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Wolfram Knauer. "Play yourself, man!". Die Geschichte des Jazz in Deutschland
»Play yourself, man!«
Inhalt
Intro
Spirituals im Kaiserreich
Eine amerikanische Armeekapelle in Europa
Kolonialismus, Exotismus und die Fisk Jubilee Singers
Völkerschauen
Erste afro-amerikanische Aufnahmen in Europa
Der Siegeszug des Jazz beginnt
Die Angst vor schwarzen Menschen
Jazz: Tanz oder Musik?
»Im Southern Syncopated Orchestra gibt es einen außerordentlichen Klarinettisten …«
Das Jazz-Age in der Weimarer Republik
Berufsbild »Jazzmusiker«?
Malen nach Zahlen: Lernen von Noten
Die Anfänge der Schallplattenindustrie
Die Goldenen Zwanziger – das Jazz-Zeitalter
Wohin in Berlin?
Zwischen Charleston und Haller-Revue
Revue Nègre: »Sie spielen ohne Dirigenten«
»Damenkapellen« in der Weimarer Jazzrepublik
Man schreibt über Jazz
Paul Whiteman in Deutschland
Die erste Jazzklasse und das Musik-Echo
Jazz auf der klassischen Bühne
Der Tanz zum großen Crash
Jazzdämmerung
Some of These Days
Der Hass wird lauter
Erste Maßnahmen gegen den Jazz
»Goody Goody« …
Kurze Weltoffenheit: Olympia
Was ist Jazz in Nazi-Deutschland?
Von »White Jazz« bis »Delphi Fox«
Jammin’ mit der Goldenen Sieben
Hofkonzert im Hinterhaus
Alternative Jugendkultur
Swing im Auftrag des Führers
»Die Trommel und ihr Rhythmus«
Die Ghetto Swingers: Jüdische Musiker in Deutschland und Jazz im KZ
Die Stunde Null – Aufbruch und Neuorganisation der Jazzszene nach 1945
Die Bigband spielt weiter…
Musikalische Fraternisierung: Jazz in den amerikanischen GI-Clubs
Vom Leben als Kellerassel
»Der Schlüssel« zum Jazz
Berliner Bebop
Hamburger Dixie
Münchner Jump
Die Verteidigung des Jazz
Learning by Doing
Bebop im Wohnzimmer
Die Deutschen All Stars
Hipp Jazz in Kollerland
A Night in Hannover
Salute to Lars Gullin
European Jazz Sounds
Der Rundfunk als Initiator
Die Rundfunk-Bigbands
Keine Geheimwissenschaft: Jazz an der Hochschule
Die Grundlagen der (west)deutschen Jazzszene sind gelegt
Albert Mangelsdorff
Das Jazzensemble des Hessischen Rundfunks
»Animal Dance«
»Ab hier gilt’s«
Deutscher Jazz? – Der Griff zum Volkslied
CBS goes German Jazz
Die Plattenindustrie wird neugierig
Der bundesdeutsche Jazz spielt sich frei
Heartplants
Jazzin’ the Black Forest
Eternal Rhythm in Woodstock
Swinging Oil Drops!
Zwischen Free Action und United Jazz + Rock
Passport zum Erfolg
A Machine Gun for Adolphe Sax
Globe Unity und European Echoes
FMP: The Revolution Needs to Be Documented
Die Folgen der Freiheit
Jazz in der DDR I: Bis zum Mauerbau (1949–1961)
Mit der Volkspolizistin auf der Messe
DDR-Kulturpolitik im Wandel
Die Zone swingt, die Stasi nicht …
Zwischen Hoffnung und Enttäuschung
Geschlechtskrankheiten durch Jazz
»Fragen« an die Dresdner Tanzsinfoniker
Die Macht der Pappe
Besuch in West-Berlin
So klingt die DDR – auf Amiga
So klingt die DDR – im wirklichen Leben
Ermutigung und Abschottung
Jazz in der DDR II: Neue Freiheit hinter Mauern (1961–1989)
Analysen und Aspekte
Blues-Gedanken
Das schönste Mädchen der Welt
Dresden am Mississippi
Die populäre Seite des Modern Jazz
Bach, Webern und Charlie Parker
Aus teutschen Landen
Zentralquartett mit rosa Krokodil
Woodstock am Karpfenteich meets Jazzwerkstatt
Emanzipation erreicht: Was nun?
