Читать книгу Der Geist von King Valley - Zsolt Majsai - Страница 7
ОглавлениеEine SMS, genau als ich die Autotür öffne und mit einem eleganten Beinschwung aussteigen will. Auf die Gefahr hin, dass die Hose an relevanten Stellen der Belastung nicht standhält, setze ich den linken Fuß außerhalb des Autos ab und fische das Handy aus der Hosentasche. Eigentlich eine Sünde, als Frau das Handy in der Hosentasche zu tragen, aber das ist mir egal.
Die SMS ist von James. Danny und er liegen am Pool bei meinen Eltern und ich soll ohne Umweg durch unser Haus dorthin kommen. Es wäre wichtig.
Ich überlege kurz, ob ich ihn anrufen sollte. Andererseits klingt „und wir liegen am Pool, Danny ohne, ich mit Caipi“ nicht nach einer Bedrohung für Körper und Seele, nicht einmal verschlüsselt. Es klingt eher danach, dass James sich nicht den ersten Caipi des Tages gönnt.
Ich vollende das vorhin angefangene Manöver und steige aus dem Wagen. Entgegen der Order gehe ich doch erst ins Haus, um meine Handtasche abzulegen. Kurz überlege ich, Jeans und Bluse gegen einen Bikini zu tauschen, aber dann wäre mein Ungehorsam zu offensichtlich, also verzichte ich darauf.
Ich spaziere auf das Nachbargrundstück, ganz brav durch das Tor, wie es sich für eine elegante, gebildete Chefin gehört. In den Garten gehe ich allerdings nicht durch das Haus, sondern über den Kiesweg, der rechts am Haus vorbei nach hinten führt.
Danny ist der Erste, der mich bemerkt. Laut bellend stürzt er sich auf mich, ich habe Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Nachdem er sich beruhigt hat, gehe ich zu James, der nur mit Badehose bekleidet auf einem Gartenstuhl liegt, und gebe ihm einen Kuss. Mit der Hand fahre ich sanft über seinen muskulösen Bauch. In der Hose zuckt es kurz, aber er kann sich gut beherrschen. Danach begrüße ich meinen Vater, der uns von dem großen Gartentisch aus beobachtet, auf dem seine Zeitung liegt.
„Deine Mutter ist drin und holt Kaffee“, sagt er.
„Gar nicht wahr, ich bin bereits hier“, bemerkt die Erwähnte und stellt ein Tablett mit vier Tassen und einer großen Kanne ab.
„Ich nehme einen Caipi“, erkläre ich.
„In den Kaffee?“, erkundigt sich meine Mutter.
Kopfschüttelnd umarme ich sie. „Kaffee hatte ich schon genug heute. Nur den Caipi, bitte.“
Sie nickt und mustert mich. „Du müsstest doch eigentlich schmelzen, so dick wie du angezogen bist.“
„Hä? Ich habe genau vier Teile an: Slipper, Jeans, Höschen und Bluse.“
„Viel zu viel. James macht es richtig.“
„Und du?“
„Ich trage nur dieses leichte Sommerkleid, das ist schön luftig.“
„Wie, und nichts darunter?“, frage ich grinsend.
Sie errötet. „Das habe ich nicht gesagt und werde es auch nicht tun.“
„Na gut. Ich will dich nicht ärgern.“
Während ich wieder zu James gehe und mich am Kopfende seiner Liege hinhocke, sagt sie: „Das freut mich. Zumal ich jetzt im Orga-Team bin.“
Ich sehe sie fragend an. „Erstens: Was hat das miteinander zu tun? Und zweitens, von welchem Orga-Team redest du überhaupt?“
James und mein Vater grinsen erwartungsvoll.
„Für das Straßenfest.“
„Straßenfest? Welches Straßenfest?“
„Das King-Valley-Straßenfest.“
Ich richte mich auf. Nach kurzem Überlegen ziehe ich die Schuhe und die Jeans aus, dann lege ich mich neben James auf eine zweite Liege.
„Wer hatte denn diese bescheuerte Idee?“, frage ich dann genüßlich.
