Читать книгу GALDAN und wie er die Lampe des Lichtkönigs zurückholte - Wolfram Gittel - Страница 3
ALS GALDAN GEBOREN WURDE
ОглавлениеGleichmäßig rollten die Wellen des riesigen Sees heran. Eine Woge nach der anderen hob sich, lief zwischen die mächtigen Bäume vor dem Ufer hinein und klatschte auf deren Wurzeln, die wie starke Arme in das Wasser tauchten. Sehen konnte man die Wellen nicht. Denn noch war es finster. Der Himmel war mit einem leichten Dunst bedeckt, hinter dem sich die Sterne versteckt hatten. Nur der Mond blinzelte trübe durch den Vorhang.
Die Morgendämmerung machte sich gerade als ein feiner rötlicher Hauch weit hinten am Himmel bemerkbar. Ein kühler Wind schüttelte die Zweige, dass die Blätter rauschten. Langsam kroch die Röte vom Horizont aus höher. Das Dunkel der Nacht wurde schwächer. Als fette Kugel stand der Mond tief im Westen.
Noch ruhte das ganze Land. Die Vögel auf den Bäumen hatten ihre Köpfe unter die Flügel gesteckt. Auf dem Waldboden lagen die Tiere zusammengerollt in tiefem Schlaf. Und selbst die Fische im Wasser standen völlig still, leicht im Schlummer die Flossen bewegend, damit sie nicht abtrieben. Tau senkte sich hernieder und benetzte das Land. - Stille überall. -
Nur an einem Punkt im See, tief unten zwischen den Wurzeln eines Baumriesen gab es keinen Schlaf. Dort hatte eine Fischvogel-Familie ihre Nistkolonie. Normalerweise schlafen auch Fischvögel in der Nacht. Aber dies war keine gewöhnliche Nacht. Deshalb wagte niemand, die Augen zuzumachen. Die ganze Fischvogel-Familie war aufgeregt. Unablässig schwamm der Fischvogel-Vater vor dem Nest hin und her. Die größeren Fischvogel-Kinder spitzten immer wieder aus ihrem Nest nebenan und wurden vom Vater hinein gestupst. Auch die Onkels und die Tanten und die alte Muhme in ihren Nestern ringsum waren noch wach und ebenfalls soooo gespannt. Es hätte ja schon am Abend so weit sein müssen! Aber noch immer rührte sich nichts!
Die Fischvogel-Mutter saß nämlich schon seit Wochen auf einem Ei und brütete. Und gestern Abend hätte das Kleine schlüpfen müssen.-
Der ganze Horizont war schon hell. Und eben versank das letzte Stückchen Mond im See. Aber im Ei rührte sich noch nichts. Die Bewegungen des Fischvogel-Vaters wurden ruckartiger. Immer rascher schwamm er hin und her. Manchmal schoss er auch wie ein Pfeil aus dem Wasser und fiel laut klatschend in den See zurück.
Klar und deutlich stand nun der Wald vor dem See, dessen Wasser im Morgenlicht rötlich schimmerte. Da plötzlich! - War da was? - Oder nicht? - War es nur Täuschung? – Oder rührte sich doch was? - Angestrengt lauschte die Fischvogel-Mama. - Doch vergeblich. Enttäuscht und traurig legte sie den Kopf auf ihr silberglänzendes Gefieder, das dicht wie Schuppen an ihrem Körper anlag.
Ob das Kleine in dem Ei überhaupt noch lebte? Hatte sie es auch wirklich stets genug vor kalten Strömungen geschützt? War sie vorsichtig genug gewesen? Fast glaubte sie es nicht mehr.
Blutrot strahlte der gesamte Horizont, schickte hellroten Schimmer weit in den Himmel hinauf. Die ersten Vögel begrüßten den neuen Morgen. Langsam schob sich die Sonne über die ferne Kante des Sees. Tiefe Glut ließ das Wasser erstrahlen, tauchte die Fischvogel-Nester in ein mildes Rosa.
Der Fischvogel-Vater schwamm zur Wasseroberfläche empor. Er streckte den Kopf aus dem Wasser, schaute sich um, als ob er Hilfe suchte. Dann tauchte er wieder ab. Am Nest angekommen schlüpfte er hinein. Er wollte seine Gefährtin trösten. Denn dass das Kleine noch schlüpfen würde, daran glaubte er nicht mehr. -
Da plötzlich – was war das?
Toktok – tok – tok – toktoktok.
Der Fischvogel-Vater reckte den Kopf. Angestrengt lauschte er.
Toktoktok – toktok – tok ---- toktoktok.
Es gab keinen Zweifel! - Es kam aus dem Ei! - Das Kleine rührte sich!!!
