Читать книгу Männerphantasien - Hochhausromantik - Yupag Chinasky - Страница 6

Konkurrenz

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Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, Jessi samstags am späten Vormittag anzurufen und sich mit ihr zum Essen zu verabreden. An diesem Tag hatte er frei, sowohl von der Arbeit als auch von seinen häuslichen Pflichten, außer wenn etwas Unvorhergesehenes eintrat oder etwas Besonderes anstand, etwa eine größere Reparatur im Haus oder ein größerer Einkauf, doch das war selten der Fall. Das Reihenhaus in dem ruhigen, verschlafenen Vorort, in dem er mit seiner Frau wohnte, war solide gebaut und da er keinen handwerklichen oder gestalterischen Ehrgeiz besaß, gab es für ihn nicht viel zu tun, auch nicht in dem kleinen Garten, dem Reich seiner Frau. Sie waren kinderlos und beide berufstätig, er in einer Softwarefirma, sie als Lehrerin an einer Realschule. Ihr Einkommen war nicht übermäßig, aber es reichte zu einem unbeschwerten Leben, sogar mit etwas Luxus. In ihrer Beziehung hatte sich im Laufe der Zeit eine gewisse Gleichgültigkeit eingestellt, ein Trend vom Miteinander der frühen Jahre zu einem weitgehend reibungslosen Nebeneinander. Reibungen kamen von anderer Seite. Bei ihm war es der Beruf. Er war als Spezialist für Internetbanking mit Projekten befasst, die als höchst wichtig und höchst dringlich galten. Man erwartete von den Mitarbeitern, dass sie sich voll einsetzten, ihr Bestes gaben, ohne Rücksicht auf private Dinge. Oberstes Ziel war, die Auftraggeber mehr als zufriedenzustellen. Er spielte selbstverständlich mit, weniger aus Überzeugung als aus der Einsicht, dass trotz aller Spezialisierung und Erfahrung ein anderer recht schnell seine Stelle einnehmen könnte, der Konkurrenzdruck war sehr hoch. Als Folge dieser Ausbeutung, denn nichts anderes war es, stand er unter permanentem Druck und musste viel mehr Zeit in die Arbeit investieren, als ihm eigentlich recht war. Seine Freizeit war viel zu knapp, viel zu kurz, um sich zu erholen, geschweige denn, um noch anspruchsvollen Interessen nachzugehen oder gar an etwas Kreatives zu denken. In seinem außerberuflichen Leben herrschte ein apathisches Desinteresse und seine Lebensfreude fand er fast nur noch auf kulinarischem Gebiet. An Sonntagen gingen er und seine Frau in ein angesagtes Restaurant, suchten einen exquisiten Landgasthof auf oder kochten selbst ein aufwändiges Menü. Bei diesen Gelegenheiten, aber nicht nur bei diesen, sprach er reichlich den dazu passenden, teuren Getränken zu, meist mehr als ihm gut tat.

Seine Frau hatte ebenfalls mit einigen permanenten, berufsbedingten Unannehmlichkeiten zu kämpfen. Ihr Klientel waren vor allem unerzogene, pubertierende Jugendliche, denen sie Tag für Tag gegenüber stehen musste und deren Aggressivität, gepaart mit Desinteresse, sie in Dauerstress versetzte. An diese Belastung hatte sie sich in all den vielen Jahren nicht gewöhnen können und es bestand auch keine Aussicht, dass sich daran etwas ändern würde, jedenfalls solange nicht, wie sie berufstätig war. Noch problematischer, wenn auch erst seit einigen Monaten, war die Sache mit ihren Eltern. Sie wohnten in einem Dorf in der Nähe und die Samstage verbrachte sie damit, für sie einzukaufen und zu kochen, meist für eine Woche im Voraus. Dann aßen sie zusammen und nach dem Essen half sie ihnen, all den Kram zu erledigen, den sie allein nicht mehr schafften und das war jetzt schon das meiste und wurde immer mehr. Schließlich fühlte sie sich auch noch verpflichtet, mit ihnen einen Spaziergang oder einen kleinen Ausflug zu machen, weil „die beiden sonst gar nicht mehr ihre Festung verlassen“, wie sie ihrem Mann erklärte. Für gewöhnlich kam sie erst am frühen Abend wieder zurück und war dann ziemlich erledigt. Von Zeit zu Zeit war auch er gefragt, wenn an Geburtstagen oder an manchen Feiertagen ein Besuch unumgänglich war oder wenn sein spärliches handwerkliches Geschick benötigt wurde. Aber das waren Ausnahmen und er war froh, dass seine Frau ihn nicht mehr anforderte. Zum Glück gab es auf seiner Seite kaum Verwandtschaft, nur eine entfernt lebende Cousine, der er regelmäßig zum Geburtstag und zu Weihnachten eine Karte schickte, sie hin und wieder anrief und nur alle Jubeljahre besuchte.