„Wieso ist sie bescheuert? Überhaupt, was ist das denn für eine Wortwahl?“
„Eine sehr vornehme und zurückhaltende, zumindest für meine Verhältnisse. Also, jetzt mach es doch nicht noch spannender, sonst schlaf... platze ich!“
Meine Mutter macht kurz ein beleidigtes Gesicht, doch dann kann sie sich nicht beherrschen und lächelt. „Wieso wussten deine Männer, wie du reagieren wirst?“
„Du wusstest es nicht?“
„Doch. Aber ich habe aus Prinzip widersprochen.“
Ich werfe einen Blick auf Nicholas, der mir den Caipi bringt. Er verzieht keine Miene, lediglich seine Mundwinkel zucken kurz und verraten dadurch, dass er sich königlich amüsiert.
„Außerdem kommen die Einnahmen einem Obdachlosenverein zugute.“
„Aha. Also ein Charity-Event. Mama, das ist nicht dein Ernst!“
„Wieso nicht? Was hast du dagegen?“
„Das fragst du noch? Hallo? Seit wann machst du so einen Scheiß? Wieso spendest du nicht einfach dem Verein was?“
„Wer sagt denn, dass ich das nicht tue? Chrissy und ich halten das Fest für eine gute Idee und werden es machen. Ende der Diskussion.“
Ich starre meine Mutter entgeistert an. Das sind ja ganz ungewohnte Töne von ihr. Mein Vater und James sehen auch überrascht aus.
„Na gut. Ich diskutiere sowieso nie.“
Meine Mutter bekommt einen Lachanfall, mein Vater kann sich mit Mühe beherrschen und James verdreht die Augen, bei ihm ein emotionaler Ausbruch.
Ich lehne mich zurück und nippe wortlos an meinem Caipi. Straßenfest. In King Valley. Da bin ich ja mal gespannt.
„Willst du nicht nach Hause? Feierabend machen?“
Ich schaue hoch und mustere Monica. Als ich antworte, dass ich Angst habe, entgleisen ihr die Gesichtszüge.
„Angst? Du?!“
„Heute ist doch das Straßenfest.“
„Oh“, erwidert sie. „Das meinst du. Sorry, da kann ich dir auch nicht helfen.“
„Ich weiß“, sage ich seufzend. „Niemand kann das.“
„Was ist überhaupt das Problem? Sei doch froh, dass deine Mutter eine Aufgabe hat.“
„Bin ich ja auch. Sie ist ja schon lange aktiv in allen möglichen Initiativen. Das ist alles sehr schön, nach den Ereignissen damals hätte es auch anders kommen können. Aber hallo? Ein Straßenfest, ausgerechnet in King Valley? Haben alle Frauen da ein Trauma erlitten, das sie so kompensieren müssen?“
„Du bist zynisch und gemein.“
„Warum ist das gemein? Bei meiner Mutter weiß ich, dass es auch mit damals zu tun hat. Vorher hat sie die Wohltätigkeit als Alibi betrieben, wie das halt andere Frauen in ähnlichen Positionen auch machen. Aber seit drei Jahren macht sie es mit Hingabe, aus Überzeugung. Ist ja auch okay. Kann sie gerne machen, wenn es ihr guttut. Und Menschen, die etwas Unterstützung gebrauchen können, haben auch etwas davon.“
„Du machst das ja auch. Menschen helfen.“
„Ich mache keine Straßenfeste!“
„Warum eigentlich nicht?“, fragt Monica, aber sie grinst dabei.
„Weil ich die Heuchelei nicht ertrage. Hast du eine Ahnung, wie die Anwohner in den eigenen vier Wänden über andere reden? Ich will gar nicht wissen, was alles über mich erzählt wird.“
„Na, Stoff lieferst du ja genug.“
„Ich bin das rosa Schaf.“
„Bitte, was bist du?“
„Das rosa Schaf.“ Ihr Gesichtsausdruck lässt mich laut loslachen. „Monica, was ein schwarzes Schaf ist, weißt du schon?“
„Natürlich!“
„Schwarzes Schaf kann jeder. Ich bin aber ein rosa Schaf. Selbst unter schwarzen Schafen falle ich auf.“
Monica sieht mich mitleidig an. „Ich persönlich will gar kein Schaf sein.“
„Sondern?“
„Schafhirt oder Wolf.“
„Okay, dann bin ich eben ein rosa Wolf.“
Kopfschüttelnd wendet sie sich ab. „Ich mache jetzt Feierabend. Lass die Schafe am Leben, egal, welche Farbe sie haben!“
„Ich werde es mir überlegen.“
„Tue das! Und schönen Abend, du Wahnsinnige!“
„Schönen Abend, Monica.“
Ich blicke ihr lächelnd hinterher. Mir wird mal wieder bewusst, was für ein Glück ich habe, dass ich sie von meinem Vater geerbt habe. Dass sie sich nicht eine neue Stelle gesucht hat. Als Chef-Sekretärin hätte sie bei jeder großen Firma unterkommen können, mit meinem Vater als Referenz. Aber ich glaube, sie hat nicht einmal darüber nachgedacht.
