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2 Neo Rauchs Oppositionskurs

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In meinem Artikel erwähnte ich mehrere Beispiele eines derartigen Verständnisses von Autonomie, etwa den vom rechten Antaios-Verlag publizierten Philosophen Frank Lisson, der Künstler dazu auffordert, sich »aus tiefster Notwendigkeit gegen das Gewissen seiner Zeit« zu stellen; »erst die Repression« würde »die besten Kräfte im Künstler mobilisier[en]«. Je mehr ein Künstler sich in Opposition befindet und gegen vielfältige Formen der Zähmung und Moralisierung wehrt, desto autonomer ist er also – und desto besser und bedeutender wird das, was er schafft. Zu derartiger Selbstverteidigung und Selbstbehauptung bedarf es gemäß Lisson aber heroischer Männlichkeit. Der Rang einer Kultur hänge davon ab, »wie viril die Männer in ihr sind«.1 Frauen hingegen scheinen zu bedeutender Kunst von vornherein nicht disponiert.

Gewiss muten solche Gedanken eher alt als neu an. Sie erinnern etwa an (kontextlos herausgepickte) Wendungen Nietzsches, der Künstler als »Kraftthiere« pries, denen »eine gewisse Überheizung des geschlechtlichen Systems« zu eigen sei.2 Oder man denkt an die Behauptung der italienischen Futuristen, Schönheit gebe es »nur noch im Kampf«, sowie an ihr Eintreten für Militarismus und Patriotismus, an ihre Misogynie und ihre Opposition gegenüber Moralismus.3 Gerade innerhalb der ziemlich machohaften Avantgarden finden sich immer wieder ähnliche Motive männlicher Selbstbehauptung, und es wäre eine Untersuchung wert, sie in ihrer Entwicklung sowie in ihrem Verhältnis zur Idee autonomer Kunst zu betrachten. Eine Arbeitshypothese könnte dabei sein, dass jene Motive vor allem vom autonomen Künstler, Autonomie-Konzepte hingegen oft von autonomen Kunstwerken und ihren Eigenschaften handeln, ein Unterschied also darin besteht, ob Autonomie Ausdruck einer künstlerischen Haltung ist – etwa eines Strebens nach Außenseitertum und einer Ausnahmestellung – oder aber ein Werkprinzip meint – etwa die Preisgabe von Mimesis-Ansprüchen.

Auch Neo Rauch, das prominenteste Beispiel meines ZEIT-Artikels, kommt wiederholt auf seine künstlerische Haltung zu sprechen. Sie dürfte noch stark von Erfahrungen in der DDR geprägt sein. Dort sei er schon in der Jugend »in eine innere Emigration getrieben« worden, wie Rauch 2017 in einem Interview mitteilte; während er zeichnete, habe er »still vor sich hingeflucht«.4 Sein Studium bei Arno Rink und Bernhard Heisig in Leipzig endete ungefähr zeitgleich wie die DDR, die ersten Jahre als freier Künstler erlebte Rauch also in einer Umbruchszeit voller Unsicherheiten. Schon in den neunziger Jahren stellten sich aber größere Erfolge ein, im Jahrzehnt darauf kam es zum internationalen Durchbruch, was sowohl rasch steigende Preise für seine Gemälde als auch eine Reihe musealer Ausstellungen zur Folge hatte. Obwohl innerhalb der Kunstkritik nicht unumstritten,5 gilt Rauch seither als wichtigster ostdeutscher Künstler seiner Generation. Neben seinen Bildern liefern aber auch etliche seiner Interviews Diskussionsstoff. In ihnen finden sich nämlich immer wieder Aussagen, die ziemlich anders klingen als das, was sonst von global erfolgreichen Künstlern zu hören ist. Vertreten die meisten von ihnen eine pluralistisch-kosmopolitische Weltsicht, so geht Rauch regelmäßig auf Distanz dazu. Seinen Abstand zum vorherrschenden Ton der aktuellen Kunstwelt bekundet er zum Teil auch mit schroffen Worten und provokanten Vergleichen.

