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Vorbemerkung: Die unheilige Gesellschaft

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Graf Dracula, der von Bram Stoker geschaffene Romanvampir aus Transsilvanien, hat nicht nur die Vampirvorstellungen der folgenden Generationen bis heute geprägt. Stoker hat ebenfalls die jahrhundertealte Tradition des Volksglaubens von Untoten, Wiedergängern und eben Vampiren in seinem Roman sehr kreativ und phantasievoll verarbeitet. Tatsächlich hat das Phänomen des Vampirs und seiner untoten Kollegen schon vor Dracula nicht nur Stokers literarische Kollegen beschäftigt, sondern auch die abergläubische Gesellschaft des Mittelalters und der Neuzeit, die Kirche und die Wissenschaft.

Die Vorstellung vom Untoten, der seinem Grab entsteigt und die Lebenden heimsucht, speist sich aus ganz unterschiedlichen Quellen. Eine davon ist sicherlich das Phänomen der künstlichen oder natürlichen Erhaltung toter Körper, die die menschliche Kultur seit Jahrtausenden begleitet.

Ohne Vorstellungen über das Verhältnis zwischen der Welt der Toten und der Welt der Lebenden – in der Wissenschaft ein wenig unscharf als Jenseitsvorstellungen bezeichnet – ist die Figur eines Vampirs und anderer Untoter und Wiedergänger nicht denkbar. Solche Vorstellungen lassen sich archäologischkulturgeschichtlich bis in die Steinzeit zurückverfolgen und drücken sich in Begriffen wie »Ahnenkult«, »Schamanismus«, »Animismus« aus.

Seit Jahrtausenden sind die Menschen über Bestattungsriten, Tötungs- und Opferrituale bestrebt, das Problem der Einmischung der Verstorbenen in die diesseitigen Angelegenheiten in geordnete Bahnen zu lenken. Beispiele hierfür sind nicht nur die ägyptischen Mumien oder die recht häuslich anmutenden Hügelgrabbestattungen der Skythen oder Kelten, sondern auch die gründliche rituelle Hinrichtung des sogenannten Lindow-Mannes, eines mutmaßlichen keltischen Druiden, der 1984 in einem britischen Torfmoor gefunden wurde.

In vielen Kulturen waren die Toten Teil der Gemeinschaft der Lebenden, als Schädel oder Schädelmaske gar geschätzte, verehrte und körperlich anwesende Mitglieder der Gemeinschaft, mit denen man einen respektvollen Umgang pflegte.

»Andre Zeiten, andre Ahnen« möchte man in Anlehnung an die ebenfalls in diesem Verlag erschienene »Kleine Kulturgeschichte des Drachen« beinahe sagen, denn das Verhältnis zwischen den Lebenden und ihren Vorfahren erfuhr so manche gesellschaftlichkulturell bedingte Veränderung. Seit der Entwicklung hierarchisch organisierter Zivilisationen, spätestens aber seit der Verbreitung monotheistischer Religionen, geraten die ursprünglich so geschätzten Ahnen ins gesellschaftliche Abseits, werden zu Dämonen, zur Bedrohung, zu gefährlichen Untoten, bösartigen, Seuchen verbreitenden Wiedergängern und in Südosteuropa eben auch zu blutsaugenden Vampiren.

Die moderne literarische Übernahme der Untoten, die ihren Anfang in Kunstfiguren wie Carmilla, Dracula oder Nosferatu des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nahm und inzwischen ein ganzes Spektrum neuartiger Wiedergängertypen in Literatur und Film hervorgebracht hat, verliert zunehmend den Anschluss an die kulturgeschichtlichen Ursprünge. Nichtsdestoweniger ist die Entstehung der literarisch-filmischen Untotenkultur eng an die kulturellen und historischen Rahmenbedingungen ihrer jeweiligen Epoche gebunden. Dazu gehört neben den viktorianischen und aufklärerischen Strömungen oder der Orientbesessenheit des 19. Jahrhunderts das Streben nach Spiritualität und klarer Orientierung in unserer modernen Zeit des 20. und 21. Jahrhunderts.

Vampire, Wiedergänger und Untote

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