Seufzend fahre ich den Rechner herunter, packe mein Handy und die Schlüssel ein und fahre mit dem Aufzug in die Tiefgarage. Hoffentlich komme ich mit dem Auto überhaupt bis nach Hause. Sicher ist das nicht. Wenn ich mich nicht irre, hat meine Mutter etwas angedeutet, dass auch auf ihrem Grundstück was aufgebaut wird, und davor sowieso. Und unser Haus kommt ja erst danach.
So ist es dann auch. King Valley ist abgesperrt, ich komme mit dem Auto nicht einmal bis Haus Nummer 1, geschweige denn bis 13.
Eine große Wiese wurde angemietet und dient als kostenloser Parkplatz für Anwohner. Gäste müssen hingegen sogar Parkgebühr bezahlen. Ich bekomme mit, wie ein Paar mittleren Alters, das aus einem Porsche steigt, neben der Parkgebühr von 5 Dollar noch um eine Extra-Spende „gebeten“ wird. Nach kurzem Zögern schmeißt der Mann, der mir bekannt vorkommt, mehrere Hunderter in den dafür vorgehsehenen Eimer. Der hat sogar einen Deckel, den Lisa und Luise, die in der 33 wohnen, sorgfältig verschließen.
„Hallo Fiona!“, ruft dann Lisa und winkt mir zu. „Das Fest ist schon in vollem Gange!“
„Kaum zu übersehen“, erwidere ich und spaziere zu ihnen. „Scheinen viele Gäste da zu sein.“
„Mehr als wir gehofft haben“, sagt Luise, ihre Schwester, strahlend. „Deine Mutter hatte da eine echt gute Idee! Wir haben schon beschlossen, dass wir das jetzt jedes Jahr machen wollen.“
Oh mein Gott!
Die beiden fehlinterpretieren meinen Gesichtsausdruck und wünschen mir viel Spaß.
Die ersten Stände scheinen professionell zu sein, ich könnte Taschen und Handyzubehör zu Schnäppchenpreisen kaufen, wenn ich denn wollte. Die Verkäufer geben sich jedenfalls viel Mühe, mich davon zu überzeugen, dass ich als Dame von Welt eine Gucci-Handtasche brauche. Ich verkneife mir den Hinweis, dass ich welche von meiner Mutter leihen könnte, wenn ich sie wirklich bräuchte. Sie wären wenigstens echt, im Gegensatz zu den 50-Dollar-Imitaten. Wie bescheuert sind sie denn, ausgerechnet an diesem Ort ihr Zeug verkaufen zu wollen?
Oder sind sie eher besonders intelligent und geschäftstüchtig? Schließlich kommen nicht nur diejenigen zum Straßenfest, die sich auch Originale leisten können. Und für 50 Dollar fast echt aussehende Guccis spazierenzutragen könnte menschlich sein.
Aber wieso wollen sie das Zeug mir andrehen?
Eigentlich weiß ich die Antwort: Weil ich mich von Anfang an standhaft weigere, in teuren Designerklamotten herumzulaufen, auch im Büro, von wenigen Ausnahmen abgesehen, wenn die Umstände es zweckmäßig erscheinen lassen. Man sieht mir schlichtweg nicht an, wer ich bin.
Im Vorgarten meiner Eltern steht eine riesige Hüpfburg und daneben ein nicht weniger riesiges Zelt, in dem Futter und Getränke für die Eltern verkauft werden, während die Sprößlinge durch die Gegend hüpfen.
