Читать книгу Im Himmel gibt es keine Tränen - Yvonne Tschipke - Страница 9
Kapitel 7
ОглавлениеIch wusste nicht, wie es mit Tom und mir weitergehen würde.
Ich wusste nicht, was da zwischen uns war.
Ich wusste noch nicht einmal, ob überhaupt etwas zwischen uns war.
Bis zum Montag hatte er nicht auf meine Nachricht geantwortet.
Die Angst, die sich in meinem Herzen breit zu machen versuchte, überspielte ich mit Erklärungen.
Vielleicht hatte ihm jemand das Handy geklaut.
(Möglich)
Oder er besaß nur eine Prepaidkarte, die zufälligerweise gerade jetzt leer war. (Unwahrscheinlich)
Er war mit seinen Eltern in einen spontanen Wochenendurlaub gefahren.
(Möglich)
Was es auch sein mochte, ich wollte es spätestens am Montag in der Schule heraus bekommen.
Doch das hatte ich mir eindeutig viel zu leicht vorgestellt. Ich merkte recht bald, dass ich nicht einfach zu ihm hingehen und sagen konnte: „Hey, Tom, lass uns über uns und unsere gemeinsame Nacht reden.“ Irgendwie kam ich nicht an ihn ran. Ständig war er von seinen Fußballkumpels und den Mannschaftsgroupies umzingelt. Wenn ich in seiner Nähe war, versuchte ich, Blickkontakt mit ihm aufzunehmen, doch auch das gelang mir nicht. Ich konnte zu ihm hinstarren, ihm gewisse Blicke zuwerfen – es schien beinahe so, als wäre ich für ihn in keiner Weise existent.
Meine innere Prinzessin zog sich in die letzte Ecke meiner Seele zurück und vergrub heulend den Kopf in den Armen.
Emma war sofort aufgefallen, dass mit mir etwas nicht stimmte. Doch anstatt blöde Fragen hinsichtlich meines vermeintlichen One-Night-Standes zu stellen, nahm sie mich wortlos in den Arm und drückte mich fest an ihr großes ehrliches Freundinnenherz.
„Er ist so ein blöder Idiot“, murmelte ich in ihre Blümchenbluse.
„Ach komm, Mila. Vielleicht ist es ihm nur peinlich vor seinen Freunden. Jungs sind manchmal so. Pass auf, heute Nachmittag schickt er dir ´ne nette kleine Nachricht“, meinte Emma tröstend. Doch ich ahnte, dass sie sich selbst nicht glaubte. Eigentlich wusste sie schon ganz genau – oder vermutete es zumindest – was Sache war. Nur ich schien mir immer noch einzureden, dass es für Toms abweisende Haltung einen guten Grund geben würde.
Okay, Tom beachtete mich nicht, obwohl wir eine ganze Nacht miteinander verbracht hatten. Und trotzdem fühlte ich mich den ganzen Tag über irgendwie von irgendwem beobachtet. Ich brauchte auch gar nicht lange überlegen, wer derjenige war. Denn ich entdeckte ihn immer in meiner Nähe.
„Ey, stalkst du mich etwa?“, fuhr ich Jonah an, als er mir zum vielleicht hundertsten Mal beinahe zufällig über den Weg gelaufen war.
Jonah war ein eher schüchterner Junge aus meinem Kurs. Soweit ich wusste, hatte er kaum Freunde – jedenfalls keine interessanten. Eher die Streber, die Leser, die Musiker, die Schauspieler – keiner der Sportler gehörte dazu. Dabei war er nicht mal hässlich. Im Gegenteil. Jonah war schlank, fast schon schmal. Mit seinen blauen Augen schaute er meist witzig und charmant in die Welt. Auf seinem Kopf trug er stets eine „MyBoshi“, unter der vereinzelt nur noch ein paar seiner Haare heraus schauten – ich glaube, er besaß hunderte dieser bunten Häkelmützen. „Oben ohne“ hatte ich ihn bisher nie gesehen. Deshalb hätte ich auch nicht sicher sagen können, welche Haarfarbe oder Frisur genau er trug.