An Samstagen hatte er also ausreichend Zeit für sich und nutzte sie. Er fuhr meistens in die Innenstadt, erledigte, was zu erledigen war oder ließ sich auch nur in dem Menschenstrom der Samstagseinkäufer durch die Straßen treiben. Wenn er bei schönem Wetter keine Lust auf Stadt hatte, ging er am Fluss oder in einem Park spazieren. War es warm genug, radelte er gerne zu einem nah gelegenen Weiher, schwamm ein paar Minuten, legte sich die meiste Zeit aber nur auf die Wiese, hörte Musik mit seinem Handy, schmiedete Pläne, die er selten umsetzte und beobachtete die Menschen um sich herum, vorzugsweise Mädchen und Frauen in knappen Bikinis. Bei schlechtem Wetter fand er Vergnügen darin, einen Kinofilm im Nachmittagsprogramm anzusehen, die Chance, dass er dabei nicht einschlief, war deutlich größer, als bei einem Kinobesuch am Abend. Wenn kein interessanter Film lief, besuchte er schon mal ein Museum oder in eine Ausstellung. Die Beschäftigung mit Kunst war eine der wenigen Interessen, die er noch pflegte. Mittags aß er eine Kleinigkeit, wirklich nicht viel, denn der Samstag war der Abnehmtag, meistens in einem Schnellimbiss oder in der Nordsee, er liebte Fisch und alles, was aus dem Meer kam. Seine Samstage waren weder aufregend noch aufwändig noch abwechslungsreich, sie waren so, wie sein Leben. Sie entsprachen seinem Naturell, waren die Folge seiner latenten Lethargie des Privatlebens, die in deutlichem Kontrast zu der im Beruf geforderten hohen Aktivität stand. Aber er ging immer aus dem Haus, ob das Wetter nun gut oder schlecht war, allein wollte er nicht daheimbleiben. Allerdings war er aber auch außer Haus allein. Seine Lethargie zeigte sich auch in einem Mangel an Kommunikation. Er besaß keine Freunde, mit denen er sich hätte regelmäßig treffen wollen und er suchte auch keine. Ihm reichte der tägliche Umgang mit den Arbeitskollegen und die gelegentlichen gemeinsamen Besäufnisse zum Abladen der permanenten Frust, die, wenn überhaupt freitags nach der Arbeit stattfanden und regelmäßig den Zorn seiner Frau hervorriefen, die allerdings weniger Angst um seine Gesundheit als um seinen Führerschein hatte. Er war sich also meistens selbst genug. Gegen Abend kehrte er nach Hause zurück. Manchmal war er früher daheim, manchmal seine Frau. Sie aßen dann gemeinsam zu Abend und tauschten die Erfahrungen und Erlebnisse des Tages aus, das heißt, eigentlich redete nur sie, um ihren angesammelten Frust loszuwerden. Er steuerte meist nur ein paar Stichworte zur Unterhaltung bei. Auf Nachfrage sagte er dann, dass es so wie immer gewesen sei. Doch seine Frau fragte selten nach, sie war zu sehr mit ihrem eigenen Kram beschäftigt. Bei diesem geregelten Programm war es kein Problem für ihn, Jessi in den Ablauf der Samstage einzubauen. Von ihr erzählte er seiner Frau natürlich nichts.

Er traf Jessi regelmäßig bei einem Italiener in ihrer Nähe zum Mittagessen. Beide mochten Spaghetti und frische Salate. Er schätzte es, immer in demselben Restaurant zu essen, weil seine Frau italienisches Essen nicht mochte und so keine Gefahr bestand, dass der Kellner sich in ihrer Anwesenheit nach der netten piccola negra erkundigen könnte. Das „Adria“ gehörte zu der beruhigenden Routine fester Gewohnheiten, die sich in ihrer Beziehung sehr rasch eingestellt hatte. Diese Routine wurde auch in dem nachfolgenden Tagesprogramm beibehalten. Er fuhr mit Jessis in eines dieser Einkaufszentren am Stadtrand, eine Örtlichkeit den seine Frau nie aufsuchen würde. Dort bummelten sie durch die Geschäfte und er erledigte, was er zu erledigen hatte. Jessi ging gerne mit, denn für sie fiel immer eine Kleinigkeit ab: ein T-Shirt, Kosmetika oder eine Packung Pralinen. Manchmal, wenn er gut drauf war, bekam sie sogar etwas Größeres: Unterwäsche, was eigentlich überflüssig war, weil sie selten etwas darunter trug, schon eher eine schicke Bluse oder ein paar Schuhe. Und einmal, an ihrem Geburtstag im Oktober, war er besonders großzügig und schenkte ihr eine Perlenkette, die in einem Juwelierladen gerade im Angebot war. Sie war über dieses Geschenk so begeistert, dass sie die Kette gar nicht mehr ablegen wollte und auch er fand den Kontrast der weißen Perlen zu ihrer Schokoladenhaut sehr apart. Wenn sie nicht einkaufen gingen, gab es bei schönem Wetter eine Spritztour in die Umgebung und bei Regen Kino oder ein Museum. Im Kino saß Jessi ganz still neben ihm und verfolgte den Film, obwohl sie, wie sie ihm gestand, nur wenig von dem mitbekam, was geredet wurde. Sie begleitete ihn genau so gern in ein Museum. Sie liebte Museen, allerdings nicht das, was dort ausgestellt war, sondern das Gebäude, die Räume, die Ruhe, die langweilige Behaglichkeit. „Hier alles sauber und schön und ruhig, viel ruhig. Man nicht muss essen, nicht muss trinken, nur sitzen. Du sehen Bilder, ich sehen dich, wie du sehen Bilder. I like it, you know.” Das Museum bot ihr etwas, was sie sonst nicht hatte, ein angenehmes, entspanntes, ruhiges Zuhause.

So gegen drei oder vier, je nach Programm, begann der Höhepunkt des Tages. Sie gingen in das Hochhaus und hatten Sex auf der roten Couch. Es gab natürlich auch ein Schlafzimmer, aber das war tabu, das war die unbedingte Privatsphäre der beiden Frauen. Die Tür war immer zu, er vermutete sogar abgeschlossen. Er hatte es in der ganzen Zeit seiner Besuche nicht einmal betreten. Sex im Badezimmer blieb außen vor, wie auch alle andere Experimente oder Extravaganzen. Ihr Sex war im Grunde genommen einfallslos und lief immer nach dem gleichen Schema ab: Ein wenig variantenreiches Vorspiel, etwas gegenseitiges befummeln und herum lecken an den intimsten Stellen, niemals richtige Küsse, dann ein kurzer Höhepunkt, fast immer in derselben Stellung, der konventionellen Missionarsstellung oder auch mal von hinten, aber immer nur in die richtige Öffnung. Dem Akt folgte dann eine lange Ausruhephase, obwohl sich beide gewiss nicht übernommen hatten. Ihr Liebesleben war rasch zu einer eingespielten Routine gelangt. Sie mussten sich nichts beweisen und wollten nichts Neues erforschen. Nur einmal machte er etwas Ungewöhnliches. Er hatte eine kleine Digitalkamera mitgebracht und schoss ein paar Bilder von der Wohnung, von ihr und von sich beiden, wie sie nackt auf der Couch lagen. Er streckte die Kamera mit der einen Hand so weit wie möglich von sich weg, die andere hatte er um ihre Schulter gelegt. Jessi, die sich eng an ihn schmiegte und mit ihren Armen und Beinen umklammert hatte, musste den Kopf gehörig verrenken, um auch in die Kamera blicken zu können. Er drückte ein paar Mal ab, die Bilder waren zwar scharf, aber dennoch schlecht. Er schauten reichlich dämlich in die Kamera, Jessi war etwas entspannter, ihr Blick, wie immer, süß, aber die Perspektive war dämlich, das ganze Bild war zum Wimmern. Es sollten Andenken an die schönsten Momente in seinem derzeitigen Leben sein, das sagte er ihr jedenfalls. Er ahnte nicht, dass sich genau diese Bilder als ziemlich verhängnisvoll erweisen sollten.

