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Grausame Warnung

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Wolf hatte per Eisenbahn unbehelligt die Grenze passiert und näherte sich nun wieder seiner Heimat. Draußen zogen die vertrauten flachen Landstriche vor den schmutzigen Fenstern des Abteils vorbei. Seine Gedanken weilten bei Sabine. Er hatte sie vom Grenzbahnhof aus anrufen wollen. Zu seinem Erstaunen und Beunruhigung ging aber niemand an den Apparat. Er versuchte es mehrfach, doch es stellte sich kein Erfolg ein. Vielleicht war sie gerade mal in der Stadt, um irgendeine Besorgung zu erledigen, versuchte er sich zu beruhigen. Dennoch blieb ein ungutes Gefühl. So kam es, daß er nun immer mehr der Ankunft auf dem Frankfurter Hauptbahnhof entgegenfieberte. Gleich von dort aus wollte er es nochmals versuchen, noch ehe er Rechtsanwalt Meurat verständigte. Es dauerte aber doch noch eine Stunde, ehe der Zug langsam rumpelnd über das Gleisgewirr schließlich in der Bahnhofshalle einfuhr. Er stand noch nicht ganz als Wolf die Tür aufriß, absprang und eiligst in Richtung der Empfangshalle rannte. Nur den alten Rucksack auf seinen Rücken hielt er an den Schulterriemen immer mit einer Hand gut fest. Erneut warf er Münzen in den Telefonapparat, doch wieder ging nur der lange Rufton nach draußen. Es meldete sich niemand. ‚Sie müßte doch aber schon lange zurück sein‘, ging es ihm zunehmend besorgt durch den Sinn. Er versuchte es noch einmal, vergeblich, dann verließ er den Bahnhof und eilte zum Taxistand. Wieder mußte er warten. Wie immer war kein Fahrzeug sofort zur Verfügung. Endlich kam eine schwarze Limousine angerollt. Der Fahrer machte einen müden, griesgrämigen Eindruck. „Was, bis da raus?“ fragte er mürrisch. „Da habe ich doch inzwischen schon fast Feierabend“. Erst ein zugesteckter Geldschein besänftigte etwas und ließ ihn endlich das Fahrzeug in Bewegung setzen. Dann fuhr er aber auch wie ein Teufel durch die Stadt; nahm nach Wolfs Hinweisen mehrere Abkürzungen, und eine dreiviertel Stunde später rumpelte der Wagen über den einsamen Weg zu dem Hof vor den dunklen Waldrändern. Wolf zahlte eilig, wobei er noch ein gutes Trinkgeld gab, dann rannte er auf das Haus zu, das hinter den Gartenzäunen und Hecken sich hier in aller Stille erhob.

„Sabine, ich bin wieder da!“ rief er laut. Doch nichts rührte sich. Aber ihr kleines Auto stand in der offenen Scheune neben dem Hof. Also mußte sie da sein. Wolf drückte die Türklinke, die auch sofort nachgab. Knarrend öffnete sich die Haustür. „Sabine ...?“ Seine Stimme fand keine Antwort. Es war draußen inzwischen schon fast dämmrig geworden, so daß die Zimmer in ein düsteres Licht getaucht waren. Die Küche zeigte sich leer. Aber auf dem Küchentisch lagen Einkäufe verteilt und offenbar hatte Sabine begonnen, gerade ein Abendbrot vorzubereiten. Neben dem Messer lagen geschälte Zwiebeln und Kartoffeln. Ein mit Wasser gefüllter Topf stand bereit, und unter dem Herd stapelte sich ein Häufchen frisches Holz. Er fand Sabine aber trotz aller Absuche nicht.

Wolf vermochte nicht zu sagen, wie viel Zeit vergangen war, als er in die Wirklichkeit zurückfand. Draußen war es mittlerweile völlig dunkel geworden. Der Wind strich rauschend um die nahen Bäume, und in der Scheune nebenan schlug ständig eine wohl offenstehende Tür klappend hin und her. Wie betäubt erhob er sich endlich. Sabine war verschwunden. Ihre Entführer hatten dabei weder Geld noch Gut gesucht. Und es war kein gewöhnlicher Überfall gewesen. Für ihn gab es sogar eine Nachricht. Sie steckte in Sabines alter Schreibmaschine. Das weiße Blatt Papier ragte überdeutlich hervor, so daß Wolf es unbedingt finden mußte. Auf dem Blatt waren nur wenige Zeilen getippt worden.