Er rüttelte seine Gefährtin, die trübe vor sich hinstarrte.
„Es rührt sich!“ rief er voller Freude. „Es rührt sich!“
Mama Fischvogel reckte den Kopf und lauschte. Laut und vernehmlich hörte sie: tok - tok - toktok – tok – toktoktok.
Sie lehnte ihren Kopf an die Schulter ihres Gefährten und schluchzte erleichtert: „Endlich rührt es sich!“
Im Nu sprang die freudige Nachricht auf die anderen Nester über.
„Es rührt sich! Es rührt sich!“
Nagdor, der älteste der Fischvogel-Kinder, strebe mit raschen Schwimmstößen der Wasseroberfläche zu. Er schoss hoch in die Luft hinauf. Dann breitete er seine Schwingen aus. So schnell er konnte flog er durch den Wald.
„Es rührt sich! Es rührt sich!“ rief er immer wieder. „Es rührt sich!“
Verschlafen reckte die Hasenmama den Kopf. Neugierig spitzten ihre Kleinen aus der Kuhle auf der Wiese. Kaum hörten sie die Nachricht, als sie schon los hoppelten. Die Rehe, die Affen, die Vögel und alle alle Tiere des großen Waldes, die die Fischvögel kannten, eilten zum See. Alle wollten dabei sein, wenn das Kleine die Schale durchbrach.
Goldgelb hob sich die Sonne empor. Ihre Strahlen spiegelten sich im Wasser.
Die Fischvogel-Mama hatte ihren Platz verlassen, um dem Kleinen Raum zu geben. Und dieses arbeitete ganz heftig!
Toktoktoktoktoktok klang es in einem Fort dumpf aus dem Ei.
Dicht drängten sich die Tiere am Ufer. Stupsi, der kleine Hase, war zu neugierig. Er beugte sich viel zu weit vor. Da plötzlich machte es „Plumps“ und er war im Wasser verschwunden. Prustend tauchte er wieder auf. Flaps, der Affe, reckte sich und fischte mit seinen langen Armen den kleinen Hasen wieder heraus. Alle Tiere lachten. Verschämt drückte sich Stupsi an seine Mama.
Währenddessen hatte das Kleine in dem Ei unermüdlich weiter gearbeitet. Auf einmal bekam die Schale große Sprünge und mit einem lauten „plopp“ brach sie auseinander.
„Oh“, sagten die Tiere am Ufer. Denn im Nest lag ein allerliebstes Fischvögelchen, reckte die Beinchen, streckte die Flügelchen. Mit einem Schwups stand es auf seinen Schwimmfüßchen und betrachtete neugierig seine Umgebung.
In diesem Augenblick fiel ein Sonnenstrahl direkt in das Nest. Die Schuppenfedern des Kleinen schimmerten wie reines goldüberstrahltes Silber.
„Wie soll es heißen?“ fragte die Fischvogel-Mama.
„Galdan“, sagte Nidal, die alte Muhme, die schon lange nicht mehr fliegen konnte und die vieles wusste, was man eigentlich gar nicht wissen konnte. „Galdan“, so sagte sie geheimnisvoll, „muss er heißen. Denn der Schein des Lichtkönigs traf ihn bei seiner Geburt. Galdan ist der, der im Licht steht.“ Dann wandte sie sich um und schwamm schwerfällig in ihr algenbesetztes Nest.
„Galdan“, sagte der Fischvogel-Vater, „ist ein schöner Name. Möge er dem Kleinen Glück bringen!“
„Galdan“, sagte die Fischvogel-Mama zärtlich. „Ja, so sollst du heißen.“ Dann strich sie mit ihrer rechten Greifhand dem Kleinen sanft über das Köpfchen.
Galdan schaute sie mit großen Augen an. Dann tapste er unsicher auf sie zu, stupste sie ein paarmal mit seinem Schnäbelchen an und schlüpfte dann zwischen ihre Beine in die weichen Flaumfedern, die ihren Bauch dicht bedeckten.
Die Sonne kletterte weiter am Himmel empor, tauchte das ganze Land in ihr helles wärmendes Licht. -
Lange noch saßen die Tiere am Ufer, staunten über das Fischvögelchen und warteten darauf, dass es sich wieder zeigte. Aber Galdan war müde. Er hatte schwer arbeiten müssen, um durch die Schale zu kommen. Nun schlief er ruhig und sicher in den strahlenden Morgen hinein. -
Immer weiter stieg die Sonne. Die Tageshitze wuchs, kroch über den See, drückte zwischen die Bäume hinein. Nach und nach verließen die Tiere ihren Platz. Sie kehrten in den großen Wald zurück Aber eines wussten sie alle. Sie würden jeden Tag wieder kommen und sich um Galdan kümmern.
