Читать книгу Die kleine Elfe Samra - Yasmin Azgal - Страница 7

Feierabend

Оглавление

Die kleine Elfe beschloss, die Gegend nun auf eigene Faust zu erkunden. Während sie durch die Straßen flog und die vielen Leute beobachtete, die sich in auffallend guter Laune und unterschiedlichster Bekleidung in und vor den zahlreichen Lokalen tummelten, fiel ihr etwas auf, das bis jetzt ihrer Aufmerksamkeit entgangen war: Sie bewegte sich schon lange nicht mehr auf erdigem Terrain. Das Braun war einem einheitlichen Grau gewichen, das den Stadtboden wie ein harter Panzer überzog. Wenn es einen Baum oder Strauch gab, dann schien der nicht immer dort gewesen zu sein – jemand musste ihn explizit dorthin gepflanzt haben, und jedes Mal wurde die Pflanze von den scharfen Rändern des grauen Bodenbelages begrenzt.

Nachdenklich hielt Samra inne und bemerkte, dass sie vor einem großen, belebten Lokal gehalten hatte, vor dem mehrere Menschen an Tischen saßen. An einem der Tische saß ein junger Mann. „Entschuldige bitte, kannst du mir sagen, warum der Boden hier überall grau ist?“ Der Mann blickte verwundert von seinem Buch auf und brauchte eine Minute bevor er verstand, woher die Stimme kam.

„Meinst du den Asphalt?“

„Ich weiß nicht, wie der graue Boden heißt. Ich weiß nur, dass er mir fremd ist.“

„Du kommst wohl aus der Pampa!“, sagte der Mann amüsiert. Als er sah, dass die kleine Elfe nicht verstand, was er meinte, fuhr er fort: „Asphalt oder Beton wird in Städten und für Straßen verwendet, damit die Autos und die Menschen schnell vorankommen.“

„Und was war vor dem Asphalt hier?“

„Dreck.“

„Meinst du Erde?“

„Ja, Erde.“ … „Ich stelle mir das grauenhaft vor, wie man mit den Schuhen im Matsch versinkt, wenn es regnet“, fügte der Mann gedankenverloren hinzu.

„Schuhe?“

Der Mann runzelte die Stirn und zeigte auf die Schuhe, die er anhatte. Als er sah, dass Samras Blick zu den Bäumchen in den Töpfen rund um den Gastgarten wanderte, fügte er hinzu: „Es gibt eigene Ämter, die sich um die Stadtbegrünung kümmern. Das hier sind ein paar nette Pflanzen fürs Auge, wenn ich auf ein Bier herkomme.“

„Was ist Bier?“

„Ein alkoholisches Getränk, wobei – es gibt auch alkoholfreies Bier.“

„Alkoholisch? Was heißt das?“

Der junge Mann griff sich an die Stirn und blickte auf den Tisch, während er sprach: „Das bedeutet einfach, dass du von dem Getränk lustig wirst.“

„Bist du ohne das Bier nicht lustig?“

„Schon, aber nicht lustig genug, um gute Laune zu haben. Um zu vergessen.“

„Was möchtest du vergessen?“

Der Mann lächelte gezwungen. „So einiges.“

„Was zum Beispiel?“

„Arbeit.“

Samra blickte ihn fragend an. „Arbeit?“

„Das, was wir Steuerzahler die ganze Woche machen, um unser Geld zu verdienen.“

„Ich verstehe, damit du im Supermarkt Essen kaufen kannst. Und was musst du machen, um Geld zu verdienen?“

„Naja, zuerst einmal musst du eine Ausbildung absolvieren, damit du für irgendeine Arbeit geeignet bist. Wobei – das meiste, was du in der Arbeit machst, lernst du eigentlich erst beim Arbeiten. Dann musst du einen Job finden – also jemanden, der dich einstellt. Und von dem, also vom Chef, bekommst du dann dein Geld.“

Da die kleine Elfe sich immer noch nichts unter Arbeit vorstellen konnte, fragte sie weiter: „Und was arbeitest du?“

„Ich arbeite in der Buchhaltung als Aushilfe für die nächsten Monate. Ich überprüfe Rechnungen und ordne sie bestimmten Kategorien zu.“ Als hätte er die Reaktion der Elfe bereits geahnt, erklärte er weiter: „Unter Rechnungen versteht man Papier, auf dem steht, wie viel Geld wann wofür ausgegeben wurde.“

„Ist das eine schöne Arbeit?“

„Ja, es ist schon in Ordnung. Ich muss nicht allzu früh aufstehen, es gibt Rauchpausen und Mittagspause, und die Kollegen sind okay. Auch der Kaffeeautomat ist eine gute Sache.“ … „Übrigens“, fügte er hinzu, „ich muss mit dem Geld, das ich verdiene, nicht nur mein Essen bezahlen, sondern auch die Miete für meine Wohnung, Warmwasser, Strom und Heizung, meine Kleidung, und und und.“

„Und warum willst du die Arbeit vergessen?“

„Weil jetzt das Wochenende kommt und ich meine Ruhe haben will.“

„Was ist das genau, das Wochenende?“

„Die Woche hat sieben Tage. An fünf Tagen arbeite ich, an den letzten zwei möchte ich mich ausruhen. Doch meistens geht einer dieser Tage eh fürs Einkaufen drauf.“

„Du scheinst das nicht so gut zu finden“, deutete Samra den Gesichtsausdruck des Mannes.

„Ja, wem gefällt das schon, aber so ist das Leben.“

„Hm... Ich lasse dich jetzt in Ruhe. Genieße dein Bier und hab ein schönes Wochenende!“, sagte die Elfe und wurde von dem jungen Mann mit einem schwachen Lächeln und einem Kopfnicken verabschiedet.