Mit ihrem eingespielten Minimalprogramm war er durchaus zufrieden. Seine Ambitionen hielten sich auch auf diesem Gebiet in Grenzen. Er genoss es einfach nur, wieder regelmäßig Sex zu haben und die notwendige Partnerin nicht mühsam suchen zu müssen. Die sexuellen Beziehungen zu seiner Frau hatten sich nämlich stark abgekühlt, aber er hatte trotzdem bisher keinen regelmäßigen Kontakt zu einer anderen Frau gesucht. Er hatte nie ein Verhältnis mit einer festen Freundin angestrebt und mit Prostituierten hatte er sich eigentlich auch nicht vergnügt. Er suchte sie nur gelegentlich auf, um den Druck, der sich in ihm aufstaute, abzulassen und immer nur dann, wenn ihm die einförmige Masturbation, die er gewöhnlich dafür anwendete, zum Hals heraus hing. Er war, im Grunde genommen, sexuell recht genügsam, wunderte sich aber, dass auch Jessi im Bett anscheinend ebenfalls genügsam war. Als Nutte, so seine Vorstellung, müsse sie doch die Raffinessen des Liebeslebens kennen und schätzen. Doch als er sie eines Tages fragte, gestand sie ihm, dass sie ihn gerade wegen seines langweiligen Verhaltens gut fand. „The time with you is so relaxing for me, you know. It is private, no job. I have not to show that I am good and sexy.“ Das leuchtete ihm ein und er war froh, dass es so war. Nach der Pflicht lagen sie, wie gesagt, entspannt auf der Couch, knabberten Nüsse, sahen sich das Fernsehprogramm oder Videoclips auf seinem Laptop an. Er döste dann ein und holte seinen Mittagsschlaf nach. Es waren Gewohnheiten, die sich einstellten, wenn ein Paar lang genug zusammen war und Jessi schien selbst diese langweilige Routine zu genießen, denn sie ermunterte ihn ausdrücklich zu seinen Nickerchen und seinen anderen Ritualen, so wie die Sache mit den Drinks. Am Anfang hatte er immer eine Falsche Wein mitgebracht, die er aber allein austrinken musste, da Jessi Wein nicht mochte. Das war ihm dann mit der Zeit zu viel geworden, eine ganze Flasche Wein am Nachmittag und deshalb ging er dazu über, sich regelmäßig einen Longdrink zu genehmigen, einen Martini oder Campari. Einen der Aperitifs, die speziell für die Kunden immer im Haus waren. Wenn er sich in der entspannten Ruhephase auf der Couch noch keinen Drink genehmigt hatte, ermunterte ihn Jessi dazu, ja sie ging sogar selbst in die Küche, um die Flasche zu holen. Für sich brachte sie ein Glas Orangensaft mit und manchmal goss sie sogar einen kleinen Schluck von dem roten Zeug in die gelbe Brühe. Campari-orange war der einzige Drink, den sie mochte. Pünktlich um halb sechs ging er. Wenn er sich nicht selbst fertigmachte, die Schuhe anzog, in die Jacke schlüpfte, seine Sachen zusammen kramte, wurde er regelrecht hinauskomplimentiert. Die Wohnung musste ab sechs frei sein, frei für Naomi, für die Kunden und das Abendprogramm.

Seine Vermutung, welchem Broterwerb die beiden Frauen nachgingen, hatte sich bereits bei seinem zweiten Besuch bestätigt. Auf seine Frage, womit sie ihr Geld verdiene, antwortete Jessi lakonisch „sex, of course, what did you think?“ Sie erzählte ihm recht freimütig, dass beide als Prostituierte arbeiteten und wie sie ihr Geschäft organisiert hatten. Ja, sie würden Männer in ihrer Wohnung empfangen. Ob das bereits ein illegales Bordell sei, diese Frage könne sie ihm nicht beantworten, weil sie keine Ahnung von all dem Kram habe, das mache alles Naomi. Hier in dem Hochhaus würde der häufige Männerbesuch jedenfalls niemanden stören. Das war auch seine Erfahrung. Nur einmal hatten ein paar freche Kinder ihm im Hausflur Hurenbock nachgerufen, als er am Lift das achte Stockwerk drückte. Ansonsten interessierte es anscheinend niemanden, wer in diesem Haus ein und aus ging. Meistens sei nur eine von beiden tätig, fuhr Jessi fort, während die andere spazieren ging oder in einem nahe gelegenen Lokal wartete oder sich ruhig im Schlafzimmer aufhielt. Ja, die Arbeit fand auf der roten Couch statt, niemals, sie betonte das Wort, niemals im Schlafzimmer, das sei privat und tabu, genau so wie küssen auf den Mund, fügte sie lachend hinzu. Manchmal würden sie zu zweit arbeiten, wenn ein Kunde den Wunsch auf einen flotten Dreier habe, das sei aber für den doppelt so teuer und daher käme es nicht oft vor. Sie hätten keine Laufkundschaft, sie kannte den Ausdruck, zu ihnen kämen entweder Stammkunden oder solche auf Empfehlung, auch dieses Wort war ihr geläufig. Nein, Kontaktanzeigen würden sie keine aufgeben, das sei nicht nötig, die Empfehlungen der Stammkunden und eine Website, das würde völlig ausreichen, sie hätten genug zu tun. Ja, sie würden jeden Tag arbeiten, vor allem abends, aber auch in der Mittagspause sei der Andrang groß. „We are every evening on the job, you know“, auch am Wochenende, aber da kämen tagsüber nur wenige, viele dagegen am Samstag Abend. Sie stöhnte wegen seiner Neugier, als er wissen wollte, wie lange die Kunden blieben und was sie geboten bekämen. Selten länger als eine Stunde, die Mittagskunden oft nur zehn oder zwanzig Minuten und was sie bekämen? Alles, was sie wollten, nur keine Mundküsse. Samstags sei es tagsüber flau, die üblichen Kunden seien im Baumarkt oder mit der Familie unterwegs und erst am Abend ginge das Geschäft wieder los. Deshalb könne sie ihn am Samstag treffen, auch am Sonntag, wenn er wolle. Er winkte ab, sonntags nie. Warum sie gerade ihn wolle, er sei doch weder schön noch attraktiv? Sie lachte, er sei aber so herrlich langweilig und dazu noch nett und nicht anspruchsvoll, was ihre Dienstleistung beträfe und zudem zuverlässig. Er sei einfach normal, „you are damn normal, you know“. Gerade deswegen würde er ihr ein Gefühl von Familienleben vermitteln, ein Gefühl, das sie sehr vermisse. Was wolle man mehr von einem Mann, außer Geld und Treue, lachte sie? Aber so versicherte sie ihm umgehend, er sei für sie mehr, viel mehr als nur ein beliebiger Kunde. Sie würde nicht nur wegen des Geldes jeden Samstag mit ihm zusammen sein. Sie hatten sich in der Tat stillschweigend darauf geeinigt, dass er bei der Verabschiedung einen Geldschein auf den Couchtisch legte, außer wenn er ihr ein aufwändiges Geschenk gemacht hatte. Er fühlte sich zwar nicht als Kunde, das keineswegs, aber er wusste, dass sie auf sein Geld angewiesen war und er sah sich nicht in der Situation eines beliebigen Freiers, der für jeden Fick bezahlen musste. Er fühlte sich, als....? Beim Nachdenken war ihm ein Begriff eingefallen, der ihm zutreffend erschien, er fühlte sich als eigennütziger Entwicklungshelfer.

