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Hochmut (Superbia)

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Wie lange mussten wir darben, wie lange wurden wir zu rotweißroten Prügelknaben degradiert. „Immer wieder, immer wieder, immer wieder Österreich“ wurde von der Jubelhymne über lange Jahre zum traurigen Trotzgesang. Zwar konnte man sich nach der WM in Argentinien, die sich tief ins nationale Gedächtnis grub, noch dreimal für eine WM-Endrunde qualifizieren, doch mehr als der eine oder andere Überraschungserfolg gegen eine Großmacht wie Frankreich oder Schweden war in Qualifikations- und Freundschaftsspielen nicht drinnen. Die lange so dominanten Zeitzeugen von Córdoba, namentlich Hickersberger, Prohaska und Krankl, konnten weder als Trainer noch als Experten von der Tribüne etwas daran ändern, dass der Wurm für lange Jahre im Gebälk hauste.

Wir wollen hier Geschichten wie die von der herben Niederlage im März 1999 gegen Spanien gar nicht mehr allzu lange aufwärmen. Obwohl das Statement von Verteidiger Anton Pfeffer nach dem 0:5 zur Pause auf angenehme Weise legendär wurde: „Hoch wer ma’s nimma gwinnen“. Bei aller Liebe zur Selbstironie, aber die Tatsache, selbst gegen Fußballzwerge wie die Faröer jahrelang zittern zu müssen, brachte den einst so stolzen Österreicher fast um den Verstand. Bei jedem Debakel – und der österreichische Vereinsfußball ist auf internationaler Ebene davor nach wie vor nicht gefeit – packt man die Pfeffer’schen Worte gerne wieder aus. Zuletzt im Februar 2016, als Rapid schauderbar gegen den FC Valencia unterging.

Der Autor erinnert sich besonders lebhaft an ein herzerweichendes 1:2 gegen die Ungarn im August 2006 im Liebenauer Stadion zu Graz. Ein anonymer Kommentator auf der Website des Fanclubs Tornados Rapid schildert das Match folgendermaßen:

„Ungarns Fussball auf Klub- und auch Teamebene derzeit so was von am Sand, dass man eventuell hier das aufholen könnte, was gegen Canada nicht geklappt hat. Endlich mal Selbstvertrauen tanken. Aber wenn man glaubt, es geht nicht mehr schlimmer, wird man trotzdem wieder eines (fast unglaublichen) Besseren belehrt. Die vor dem Spiel zum x-ten Mal ausgegebenen Schönrederei-Floskeln hatten auch diesmal keinerlei Hintergrund! Warum wird immer wieder versprochen zu kämpfen, zu rackern und sich das Teamleiberl zu zerreissen und warum passiert dann am Platz immer nichts, gar nichts? Unglaublich leider, man kann diese Ungarn in dieser Besetzung einfach nicht starkreden, selbst in der wenig aussagekräftigen ‚Weltrangliste‘ liegt dieses Team noch weit hinter uns, also was zum Geier ist da los? Torchancen waren so gut wie nicht vorhanden und Ungarn holte sich diesen Sieg mehr als verdient. Ein Unentschieden wäre ein nicht gerechtes Ergebnis gewesen. Trotz allem wurde auch heute versucht, nach dem Spiel wieder reine Wäsche zu waschen, aber so wie heute kann man nicht mal gegen schwächere Gegner antreten ohne sich zu blamieren.“

Was der Beobachter gnädig verschweigt: Als die Ungarn mit 1:2 in Führung gehen, applaudiert mindestens das halbe Stadion dem Gegner – in einer Mischung aus Bitterkeit und Selbstaufgabe. Doch das ist jetzt endgültig vorbei. Pepi Hickersberger ist ebenso in unfreiwilliger Frühpension gelandet wie Didi Constantini und Hans Krankl. Aber wir, wir sind wieder wer. Nicht wenige Fans sprechen schon Monate vor dem Turnierbeginn von einem möglichen Halbfinale, ja selbst das Endspiel ist schon in manchen Mündern. Warum aber schlägt die jahrelange depressive Grundstimmung, die bittere Selbstironie so schnell in ebenso haltlose Euphorie um?

Martin Blumenau, Journalist beim Radiosender FM4 und langjähriger kritischer Beobachter des heimischen Fußballgeschehens, kommentiert die derzeitige Stimmungslage in einem E-Mail-Dialog mit dem Autor dieses Buches folgendermaßen:

„Die Euro-Erwartungen sind deshalb übertrieben hoch, weil der österreichische Fan durch seine Mainstream-Medien keinerlei Bildung erfahren hat, sondern deren manisch-depressives Gezeter nachbetet. Ernsthafte Beschäftigung mit Fußball existiert außerhalb der jungen Webmedien, einiger weniger Print-Ausnahmen wie Kurier und Wiener Zeitung und einiger weniger Fernseh-Experten gar nicht. Im Vergleich zu den deutlich besser informierten Fußball-Kulturen größerer Nationen herrscht blankes Unwissen.“

Dabei ist der geneigte Fan ja keineswegs auf die Berichterstattung der Massenmedien angewiesen, die immer schon mit einer perfiden Mischung aus Halbwissen und Verhaberung brillierten. Es gibt Fußballmagazine wie den „Ballesterer“ und die von Blumenau zu Recht gelobten Web-Portale wie „abseits.at“, „90minuten.at“ oder „ballverliebt.eu“, die durchaus in der Lage sind, fundierte Analysen zu liefern. Auch „laola.at“ macht sich zuweilen die Mühe, genauer hinzuschauen und kritisch nachzufragen. Sie alle bleiben auch dann auf dem Boden, wenn Schönwetterfans und Boulevard-Journalisten in trauter Einigkeit endgültig abzuheben drohen.

Apropos Analyse, wie sehen die Chancen für das österreichische Team bei der kommenden Europameisterschaft denn wirklich aus? Fußballkenner Blumenau ist überraschend optimistisch:

„Das ÖFB-Team kann bei der Euro eine gute Rolle spielen, weil es innerhalb der doch recht großen Gruppe der überraschend qualifizierten Mannschaften (Nordirland, Island, Ungarn, Slowakei, Albanien) gemeinsam mit Wales die höchste internationale Anerkennung genießt, also für voll genommen wird. Wie zuletzt Belgien bei der WM oder mittlerweile die Schweiz. Die Qualität der Koller-Mannschaft ist ihre Variabilität: sie kann schnell umschalten und kontern, sie kann aber auch ein Spiel an sich ziehen und in Ruhe aufbauen, genauso wie sie es langsam machen, einen Vorsprung verteidigen kann. Im Vergleich zu den vielen recht einförmig agierenden Mannschaften im Turnier ist das schon ein echter Wettbewerbsvorteil. Was halt fehlt ist, so blöd das klingt, die Turniererfahrung. Die üblichen Verdächtigen, die alle zwei Jahre ein großes Turnier spielen, kennen jede Situation, geben dieses Wissen immer an die nächste Generation weiter. Für Österreich gilt es jetzt bei dieser Euro eine Art dynastischen Grundstein zu legen.“

Nachspielzeit – Die sieben Todsünden des österreichischen Fußballs

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