Ich schaffe es, unbemerkt in unser Haus zu gelangen, finde aber nur Danny vor. Er beschwert sich lautstark über die ungewohnten Umstände. Nur wo Herrchen ist, das erzählt er mir nicht.
Kurzerhand greife ich nach der Leine und beschließe, dass mir im Moment egal ist, was James treibt. Wahrscheinlich wurde auch er eingespannt und steht an irgendeinem Waffelverkaufsstand. Selbst schuld, wenn er das mit sich machen lässt.
Ich überlege kurz, in welche Richtung ich gehen soll, und entscheide mich für rechts. Wenn ich zurückgehe Richtung Auto, muss ich wieder am Grundstück meiner Eltern vorbei, und es ist nicht sicher, dass ich auch ein zweites Mal Glück habe.
Das Straßenfest reicht in den Park hinein, spart aber die letzten zehn Grundstücke aus. Ich beschließe spontan, bis zum Ende von King Valley zu laufen, was Danny mit irritierten Blicken quittiert. Da er aber angeleint ist, bleibt ihm nichts anderes übrig, als mir zu folgen. Und schon bald hat er vergessen, dass er eigentlich einen anderen Weg gehen wollte.
Während ich den Lärm allmählich zurücklasse, taucht vor mir das Ende der Straße auf. Nach dem letzten Haus beginnt ein Waldstück, durch das ein asphaltierter Weg führt, über den man hinunter an die Küste fahren kann.
Meine Aufmerksamkeit wird plötzlich von einer Katze in Anspruch genommen. Um genau zu sein, ist es eigentlich Danny, der auf die Katze aufmerksam wird, er teilt mir nur auf seine Art mit, dass ihn die Katze wirklich sehr, sehr interessiert.
Und da er inzwischen nicht mehr angeleint ist, verschwinden Katze und Hund in der engen Gasse zwischen Hausnummer 64 und 68.
Wobei, Gasse ist dafür eindeutig übertrieben. Früher, vor mindestens zweihundert Jahren, war hier vielleicht mal ein Fußweg. Jetzt ist er jedenfalls zugewuchert und nur für Katzen und dickfellige Retriever als Weg nutzbar. Für Frauchen in einem dünnen, kurzärmeligen T-Shirt, Jeans und Slippern ist er eine Zumutung. Eine schmerzhafte, da die Dornen sich nicht nur ineinander, sondern auch in Frauchens Haut verhaken. Von daher ist es kein Wunder, dass sie wild fluchend und schimpfend dort ankommt, wo den Retriever offensichtlich seine Jagdbegeisterung verlassen hat.
„Verdammte Scheiße, Danny! Bist du völlig bescheuert geworden? Mann!“
Danny schaut kurz hoch, dann schnuppert er intensiv weiter. Was ist denn mit dem los? Ich beschließe, mir genauer anzusehen, was sein Interesse geweckt hat.
Ich mustere den Kellereingang. Ob das die Reste von Hausnummer 66 sind? Das hieße ja, dass es früher tatsächlich noch ein weiteres Haus hier gegeben hat. So wie der Kellereingang liegt, müsste die 68 eigentlich 66 heißen. Sehr merkwürdig.
Ich sehe Danny an, der neben mir sitzt und mich beobachtet.
„Du bist damit noch nicht aus dem Schneider“, erkläre ich ihm. „Deinetwegen wurde meine Fähigkeit, mich zu regenerieren, stark in Anspruch genommen. Und da runter kommen wir auch nicht, das ist so zugewuchert, ich würde einige Liter Blut verlieren, bis ich es freigelegt hätte. Und auch wenn es dir zu verdanken ist, dass ich nun weiß, was sich hier befindet, entschuldigt das noch lange nicht den Schock, den du der armen Katze versetzt hast.“
Danny wedelt mit dem Schwanz, sagt aber sonst nichts dazu. Typisch Mann eben.
„Ich glaube, du hast kein Gewissen, mein Lieber. Na komm, wir gehen zurück in die Zuvilisation.“
Der Hund bellt erfreut, als wir uns auf den Rückweg begeben, und rennt vor. Jetzt hätte ich gern sein dickes Fell.
