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Lohn der Angst

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Caesar vertrieb sich die Wartezeit mit einer neuen Reise in den Osten. Im Jahre 75 brach er zur Insel Rhodos auf, Bithynien stand ebenfalls auf dem Programm. Daneben gab es viele weitere Gründe für die Fahrt. Caesar selbst vermerkt die Liebe zur Wissenschaft: Er wolle bei dem berühmten Rhetor und Grammatiker Apollonios, Sohn des Molon, studieren. Durch einen Aufenthalt in Rom war Apollonios vielen Senatorensöhnen bekannt. Caesars rhetorische Fähigkeiten hatten schon Anerkennung gefunden, aber es schadete nicht, sie noch zu verbessern. In Gefahr war Caesar trotz der beiden Prozessniederlagen nicht mehr. Die sullanische Restauration dauerte fort, aber ihre Kraft war schon gebrochen. Neue Koalitionen deuteten sich an. Ohne Caesar Übles zu wollen, dürfen Geschäftsinteressen als Grund der Reise angenommen werden: Noch war er kein Senator, noch waren ihm also Geldgeschäfte nicht verboten. In privater Eigenschaft reisten römische Bürger häufig in den Osten, um beispielsweise Kredite zu vergeben. Atticus nahm zwölf Prozent, Brutus auch schon einmal 48. Caesar selbst hatte seinen Aufenthalt am Hof des Nikomedes mit Geldangelegenheiten begründet, und diese spielten mit Sicherheit auch 75 eine Rolle. Welche, wissen wir freilich nicht.

Die Gewässer, durch die der Seeweg führte, galten den Römern als verseucht von Piraten. Caesar fuhr im Winter, denn zu dieser Jahreszeit war das Risiko etwas geringer, weil auch die Seeräuber die Stürme der Ägäis fürchteten. Dennoch war seine Reise bereits in der Nähe der Insel Pharmakussa, südlich von Milet, zu Ende. Piraten hatten das Schiff mit dem wertvollen Aristokratensohn aufgebracht und versuchten nun, für ihn Lösegeld zu erpressen. Die seltsamste Episode in dem an Abenteuern reichen Leben Caesars begann, und die Biographen haben sie in relativ ausführlicher Weise erzählt. Kein Ereignis vor Caesars Auftritt in der Catilinarischen Verschwörung im Dezember 63 hat sie mehr beschäftigt. Die Moderne hat aus dieser Episode vor allem Rückschlüsse auf den Charakter Caesars ziehen wollen. Genau dies aber ist kaum möglich. Dass Caesar Mut besaß und ein kalkulierbares Risiko nicht scheute, belegt seine ganze Vita. Die Seeräubergeschichte bietet da nichts Neues. Sie ist aber auf ganz andere Weise von Interesse, denn sie zeigt eine von Caesars großen Fähigkeiten, die ihm den Aufstieg zur Macht ermöglichte, in einem frühen Stadium. Es ist das Vermögen, die eigenen Absichten propagandistisch zu verbrämen, das eigene hinter dem Gesamtinteresse zu verbergen, sich selbst im gewünschten Licht der Öffentlichkeit zu präsentieren. Wenn wir die Reaktion der Moderne überblicken – die der Antike kennen wir nicht –, hat Caesar sein Ziel erreicht.9

Die kleine Seeräubergeschichte ist das erste Zeugnis von Caesars Darstellungskunst, eine Art bellum Gallicum in nuce. Vier Fassungen gibt es noch. Sie sind von unterschiedlicher Länge, differieren in der Chronologie, stimmen aber, von der einen oder anderen kleinen Ausschmückung abgesehen, selbst im Detail weitgehend überein. Über Zwischenquellen gehen sie alle auf eine einzige, wohl nicht lange nach Caesars Tod publizierte Biographie zurück. Die erzählte Geschichte kann in ihrem Kern von niemand anderem als von Caesar selbst stammen. Er ist der einzige Zeuge, er hat sie nach seiner Rückkehr erzählt und für ihre Verbreitung gesorgt:

„Nachdem Dolabella freigesprochen worden und Antonius einer Verurteilung entgangen war, beschloss Caesar, sich für einige Zeit auf die Insel Rhodos zurückzuziehen. Er tat dies zum einen, um der gehässigen Stimmung gegen ihn aus dem Wege zu gehen, zum anderen, um dort in Ruhe und Muße bei Apollonios, dem Sohn des Molon, zu studieren. Dieser war damals der berühmteste Lehrer der Rhetorik. Er trat die Fahrt dahin an, als die Winterzeit bereits vorgerückt war, und wurde dabei nahe der Insel Pharmakussa von Seeräubern gefangen. Sie verfügten schon damals über große Flotten und beherrschten mit einer riesigen Menge von Schiffen das Meer.

