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Die Kunst, im Trocknen zu fischen

Junge Lissabonner Köche mischen die Traditionsküche auf. Da schmeckt sogar der Klippfisch.
VON MICHAEL ALLMAIER

Plattfisch ist eine feine Sache. Da denkt man an Seezunge oder Steinbutt, begehrte Spezialitäten. Portugiesen denken an bacalhau. Der ist auch platt, aber nicht von Natur aus. Und fein würden selbst seine Verehrer ihn nicht nennen. Trotzdem hat er in vielen Lissabonner Delikatessengeschäften einen Ehrenplatz über der Theke. Da hängt er dann, armlang, brettflach und ebenso hart, Touristen ein ewiges Rätsel: Da haben die Menschen den Atlantik vor Augen; warum importieren sie schnöden Kabeljau aus der Nordsee? Warum lassen sie ihn sich einsalzen und trocknen, als gäbe es nicht schon lange sanftere Arten der Konservierung?

Tradition, das ist eine Antwort. Klippfisch, wie er auf Deutsch heißt, diente von alters her den Schiffern als Proviant. Und an ihre Zeit als Seemacht erinnern die Portugiesen sich auch beim Essen gern. Eine handfestere Erklärung kommt von Henrique Mouro, einem der besten Köche von Lissabon: »Ehrlich gesagt, ist frischer Kabeljau mir einfach zu lasch.« So wie in der Stadt gekocht wird, kann man das nachempfinden. Die Lissabonner mögen es herzhaft. Ein typisches Mahl beginnt mit chourico, einer groben Paprikawurst, und es endet mit Pudding oder Gebäck – wenn man überhaupt so weit kommt nach dem Bohneneintopf, der Reispfanne oder Brotsauce, die hier oft als Grundlage für ein Hauptgericht dienen. Nach ein paar Tagen dieser Kost beschleicht den Gast der Verdacht, die Stadtväter von Lissabon hätten die vielen Treppen nur zum Abtrainieren der Kalorien erbaut.

Eine solche Küche braucht kräftige Produkte, solche wie bacalhau. Ihn muss man nicht würzen, im Gegenteil; er selbst ist das Gewürz. Erst langes Einweichen macht ihn für mitteleuropäische Gaumen und Zähne überhaupt wieder genießbar. »Das ist das Portugiesische am bacalhau«, sagt Mouro. »Er mag aus Norwegen stammen. Aber seinen Geschmack verdankt er zwei Dingen, die unsere Küche ausmachen: der Sonne und dem Salz.«

Der Mann, der hier von Traditionen spricht, ist erst 36 Jahre alt. Und bei aller Liebe zum Angestammten kocht er kein bisschen konservativ. Assinatura, »Signatur«, heißt sein Restaurant im Viertel Principe Real nördlich des Bairro Alto. Irreführender Name, denkt man beim ersten Blick in den etwas tristen Speiseraum, der nichts so sehr vermissen lässt wie eine eigene Handschrift. Es sei denn, man schaut nach oben. Da hängt ein komplett gedeckter Tisch verkehrt herum von der Decke. Das ist Mouros Devise: Er nimmt das Vertraute und stellt es auf den Kopf.

Auf der Karte steht gerade Bacalhau à Bras, das beliebteste Lissabonner Klippfisch-Rezept. Für die Zutaten braucht man keine Profiküchenausstattung, im Grunde nicht mal einen Kühlschrank: Zwiebeln, Eier, Kartoffeln und bacalhau, das ist es schon beinahe. »Dieser Bras«, erzählt Mouro, »war ein Lebemann aus dem Bairro Alto, der gern mal einen trank. Dieses Gericht kochte er daheim für seine Freunde. Der Fisch blieb bei ihm schön salzig, damit es einen Grund mehr gab, zu trinken.«

Ganz so weit treibt Henrique Mouro die Detailtreue nicht. Er pochiert den bacalhau über Stunden in warmer Brühe, bis er fast auf dem Gaumen schmilzt. Das Ei wiederum wird als fast rohes Dotter unter den zerkleinerten Fisch gehoben, damit das Gericht noch cremiger wird. Darüber kommen die Kartoffeln als knusprig frittierte Späne. Der meist nur dekorativen Petersilie kommt im umgekrempelten Bacalhau à Bras eine tragende Rolle zu: In Gestalt einer tiefgrünen Sauce bildet sie das Fundament. »Ich spiele mit Formen und Texturen«, erklärt Mouro, »aber die Zutaten bleiben exakt dieselben wie beim Original.« Das Ergebnis ist eine knusprig-saftig-samtige Geschmacksexplosion, die man so rasch nicht vergisst.

Vor zehn Jahren hätten nicht viele Lissabonner im Gourmetrestaurant ein derart gewöhnlich klingendes Essen bestellt. »Damals wollten die Leute Steaks, immer größere Steaks. Sie schämten sich für die billigen Sardinen und Bohnen, mit denen sie aufgewachsen waren.« Mouro lacht. »Wer weiß? Vielleicht sind ja die Steaks daran schuld, dass Portugal pleite ist.«

Nur ein paar Meter vom Assinatura entfernt wird wieder einmal gegen Sparpläne der Regierung demonstriert. Henrique Mouro geht das auf die Nerven. Er hat sich 2010 selbstständig gemacht, mitten in der Wirtschaftskrise. Eine gute Zeit, meint er, um sich darauf zu besinnen, was die portugiesische Küche ausmacht: Bescheidenheit und Fantasie. Wenn Mouro nicht gerade Hausmannskost dekonstruiert, denkt er sich wilde Sachen aus: Austern mit Birne, Blumenkohl und Mandeln. Ente mit Sojasauce, Artischocke und zerbröseltem Hummer... Speisen, über die man streiten kann – »ich bin ein Koch mit Eiern«.

Nicht der einzige übrigens. Einige junge Lissabonner haben in letzter Zeit Gourmetlokale eröffnet, und sie bringen allerlei Verrücktheiten auf den Tisch, vom Blutwurst-Streuselkuchen bis zur Himbeere mit grünem Meerrettich. Fusion-Küche, die sich weit hinauswagt, ohne die Heimat aus dem Blick zu verlieren. »Portugal war schon früh eine Nation der Entdecker und Händler«, sagt Henrique Mouro. »Wir haben mit so vielen Ländern Geschmäcker getauscht. Diese Offenheit ist unser Reichtum.« Ein Grund mehr für die Landsleute Vasco da Gamas, ihren bacalhau zu lieben. Er ist auf seine Art ja auch ein Handlungsreisender in Gewürzen.

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