Plötzlich spüre ich etwas, wie ein Berührung, und bleibe abrupt stehen. Eigentlich war es zu leicht für eine echte Berührung, mehr wie ein Windhauch. Ich sehe mich um. Früher hätte ich das als Halluzination abgetan, aber da ich nun schon seit über einem Jahr weiß, dass diese Welt auch von ziemlich üblen Gestalten bevölkert wird, die man als normaler Mensch oft gar nicht wahrnimmt, bin ich wachsamer geworden.
Ich kann nichts sehen oder hören, was irgendwie verdächtig wäre. Vielleicht habe ich es mir tatsächlich nur eingebildet. Meine Nerven sind sicherlich nicht die besten seit der Sache mit Emily und den Vampiren.
Aber eigenartig ist das schon.
Der Scheibenwischer läuft mit höchster Geschwindigkeit, trotzdem sehe ich kaum durch die Windschutzscheibe. Einen so heftigen Regen habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Ohne meine erweiterten Sinne als Kriegerin müsste ich im Schritttempo fahren, wie die anderen auch.
Trotzdem fahre ich langsamer, als ich eigentlich könnte, um nicht aufzufallen. Dass ich etwas schneller bin als alle anderen, das kann ich zur Not mit der Technik, über die mein Wagen verfügt, erklären.
Kurz bevor ich auf die King Valley einbiege, regnet es immer noch heftig. Das Wasser steht auf der Straße und massiert den Unterboden des Autos. Kurzentschlossen fahre ich auf das Grundstück meiner Eltern, um entgegen der sonstigen Angewohnheiten Danny mit dem Wagen abzuholen.
Und obwohl ich direkt vor dem Hauseingang parke, bin ich bis auf die Haut durchnässt, als ich unter dem Vordach ankomme. Höchstens zehn Sekunden war ich im Regen, aber das hat gereicht.
Habe ich überhaupt schon jemals so einen Regen erlebt?
Nicholas starrt mich erstaunt an und meint: „Wieso sind Sie so nass?“
„Weil es regnet!“ Ich streiche die nassen Haare aus meinem Gesicht. „Ich bin nur die paar Meter vom Auto zur Tür gerannt, aber als wäre ich durch einen Wasserfall gelaufen.“
„Soll ich Ihnen einen Bademantel bringen?“
„Danke, geht schon, Nicholas. Wo sind meine Eltern?“
„Im Salon.“
Danny bemerkt mich als Erster und begrüßt mich stürmisch. Nachdem ich das hinter mich gebracht habe, lasse ich mich auf die cremefarbene Couch fallen.
Meine Mutter mustert mich missbilligend. „Warum hast du dir nicht von Nicholas einen Bademantel geben lassen? Du versaust ja noch die Couch.“
„Ihr könnt ja von den Einnahmen des Straßenfestes eine neue kaufen“, erwidere ich.
„Die sind nicht für uns, sondern für die Obdachlosen. Tue nicht so, als wenn du das nicht wüsstest.“
„Wie viel ist denn überhaupt zusammengekommen?“ Ich erhebe mich und gehe zur Bar, nachdem niemand Anstalten macht, mir einen Drink zu mixen. Sind die jetzt echt sauer wegen der Couch? Ich kann ja auch nichts für den Regen.
Ich entscheide mich für einen Whisky und kehre zurück auf meinen Platz. Die Stelle, wo ich gesessen habe, ist nass, und man sieht einen dunklen Fleck. Aber das wird trocknen. Das Leder ist imprägniert. Die wollen mich nur bestrafen, weil ich dem blöden Straßenfest überhaupt nichts abgewinnen kann und mich vollständig herausgehalten habe.
„127.899,42 ND“, antwortet meine Mutter triumphierend.