Eines Tages war Naomi in der Wohnung, als sie von einem Museumsbesuch zurückkamen. Es regnete in Strömen und Naomi sagte, sie habe absolut keine Lust gehabt, irgendwohin zu gehen. Er vermutete, dass sie einfach auf ihn neugierig war und ihn sehen wollte, den Mann, der sich seit einiger Zeit regelmäßig mit ihrer Freundin traf. Doch genau das hatte Jessi stets zu vermeiden versucht. Immer wenn er sie gefragt hatte, ob er nicht einmal ihre Mitbewohnerin sehen könne, hatte sie mit allerlei Ausflüchten und Ausreden reagiert. Doch nun war er da und sie war auch da und sie standen sich gegenüber und er gab ihr die Hand und sie gab ihm ein Küsschen auf die Wangen und schon in diesem Moment, von Anfang an, funkte es zwischen ihnen. Er war höchst angetan von ihrem Anblick und wie elektrisiert von ihren knappen Berührungen. Jessi stand daneben und schaute scheel, sie musste sofort geahnt haben, was da passierte. Dann gingen sie in das Wohnzimmer. Er setzte sich auf die Couch. Naomi blieb stehen und sah ihn direkt und unverfroren und höchst interessiert an. Er hatte das Gefühl, dass sie ihn regelrecht taxierte, ihn mit ihrem professionellen Männerprüfblick abschätzte, den sie brauchte, um nicht mit irgendeinem Arschloch Scherereien zu bekommen. Es ging nicht um sein Aussehen, dessen war er sich sicher, denn in der Hinsicht gab er sich keinen Illusionen hin. Er war absolut keine Schönheit und auch nicht attraktiv, Jessi hatte es deutlich gesagt. Mit seinem Aussehen hätte er eine wie Naomi sicher nicht beeindrucken können. Mit seinem Geld schon eher. Aber das spielte im Moment keine Rolle. Sie sah ihn an, dann spielte ein Lächeln um ihre Lippen. Er schien den Test bestanden zu haben und es schien ihm, dass sogar eine gewisse Sympathie aufkam. Nach einer Weile des unschlüssigen, untätigen Herumstehens und Herumsitzens, das eine ausgesprochene Unordnung in den gewohnten Ablauf der Jessi-Nachmittage brachte, bot Naomi spöttisch an, die beiden Verliebten allein zu lassen und sich in das Schlafzimmer zurückzuziehen. Sie würde sich ganz ruhig verhalten, bis die beiden ihr Geschäft erledigt hätten. Sie lachte über ihren eigenen Witz und fügte provokativ hinzu, dass sie sich auch ganz gut einen Dreier vorstellen könne, von ihrer Seite natürlich gratis, dann hätten alle was davon. Wovon, sagte sie nicht, das war auch nicht nötig, denn alle wussten was sie meinte und Jessi schaute sie daraufhin noch böser an als ohnehin schon und begann laut und fast schon kreischend in der ihm unverständlichen Sprache auf Naomi einzureden und schon waren beide in einen heftigen Streit verwickelt, an dessen Ende Naomi sich eine Jacke und einen Regenschirm schnappte und die Wohnung laut schimpfend und unter Zuknallen der Etagentür verließ.

Jessi hatte wohl geahnt, was geschehen würde, wenn er auf Naomi träfe. Daher war sie immer so vorsichtig gewesen und hatte sie ihm regelrecht vorenthalten. Dann war es aber doch geschehen und er hatte genau so reagiert, wie sie es befürchtet hatte und wie vermutlich jeder paarungsbereite Mann reagieren würde, wenn er einem Vollblutweib wie Naomi so nahe kommen könnte. Er war von dieser Frau sofort angetan. Naomi war das Licht, das die Motten erst anzog und dann verbrannte. Sie war ein ganz anderer Typ als Jessi. Deutlich größer, mit einem auffallenden Busen, einem dicken Hintern und stämmigen Beinen. Sie war bestimmt das Doppelte von Jessi, aber ihre Proportionen stimmten. Ihr Körper war üppig und sinnlich, dennoch attraktiv und aufsehenerregend und ihre Formen wurden durch das kurze, bunte Sommerkleid, das sie trug, sehr vorteilhaft betont. Der glatte Stoff schmiegte sich perfekt an diesen ausladenden Leib und modellierte jede Einzelheit, jede Kurve, jede Wölbung, jede Rundung. Ihr Gesicht war hübsch und durchaus attraktiv, wenn auch nicht so apart und ebenmäßig, wie das ihrer berühmten Namensschwester. Ihr Gesicht wies im Gegensatz zu dem ihrer Freundin, deutlich mehr negroide Züge auf, die Nase kurz, die Lippen voll, die Stirn hoch, war aber dennoch anziehend. Ihre Haut noch dunkler als die von Jessi, dafür hatte sie ihre Haare mittelbraun, an manchen Stellen sogar blond, gefärbt und trug sie im Rastalook, also zu zahlreichen Zöpfchen geflochten und mit kleinen bunten Bändchen versetzt. Sie hatte sich sehr dezent und geschmackvoll geschminkt, in einem Nasenflügel und einem Ohrläppchen glitzerten kleine Diamanten. Allerdings hatten ihre Augen, obwohl sehr lebhaft, nicht die Ausstrahlung von Jessis schönen Augen. Ihre langen, künstlichen Fingernägel waren mit aufwändigem Dekor bemalt und sie trug fast an jedem Finger einen Ring, aber die konnten nicht kaschieren, dass ihre Hände längst nicht so schlank und elegant wie die ihrer Freundin waren. Es waren eher Patschhände, die andauernd mit einem Handy spielten, das sehr teuer war, wie er an dem angebissenen Apfel schnell erkannte. Sie schien Geld zu haben, diese Naomi, und vermutlich war sie deswegen recht selbstsicher. Sie redete viel und laut, benutzte ständig vulgäre Ausdrücke und hatte durchaus Sexappeal, sogar viel Sexappeal, den sie offensiv einsetzte. In Verbindung mit dem zarten, erotisierenden Hauch eines vermutlich ebenfalls teuren Parfüms war sie für ihn höchst begehrenswert, ja geradezu unwiderstehlich. Er flog sofort auf sie ab.

