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ОглавлениеHannes Schiel
*1914, Wien
Der berühmte Ernst Waldbrunn gab mir in seinem Theater eine kleine Rolle in Der Hexer von Edgar Wallace. Ich hatte noch ein gutes Gedächtnis und konnte in 24 Stunden jede Rolle lernen.
Als Kind schon wollte ich Schauspieler werden. Mein Vater war deshalb böse mit mir. Er war Berufsoffizier und meldete sich 1914 freiwillig an die Front. Er kam in russische Gefangenschaft, vier Jahre galt er als vermisst. Wegen seines Manikürtäschchens hatte er den Russen vormachen können, er sei Arzt. Deshalb kam er frei. Als Arzt war er bei den Russen ein großer Herr. Eines Tages stand er in der Tür, in Armeemantel, mit Pelzkappe und Bart. Eine meiner Cousinen empfing ihn weinend, weil ihr Mann in den letzten Kriegstagen eingerückt war und auf dem Schlachtfeld verloren ging.
Mein Vater starb früh. Erst nach seinem Tod konnte ich mich ganz der Schauspielerei widmen. Er war mir gegenüber oft rüde, erst mein späterer Vormund akzeptierte mich als Mensch. Im Wiener Volkstheater machte ich meine Bühnenprüfung. Im Parkett saßen Otto Preminger und der Schauspieler Hans Thimig. Preminger wurde später Hollywood-Regisseur.
Mein erstes Engagement hatte ich in Innsbruck. Ich erinnere mich, wie in Grillparzers Libussa ein echtes Pferd auf die Bühne kam. Ich ging durch den Bühnenwald mit dem Pferd am Zügel. Die Hufe klapperten wie wild. Später zogen wir dem Ross Filzpatschen an. Der Auftritt sorgte im Publikum für Gelächter. Bald wurde das Pferd aus der Besetzungsliste gestrichen.
Weihnachten 1939, nach Kriegsbeginn, kam ich an die Front. Bis zu minus 42 Grad Celsius. Ein Vorgesetzter fragte, wer Maschinenschreiben könne. Ich zeigte auf, obwohl ich keinerlei Erfahrung hatte, und wurde Schreibhengst. Den ganzen Krieg über hielt ich mich an irgendeinem Schreibtisch fest. Ich war nie ein Held, ich mogelte mich durch. Ich bin strikter Antimilitarist, schon wegen meines Vaters.
Gegen Kriegsende bekam ich Diphtherie. In dem russischen Lager, in dem ich inhaftiert war, brach eine Epidemie aus. Die Russen entließen viele Gefangene. Am 10. Dezember 1945 erreichte ich den Wiener Stadtrand. Alle weinten, als ich halbwegs heil nach Hause kam.
Ich fand schnell Arbeit als Schauspieler. Der berühmte Ernst Waldbrunn gab mir in seinem Theater eine kleine Rolle in Der Hexer von Edgar Wallace. Darauf kam ich ans Wiener Renaissancetheater. Ich hatte noch ein gutes Gedächtnis und konnte in 24 Stunden jede Rolle lernen. So wurde ich zu einem gefragten Einspringer. Von 1959 bis 1978 war ich am Wiener Burgtheater engagiert. Ich spielte gemeinsam mit Inge Konradi in Zuckmayers Katharina Knie, der Wilhelm Tell war meine Lieblingsrolle.
Meine letzte Rolle ist der älteste noch lebende Burgschauspieler. Meine Frau war mir das Wichtigste im Leben. Wir waren über 60 Jahre glücklich verheiratet. Vor ein paar Wochen ist sie gestorben. Ich kann nicht aufhören, an ihren Tod zu denken. Mein Tod ist mir gleichgültig.