„Das ist ja eine Menge Geld. Da haben wohl einige tief in den Spendenbeutel gegriffen.“
„Dann wäre weniger drin“, erwidert mein Vater stirnrunzelnd. „Du wirkst, als wärst du etwas durcheinander.“
„Ich gehe nur zu selten in die Kirche, diese Feinheiten habe ich nicht ständig abrufbereit.“ Oh Mann, was ist heute los? „Und das kriegt alles der Obdachlosenverein?“
„Im Prinzip ja.“
„Im Prinzip? Ihr wollt aber nicht eure Kosten darüber bezahlen?“
Meine Mutter starrt mich an. „Du bist heute ziemlich negativ, weißt du das? Natürlich nicht. Aber wir haben Bedenken, dass der Verein mit so viel Geld auf einmal nicht umgehen kann.“
„Aber ich bin negativ? Ja, ist klar.“
„Würdest du denen das ganze Geld auf einmal geben?“
„Mama, wir reden doch nicht von Millionen! Sicher ist das viel Geld, aber ich glaube schon, dass die damit nicht auf die Pferderennbahn gehen.“
„Wieso ausgerechnet Pferderennbahn?“
Ich zucke die Achseln. „Da kann man doch so schön Geld loswerden. Wisst ihr was? Ich nehme jetzt Danny und wir fahren nach Hause. Macht doch mit dem Geld, was ihr wollt. Dieses Straßenfest interessiert mich nicht.“
„Und Geister?“
Ich bin bereits aufgestanden und erstarre. „Geister?“
„Bei den Charons spukt es.“
„Es spukt?“
„Ja, die haben jetzt einen Poltergeist“, sagt mein Vater.
„Seit wann?“
„Seit dem Wochenende.“
Ich lasse mich wieder auf die Couch sinken. Was ist das denn für eine Scheiße? Ich entdecke am Samstag den zugewachsenen Kellereingang und kurz darauf spukt es im Haus nebenan? Wenn das ein Zufall ist, dann …
„Haben wir jetzt dein Interesse geweckt?“, erkundigt sich mein Vater.
„Insbesondere, weil ich was gefunden habe.“
„Was hast du gefunden?“, fragt meine Mutter und wechselt einen Blick mit meinem anderen Elternteil.
„Einen kaum zugänglichen Kellereingang zu einem Haus, das es nicht mehr gibt. Könnte die 66 gewesen sein.“
„Ich dachte, Hausnummer 66 hat es nie gegeben?“
„Nun ja, das ist nur eine Annahme der Charons“, bemerkt mein Vater. „Vielleicht hat es die Hausnummer doch gegeben und wurde durch irgendetwas zerstört.“
„Und die Geister der ehemaligen Bewohner treiben auf einmal ihr Unwesen bei Charons?“ Mama schüttelt den Kopf. „Tut mir leid, mein Schatz, aber das ist mir ein wenig zu kitschig.“
„Auf jeden Fall gibt es die Überreste, die ich nur entdeckt habe, weil Danny meinte, einer Katze hinterher jagen zu müssen. Und das konnte er nur, weil ich wegen des Straßenfestes mal eine andere Strecke gegangen bin.“
„Aha!“, ruft meine Mutter triumphierend. „Da haben wir es, das Straßenfest ist schuld!“
„Natürlich, was denn sonst?“, erwidere ich achselzuckend. „Ist das nicht die einzige Daseinsberechtigung von Eltern, an allem schuld zu sein, was ihre Kinder nervt?“ Insgeheim habe ich fast einen Herzschlagsaussetzer, weil ich nahe daran war zu sagen, sie seien an allem schuld, was ihren Kindern zustößt. Aber ich liebe meine Eltern, auch wenn sie ab und zu wirklich ganz schön nerven können. Und auf diese Weise an Norman erinnern wollte ich sie nicht. Zumal es ja auch nicht stimmt. Unabhängig davon, dass Norman die Sache etwas anders sieht. Das allerdings wissen meine Eltern nicht und von mir werden sie es auch nie erfahren.
„Fiona?!“ Meine Eltern starren mich verwundert an.
„Was?“
„Redest du nicht mehr mit uns?“, fragt meine Mutter. „Ich habe dich gefragt, ob du ernsthaft glaubst, dass da ein Geist ist in dieser Ruine.“
Ich nicke langsam. „Ich denke schon. Als ich da war, hatte ich für einen Moment das Gefühl, etwas hätte mich berührt. Wie ein leiser Windhauch. Ich habe dem keine weitere Bedeutung zugemessen, aber nun sehe ich es etwas anders.“
„Ich gehe davon aus, du wirst nicht zu den Charons gehen und ihnen sagen, du möchtest dich mal mit dem Geist unterhalten“, sagt mein Vater. „Selbst wenn die Charons an Geister glauben, was sie neuerdings jedenfalls zu tun scheinen, könnte es schwer für dich werden, ihnen zu erklären, wieso du Geister sehen kannst.“
„Das ist wohl wahr. Ich werde ohne ihr Wissens ins Haus gehen.“
„Lass dich nicht erschießen!“, entfährt es meiner Mutter.