Als mir das in den Sinn kam, wurde mir mit Erschrecken wieder bewusst, dass er am Samstag alles von mir gesehen hatte. Er konnte unter Umständen sogar die Farbe meiner Schamhaare benennen, wenn ihn jemand zufälligerweise danach fragen würde.
„Wieso sollte ich dich denn stalken? Anscheinend bist du völlig uninteressant, wenn ich mir Tom so ansehe“, entgegnete Jonah gelassen mit einem Grinsen und wies mit dem Kopf in die Richtung, in der Tom stand.
„Kümmere dich um deinen eigenen Kram“, blaffte ich ihn an und ging schnell weiter.
Für alle anderen war Toms Verhalten völlig normal, doch für drei Menschen – für Emma, Jonah und mich – lag in Toms Verhalten ein deutliches Zeichen. Das Zeichen dafür, dass ich ihm nichts, aber auch gar nichts bedeutete. Und dass die Zeit, die wir miteinander verbracht hatten, nichts Besonderes für ihn war. Für Emma und Jonah war das anscheinend klar, nur ich wollte nichts davon wissen.
„Hey, warum redest du nicht mit mir“, schrieb ich Tom in der Mittagspause. Ich saß auf einer der Bänke, die unter der großen Rotbuche mitten auf dem Schulhof standen.
Tom saß quatschend mit seinen Freunden in einiger Entfernung drüben auf der niedrigen Mauer. Kaum, dass ich meine Nachricht gesendet hatte, unterbrach er sein Gespräch, zog lässig sein Handy aus der Hosentasche und las. Offensichtlich meine Nachricht. Dann ließ er seine Blicke über den Schulhof wandern. Als er mich entdeckte, verzog er genervt das Gesicht und tippte auf seinem Handy herum. Kurze Zeit später piepte mein Handy.
„Texte mich nicht zu. Es ist alles gesagt.“
Ich starrte auf mein Handy und sah dann entgeistert zu Tom hinüber, der mir einen kurzen, eisigen Blick zuwarf und sich dann wieder den Gesprächen seiner Freunde widmete.
Mit stockte der Atem. Das Sonnenlicht tanzte vor meinen Augen. Mir wurde heiß und kalt zugleich und ich befürchtete, dass ich gleich in Ohnmacht fallen würde.
Denn plötzlich wurde mir alles klar: Dass er sich nach unserer Nacht nicht bei mir gemeldet hatte, lag nicht daran, dass er unterwegs war, auch nicht an einer leeren Prepaidkarte. Es war auch kein Versehen. Das war pure Absicht. Ich war tatsächlich nur ein One-Night-Stand für ihn gewesen. Nichts weiter. Da war keine Liebe, nicht mal ein kleines Bisschen Verliebtheit. Das war so, als hatte man Hunger und kaufte sich an einer Dönerbude, an der man gerade vorbeikam, mal eben einen Döner. Beim nächsten Hunger sucht man sich eben einen anderen Imbissstand.
Ich spürte, wie die Wut in mir hochstieg und unbedingt aus mir heraus wollte.
Wie in Trance schob ich mich von der Bank, auf der ich saß, und lief in die Richtung, in der Tom und seine Freunde standen. Emma kam gerade zu mir, doch ich ließ sie einfach stehen. Ich setzte einen Fuß vor den anderen, ohne nachzudenken, was als nächstes passieren würde und nahm nichts von dem wahr, was um mich herum geschah. Nicht das Lachen und Kreischen der Unterstufenschüler, die sich quer über den Schulhof jagten. Nicht das aufgesetzte Gelächter der mageren blondierten Schulzicken, die in kleinen Grüppchen herumstanden und über andere lästerten. Und auch nicht Jonah, der mich am Arm festhalten und an irgendetwas hindern wollte.