Naomi war in fast jeder Hinsicht das Kontrastprogramm zu Jessi, diesem kleinen, zarten, schmächtigen, sanften Typ mit einer ausgeprägten, sozialen Ader. Jessi hatte ihm erzählt, dass sie neben vielen anderen Geschwistern, es waren acht oder sogar zehn, auch eine Zwillingsschwester hatte, die wenige Minuten älter war als sie. Bei dieser Lieblingsschwester wuchsen ihre beiden eigenen Kinder auf. Der Vater, ein Nichtsnutz und Herumtreiber, sie sagte „a no-good man and a dodger“, war abgehauen, als er die Nase von Familie voll hatte. Die Kinder, ein Junge und ein Mädchen, gingen bereits in die Schule und erhielten von ihrer Mutter dafür jeden Monat Geld und auch das Essen und die Kleidung mussten regelmäßig bezahlt werden. Sie musste viel arbeiten für diese Zahlungen, auch weil sie genau wusste, dass von diesem Geld nicht nur ihre Schwester, sondern auch einige andere Familienmitglieder profitierten. Doch niemand in der Familie, außer der Schwester, wusste, was sie in dem fernen Land eigentlich tat, womit sie das viele Geld verdiente, das so regelmäßig kam. Man glaubte, sie sei Sekretärin in einer großen Firma oder besäße eine Boutique mit Geschenkartikel oder würde in einem Hotel arbeiten. Sie äußerte sich nie klar, wenn sie gefragt wurde, aber letztlich interessierte das auch niemanden so recht, wichtig waren nur, dass das Geld kam und die Geschenke, die sie mitbrachte, wenn sie die Kinder besuchte oder ab und zu per Post schickte.

Naomi hatte dagegen niemanden, den sie glaubte versorgen zu müssen, obwohl sie ebenfalls aus Ghana stammte und obwohl sie natürlich auch Verwandtschaft hatte, Eltern, Brüder, Schwestern, ein ähnlicher Clan wie der von Jessi, aber keine eigenen Kinder. Sie hatte alle Kontakte zu ihrer Heimat abgebrochen und lebte nun schon längere Zeit in Deutschland, sprach ganz gut Deutsch und war mit dem Dschungel des hiesigen, alltäglichen Lebens bestens vertraut. Sie hatte gelernt, mit einer Kombination aus Bauernschläue und charmanter Unverfrorenheit, klarzukommen und sie hatte auch sehr schnell gelernt, wie man hier als Frau zu Geld kommen konnte, sogar zu recht viel Geld. Sie arbeitete hart und war gut in ihrem Beruf. Sie wusste sehr gut, wie man mit Männern umgehen musste, um sie um den Finger zu wickeln und ihnen das Geld aus der Brieftasche zu luchsen. Daher konnte sie inzwischen ein ziemlich anspruchsvolles Leben führen. Ihre Kleidung stammte nicht mehr aus den Second-hand-shops, wie am Anfang. Ein beträchtlicher Teil ihres Einkommens landete bei H&M oder in teuren Boutiquen. Ihr Make-up und ihre Nägel ließ sie sich regelmäßig in einem Studio gestalten und ihre Friseuse verdiente gut an ihr. Das waren Betriebskosten, denn eigentlich war sie recht geizig, sie gönnte sich nicht viel Extras und hielt ihr Geld weitgehend zusammen. Sie hatte ein fernes Ziel, auf das sie hinarbeitete. Ihre Sparsamkeit hatte sie veranlasst, eine Untermieterin in die Wohnung aufzunehmen, die für die Hälfte ihrer Wohnungskosten aufkam, weil sie eine Art Geschäftspartnerin war. Ein Landsmann hatte Jessi vermittelt, die nun seit einem knappen Jahr bei ihr wohnte und letztlich für sie arbeitete.

Jessi war ein braves Mädchen, das dummerweise in einem gar nicht braven Metier gelandet war. Sie hatte ihm einmal gestanden, dass sie ihrem Beruf nur höchst ungern nachging, dass sie Männer zwar nicht verabscheute, aber auch ganz gut ohne sie auskommen könnte. Die Sexarbeit war für sie kein Vergnügen, sondern eine Last und eine Notwendigkeit, nicht anders als das Schuften in einer Fabrik oder die Ausbeutung als Putzfrau, nur dass sie so viel mehr Geld verdiente. Es gab aber noch einen weiteren Grund, dass sie längst nicht so erfolgreich war wie Naomi. Sie war gut katholisch, ja eigentlich zu katholisch für das praktische Leben. Er hatte es schon am ersten Tag geahnt, als er das kleine Kreuz an ihrem Hals gesehen hatte, nachdem sie so unerwartet nackt vor ihm gestanden war. Sein Verdacht bestätigte sich, als er sie am Anfang ihrer Beziehung mit seinen negativen Ansichten über Gott, Glauben und Kirche nervte. Sie reagierte höchst pikiert und verärgert, sodass sie dieses Thema später geflissentlich mieden. Die Gebote der Kirche, denen sie einerseits folgen wollte, andererseits aus Gründen des Überlebens nicht konnte, waren der Grund, dass sie bei ihrer Arbeit permanent ein schlechtes Gewissen hatte. Dabei war sie eine moralische Person, ein guter Mensch, der niemandem etwas Böses zufügen konnte und auch nicht damit rechnete, dass ihm Böses widerfuhr. Doch inzwischen war sie mehr im realen Leben angekommen und hatte brauchbare Überlebensstrategien entwickelt. Aber ein Vollblutprofi wie Naomi würde sie nie werden.

