der Beobachtung ist sie sicher, dass nur zwei Wachen postiert sind. Sie legt sich unter dichtes Strauchgewächs und wartet, bis der sichelförmige Mond die Sonne ablöst und die Dunkelheit Schutz bieten würde.

Aber wie soll sie an den Wachen vorbeikommen? Und sie sieht kein geöffnetes Tor, nur das geschlossene. Nur auf ein Signal der Wächter wird es vermutlich geöffnet.

Soll sie nun warten bis eine andere Truppe eintrifft, um das Signal herauszufinden? Vielleicht stoßen die Wächter auch lautstark mit ihren Lanzen gegen das Holz und andere Posten im Inneren öffnen. Das wäre die einfachste Möglichkeit. Denn die Yps brauchen keine übertriebene Absicherung ihrer Heimat. Sonst hätten sie schon am Zugang der Schlucht Wachen aufstellen müssen.

Bald bricht die Dunkelheit herein. Anea hört knarrende Geräusche und Stimmen. Wird die Pforte geöffnet und die Wachen verstärkt? Vorsichtig geht sie näher heran, vertraut in der Dunkelheit und im Schatten der Bäume der Tarnung des Mantels. Die Yps unterhalten sich, tauschen Botschaften aus. Etwas Seltsames geschieht. Anea glaubt, einige Sprachfetzen zu verstehen, einige Wortbrocken, manchmal auch etwas Zusammenhängendes. Sie lauscht angestrengt. Ja, die Yps redeten über die ‚Kleinen’, die der heutige Trupp anschleppte. Aber – aber nur drei. Keine Zwölf, wie der andere Trupp. Dieser Trupp bekommt eine Sonderration Yaqui. Und so geht das Gespräch weiter: Einer beklagt den ewigen Wachdienst, er will auch wieder mitmarschieren, Icks drangsalieren und Kinder fangen, damit er auch eine Sonderration Yaqui erwerben könne. „Aber du bist zu alt“, sagt ein anderer zu ihm. „Du taugst nicht mehr dafür.“ Anea hört eine brummige Antwort, die sie nicht erahnt. Aber sie versteht Wesentliches aus dem Gespräch.

Das knarrende schabende Geräusch verrät Anea, dass das Tor wird geschlossen wird. Sie weiß aber immer noch nicht, wie das Signal gegeben wird. Aber die Ablösung kam von innen, da braucht es kein Signal. Sie wartet. Nach einiger Zeit hört sie schnarrende Geräusche, die sie in der Nacht zuvor von den schlafenden Yps hörte. Das verrät, die Yps-Wesen schlafen. Sofort schleicht Anea ein Stück den Hang hinunter und tritt näher. Jetzt muss der Mantel zeigen was er kann, ob er einen Vorteil bringt, zumal in der Dunkelheit. Sie tritt näher. Die Wachen hocken vor den Baumstümpfen, auf denen sie tagsüber saßen, jetzt lehnen sie mit dem Oberkörper dagegen und schlafen.

Zum ersten Mal sieht Anea die Pforte, eine eisenbeschlagene Holzpforte, mit einem halbrunden Oberteil, bestehend aus zwei Flügeln. Die Holzflügel sind am Rand sauber mit behauenen Steinen eingefasst. Anea sieht keinen Riegel, der Riegel sitzt innen. Eine Seite besitzt eine kleine Öffnung, die man von innen öffnen und verschließen kann. Jetzt ist sie verschlossen. Sie versucht, die kleine Holzlade aufzudrücken. Vergeblich. Nach oben zu schieben. Ohne Erfolg. Sie ist von innen fest verankert.

Anea muss auf die nächste Ablösung zu warten, wenn es in der Nacht noch eine gibt. Sie setzt sich dicht neben einen Flügel, den Mantel über ihren Kopf gezogen, so dass sie weitgehend getarnt ist. Der Mantel verschmilzt mit der Dunkelheit, nimmt die Farbe der Nacht auf, spiegelt das schattenhafte Gehölz der Umgebung.

Anea

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