Der Rock’n’Roll-König
Jazz Meets the World
Schönheit, die ich meine
ECM: Drei Sekunden Stille
Jazz by Post: Neue Wege in Musikproduktion und -vertrieb
Berlin und andere Feste
Der Urschrei
Professor Jazz
Die Institutionalisierung der Jazzszene
Der »Posaunenweltmeister«
Die Frankfurter Schule
Anything goes in Köln
Die Bigband der Zukunft
Die Musik im Global Village
»Hanse- und Barberstadt« Hamburg
Bremer Stadtmusikanten
Musterländle, Bayern, Rheinland, Ruhrgebiet
Jazz auf der Insel
Zwischen den Welten
Ein bestelltes Haus …
Auf ins 21. Jahrhundert
Die Mauer fällt
Das Spiel mit der Tradition
Ein Land schafft sich ab
Alte Strukturen – neue Strukturen
Von den Roots des aktuellen Jazz
Die Faszination des »Songs«
Die Faszination des Komplexen
Die Faszination des Sounds
Die Faszination des Virtuosen
Die Faszination des Internationalen
Jazz wird diverser, weiblicher, queerer
Mein Weg zum Jazz – ein persönliches Nachwort
Dank
Abbildungsnachweis
Hinweise zur Diskographie und Literatur
Bücher zum Jazz in Deutschland sowie für dieses Buch genutzte Quellen
Zeitschriften
Endnoten
Über Wolfram Knauer
Über dieses Buch
Hinweise zur E-Book-Ausgabe
Отрывок из книги
Wolfram Knauer
Die Geschichte des Jazz in Deutschland
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Borchard wird gern als der erste wirkliche Jazzmusiker in Deutschland genannt, und seine Aufnahmen aus dem Jahr 1924 gehören auf jeden Fall zu den ersten Beispielen, die belegen, dass Musiker nicht nur die vordergründigen Eigenschaften, sondern auch ein wenig vom Geist des Jazz verstanden hatten. Im Januar 1924 interviewt ihn der Korrespondent des New York Herald, dem Borchard erklärt: »Es ist wahr, die Deutschen tun sich schwer damit, diese komplexen amerikanischen Synkopen zu lernen.« Während andere Musiker ihr Wissen um den Jazz aus Noten bezogen, war es für Borchard am wichtigsten, dass seine Musiker Jazz von Platten lernten. »Der Schlagzeuger, der Posaunist und all die anderen müssen genau zuhören und auf ihren Instrumenten der Platte eine Stunde jeden Tag folgen, damit ihnen in Fleisch und Blut übergeht, was Synkopen wirklich bedeuten.« Als Resultat, rühmt er sich, habe er in seiner Band das Expertenwissen, für das die klassischen Musiker in Deutschland bekannt seien, und zugleich ein Wissen um all die Dinge, die wirklich guten Jazz garantierten.35
Borchards Musik räumt mit dem Klischee auf, dass Musiker in Europa den Jazz nicht verstanden hätten. Sein Statement im New York Herald zeigt, dass Musiker hierzulande durchaus die Qualitäten der oralen Überlieferung begriffen hatten, die den Jazz und die afro-amerikanische Musik prägten. Er wusste um das Problem der Rhythmik, und er wusste, dass Improvisation für europäische Musiker schwer zu erlernen war. So erstaunt es nicht, dass Emile Christian nicht der einzige amerikanische Musiker blieb, der über die Jahre in seiner Band mitwirkte. In der zeitgenössischen Presse aber machte Borchards Sucht nicht weniger Schlagzeilen als seine Kunst. »Seiner Musik«, schreibt etwa ein Berichterstatter nach dem Saarbrücker Gerichtsprozess, der in seinen Auftritten seine Drogensucht durchzuhören meint, »haftet etwas Wildbizarres an, das die Menschen lockt, ohne daß sie die Gründe für diese krankhafte Interessantheit der Musik des Jazzkönigs kennen. Dabei klingen aus den wilden Rhythmen der Kapelle bereits die düsteren Töne eines Todesjazzes.«36 Borchard war aber gewiss eine Ausnahmeerscheinung. Reisen bildet – auch musikalisch –, aber nur wenige andere Musiker hatten die Chance, Jazz, oder zumindest Vorformen dessen, was bald zum Jazz werden sollte, in seinem Ursprungsland kennenzulernen. Tatsächlich brauchte es dafür, sofern man sich über den Atlantik begab, ja nur offene Ohren, wie kein Geringerer als der tschechische Komponist Antonín Dvořák in den 1890er Jahren bewiesen hatte, als er an der Manhattan School of Music unterrichtete und seine amerikanischen Schüler aufforderte, sie sollten sich die Melodien der amerikanischen Ureinwohner und die geistlichen Gesänge der schwarzen Bevölkerung zu Gemüte führen und darauf eine eigene amerikanische Musiksprache aufbauen. Hierzulande jedenfalls wurden Borchard und andere Jazzmusiker gern als »Musikclowns« beschrieben, und diese Zueignung galt nicht nur ihren Bühnenkostümen oder Instrumenten, sondern zuvörderst der Tonbehandlung und den scheinbar akrobatisch-waghalsigen Experimenten, auf die sie sich einließen.
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