Naomi war nicht nur wegen ihres Aussehens und ihres Lebensstils ganz anders. Sie war auf Männerfang aus, sie wollte Männer, sie war geradezu süchtig auf Schwänze, während Jessi sie notgedrungen akzeptierte. Naomi war egoistisch, unsensibel und von Religiosität, die sie in ihrem Beruf und in ihrem Begehren hätte hemmen können, war keine Spur vorhanden. Sie hatte Spaß zu ficken und tat das ausgiebig. Und das merkten die Männer rasch, die in das Hochhaus kamen, die meisten wollten spätestens beim zweiten Mal zu Naomi. Sie verdiente das Geld, sie bekam die Extrascheine in den BH gestopft oder in ihre Körperöffnungen gesteckt, sie hatte die Wohnung gemietet, sie erledigte alles, was zu erledigen war, sie regelte alles, was zu regeln war. Jessi war lediglich auch noch da, ganz nützlich in manchen Situationen, nützlich zum Zuhören, nützlich zum Kochen, zum Einkaufen, zum Aufräumen, zum Putzen und zu all den ungeliebten Nebenarbeiten. Sie war Zugehfrau, Küchenhilfe, Putzfrau und last, but not least, sie bezahlte die Hälfte der Miete. Und, auch das war wichtig, sie musste immer ran, wenn Naomi nicht wollte oder den Typ ablehnte.

Dass Naomi voll auf ihn wirkte, ihn gefangen nahm und nicht mehr losließ, merkte Jessi sofort. Naomi hatte ihn sofort elektrisiert, in einem viel stärkeren Ausmaß, als es seine Konkubine je vermochte. So war es nicht verwunderlich, dass Jessi recht feindselig reagierte, wenn er das Gespräch auf Naomi brachte. Aber sie konnte nicht vermeiden, dass sich die gewollt ungewollten Begegnungen häuften. Naomi ging später als vorgesehen, kam früher als geplant, tauchte plötzlich, also zur Unzeit, in der Wohnung auf oder machte dann keine Anstalten, die beiden allein zu lassen. Dann saßen Jessi und er untätig herum, sie höchst unzufrieden und gereizt, er entspannt und neugierig auf all das, was Naomi tat und glücklich, sie eingehend und von der Nähe betrachten zu können. Er lachte über ihre Witzchen, die sie gerne über das alte Ehepaar, also über ihn und Jessi machte, und hörte sich vergnügt all die Belanglosigkeiten an, die sie so von sich gab. Er verschlang sie mit geilen Blicken, wenn sie sich auf der großen Couch räkelte, sich wie eine Katze zusammenrollte oder alle viere weit von sich streckte. Er glotzte ihr gierig hinterher, wenn sie barfuß in der kleinen Wohnung herumstolzierte, das kurze Kleid, sie trug immer kurze Kleider, bis an den Po hoch gerafft, um es angeblich vor all dem Staub und Dreck zu schützen, den Jessi nicht entfernt habe. Er konnte nicht genug kriegen, selbst wenn sie sich einfach nur hinstellte und die Hände vor die deutliche Wölbung ihres Bauchs spreizte. Frauen mit Bauch, mit dezentem Bauch, erregten ihn, vor allem wenn sie dann noch die Brust vor reckten, so wie Naomi es gern tat, ihr Busen war wirklich wunderbar, eine Erholung für seine Blicke, die Jessis eher kümmerliches Vorwerk schon längst nicht mehr schätzten. Wenn sie nur so da stand und sonst gar nichts tat und vor allem auch mal eine Weile den Mund hielt, begann es in ihm zu pochen. Er linste durch die halb geöffnete Badezimmertür, wenn sie duschte oder ihr Make-up auffrischte, sah aber kaum etwas. Er war vollends atemlos und konnte den Blick dann nicht mehr von ihr lösen, wenn sie an warmen Tagen ihr Kleid oder das T-Shirt und die Hose ablegte und nur noch in BH und Slip herumlief, weil sie angeblich die unerträgliche Hitze in der Wohnung nicht aushalten könne. Allerdings nackt, völlig nackt oder auch nur ihren nackten Busen, hatte er bisher nicht zu sehen bekommen. Jessi war, wenn sie diese deutliche Anmache registrierte, frustriert und wütend, konnte aber nichts dagegen machen. Sie war von beiden abhängig, von Naomi sogar total abhängig.

Diese seltsame Dreiecksbeziehung dauerte ein paar Wochen, dann, Mitte November, traf er Naomi zum ersten Mal allein. Das Treffen fand natürlich auch an einem Samstag statt, dem einzigen Tag, an dem er es arrangieren konnte. Er hatte es sich nicht leicht gemacht, denn Jessi bedeutete ihm durchaus etwas. Sie war ihm sympathisch, er hatte sich an sie gewöhnt und sie bot ihm eigentlich alles, was er brauchte und soviel Anstand besaß er auch, dass er sie nicht verletzen oder kränken wollte oder gar einen Grund für eine Trennung liefern wollte. Aber die Biologie übertölpelte ihn, die Hormone spielten verrückt, die Geilheit besiegte den Verstand. Er wollte Naomi haben, diese so andere Frau, die ihn immer offensiv anschaute, ihn mit Blicken und Gesten regelrecht provozierte, die ihn im Laufe der Zeit mehr und mehr angemacht hatte und die er schließlich unbedingt haben wollte. Doch als er Naomi einmal diskret ansprach, als Jessi auf dem Klo war, zögerte diese zu seinem Erstaunen, als wäre ihr der Gedanke, sich mit ihm allein zu treffen, überhaupt noch nie gekommen. Er war enttäuscht, weil er sich sicher war, bei ihr offene Türen einzurennen, nach all diesem koketten Verhalten und Getue. Er vermutete, dass sie sich nur zurückhielt, um ihr Verhältnis zu Jessi, das merklich gestört war, nicht noch mehr zu belasten. Aber er hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt und folglich insistierte er seinen Wunsch bei jedem Besuch und schließlich stimmte Naomi zu. An diesem Samstag rief er Jessi viel früher als gewöhnlich an und sagte ihr unverblümt, dass er sich heute mit ihrer Freundin - war sie noch Freundin oder nur noch Konkurrentin? – treffen wollte und dass er deswegen für sie, Jessi, keine Zeit habe. Er war froh, dass er mit ihr nicht von Angesicht zu Angesicht sprechen musste, dafür war er zu feige. Sie reagierte wie erwartet, schrie in das Telefon, dann heulte sie, dann beschwor sie ihn, zu ihr zu kommen, sie nicht zu verlassen und nichts mit dieser Schlampe, diesem Luder anzufangen. Er hörte sich ihre Wut und ihre Klagen eine Weile an, versuchte ein paar lauwarme Erklärungen und Entschuldigungen anzubringen, es sei ja nur vorübergehend, er wolle halt auch mal eine Abwechslung, sie seien ja schließlich nicht verheiratet und all solchen Blabla. Doch schließlich wurde es ihm zu dumm, er sagte tschüss, legte auf und schaltete das Handy ab, um den Anruf von Jessi, der umgehend kommen würde, erst gar nicht anzunehmen.