Die Übermalung eines Gedichts von Eugen Gomringer, das 2011 auf der Fassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule angebracht und 2017, wie im Fall von Balthus im Zuge der #MeToo-Bewegung, von einigen als sexistisch verurteilt wurde, kritisierte Rauch 2018 als »Talibanisierung unserer Lebenswirklichkeit«.6 Diese Formulierung ist ein gutes Beispiel für die Eskalation und Polarisierung der Debatten über Kunst. Denn obwohl mancher Beitrag, in dem die Übermalung des Gedichts zur Grundsatzfrage stilisiert wurde, zu schrillem Aktionismus neigte, erscheint es doch als umso provokanter, feministische Anliegen auf dieselbe Stufe zu stellen wie den radikalen (und zudem antifeministischen) Islamismus der Taliban. Mit seiner Wortwahl erklärt Rauch die Kritiker des Gedichts, das durch die Übermalung ja nicht aus der Welt geschafft worden war, zu fanatischen, kulturfremden Ikonoklasten. Selbst mit Blick auf extremere Positionen wie die von Julia Pelta Feldman wäre Rauchs Vorwurf überzogen, ruft sie doch nicht zur Zerstörung von Kunst auf, sondern legt den verantwortlichen Künstlern oder Institutionen nahe, die Wirkungen einzelner Werke zu bedenken und diese, sofern mit ihnen Gewalterfahrungen oder Verletzungen einhergehen, von sich aus der Öffentlichkeit zu entziehen.7 Bei Rauch hingegen erscheinen diejenigen, die die Sichtbarkeit von Kunst an Bedingungen knüpfen wollen, gleichsam als Feinde, die zu bekämpfen legitim, wenn nicht sogar notwendig ist.

Interessant ist, dass er im selben Zusammenhang eine »Übersensibilität« der Gegner des Gedichts beklagt.8 Das suggeriert, sie seien einfach nur zu empfindlich, zu schnell verletzt und, allgemeiner, den Ansprüchen der Kunst nicht gewachsen. Rauchs Vorwurf ist letztlich also ein doppelter und gegensätzlicher – und damit paradox: Wer das Gedicht nicht als Kunst am Bau sehen will, ist schwach und aggressiv zugleich.

In Varianten taucht diese Denkfigur bei Rauch immer wieder auf. So konstatiert er in einem Interview in der ZEIT im Herbst 2017 (kurz vor der #MeToo-Debatte), »die gendersensiblen Jünglinge« seien heutzutage »gleich mit dem Fallbeil zur Hand«, wenn man als Maler »der weiblichen Schönheit Huldigungen darzubringen« versuche. Wiederum sollen also dieselben Kritiker sowohl zu verweichlicht als auch zu brutal sein. Rauch führt das noch weiter aus. Er spottet einerseits über den »Typus des gendersensiblen Bücklings«, »der sich nicht ins Leben hineinwagt« und sich nur von »Blockseminaren zum gendersensiblen Sprachgebrauch« (statt von »weiblichen Körperformen«) angeregt fühle. Andererseits verurteilt er, dass heutzutage »Minderheiten zu Mehrheiten stilisiert [werden], an deren Bedürfnislagen wir uns auszurichten haben, sofern wir nicht mit der Brandmarke des Sexismus oder Chauvinismus ausgestattet werden wollen.« Er wähnt sich sogar unterdrückt, gebe es doch »Meinungs- und Haltungsvorgaben des inquisitorischen Umfeldes«, sodass »neue Verbote« entstanden seien, »die mit Sprechen und Denken zu tun haben«. Rauch konkretisiert das auch: Die »Oberspießer, die wir 1989 zum Teufel gejagt haben und die jetzt ihre Enkelkinder auf uns losschicken«, würden »keinen Spaß verstehen«, diese seien die neuen »Politkommissare«.

