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Quallen sind clever – ohne Gehirn


Sie sind glibberig, giftig und geruhsam. Trotzdem haben Quallen das Zeug zum wahren Herrscher der Meere. Und der Mensch kann ihnen dankbar sein.
VON GIANNA-CARINA GRÜN

"Unterschätzt" ist ja noch untertrieben. Ich verabscheue Quallen, seit ich als Kind am Strand mal auf einer ausgerutscht bin. Wer findet denn solche Glibberwesen "schön"?

Alfred Brehm zum Beispiel. "Es ist kaum möglich, die eine oder andere Art der Schirmquallen als besonders schön und zierlich zu bezeichnen, sie alle sind reizende Erscheinungen, jedenfalls ist die zuletzt genannte wegen ihrer Größe und köstlichen blauen und violetten Schattierungen eines der angenehmsten Geschöpfe für das Auge," schrieb der Forscher.

Diese Begeisterung kann ich bis heute nicht teilen. Aber ich gebe zu: Zumindest die Jäger-Qualitäten der Qualle verdienen Achtung. Schirmquallen, wie die behäbige Ohrenqualle (Aurelia aurita), jagen ebenso effizient wie mancher Raubfisch. Das berichtet der Forscher José Luis Acuña im Magazin Science.

In überfischten Regionen greifen Quallen mit ihren Tentakeln sogar nach der Vorherrschaft, trotz ihrer – auf den ersten Blick – wenig überzeugenden Beutefang-Strategie: Entweder wabern sie einfach herum, bis sie mit etwas Fressbarem zusammenstoßen. Oder sie bequemen sich und ziehen ihren Schirm etwas zusammen, was Plankton aufwirbelt. Und so eine Schirmqualle soll genauso effizient sein, wie ein Raubfisch, der schnittig durchs Meer saust?

Die Waber-Methode macht den Vorteil aus. Zwar machen sie damit weniger Beute, aber die Methode kostet sie auch nicht so viel Energie, wie die aktive Jagdstrategie der Fische. Abgesehen von der Beutefang-Strategie haben Fische ohnehin einen höheren Grundbedarf, da sie aus 66-mal mehr Kohlenstoff bestehen, als die wässrigen Quallen. Außerdem folgen etwa Wurzelmundquallen bei ihren Auf- und Ab-Bewegungen einem bestimmten Muster, das auch Pinguine, Haie und Fangschiffe nutzen, um optimal Beute zu machen.

Quallen haben zwar kein Gehirn, aber ihre Überlebensstrategie ist trotzdem clever: Seit 500 Millionen Jahren treiben sie in den Meeren umher, leben gelassen vor sich hin. Bis der Mensch kommt und ihre Konkurrenz um Nahrung erledigt. So können sie – ganz ohne Anstrengungen – die Herrschaft im Salzwasser übernehmen.

Auch die Forschung ist ihnen zu Dank verpflichtet. Zell- und Molekularbiologen machen mit dem grün fluoreszierende Protein (GFP) der Qualle Aequora victoria Strukturen in Zellen sichtbar. Lübecker Forscher entwickeln aus einer Qualle Bio-Kollagen, woraus sich in Kombination mit menschlichen Zellen Gelenkknorpel – etwa für Arthrose-Patienten – regenerieren lassen. Und wer Faltencreme benutzt, schmiert sich nicht selten Quallen-Proteine ins Gesicht.

Ja, so viel Gutes tun Quallen. Aber – da täuscht meine kindliche Ahnung nicht – sie können auch böse sein. Quallen verstopfen Kühlwassersysteme von Schiffen, Industrieanlagen und Kraftwerken. 1976 saugte eine Kraftwerk-Kühlung in Schweden gleich 300 Tiere pro Sekunde an.

In Sicherheit wiegen können sich die glibbrigen Meerestiere selbst aber auch nicht. Thunfische, Delfine und Schildkröten fressen Quallen. Und auch der Mensch isst sie – mit Sojasauce, Sesamöl und Chili.

So irrt dann auch Alfred Brehm: "Die Quallen sind so ruhige, schöne Erscheinungen, dass man weder ihnen selbst Böses zutraut, noch ihr unschuldiges Erscheinen von Neidern und Feinden gefährdet glaubt."

Das unterschätzte Tier - Teil 2

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