„Suche sie nur..., dann bist DU dran!“ Das „Du“ war dick unterstrichen. Ganz offenbar hing Sabines Verschwinden – oder besser wohl Entführung - mit seinem eben erledigten Auftrag zusammen. Eine grausamere Warnung hätte man ihm nicht zukommen lassen können. „Ihr Schweine“, murmelte Wolf. „Aber ich werde euch und Sabine suchen und finden. Und dann gnade euch Gott!“ Aber warum hatten sie ihm hier nicht aufgelauert? Denn offenbar glaubten die Unbekannten, und er war der festen Überzeugung, daß hier mehrere Personen am Werk gewesen waren, daß Sabine etwas gewußt hatte, das sie interessieren könnte. Nun, dies war zumindest nicht der Fall gewesen. Leise ging Wolf durch die Räume. Wie im Trance schaute er sich noch um, konnte aber sonst nichts Auffälliges mehr entdecken. Das Telefon war tot. Irgendjemand mußte noch vor seiner Ankunft die Leitung durchtrennt haben. Oder hatten die Entführer gar auf ihn versteckt gewartet, um ihn noch zu beobachten? Warum aber hatten sie sich dann nur an Sabine gehalten? Schnell nahm er den Rucksack wieder auf den Rücken und überlegte, wie er auf schnellsten Wege zu Meurat kam. Das wertvolle Material, das er bei sich trug, mußte jetzt ganz besonders gut gesichert werden. Da aber das Telefon im Haus nicht mehr benutzbar war, konnte er sich nicht einmal von hier aus melden, um das Schreckliche Meurat mitzuteilen. Da fiel ihm blitzartig Sabines Auto ein. Die Schlüssel dazu hingen wie immer an dem kleinen Brett neben der Eingangstür. Er schloß diese fest hinter sich zu und lief rasch zu dem Wagen. Schon wollte er den Schlüssel in das Zündschloß stecken, als ihm auffiel, daß das Auto nicht abgeschlossen gewesen war. Sie schloß aber immer den Wagen ab. Er war einfach zu wertvoll in dieser Zeit, auch wenn es ein altersschwaches Modell war, um ihn leichtsinnig offen stehen zu lassen. Schließlich konnte nachts jeder schnell über die niedrigen Umzäunungen springen und sich an dem Fahrzeug zu schaffen machen. Zitternd zog er die Hand vom Zündschloß zurück. Vielleicht ... Wollte man ihn so aus dem Weg räumen? Wußten die Verbrecher nicht, daß er so kostbares Material bei sich trug? Eine Explosion hätte nicht nur ihn getötet, sondern auch alles andere restlos vernichtet. Oder welche Fallen hatte man gelegt? Gehetzt sah er sich auf dem dunklen Gelände des alten Gehöftes um. War da nicht eben ein Schatten hinter dem Holzschuppen? Oder narrten ihn schon die Sinne? Mit kaltem Schweiß auf der Stirn rannte er schließlich den Weg zur Fernstraße entlang. Nur weg von dem für ihn nun so verhängnisvollen Ort! Völlig erschöpft kam er nach etwa 20 Minuten an der breiten Chaussee an. Und er hatte Glück, ein Lastwagen nahm ihn mit in die Stadt. Aus der nächsten Telefonzelle rief er Meurat an. Es klingelte einige Male, dann meldete sich die ruhige Stimme des Anwalts. „Meurat, hier ist Wolf! Ich bin wieder da, aber es ist etwas ganz Böses geschehen! Bitte holen Sie mich hier schnell ab!“

„Was ist passiert? Haben Sie alles dabei?“ Am anderen Ende geriet der Jurist sichtlich aus der Fassung. „Sagen Sie mir nur noch, wo Sie jetzt sind.“ Wolf beschrieb seinen Standort am Stadtrand von Frankfurt an der Oder. „Ich bin schnellstens da“, sagte der Anwalt am anderen Ende und warf unvermittelt den Hörer auf die Gabel.