Doch befürchtet er nicht nur Verhältnisse wie einst in der DDR, sondern glaubt offenbar, dass es mittlerweile sogar schlimmer als damals sei. Immerhin habe man in den achtziger Jahren an der Kunsthochschule in Leipzig noch »keine Sprachpolizei, keine Blockwart-Naturen erdulden« müssen; es herrschte ein »liberales Klima«, in dem »nichts verboten und alles willkommen« war. Nostalgisch fügt Rauch an, die Künstler seien damals gegenüber dem Regime »wie ein U-Boot auf Feindfahrt, in brüderlicher Gemeinschaft aneinandergeschweißt« gewesen. Für die Kunst sei dieser Zustand gut gewesen, habe doch, »durch den Außendruck des SED-Staats, eine enorme innere Betriebstemperatur« geherrscht. Heute hingegen empfindet Rauch den Druck als zu hoch; die gesellschaftspolitische Lage ist für ihn »nicht hinnehmbar […] auf Dauer, und gar nicht für die Kunst«.9 Wenige Monate später sagte er in einem anderen Interview, es mache ihn »unfassbar zornig«, dass »wir uns jetzt schon wieder in Verhaltensmustern wiederfinden, die uns Ostgeborenen so urvertraut sind«. Dabei sieht er etwa diejenigen an den Pranger gestellt, die Kritik an der staatlichen Flüchtlingspolitik üben, mit der er selbst offenbar auch nicht einverstanden ist, sei er doch beim Gedanken an Flüchtlinge und offene Grenzen »um den Schlaf gebracht«. Im Weiteren verwendet Rauch Formulierungen, bei denen nicht klar ist, ob sie wörtlich oder metaphorisch gemeint sind: »Ich bin auf Sicherheit von Haus und Hof aus. Ich gehe mit dem Knüppel vor die Türe, wenn’s im Gebüsch raschelt.« Und er klagt darüber, dass »Wehrhaftigkeit […] in Deutschland schon lange diskreditiert« sei. Seine Bilder scheint er als Gegenprogramm dazu zu verstehen, gehe es in ihnen doch um »Kampf und Konfrontation«, um »Rittertum«, generell um »Männerthemen«. Was männlich (und was weiblich) ist, sei im Übrigen »naturgegeben«.10

In einem anderen Interview erklärt Rauch im Sommer 2018 »Widerstand« zu einer Aufgabe der Kunst. Für ihn ist das gleichbedeutend damit, dass Kunst »nicht irgendwelchen Zwecken dienen« dürfe, was wiederum eine übliche Umschreibung dafür ist, sie als autonom zu begreifen. Es erinnert an Lisson, wenn Rauch außerdem davon spricht, dass Kunst »aus der inneren Notwendigkeit heraus« zu entstehen habe und dass der Künstler »sich als der allgemeinen Tendenz widerstrebendes Element zu erkennen gibt«. Wo andere »den Strom der Zeit als Transportmedium nutz[en]« und zu schwach sind, um einen eigenen Weg einschlagen zu können, damit aber in der Summe so mächtig werden, dass etwas anderes kaum dagegen ankommt, sei allein der Künstler stark und mutig genug, »hochzuklappen aus dem Plankton« und sich dem Mainstream zu widersetzen. Der autonome Künstler ist ein einsamer, aber »aufrecht[er]« Dissident, er hat sich gleichermaßen gegen Bücklinge und Blockwarte zu wehren.11

Aufgrund all dieser Aussagen halte ich es für berechtigt, Neo Rauch als Beispiel für die von mir konstatierte Polarisierung innerhalb der Kunstwelt anzuführen, zu der auch eine Rechtsverschiebung des Autonomiebegriffs gehört. In meinem Artikel bezog ich mich dabei aber nur auf seine Äußerungen in Interviews, nicht auf seine Gemälde. Titel wie Die Wächter, Fremde oder Die Bedrohung mögen zwar so klingen, als gehe es um Heimat und ihre Verteidigung gegen Fremdes, aber als politische Programmbilder taugen sie deshalb noch lange nicht. Bewusst verrätselt in ihren Kompositionen sind ihnen keine eindeutigen Aussagen zu entnehmen; schon gar nicht lassen sie sich nachträglich für tagespolitische Botschaften instrumentalisieren. Bereits 2018 hatte ich in einem Interview mit dem Leipziger Stadtmagazin kreuzer daher auch verneint, dass sich in Rauchs Bildern direkte Bezüge zu neu-rechten Schlagworten entdecken ließen.12