Zuerst lachte er die Seeräuber aus, als sie nur 20 Talente Lösegeld forderten. Sie wüssten nicht, was sie da für einen Fang gemacht hätten. Er bot ihnen von sich aus 50 Talente an und schickte seine Begleiter in die einzelnen Städte, um das Geld aufzutreiben. Er selbst blieb mit einem Freund und zwei Dienern bei diesen mordgierigen Kilikiern zurück. Er hatte vor ihnen so wenig Respekt, dass er ihnen jedesmal, wenn er sich schlafen legte, befehlen ließ, sie sollten still sein. 38 Tage lebte er so bei ihnen, und sie schienen eher seine Leibwache als er ihr Gefangener zu sein, so furchtlos trieb er Spiele und sportliche Übungen mit ihnen. Er schrieb Gedichte und Reden und trug sie ihnen vor, und diejenigen, die ihm keine Bewunderung dafür zollten, nannte er frei heraus ungebildete Kerle und Barbaren, und oftmals drohte er ihnen lachend, er werde sie aufhängen lassen. Die Piraten hatten ihren Spaß daran und hielten seine freimütigen Reden für harmlosen Scherz ohne weitere Bedeutung.

Sobald jedoch das Lösegeld aus Milet eingetroffen und Caesar frei war, mietete er sofort einige Schiffe im Hafen von Milet und fuhr gegen die Seeräuber aus. Er fand sie noch bei der Insel vor Anker liegen und nahm die meisten von ihnen gefangen. Ihr Geld beschlagnahmte er als seine Beute, die Männer aber brachte er nach Pergamon ins Gefängnis und reiste selbst zu Iuncus, dem Statthalter der Provinz Asia, der die Gefangenen abzuurteilen hatte. Dieser war von dem Geld sehr angetan – es handelte sich um eine beträchtliche Summe –, aber was die Gefangenen anging, so erklärte er, er wolle sich bei Gelegenheit einmal ihrer annehmen. Daraufhin nahm Caesar ohne Rücksicht auf ihn die Sache selber in die Hand, reiste nach Pergamon zurück und ließ die Seeräuber alle ans Kreuz schlagen, wie er es ihnen scheinbar im Scherz auf der Insel so oft vorausgesagt hatte.“10

Was Caesar genau berichtete, ist in seinem Wortlaut nicht bekannt. Vermuten lässt sich, dass die Geschichte erst im Laufe der Zeit ihre endgültige Gestalt annahm, sich literarisch verdichtete und auch die leicht humoristischen Züge erhielt, die nach häufiger Wiederholung das Moment der Spannung ersetzen. Grillparzer hätte der Geschichte die Idee für „Weh’ dem, der lügt“ entnehmen können, und der junge Brecht plante nach der Lektüre Plutarchs, eine Komödie über den Stoff zu schreiben. Der unbekannte Biograph, dessen Fassung Plutarch und Velleius Paterculus wiedergeben, nahm auf, was zu Caesars Lebzeiten noch über die Episode verbreitet war. Sie handelt weniger von Caesars Taten als davon, wie er diese gesehen haben wollte: Zeugnis seiner Darstellungskunst, nicht seiner Tatkraft.

Einige Fragen ließ Caesar offen. Sie sind vordergründig juristischer Art, doch letztlich ging es im Konflikt mit dem Statthalter Iunius Iuncus profanerweise um das Geld, das Caesar damals nicht hatte. Ob Iuncus ebenfalls am Lösegeld partizipieren wollte oder in irgendeiner Weise mit den Piraten paktierte, da sie ihm halfen, den Sklavenmarkt der Insel Delos zu bedienen, bleibt im Dunkel solcher Geschäftspraktiken. Zeitgenössische Zeugnisse wie das des Historikers und Geographen Strabon lassen entsprechende Vermutungen nicht abwegig erscheinen. „Besonders aber … reizte die höchst gewinnreiche Ausfuhr von Sklaven; sie waren nämlich leicht einzufangen, und ein großer und geldreicher Markt war gar nicht fern [von Kilikien], die Insel Delos, welche viele Tausende von Sklaven an einem Tag aufnehmen und absetzen konnte, so dass daher auch das Sprichwort entstand: ‚Kaufmann, segle heran und lade aus, alles ist verkauft.‘ Die Ursache war, dass die nach Karthagos und Korinths Zerstörung reich gewordenen Römer vieler Sklaven bedurften. Da nun die Seeräuber diesen leichten Absatz sahen, brachen sie in Massen hervor, trieben Seeraub und verkauften Sklaven.“11

Letztlich setzte Caesar sich aber durch. Das Lösegeld zahlte er an die kleinasiatischen Städte wohl nicht zurück. Immerhin hatten sie ihre Aufgabe, den Schutz der Küste, vernachlässigt. Hinzu kam die Beute, die Caesar in den aufgebrachten Piratenschiffen beschlagnahmen konnte. Er hatte sich das verdient. Auch wenn der Held es nicht zugeben will: Wer mehrere Wochen in der Gefangenschaft „kilikischer Mordbrenner“ war, wird auch einmal Angst gehabt haben. Bei späteren Fahrten rührte sich jedenfalls die Furcht vor Piraten. So tarnte sich Caesar bei einer Überquerung der Adria, indem er ein unauffälliges, nur von zehn Sklaven gerudertes Schiff wählte und sich nur von zwei Freunden begleiten ließ. Trotzdem befielen ihn Angsthalluzinationen. Eine lange Reihe von Bäumen an der Küste hielt er für die Masten einer Seeräuberflotte und rüstete sich schon zur Abwehr des vermeintlichen Überfalls.12

Caesar

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