„Keine Sorge.“ Jetzt muss ich doch grinsen. „Ich berichte euch dann, wie es gelaufen ist. Und jetzt schwimme ich nach Hause.“
So abwegig ist das gar nicht, wie ich dann feststellen muss, als ich fast knöcheltief im Wasser zum Auto wate. Das ist nicht gut. Wenn das Wasser schon hier so steht, wie sieht es dann im Tal aus? Ich denke kurz darüber nach, Ben anzurufen. Am Ende entscheide ich mich dagegen. Entweder ist alles gar nicht so schlimm, wie ich es mir ausmale, oder er hat auch ohne mich genug zu tun. Und wenn der Regen übernatürliche Ursachen hat, erfahre ich es sowieso früher oder später.
James ist noch nicht da, also ziehe ich meine nassen Klamotten aus, stecke sie in den Trockner und gehe duschen. Ich bin gerade dabei, mich abzutrocknen, als James in einem Bademantel hereinkommt.
„Wurdest du etwa nass?“, erkundige ich mich.
„Wieso?“
„Weil du dich schon ausgezogen hast.“
„Habe ich nicht.“ Er nimmt mir das Handtuch aus der Hand und macht weiter. Gerade jetzt, wo ich bei den Beinen angekommen bin. Er überzeugt sich, dass ich mich an anderen Stellen auch gründlich trockengerieben habe.
„Wie, du hast nicht? Warst du im Bademantel arbeiten?“
„Ja“, sagt er und hebt mich hoch, bis wir auf Augenhöhe sind. Ich schlinge die Beine um ihn.
„Wie viele Häuser hast du verkauft?“
„Alle.“
„Kann ich mir gut vorstellen.“
Wie durch Zauberei öffnet sich auf einmal sein Bademantel und schon wird sein Zauberstab sichtbar.
„It's a kind of magic“, stelle ich fest.
„Kein Widerspruch.“
Dann zeigt er, was sein Zauberstab so alles kann, und ich vergesse für einen Moment den Regen, die Geister, meine schlechte Laune, alles. Na ja, fast alles.
Zum Glück hat der Regen aufgehört. Die Erde ist zwar völlig aufgeweicht, aber die Charons haben Steinplatten im Garten gelegt, ich gelange bis zum Haus, ohne wie ein Regenwurm auszusehen. Alle Lichter sind aus, um zwei Uhr nachts nicht weiter verwunderlich. Wobei, es könnte ja auch sein, dass sie nur auf der Lauer liegen, um den Geist zu erwischen. Die Ausrüstung dafür kann man sogar mieten. Sie würden ganz schön blöd gucken, wenn ich in der Geisterfalle zappelte. Das sollte ich also lieber vermeiden.
Ich warte ein paar Minuten und lausche. Also, wenn sie wirklich auf der Lauer liegen, dann haben sie echte Geisterjägerqualitäten. Was ich ihnen eher nicht zutraue, daher beschließe ich, nicht länger zu warten.
Die Charons haben eine Alarmanlage, das weiß ich. Allerdings ist die nicht auf Krieger ausgelegt, die unbedingt ins Haus wollen. Ein Dachfenster ist einen Spaltbreit geöffnet. Gewöhnliche Einbrecher würden gar nicht erst bis dahin kommen, aber ich bin ja nicht gewöhnlich. Nachdem ich auf dem Dach gelandet bin, laufe ich zum Fenster und verharre dann regungslos.
Nichts zu hören.
Es gelingt mir, das Fenster so weit aufzuziehen, dass ich mich durchschlängeln und auf den Boden gleiten lassen kann.
Als ich mich hochstrecke, um das Fenster zuzuziehen, taucht plötzlich ein schwarzer Schatten auf und wirft sich auf mich.
Vor einem Jahr noch hätte ich mit meinem Schrei die ganze Straße geweckt. Heute ist er sehr unterdrückt und leise, dafür bringe ich beinah reflexartig die Katze der Charons um. Vielleicht ist es sogar dieselbe, die Danny verführt hat. Sie ist genauso erschrocken wie ich und macht sich hastig davon, als ich sie loslasse. Ob Katzen eine Kriegerin erkennen können?