Ähnliches gilt für die Werke anderer Künstler, die in den letzten Jahren mit rechten politischen Positionierungen auffielen und die ich in meinem ZEIT-Artikel erwähnte. So identifiziert sich etwa Axel Krause, ebenfalls Maler in Leipzig, im Unterschied zu Rauch zwar sogar parteipolitisch, ist er doch Mitglied im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung und vor allem dank seines Facebook-Accounts, auf dem er immer wieder gegen die Flüchtlingspolitik und die drohende Islamisierung protestiert, in der rechten Szene sehr gut vernetzt. Seine Bilder jedoch erscheinen genauso wenig wie die Neo Rauchs als Bekenntnis zu einer genuin rechten Weltanschauung. Höchstens lassen sie sich aufgrund ihrer Bildräume und Sujets als eskapistisch-antimodernistische Phantasien interpretieren, und man darf vermuten, dass Krause selbst sich damit in der Tradition dissidenter Künstler sieht, die auch früher oft ins Surreale und mythisch Zeitlose flüchteten, um sich einen geschützten Freiraum zu wahren. Gerade Kunst aus der DDR liefert dafür zahlreiche sehr unterschiedliche Beispiele, von Elisabeth Voigt über Wolfgang Mattheuer bis hin zu Wasja Götze. Das aber bestätigt, dass sich die Rechtsverschiebung der Idee der Kunstautonomie kaum in neuen Bildsprachen oder Werkformen, sondern vor allem im Selbstverständnis eines Künstlers wie Axel Krause zeigt.

Auch jenseits von Deutschland ist das nicht anders. Dabei machen Künstler eine konservative bis rechte Einstellung oft schon allein deshalb nicht plakativ und symbolisch eindeutig zum Thema ihrer Kunst, weil sie zugleich einen traditionell hochkulturellen Werkbegriff vertreten, mit dem Eigenschaften wie Vielschichtigkeit und Verrätselung verknüpft sind, die sich gerade nicht mit politischer Propaganda vertragen. Exemplarisch sei der sich selbst als rechts einordnende US-amerikanische Maler John Currin erwähnt.13 Er sieht die westlich-liberale Kultur bisheriger Prägung vor allem durch eine Islamisierung gefährdet, und empört hat ihn insbesondere, dass die 2005 in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten erschienenen zwölf Mohammed-Karikaturen, die in der islamischen Welt für heftige Proteste sorgten, aus Rücksichtnahme auf Muslime auch in vielen westlichen Medien nicht mehr publiziert wurden. An so viel political correctness, so Currin, werde der Westen letztlich zugrunde gehen.

Was aber tut er als Maler dagegen? Dass er die oft altmeisterlich gemalten Sujets seiner Gemälde etwa Pornofilmen der Kategorie »Danish Porn« entnimmt, in der Amateure mit all ihren körperlichen Makeln in ihren Wohnungen beim Sex gezeigt werden, sieht Currin selbst als Hommage an die vom Untergang bedrohte westliche Liberalität. Zugleich wünscht er sich, dass bei denjenigen, die sich seine Bilder zu Gemüte führen, noch einmal die Lust auf Fortpflanzung steigt. Doch sosehr es ein biopolitisch grundiertes Anliegen sein mag, Kunst als Mittel gegen sinkende Geburtenraten zu begreifen, so wenig ist anzunehmen, dass seine Gemälde vom Kunstpublikum auf diese Weise rezipiert werden. Currin selbst ist das auch bewusst, bekennt er sich doch dazu, »Bildern Bedeutungen zu verleihen, die sie überfordern«.14 Statt eine politische Agenda möglichst breit zu kommunizieren oder statt starke eigene Bilder für den Konflikt zwischen dem Westen und dem Islamismus zu finden, ist es ihm also wichtiger, als raffinierter Künstler zu brillieren. Und so ist auch er kein Gegenbeispiel zu meiner im ZEIT-Artikel formulierten Prognose, dass wohl erst Künstler der nächsten Generation rechtes Gedankengut »mit den passenden Bildwelten versorgen« werden.

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