Erst in Meurats Wagen kam Wolf wieder etwas zur Ruhe. Der Anwalt war wie ein Irrer durch die abendliche Stadt gerast, um ihn rasch abzuholen. Die Begrüßung fiel den Umständen entsprechend nur kurz und hektisch aus. Noch im Auto schilderte Wolf aber das schreckliche Geschehen. Gab dem Fahrer gleichzeitig aber auch zu verstehen, daß die Dinge sich nun in dem Rucksack befänden, den er fest auf dem Schoß hielt. Sie fuhren in die Kanzlei. Als sie den Wagen abstellten, sahen sie sich aufmerksam um. Doch niemand schien sie verfolgt zu haben oder sonst erkennbar zu beobachten. Allerdings waren die Parkanlagen neben den Abstellflächen ins Dunkel des Abends gehüllt. Hinter den Bäumen und Büschen hätte so eine ganze Schar von Beobachtern hocken können, ohne erkannt zu werden. Eilig schritten sie daher zum Haus, wo Meurat sorgfältig die schwere Eingangstür wieder hinter ihnen verschloß. In der Kanzlei im ersten Stock angekommen setzte er rasch Kaffee auf und stellte die Cognacgläser auf den mächtigen Schreibtisch seines Büros. Die bräunliche Flüssigkeit brannte im ausgetrockneten Hals, weckte bei Wolf aber wieder die Lebensgeister. „Das ist ja wirklich eine furchtbare Geschichte“, sagte Meurat schließlich, als sie beim dampfenden Kaffee saßen. „Natürlich kümmere ich mich um alles. Wir werden die Feststellung von Sabines Verschwinden aber etwas nach hinten verlegen, wenn Sie dort draußen keiner gesehen zu haben scheint. Sind Sie sicher, daß sich nichts Wichtiges in ihrem Haus oder auf dem Grundstück befindet?“

„Völlig sicher“, antwortete Wolf. „Sie wußte ja nicht einmal, wo genau ich mich befand. Geschweige in was für einem Auftrag. Ich verstehe das einfach alles nicht.“

„Nun beruhigen Sie sich bitte etwas, auch wenn es schwer fällt. Ich verstehe Sie ja sehr gut.“ Meurat stand auf und legte ihm die große, breite Hand auf die Schulter. Auf jeden Fall müssen wir es der Polizei melden. Sie haben schließlich ihr Verschwinden entdeckt. Und es war bekannt, daß sie ihre Freundin war. Trotzdem, alles ist sehr schrecklich. Ich muß Sie aber irgendwie aus dem Schußfeld bringen. Schließlich haben Sie noch so Wichtiges zu erledigen.“

„Ich will aber, daß Sabine und diese Hundesöhne gefunden werden!“ fuhr Wolf auf. „Ja, ja“, wie gesagt, ich verstehe Sie ja wirklich“, entgegnete Meurat rasch. „Aber Sie wissen auch, mit wem wir es zu tun haben. Alles ist nicht einfach, glauben Sie mir. Das waren Profis von der dunklen Seite. Sie ahnen es genau wie ich. Da ging es nicht um irgendeinen läppischen Raubüberfall. Die suchten nach etwas und nahmen dann wohl die Frau mit. Wir müssen jetzt gut auf der Hut sein.“

„Bei Sabine war aber nichts“, regte Wolf sich weiter auf. „Sie haben sie umsonst entführt, das werden sie schon begriffen haben. Die Frage ist nur, was diese Verbrecher nun unternehmen werden. Hoffentlich bringen sie Sabine nicht um. Auch Sie scheinen mir gefährdet.“

„Ja“, entgegnete der Anwalt. „Das ist schon möglich. Daher müssen wir nun schnell handeln. Ich werde den Orden informieren, daß Sie eingetroffen sind, was sich begeben hat und vor allem, daß der Komtur sich auf ihre kurzfristige Ankunft einrichten soll. Es wäre das Beste, Sie übernachten hier. Gehen Sie nicht in Ihre Stadtwohnung. Morgen früh komme ich und dann besprechen wir alles Weitere. Möglicherweise reisen Sie schon morgen wieder ab. Wir müssen gerade jetzt dafür sorgen, daß die Materialien schnellstens und sicher auf die kleine Burg in Süddeutschland gelangen. Und ich werde mich persönlich um die Suche nach Sabine einschalten, das verspreche ich Ihnen. “