Als die kleine Elfe das Ende der Straße erreicht hatte, hörte sie ein Grollen aus der Ferne, das sich mit einem gleichmäßig auftretenden, dumpfen Geräusch vermischte. Das Grollen wurde lauter und lauter. Plötzlich brauste ein sehr langes Vehikel mit vielen beleuchteten Fenstern, hinter denen Dutzende Gesichter zu sehen waren, über eine Brücke auf der anderen Straßenseite. Als das lange Vehikel wieder im Dunkel der Nacht verschwunden war, hörte Samra erneut das gleichmäßige, dumpfe Geräusch, das aus einem der Bögen unter der Brücke kommen musste. Die Bögen waren alle mit riesigen Fensterscheiben versehen, die jedoch Blicke ins Innere größtenteils verwehrten. Das einzige, das Samra sehen konnte, waren bunte Lichter und viele Gefäße mit verschiedenfarbigen Flüssigkeiten. Neugierig näherte sich die Elfe dem nächstgelegenen Bogen.

„Wo bist du? Wir warten alle vor dem Club. Nein, passt schon, wir sind eh noch am Vorglühen“, hörte sie eine junge Frau inmitten einer Gruppe junger Menschen in ein kleines Ding sprechen, das sie sich ans Ohr hielt. Die junge Frau wandte sich nun den anderen Männern und Frauen in der Gruppe zu: „Sie ist eh gleich da, hat die U-Bahn verpasst, ist aber unterwegs.“

„Hallo, Entschuldigung?“ sagte Samra zögerlich.

„Wenn du eine Zigarette willst, frag' jemand anderen, ich hab heut' schon zwei Leuten eine gegeben! Feuer kann ich dir geben.“

Nach kurzem erneutem Zögern sagte die kleine Elfe: „Nein danke, ich wollte nur fragen, was ihr da macht.“

„Wir gehen feiern, endlich ist Wochenende! Keine Uni, keine Schule!“

„Oh“, sagte Samra erwartungsvoll, „was feiert ihr denn?“

„Das sagt man einfach so. Das bedeutet wir machen Party – gehen tanzen und was trinken.“

„Ach so. Trinkt ihr auch Bier, um lustig zu sein?“

Die jungen Menschen blickten einander an und lachten.

„Unter anderem, ja.“

„Und was wollt ihr vergessen?“

„Vergessen?“, fragte nun ein junger Mann aus der Gruppe.

„Ja, ein Mann hat mir erklärt, dass er Bier trinkt, um lustig zu sein und um zu vergessen.“

„Okay, ich verstehe schon. Ja, da ist schon was dran, man kann sich betrinken, wenn man zum Beispiel eine zerbrochene Beziehung vergessen will. Aber wir trinken Alkohol, weil das einfach so dazu gehört zum Fortgehen... Wenn überhaupt, dann wollen wir den Alltag vergessen, also Uni, Schule oder Arbeit.“

„Hm… Ja das hat der Mann auch gesagt. Was bedeutet Uni und Schule?“

„Da lernen wir, um später einen Job zu bekommen und unseren Lebensunterhalt zu verdienen.“

„Ah verstehe. Und ist das keine schöne Sache?“

„Nein.“ – Der junge Mann sah belustigt zu seinen Freunden und die Gruppe lachte. „Doch, ja, außer halt das Büffeln und die Prüfungen. Aber bald ist das Studentenleben vorbei und dann wird es ernst!“

Die kleine Elfe war verwirrt von all den widersprüchlichen Aussagen, doch als sie weiterfragen wollte, wurde sie unerwartet unterbrochen: „Hey, da bist du ja endlich! Jetzt kann's losgehen! Paaaaarty!“ Die jungen Menschen verabschiedeten sich mit einem Nicken oder einem Lächeln von Samra und verschwanden hinter dem Eingang des Bogens, der von einem streng aussehenden Mann in weißer Bekleidung bewacht wurde. Neugierig folgte die kleine Elfe den anderen Menschen, die ebenfalls ins Innere des Clubs drängten, und entging dabei den wachsamen Augen des Türstehers.

Im Club war es dunkel, relativ warm und die Luft war schlecht. Am Boden und an den Wänden tanzten bunte Lichter, die aus Geräten kamen, deren Strahlen verrieten, wie staubig es in den Räumen sein musste. Samra zwängte sich zwischen Ellenbogen und schwingenden Hüften hindurch, so voll war der Raum mit feiernden Menschen. Die meisten tanzten in der Mitte des Raumes, einige mit einem Glas in der Hand, an dem sie ab und zu nippten. Dabei gab es manche, die alleine – wie in Trance – tanzten, andere, die lachend in Gruppen ihre Bewegungen zur Schau stellten, und wieder andere, die scheinbar das andere Geschlecht betören oder ihre Liebe zu jemandem ausdrücken wollten. Viele standen um die tanzende Menge herum, tranken bunte Flüssigkeiten aus bunt dekorierten Gläsern und unterhielten sich mit brüllenden Stimmen, um die ohrenbetäubende Musik zu übertönen. „Das muss der Alkohol sein“, dachte Samra. „Und das gleichmäßige Geräusch, das ich schon von Weitem gehört habe, ist der Rhythmus für diesen Tanz!“ Da es bei dem Geräuschpegel für die kleine Elfe unmöglich war, ein Gespräch zu führen, flog sie über die kleine Terrasse mit ein paar voll besetzten Tischen wieder aus dem Club. Bereits ein paar Meter entfernt, schnappte Samra noch ein paar Worte der jungen Menschen vor dem Club auf: „Yeah, Happy Hour, Leute, die erste Runde geht auf mich! Wer macht die zweite?“

Die kleine Elfe Samra

Подняться наверх