Schließlich saß nur noch die Hasenmama da und um sie herum ihre Kleinen. Die wurden auch schon ungeduldig. Nur Stupsi nicht. Er konnte sich überhaupt nicht satt sehen an dem kleinen Fischvogel, von dem nur die Schwanzspitze unter der Mama hervor schaute.
„Stupsi komm!“ mahnte die Hasenmama. „Du siehst doch, dass Galdan schläft!“
„Ja aber er muss doch wieder aufwachen“, entgegnete Stupsi. „Ich muss doch warten. Ich muss ihn doch fragen, ob er mein Freund sein will.“
Die Hasenmama lächelte. „Aber Stupsi“, meinte sie dann gütig. „Galdan muss jetzt erst einmal lange und tief schlafen. - Weißt du. Es war für ihn sehr schwer, aus der Schale zu kommen. Nun braucht er Ruhe. Du kannst nicht so lange warten. Morgen ist Galdan bestimmt ganz munter. Und dann kannst du ihn fragen.“
Stupsi schaute seine Mama lange an. Dann fragte er sie: „Meinst du wirklich?“
Die Hasenmama nickte und streichelte schmunzelnd ihrem Sprössling über den Kopf. „Kommt!“ rief sie dann. „Wir gehen nach Hause! Ihr werdet alle schon sehr hungrig sein und auf der Waldwiese wartet der Klee!“
„Au ja!“ riefen alle kleinen Häschen und hoppelten in Windeseile davon. Die Hasenmama musste sich sputen, dass sie sie nicht aus den Augen verlor.
Am nächsten Morgen war Stupsi als erster wach. Ganz aufgeregt weckte er seine Mama: „Mama komm, wir müssen zu Galdan!“
Verschlafen reckte sie sich. Dann rappelte sie sich hoch. Auch die anderen wachten auf. Nach einem ersten Frühstück auf der Kleewiese hoppelten alle zum See. Stupsi war allen anderen weit voran. Er konnte es einfach nicht erwarten, Galdan zu sehen. Doch als er das Ufer erreichte, wurde er bitter enttäuscht. Wie angestrengt er auch auf das Gewässer schaute, von dem kleinen Fischvogel fand sich nicht eine Spur.
„Warum zeigt er sich nicht?“ fragte der kleine Hase ganz verzweifelt seine Mama, die nun auch das Ufer erreicht hatte.
„Vielleicht ist es für ihn noch zu früh. Schau, die Sonne ist doch erst aus dem See gestiegen. Galdan schläft bestimmt noch.“
„Ooch. - Immer schläft Galdan, wenn ich ihn besuche“, maulte Stupsi.
Seine Mutter lachte. „Galdan ist doch noch ganz klein“, erklärte sie. „Er muss noch viel wachsen. Und dazu muss er viel essen und viel schlafen.“
„Ist das immer so, wenn Tierkinder noch ganz klein sind?“ fragte Stupsi staunend.
Die Hasenmama nickte nur.
Da tauchte der Fischvogel-Vater aus den Fluten auf. Er schüttelte seinen Kopf und schlug mit den Flügeln. Als er die Hasenfamilie am Ufer sitzen sah, schwamm er sofort auf sie zu.
„Guten Morgen“, grüßte er sie. „Ihr seid auch schon auf?“
„Wir möchten Galdan besuchen“, platzte Stupsi ganz aufgeregt heraus.
Der Fischvogel-Vater lachte. „Stupsi – Galdan ist noch viel zu klein, um mit dir spielen zu können. Er muss noch im Nest bleiben. Weißt du. Noch braucht er viel Wärme. Darum sitzt er nur unter den Federn seiner Mama. Aber wenn er größer ist, darfst du mit ihm spielen. - Ganz bestimmt.“
„Na gut. - Dann komm ich eben morgen wieder“, meinte Stupsi.
Der Fischvogel-Vater musste schmunzeln. „Nein. So schnell geht es auch wieder nicht. Aber wenn du in zwei Wochen kommst, dann ist es soweit. Dann darf Galdan zum ersten Mal ans Ufer. Und du darfst dabei sein.“
„Au fein! - Aber wie weiß ich, wann es soweit ist?“
„Ich schicke Nagdor.“
„Das ist fein! - Aber was mache ich bis dahin?“
Der Fischvogel-Vater und die Hasen-Mama lachten. Sie strich ihrem Sprössling liebevoll über den Kopf. Dann verabschiedete sich die Hasenfamilie und hoppelte in den Wald zurück.