Wohl oder übel willigte Wolf in die Vorschläge Meurats ein. Dieser zeigte ihm noch die kleine Küche und den Sanitärraum der Kanzlei. „Und hier können Sie sich lang machen“, sagte er abschließend und wies auf das große Ledersofa an der Wand. Er gab ihm noch eine Decke und verabschiedete sich dann. „Passen Sie gut auf und öffnen Sie niemand“, warnte er ihn, dann fiel die schwere Tür der Kanzlei ins Schloß. Wolf riegelte noch zusätzlich ab und begab sich schließlich in die kleine Küche, wo er sich erst mal Kaffeewasser auf. Erschöpft ließ er sich in einem der schweren Sessel nieder und wartete, bis der aufgesetzte Wassertopf zu pfeifen beginne. Zehn Minuten später dampfte eine Tasse des schwarzen, anregenden Getränks vor ihm auf dem Tisch. Er fand keine Ruhe, doch das lag nicht an dem Kaffee. Zuviel war in den letzten zwei Tagen auf ihn hereingestürmt. Der Schmerz und Sorge um Sabines Verschwinden saß tief in ihm und noch immer glaubte er, sich durch die geheimnisvollen dunklen Gänge und Hallen der inzwischen wieder so fernen unterirdischen Station irren zu sehen. Alles kam ihm nun wie ein bizarrer Alptraum vor. Doch der mitgebrachte Inhalt des Rucksacks bestätigte nur allzu deutlich seine Erlebnisse. Und morgen würde er sich schon wieder auf die Reise machen. Langsam nickte er auf dem Sofa ein. Die Müdigkeit gewann schließlich Oberhand und führte ihn in unruhige, beängstigende Träume.

Morgenlicht drang durch die blanken Fenster der Kanzlei, als Wolf erschrocken auffuhr. Doch es war nichts. Noch immer war er hier allein, und niemand hatte ihn gestört. Er schaute auf die Uhr, die die sechste Stunde zeigte. Es würde noch gut zwei Stunden dauern, bis Meurat wieder hier war. So ging er sich räkelnd in den kleinen Waschraum, wo er sich gründlich erfrischte. Dann öffnete er die Fenster zur Hofseite und sog ein paar Minuten lang die frische, herbe Morgenluft ein. Pünktlich acht Uhr erschien Meurat wieder. „Guten morgen, haben Sie wenigstens etwas geschlafen?“ begrüßte er seinen Gast. „Es ging, Herr Meurat, so einigermaßen“, antwortete Wolf. „Ich habe auf Sie mit dem Morgenkaffee gewartet. Soll ich ihn jetzt ansetzen?“ „Aber gerne. Ich führe inzwischen mal ein paar Telefonate“, sagte der Anwalt, während er sich hinter seinem mächtigen Schreibtisch niederließ und zum Telefonhörer griff. Eine halbe Stunde später, die beiden Männer saßen sich mit den inzwischen fast ausgetrunkenen Tassen gegenüber, wußte Meurat Neues zu vermelden. „Es ist, wie ich gestern Abend schon andeutete. Sie werden sich heute schon wieder auf den Weg machen müssen. Komtur von Trauenfeld erwartet Sie sehnlichst. Ich weiß, daß Sie sicher langsam die Reiserei satt haben. Aber es ist wirklich sehr wichtig, glauben Sie mir. Einen Trost gibt es, Sie werden recht bequem an das Ziel gelangen. Ein Fahrzeug bringt Sie in wenigen Stunden nach Westberlin. Von dort aus fliegen Sie mit einem Linienflug ins Bundesgebiet weiter. Heute Mittag werden Sie schon von hier abgeholt.“ „Das geht ja schnell“, sagte Wolf erstaunt. „Aber was geschieht bei Sabine draußen?“ „Ich habe es mir überlegt. Im Moment nichts. So schlimm es ist, aber wir können uns derzeit nicht auch damit belasten. Verstehen Sie mich nicht falsch. Natürlich kümmere ich mich um die Sache. Aber nicht jetzt sofort. Ich sorge aber bezüglich ihres Verschwindens für einen anonymen Anruf bei der Behörde und halte Sie auf dem Laufenden. Doch zuvor müssen Sie mit den überaus wertvollen Dingen in Sicherheit sein.“ Meurat steckte sich eine Zigarre an und pustete aromatische, blaue Wolken in den Raum. Dann schenkte er Kaffee nach. „Sie glauben ja gar nicht, was Sie noch alles erleben werden in der nächsten Zeit. Eigentlich beneide ich Sie irgendwie. Aber jemand muß auch vor Ort sein und die tägliche Kleinarbeit machen.“ „Erlebt habe ich schon genug. Und Aufregungen aller Arten gab es ebenfalls jede Menge“, warf Wolf ein. „Was soll denn da jetzt noch alles kommen?“

„Warten Sie es ab, mein Freund. Sie bekommen bald erstaunlichste Dinge zu sehen und zu erfahren. Erst einmal werden Sie Gast bei meinem Freund von Trauenfeld sein. Eine urgemütliche, kleine Burg, gelegen an einem idyllischen See im Alpenvorland, wird das neue Quartier für Sie. Dort treffen sich dann die Herren vom Schwarzen Stein, die schon ungeduldig auf den Wolf und seine Mitbringsel harren“, schmunzelte der Anwalt.

Das Erbe Teil II

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