Das Essen mit Naomi war nicht viel anders als das mit Jessi, mit drei Unterschieden. Der eine war, dass sie sich bei einem Griechen und nicht bei dem Stammitaliener trafen, der zweite, dass Naomi im Gegensatz zu Jessi kräftig zulangte, Vorspeise, Nachspeise, Dessert, Schaumwein, Kaffee, Likör während Jessi immer nur wie ein Huhn ein wenig herum pickte und zum dritten, dass sie, obwohl ständig essend oder trinkend ihn regelrecht voll laberte, ihn kaum zu Wort kommen ließ, geschweige denn wissen wollte, was er zu sagen hatte, während ihre Freundin meistens schwieg, vor allem beim Essen. Sie erzählte Geschichtchen aus ihrem Leben, Erfahrungen und skurrile Momente mit ihren vielen Freiern. Dann fuhr sie über Jessi her und machte sie nach allen Regeln der Kunst schlecht. Sie sei ja nur die Untermieterin, die gnädigerweise bei ihr wohnen dürfe. Sie, Jessi, sei von ihr, Naomi, total abhängig, weil sie nichts allein machen wolle und könne. Sie, Jessi, habe Angst vor allem und jedem und großes Heimweh nach dem verdammten Afrika und ihrer gottverdammten Familie und ihrer Brut, die sie unvernünftiger Weise in die Welt gesetzt habe und den Vater dann vergrault habe und für die sie sich immer noch verantwortlich fühle. Jessi sei in Wirklichkeit arm, weil sie immer viel Geld nach Hause schicken müsse, sie könne sich ja kaum etwas für sich selbst leisten. Ob ihm schon einmal aufgefallen sei, dass sie immer dieselben alten Klamotten trage, Klamotten aus dem Second-hand-Laden, dass ihr Make-up einfallslos und billig sei. Nur für die Haare würde sie Geld ausgeben, weil ihre eigenen kurz und kraus und total langweilig seien und sie ohne ihre aufwändige Frisur jeden Mann abschrecken würden. Und ob er gemerkt habe, dass sie selten Unterwäsche trage? Nicht nur, weil die zu teuer sei, nein, weil sie aus einem rückständigen Stamm komme, dort sei Unterwäsche unbekannt und diese Tradition habe sie auch hier beibehalten, diese elende Schlampe, die nicht einmal ihren Namen richtig schreiben könne. Sie, Naomi, sei dagegen zivilisiert und gebildet, sie sie auf eine Superschule gegangen und sie würde genug Geld verdienen und könne ganz gut leben, weil sie viel attraktiver sei, mehr Männer anziehen würde und viel mehr Trinkgeld bekäme. Er hörte ihr zu und war von ihr fasziniert. Sie war so direkt, so sinnlich, so verführerisch, so herrlich vulgär und unkompliziert, so überschäumend und direkt, mit anderen Worten, sie war so völlig anders als diese harmlose, bigotte Jessi, die auf einmal nur noch Zweitfrau, nein Drittfrau war, weitgehend uninteressant, abgemeldet, abgeschrieben. Nachdem sie fertig und er die nicht unbedeutende Rechnung beglichen hatte, schlug er vor, in ein Hotel zu gehen, obwohl er keine Ahnung hatte, wo man um die Mittagszeit ein Hotel finden könnte, dass Zimmer auf Stundenbasis vermietete. Aber Naomi sagte resolut, dass solch eine Geldverschwendung nicht infrage komme. Sie nestelte ihr teures i-Phone aus ihrer Gucci-Handtasche und rief Jessi an. Ein paar harsche Worte in einer Sprache, die er nicht verstand, dann war die Wohnung frei.

Leider war das anschließende Liebesglück mit Naomi auf der roten Couch nicht so sensationell, wie er es sich vorgestellt hatte, im Gegenteil, es war eine Enttäuschung. Sicher, sie sah auch nackt gut aus, ihr Busen war sehr straff und hielt sich auch ohne BH sehr gerade und der Hintern genauso, wie er ihn sich vorgestellt hatte. Aber beide hatte er ja schon mehrfach fast nackt gesehen. Sie sah gut aus, wenn er sich auch lieber nicht vorstellte, wie sie in ein paar Jahren daher kommen würde, wenn sie noch mehr in die Breite gegangen wäre, wenn der Busen noch größer und hängender würde, der Arsch noch fetter. Sie bewegte sich gekonnt professionell, wie eines dieser dünnen Modells. Allein das Arschgewackel und Hüfte schwenken, das sie ihm mit zugewandtem Rücken eine gute Minute lang vorführte, war bei Jessi undenkbar. Es war perfekt. Eine professionelle Bauchtänzerin hätte es nicht besser machen können. Ihr Hintern kreiste und vibrierte, flog von rechts nach links und von links nach rechts, ein Stückchen rauf, ein Stückchen runter, ein paar Zentimeter vor, um dann einem Pfeil, einem Faustschlag gleich, auf ihn zuzuschießen. Die Tätowierung über ihrem Steißbein, ein klassisches Arschgeweih, schwarz auf dunkler Haut und eigentlich kaum zu erkennen, erwachte bei diesem Feuer gewissermaßen zum Leben. Das vibrierende Geweih war für ihn eine Minute lang der Mittelpunkt des Universums, das Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Was für ein sinnliches Feuerwerk, was für eine Anmache, was für ein Vorspiel! Das Wasser lief ihm erst im Mund zusammen, dann trocknete dieser völlig aus. In seinem Unterleib regte es sich, es begann sogar ganz gehörig zu rumoren. Aber das Arschgewackel war dann auch schon der Höhepunkt des Nachmittags gewesen. Alles, was dann kam, war professionelle Routine, hundertmal abgespult, ohne Raffinesse, ohne verführerisches Getue, ohne den Hauch eines Gefühls.