Aufgeregt erzählte es Stupsi an diesem Tag jedem, dass er dabei sein dürfe, wenn Galdan zum ersten Mal ans Ufer kommt. Als es aber Abend wurde und Nagdor immer noch nicht da gewesen war, wurde der kleine Hase doch ungeduldig. Seine Mama tröstete ihn. Aber am nächsten Tag wollte Stupsi schon wieder ans Ufer. -
Es war für ihn eine harte Geduldsprobe. Morgen um Morgen brach an. Aber der Tag, an dem er Galdan sehen sollte, wollte einfach nicht kommen. Schließlich war es doch so weit. Eines Tages früh, als die Sonne gerade ihre ersten Strahlen in den Wald schickte, saß Nagdor schon vor der Hasenkuhle. Stupsi war ganz überrascht, als er die Augen öffnete.
„Komm, beeile dich!“ forderte er ihn auf. „Galdan wird gleich aus dem Wasser kommen.“
Wie ein Blitz war Stupsi aus der Kuhle und fegte, so schnell er konnte, zum See. Bis die Hasenmama recht begriff, was los war, konnte sie ihren Sprössling schon nicht mehr zu sehen. Langsamer folgte sie mit den anderen.
Ungeduldig saß Stupsi am Ufer und starrte in das Wasser. Immer wieder trommelte er mit den Pfoten auf den weichen Boden. Weit beugte er sich über den Ufersaum.
„Na nicht so eifrig! Denk an Galdans Geburt!“ mahnte die Hasenmama, die nun mit dem Rest der Familie auch den See erreicht hatte.
Stupsi zog sich etwas zurück, kam aber dem Wasser rasch wieder bedrohlich nahe. Er war doch so auf Galdan gespannt!
Da tauchte der Fischvogel-Vater auf. - und ganz dicht neben ihm glänzte das Gefieder eines winzig kleinen Fischvögelchens in der Morgensonne! Stupsi reckte sich, so hoch er konnte.
Galdan! Da vorne schwamm Galdan! Zum ersten Mal in seinem Leben atmete der Fischvogel Morgenluft!
Stupsi sah genau, dass das Tierkind erst Angst hatte, zu atmen. Dann aber, als es sah, wie tief der Vater Luft holte, probierte es das auch. Und die Lungen füllten sich zum ersten Mal mit frischer reiner Luft.
Da hielt es Stupsi nicht mehr. „Galdan!“ rief er. „Guten Morgen! Komm her zu uns!“
Galdan erschrak. Er hatte solche Laute noch nie gehört. Aber sein Vater lächelte nur. „Galdan, das ist Stupsi. Ein kleiner Hase. Du darfst ruhig zu ihm hinschwimmen! Er wartet schon seit deiner Geburt darauf, dich zu sehen.“
Flink paddelte Galdan auf das Ufer zu. Kurz davor hielt er an. Stupsi hopste ganz aufgeregt auf dem Sand hin und her. Er brachte überhaupt kein Wort mehr heraus. Er wollte doch so viel sagen. Aber jetzt wusste er nicht, ob er erst staunen oder erst reden sollte.
„Stupsi?“ fragte Galdan zögernd mit sanfter hoher Stimme.
Der kleine Hase blieb stehen und nickte heftig. „Willst du...? Magst du...? stammelte er. Galdan sah ihn groß an.
„Ich will dein Freund sein“, brachte der kleine Hase endlich heraus.
Galdan betrachtete den Kleinen ausgiebig. Er gefiel ihm. „Ja“, antwortete er. „Lass uns Freunde sein!“
Stupsi hüpfte vor Freude hoch in die Luft. „Au fein!“ rief er. „Komm, wir gehen spielen!“
„Kann ich denn a u s dem Wasser?“ fragte Galdan verwundert. „Na komm schon, Kleiner!“ ermunterte ihn Nagdor. „Du siehst doch, dass ich auch draußen bin.“
Da versuchte Galdan, ans Ufer zu klettern. Aber irgendwie ging das nicht so, wie er sich das gedacht hatte. Er wusste einfach nicht, wie er seine Füßchen zu stellen hatte. Und was machte er mit seinem ganzen Gewicht, das er jetzt spürte? Irgendwie zog es ihn ins Wasser zurück. So platschte er wieder in die Wellen, kaum, dass er seine Füßchen ans Ufer gesetzt hatte. Alle mussten lachen. Auch Galdan lachte mit. Dann probierte er es noch einmal. Diesmal schlug er auch mit den Flügeln. Und dabei wunderte er sich, mit welcher Kraft sie ihn aufs Ufer hoben.
Rasch lernte er all die anderen kennen, die sich nun auch am Wasser eingefunden hatten. Und schon bald tollte die fröhliche Schar durch den Wald.