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ОглавлениеManche mögen’s heiß
Überbackene Zwiebelsuppe ist nicht die feinste Pariser Speise, aber die ehrlichste.
VON MICHAEL ALLMAIER
Die Pariser Küche ist berühmt, aber nicht für ihre Gerichte. Man muss nur in die Speisekarten schauen. Hinter vielen der feinen Sachen steht da ein »à la«: »à la Provençale«, »à l’Alsacienne«, »à la Bourguignonne«. Die Welthauptstadt des guten Essens nascht von den Tellern des ganzen Landes. Nicht genug, dass die besten Waren seit je für den Pariser Markt reserviert sind; die Rezepte reisten gleich mit. Sie zu veredeln und verfeinern, das ist der Stolz der Pariser Köche. Doch wenn man fragt, wie viele Speisen sie erfunden haben, welche den Titel »à la Parisienne« tragen dürfen, dann landet man schnell bei etwas gar nicht mehr so Edlem: überbackener Zwiebelsuppe.
Ausgerechnet Zwiebelsuppe! Wie lauteten noch gleich die heiligen Grundregeln der französischen Küche? Nimm hochwertige Saisonprodukte, gare sie mit Vorsicht und betone ihren Eigengeschmack! Die soupe gratinée à l’oignon verstößt gegen alle. Schon der Anblick ist wenig verlockend: die dicke, angebrannte Kruste auf der stets verkleckerten Tasse. Sticht man rein, dampft einen gestaute Hitze an, zusammen mit einem süßlichen und zugleich doch derben Geruch. Mit der Finesse einer Consommé hat dieses Gericht nichts gemein. Es ähnelt mehr einem Käsebrot, versenkt in kochendem Eintopf. Und trotzdem gehört es wie kein anderes nach Paris.
Eine gute Zwiebelsuppe zu bekommen ist hier allerdings gar nicht so leicht. Es gibt sie in den Touristenfallen, aber wohl in keinem einzigen der siebzig Sternerestaurants. Man kostet sie am besten dort, wo sie herkommt: im Bauch von Paris. So hießen die Markthallen des 1. Arrondissements seit Zolas Roman. Es gibt sie schon lang nicht mehr; der Bauch wurde zu groß für die Stadt. Die Großmärkte wurden in den Vorort Rungis umgesiedelt. Das Hallenviertel beherbergt heute ein riesiges Einkaufszentrum. Aber ein paar der umliegenden Lokale haben überdauert; und das berühmteste von ihnen ist das Au Pied de Cochon.
Es liegt gegenüber der ehemaligen Schlachthalle. Rote Markise, Kaffeehausstühle – bis auf die Größe (drei Etagen!) eine typische Brasserie. Aber auch eine sehr besondere. Seit 1934 wird hier gekocht, mit so viel Erfolg, dass nach dem Krieg die Besitzer entschieden, einfach nicht mehr zu schließen. Seitdem bleiben die Herde heiß, an jedem Tag, zu jeder Stunde. Und ein großer Topf mit Zwiebelsuppe steht immer auf dem Feuer.
Begonnen habe alles mit zwei cleveren Fleischhändlern, erzählt Philippe Bully, der Chef des Pied de Cochon. »Sie nahmen den Schlachtern ihre Reste ab und verkauften sie als Delikatessen.« Den schmackhaften, aber schwabbligen Schweinsfuß zum Beispiel. Er gab dem Lokal seinen Namen. Die Gäste der ersten Stunde waren die Großmarkthändler und ihre Kundschaft – keine Gourmets, aber sie verstanden etwas vom Essen. Ihre Geschäfte wurden in der Nacht abgewickelt, und nach klammen Stunden in den Hallen waren sie für eine Stärkung dankbar. Heiß und nahrhaft musste sie sein, billig und rasch gemacht. So entstand im Hallenviertel die dampfende Antithese zu all der Feinkost, die hier umgeschlagen wurde: gratinierte Zwiebelsuppe. Lokale wie das Pied de Cochon machten das Rezept bekannt – in Paris und in der Welt.
Aber was heißt Rezept? »Da gibt’s nicht viel«, sagt Félix Hibrant, Küchenchef der Brasserie. »Ich schneide Gemüsezwiebeln in Scheiben und lasse sie langsam in der Pfanne karamellisieren. Dann köcheln sie in Rinderbrühe, mindestens eine Stunde.« Er fährt mit der Schöpfkelle in einen Kochtopf; die eingekochte Suppe darin ist tiefbraun. »Damit mache ich die Tassen dreiviertel voll und lege Baguettescheiben darauf.« Auf die kommt reichlich geriebener Emmentaler, das muss schnell gehen, sonst weichen sie auf. Dann noch rasch unter den Grill mit der Tasse, bis der Käse sich goldgelb färbt. Und fertig ist die Zwiebelsuppe. Nicht mal abgeschmeckt hat Hibrant. »Nur einen Trick gibt es: Ich streue vorm Überbacken einen Teelöffel Natron auf das Brot, damit sich die Kruste schön wölbt.«
Man kann bei ihm auch feiner essen; die Meeresfrüchte sind sehr zu empfehlen. Doch das beliebteste Gericht ist neben dem gebackenen Schweinsfuß noch immer die soupe à l’oignon. An die achtzig Tassen werden jeden Tag bestellt – oder besser: jede Nacht. »Wir verstehen uns als Nachtrestaurant, das auch tagsüber geöffnet hat«, sagt Philippe Bully. Am Tag herrscht genug Betrieb, dann sieht man hier asiatische Reisegruppen, die in ihren Tassen rühren und sich wahrscheinlich fragen, was all das Aufhebens soll.
Aber die machen es falsch. In einem Mittags- oder Abendmenü hat Zwiebelsuppe nichts zu suchen; da ist man ja nach der Vorspeise schon satt. Am besten schmeckt sie, wenn man lang unterwegs war, für förmliches Essen zu erschöpft ist und auch ein wenig friert. Spätnachts findet das Pied de Cochon zu seiner eigentlichen Form: als Refugium für die tote Zeit zwischen dem letzten Cocktail und dem ersten Kaffee. Mitterrand und Chirac wurden hier schon gesehen, Gainsbourg und die Callas, Belmondo und Jeanne Moreau, auch berühmte Köche wie Paul Bocuse und Alain Ducasse. »Letzte Woche war Liza Minnelli da«, erzählt Bully. Isst die etwa auch Zwiebelsuppe? »Nein, die hatte den Schweinsfuß.«
Zwiebelsuppe ist das Gegenstück zur großen Küche, Bescheidenheit à la Parisienne. Sie erinnert die Bürger der Hauptstadt daran, wie es an ihren Tischen zuginge ohne die Leckereien aus dem Umland: erstaunlich rustikal. Einmal sollte man sich auch als Gast diese Erfahrung gönnen. Und wenn man es schafft, sich nicht den Mund zu verbrennen, schmeckt am Tag darauf der Hummer doppelt so gut.