Sie sagte, nachdem sie abrupt aufgehört und sich umgedreht hatte, er solle sich ausziehen und hinlegen. Dann begann sie ohne Rücksicht auf seine Wünsche, ohne ihn zu fragen, was er wolle, ohne sich ihm langsam oder gar liebevoll zu nähern, direkt und brutal seinen Schwanz zu bearbeiten. Sie zog und drückte und rieb an ihm und wollte ihn so rasch wie möglich weiter aufrichten. Doch seine Erregung, die durch den Bauchtanz schon zu einem halben Erfolg geführt hatte, ging bei dieser lieblosen Behandlung deutlich zurück, sie schrumpfte sozusagen. Und während Naomi versucht ihr Routineprogramm so rasch wie möglich durchzuziehen, musste er an Jessi denken. Die Frage, was sie wohl täte, wo sie wohl hingegangen sei, um die Zeit zu überbrücken, ließ ihn nicht los. Ihm wurde immer klarer, wie wenig anständig er sich ihr gegenüber benommen hatte. Die Schuldgefühle kreisten unentwegt in seinem Gehirn und lenkten ihn immer mehr von Naomi ab. Zudem war er immer noch wütend, weil diese ihren üblichen Stundenpreis verlangt hatte und auch noch darauf bestanden hatte, dass er ihr das Geld gab, bevor sie mit dem Arschgewackel angefangen hatte. Soviel Misstrauen ärgerte ihn fast mehr als das Geld selbst, obwohl das mehr war, als das, was er sonst an den Samstagen mit Jessi ausgab, viel mehr. Naomi zerrte und zupfte immer noch und ihre Laune verschlechterte sich sichtlich, weil sich einfach kein Erfolg einstellte und keine anständige Erektion zustande kam. Die erfolglose Handarbeit machte nun auch ihn zunehmend wütender, doch er gab natürlich Naomi die Schuld an seinem Unvermögen und seine Begeisterung verwandelte sich in Abneigung. Diese Schlampe konnte sich einfach nicht in ihn einfühlen, sie war nicht sanft genug, nicht zärtlich, zu ungeduldig, zu routinemäßig. Sie war einfach nicht richtig bei der Sache, kam einfach nicht auf die Idee, ihr Vorgehen zu ändern oder den Mund einmal nicht nur zum Reden zu benutzen. Vielleicht, dachte er dann weiter, konnte sie sich gar nicht anders verhalten und trieb alle ihre Kunden unbewusst zur Eile an. Time is money. Aber warum wollten die dann doch immer zu ihr? Hätte sie sich bei ihm nicht etwas mehr Mühe geben können? Er war doch nicht jeder und außerdem hatte er sie zum Essen eingeladen und sie ordentlich bezahlt. Hatte er dadurch nicht ein Anrecht auf guten Service? Jedenfalls waren die vergeblichen Bemühungen für beide völlig unbefriedigend. Er schaffte es weder, sich auf sie noch auf sein Fleisch zu konzentrieren. Sie schaffte es nicht, sich auf ihn einzustellen und sein Fleisch aufzurichten. Nach einer Viertelstunde sagte sie, es habe keinen Zweck weiterzumachen, er könne wohl einfach nicht und sie würde jetzt aufhören, weil ihr die Hand schon wehtäte. Er schaute sie böse an, sagte aber nichts. Sie ging in das Bad, kam zurück und zog das kurze Kleid an, das ihn noch vor einer Stunde so erregt hatte. Er lag immer noch mit geschlossenen Augen auf dem Bett und fragte sich, was eigentlich schief gelaufen war. Sie zog an seinem Fuß, und als er die Augen öffnete, schaute sie demonstrativ auf ihre teure Armbanduhr. Er verstand, stand auf und zog sich an. Dann ging er, nach einem kurzen formlosen Abschied mit einem höchst unguten, höchst unbefriedigten Gefühl, sie dagegen war anscheinend ganz gleichmütig. Zum ersten Mal seit Langem war er an einem Samstag Nachmittag früh zu Hause. Er ärgerte und langweilte sich, bis seine Frau kam. Aus einem nichtigen Grund fing er Krawall mit ihr an und beschimpfte sie.

Am nächsten Samstag wusste er nicht, was er tun sollte. Es noch einmal mit Naomi versuchen? Vielleicht würde es jetzt besser gehen. Vielleicht waren es doch nur Anlaufschwierigkeiten gewesen. Andererseits hatten ihn ihr Desinteresse, ihre Hast, ihn rasch wieder loszuwerden, ihre Habgier nach seinem Geld und ihre emotionale Kälte, ja das war es, sie war emotional kalt geblieben, ziemlich geärgert. Außerdem war er durchaus ein Geizhals, der nur manchmal Großzügigkeit aufkommen ließ und sein Geld ungern für etwas ausgab, das sich nicht rentierte. Er hatte für sein Geld nicht das bekommen, was er erwartet hatte. Naomi kam ihm inzwischen vor, wie eine Insektensammlerin, die, wenn sie ein neues Exemplar eines Prachtkäfers gefunden hatte, es aufspießte, in eine Vitrine steckte und austrocknen ließ. Nein, Naomi lieber nicht. Er wählte die Nummer von Jessi. Sie nahm nicht ab. Als sich die Sprachbox meldete, legte er auf. Wenn sie wollte, sah sie ja seine Nummer auf ihrem Handy und konnte zurückrufen. Er wartete auf ihren Rückruf, werkelte ausnahmsweise im Haus und im Garten herum und hatte an nichts Spaß. Es kam kein Anruf und mittlerweile war es zu spät, um noch etwas zu arrangieren, deswegen und aus gekränkter Ehre rief er nicht noch einmal bei ihr an. Der Samstag war versaut und seine schlechte Laune musste wieder seine Frau ausbaden, die daraufhin ebenfalls wütend wurde und ihn gereizt fragte, warum er schon wieder solch ein Scheusal sei. Er war versucht Jessi unter der Woche anzurufen oder doch lieber Naomi? Aber er hatte sich immer nur samstags gemeldet und sah keinen Grund und keine konkrete Gelegenheit, eines der Mädchen unter der Woche zu treffen und von den beiden meldete sich auch keine. Er war weiterhin wütend und schlecht gelaunt und seine Frau begann sich zu wundern und ihn mit Fragen zu traktieren, was mit ihm los sei.

Männerphantasien - Hochhausromantik

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