Читать книгу Religion Version 2.100 - Yuriko Yushimata - Страница 13

In ihrem Namen

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"Der Schrecken lauert hinter normal wirkenden Fassaden. Die Täter kommen aus allen Gesellschaftsschichten. Die Opfer haben vor allem eins gemeinsam, sie sind Kinder - hilflos und wehrlos ihren Peinigern ausgeliefert. Tätern, die ohne jedes Mitgefühl, die Kinder benutzen. Die Opfer leiden ein Leben lang an den Folgen der Taten. Eine Rückkehr in ein normales Leben bleibt ihnen oft für immer versperrt." Ina zuckte zusammen als Dr. Silvia von Karstein sie berührte. Die Psychotherapeutin war die wissenschaftliche Beraterin des Vereins Opferblick, eines dieser neuen Kinderschutzvereine über die sie recherchierte. Sie standen im Hintergrund des Aufnahmestudios in dem die aktuelle TV-Doku-Soap zum Thema Kindesmissbrauch produziert wurde. Der Moderator, in Anzug und Krawatte, dessen Einleitungssätze sie gerade gehört hatte, löste bei ihr kalte Schauer auf der Haut aus und Dr. Sylvia Karstein erinnerte sie an die harmlos wirkende Sekretärin in alten Gruselfilmen. Der Moderator könnte auch ein Klon sein, dachte sie einen kurzen Moment. Irgendetwas hatte ihren Instinkt als Journalistin in Alarmzustand versetzt, als sie die Sendung vor einem Monat das erste mal im Fernsehen sah. Sie war sich sicher, dass irgendetwas mit diesen KinderschützerInnen nicht stimmen konnte. Zuerst hatte sie dieses Alarmsignal auf die billige Form der Instrumentalisierung kindlicher Opfer durch einen Verein, der die Opfer benutzte um eigene politische Zwecke zu befördern und sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, bezogen. Der Verein vertrat eine Art Postchristentum. Das Opfer, die Geheimwaffe des Christentums, wurde hier in weltlicher Form benutzt. Im Namen der Opfer ließ sich alles rechtfertigen. Das Opfer heiligte den Krieg. Nur das diese modernen Priester keine Kutten mehr trugen. Die modernen Priester hatten gelernt, sich besser zu tarnen. Sie trugen Anzug, Jackett oder ein Kostüm. Und doch brachen sie immer noch auf zu ihren Kreuzzügen und wussten die Massen aufzuhetzen. Im Namen der Opfer war alles legitim. Aber das war es nicht, es gab da noch irgendetwas anderes, was ihre Alarmsignale schrillen lies. Nur was? Als Journalistin und Frau war es ihr leicht gefallen mit ein wenig verlogener Schmeichelei einen Termin zu bekommen um über den Verein zu berichten. Dr. Sylvia von Karstein, eine Frau Anfang Fünfzig in einem dunkelfarbigen geschlossenem Kostüm hatte sie in einem geschmackvoll aber dezent eingerichteten Zimmer voller Bücher empfangen. Sie war wie selbstverständlich davon ausgegangen, das Ina auf ihrer Seite war. Sie erzählte, was für schreckliche Dinge sie im Laufe ihrer Arbeit mit Opfern mitanhören hatte müssen und das sie doch auch heute noch zutiefst schockiert wäre von dem, was ihre Patientinnen ihr erzählen würden. "Meine Patientinnen haben oft noch Jahrzehnte nach der Tat mit den Folgen zu kämpfen. Die körperlichen Wunden verheilen zwar, aber die seelischen Wunden brechen immer wieder auf. Viele sind nicht in der Lage, ein normales Leben zu führen. Immer wieder wirft sie die Erinnerung an die Taten zurück. Manche Opfer begleite ich schon seit mehr als zwanzig Jahren." Ina dachte an einen bekannten französischen Philosophen, der die Psychotherapie als säkularisierte Form der Beichte bezeichnet hatte, aber auch als säkularisierte Form der Inquisition. Der Zweck der Beichte aber war die Bindung des Beichtenden an die Institution. Eine dauerhafte Absolution wurde nicht gewährt. Nach außen blickte sie die Psychotherapeutin mitfühlend und verständnisvoll an. Sie nickte verstehend und lächelte. "Als Journalistin muss ich auch kritische Fragen stellen, sie werden das verstehen. Nun gibt es ja auch Betroffene die gerade ihre politischen Forderungen nach Strafverschärfung und mehr Überwachung ablehnen?" Auch Sylvia von Karstein nickte verständnisvoll. "Das Leid der Opfer ist unvorstellbar. So unvorstellbar, dass auch die Opfer es nur langsam, wenn überhaupt zulassen können. Wir müssen unbedingt handeln. Die Gefahr ist, dass aus Opfern wieder Täter werden. Ein Teil Opfer verweigert die Realisierung des Leides, das ihnen angetan wurde. Gerade solche Opfer sind in Gefahr, die Position der Täter zu übernehmen. Sie entschulden dann das Verhalten der Täter oder verharmlosen es zumindest und projizieren ihre Ängste auf andere Strukturen, entwickeln irrationale Ängste. Manche haben Angst, nach Draußen zu gehen. Andere glauben, sie würden verfolgt und bespitzelt, von der Polizei, vom Staat, von ihren Nachbarn. Die Opfer ernst zu nehmen, heißt, sie dazu zu bringen, ihre Opferrealität anzuerkennen, nur dann haben sie eine Chance auf ein halbwegs normales Leben. Wirklich normal wird dieses Leben nie mehr sein. Auch dies müssen die Opfer lernen zu akzeptieren, damit sie sich nicht in Wahnvorstellungen flüchten oder gar selbst zu Tätern werden. Dazu