Ich beobachte die blutigen Striemen auf meinem Handrücken dabei, wie sie langsam verschwinden. Dann gehe ich tief durchatmend zur Tür, die gerade so weit geöffnet ist, dass Katzen durchschlüpfen können.
Fionas nicht, nicht einmal so schlanke wie ich. Ich blicke mich um. Scheint eine Art Rumpelkammer zu sein, die Tür wird eher nicht häufig benutzt sein. Ich versuchs und meine Vermutung bestätigt sich: Die Scharniere quietschen wie die Hölle. Ich erstarre und lausche. Anscheinend wurde niemand wach. Oder sie halten mich für einen Geist und warten mucksmäuschenstill darauf, dass ich in ihre Falle tappe.
Bloß kann ich das gar nicht, denn ich komme nicht aus dieser Rumpelkammer, ohne die halbe Stadt zu wecken. Andererseits will ich auch nicht den Rest meines Lebens hier verbringen. Also kann ich entweder unverrichteter Dinge wieder abziehen oder irgendeine Lösung für die Tür finden.
Schmieröl wäre ein guter Ansatz, aber so was dürfte sich eher selten in einer Rumpelkammer auf dem Dach befinden. Ist zwar nicht völlig unvorstellbar, aber ich glaube, doch recht unwahrscheinlich. Dennoch durchsuche ich das Zimmer und finde natürlich nichts, was auch nur ansatzweise als Schmieröl verwendet werden könnte.
Dafür finde ich Werkzeuge. Mit denen kann ich zwar keine Tür öffnen, die selbst als Trompete von Jericho eingesetzt werden könnte, aber sie machen mir bewusst, wie doof ich manchmal sein kann. Es gibt eine ganz einfache Lösung. Sie ist beleidigend einfach.
Ich brauche die Tür nur rauszunehmen. Dadurch, dass sie lediglich ein kleines Stück geöffnet ist, ist das mit etwas Aufwand verbunden, aber machbar. Vor allem für jemanden mit übermenschlichen Kräften. Das Einzige, was jetzt noch schiefgehen kann, sind eingerostete Scharniere. Nicht völlig unwahrscheinlich.
Und zutreffend.
Aber dieses Problem kann ich mithilfe eines Schraubenziehers, der sich bei den Werkzeugen befindet, relativ leicht lösen. Und schon bald steht meinem Ausflug ins riesige Haus der Charons nichts mehr im Wege.
Das Haus verfügt über drei Stockwerke plus Dachgeschoss. Die oberste Etage scheint nicht genutzt zu werden, zumindest spüre ich nichts und niemanden, nachdem ich die Treppe vom Dachgeschoss heruntergekommen bin. Vielleicht sind hier aber auch Gästezimmer eingerichtet. Bevor ich eine weitere Etage nach unten gehe, verharre ich an der Treppe einige Zeit und lausche. Eigentlich ist es mehr als ein Lauschen. Ich nutze meine erweiterten Sinne, um mögliche Fallen zu erkennen. Außerdem interessiert es mich, ob die Charons wirklich auf der Lauer liegen. Ich finde jedenfalls keinen Hinweis darauf.
Die erste Etage beheimatet die Schlafzimmer der Erwachsenen und der Kinder. Ich spüre und höre sie deutlich. Also sehe ich zu, so schnell wie möglich weiter zu kommen. Ich gelange ungehindert ins Erdgeschoss.
Und nun?
Wie finde ich einen Poltergeist? Falls es wirklich einen gibt?
Im Moment stehe ich in der großzügigen Diele, aus der zwei geschwungene Treppen nach oben führen. Unter der Treppe geht es nach hinten. Mir wird mal wieder klar, dass mein Vater eigentlich gar nicht so luxusversessen ist, wie ich es ihm früher immer unterstellt habe. Mein Elternhaus ist wesentlicher bescheidener gestaltet, obwohl meine Eltern mit Sicherheit mehr Geld haben als die Charons.
Vermutlich fände mein Vater die Architektur hier zu „neo“. Womit er durchaus recht haben könnte.