müssen aber auch die Täter konsequent bestraft werden, das sind wir den Opfern schuldig." Ina gab sich Mühe das verständig nickende Gesicht aufzubehalten, während in ihrem Kopf die Gedanken rasten. Den Beichtenden stand es nicht zu, sich selbst freizusprechen, und Opfer, die sich nicht helfen lassen wollten, war nicht zu helfen, wussten Opfer doch nicht, was gut für sie war. Die Struktur des Denkens dieses Vereins erinnerte sie an eine Psychosekte über die sie vor zwei Jahren recherchiert hatte. Die Organisation lebte von den Opfern, labte sich an ihnen. Ina verrutschte das Gesicht. Doch Sylvia Karstein schien das nicht zu merken, sie hörte gar nicht mehr auf zu reden wie in einem Werbespot ihres Vereins. "Die Opfer sind Opfer ein Leben lang. Die Täter kommen meist straffrei davon. Und das nur, weil sich die Politik nicht darauf einigen kann, endlich zu handeln. Eine effektive Strafverfolgung wird durch die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts zur Einhaltung der Menschenrechte unterbunden. Aber haben die Opfer keine Menschenrechte? Der Verein Opferblick hat sich der Aufgabe verschrieben für politische Änderungen zu sorgen. Wir wollen die Gesellschaft dazu bringen endlich die Verantwortung für den Schutz unschuldiger Kinder zu übernehmen. Ich glaube, dass kein Mensch verstehen kann, dass der Schutz sogenannter Rechte der Täter immer noch höher gewertet wird, als das Recht unserer Kinder, ein unversehrtes Leben zu führen. Uns wird immer wieder vorgeworfen, wir würden Menschenrechte in Frage stellen. Aber hier muss doch ganz klar gesagt werden, Täterschutz ist kein Menschenrecht. Und wer schützt die Opfer? Wenn die Politik nicht handelt, müssen wir die Politik zum Handeln zwingen. Und auch das Bundesverfassungsgericht muss begreifen, dass mit der Verfassung nicht alles begründet werden kann, dass es Wichtigeres gibt: den Schutz unserer Kinder. Das gebietet der Respekt vor den Opfern dieser Taten." Sylvia von Karstein schenkte Ina einen Sticker mit dem Logo des Vereins Opferblick, die Angst erfüllten Augen eines Kleinkindes gespiegelt in einem stilisierten Kameraobjektiv. Wie stilvoll hübsch. Dann zeigte sie Ina noch verschiedene Fotos auf denen wichtige Ministergattinnen und eine Ministerin ihr die Hand schüttelten. Ein TV-Showmaster hatte die Schirmherrschaft für die Gala des Vereins übernommen und selbst der Bundespräsident hatte eine Grußkarte geschickt. Ina musste ein Würgen im Hals unterdrücken. Sie war froh als das Gespräch beendet war. Doch Sylvia von Karstein drängte sie, sich noch die Aufnahmen für die neue Folge der TV-Doku-Soap zum Thema anzusehen. So kam es, dass sie jetzt neben Sylvia von Karstein im Studio stand und dem Moderatorenklon zuhörte. Der Klon stand jetzt ebenfalls neben ihr und kam ihr immer näher. Irgendetwas stimmte nicht. Ganz und gar nicht. Sie versuchte zu schreien, doch kein Ton erklang. Obwohl sie schrie war nichts zu hören. Was sollte das - Panik erfasste sie. Dr. Sylvia von Karstein sah sie an. "Glaubst Du wirklich, wir durchschauen Dich nicht." Dann entblößte sie ihre Fangzähne. Der Moderatorenklon versperrte Ina den Fluchtweg. Sie spürte, wie die Zähne in ihren Hals eindrangen. Sie schlug um sich, Schweiß gebadet erwachte sie. Nur ein Traum. War es nur ein Traum? Sie stand auf und spritzte sich im Bad kaltes Wasser ins Gesicht. Vampire, so ein Unsinn. Und doch, es wäre eine logische Erklärung für das Verhalten dieses Vereins und der mit ihm verbundenen Politikerinnen und Politiker. Politikerinnen und Politiker, die angeblich um Kinder und Jugendliche besorgt waren und deshalb forderten, Grundrechte außer Kraft zu setzen, und gleichzeitig dafür plädierten, Jugendliche ab 14 mit Erwachsenen zusammen ins Gefängnis zu sperren, die alleinstehende Asyl suchende Kinder mit Erwachsenen zusammen inhaftierten, die Kinder sozial verelenden ließen, Frauenhäusern die Gelder strichen, und Mitglieder einer deutschen Regierung waren, die im Kosovo und Bosnien Herzegowina als Schutzmacht für das europäische Zentrum der Zwangsprostitution und des Mädchen- und Frauenhandels agierte, in Ungarn den Rassismus gegen Sinti und Roma und die völlige Verelendung dieser europäischen Bevölkerungsgruppe duldeten und in Tschechien nichts gegen den Babystrich für deutsche Kurzurlauber unternahmen. Eins war absolut sicher, diesem Verein und diesen PolitikerInnen lag nichts ferner als das Wohl von Kindern. Falls der Verein nur eine Tarnung für Vampire war, wäre dies wenigstens eine halbwegs logische Erklärung. Ina musste grinsen, natürlich war das Unsinn. Schließlich war sie im Bett aufgewacht. Aber, vielleicht war sie ja nach dem Biss unbewusst nach Hause gewankt. Sie grinste nochmal ihr Spiegelbild an, aber irgendwie war der Spiegel heute stumpf, sie konnte sich nicht richtig darin spiegeln. Deshalb übersah sie auch die beiden roten Stellen an ihrem Hals.

FIN

Religion Version 2.100

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