Читать книгу Fiona - Gefühle - Zsolt Majsai - Страница 9

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Das Aufwachen ähnelt dem nach einer sehr, sehr wilden Party mit sehr, sehr viel Alkohol und Drogen. Nur ist der Schmerz noch etwas intensiver. Nein, nicht nur etwas, sondern sehr viel intensiver. Und er verändert sich, je nachdem, welcher Teil meines Körpers sich gerade regeneriert.

Am schmerzhaftesten ist es für gewöhnlich, wenn mein Bauch betroffen ist, insbesondere die Gedärme. Deswegen versuche ich normalerweise den Bauch zu schützen. Aber auch wieder zusammenwachsende Rippen sind mehr als nur unangenehm, wie mir gerade bewusst wird.

Die Erinnerung daran, dass die Axt meinen Brustkorb zerfetzt hat, kommt recht schnell. Auch an die Zähne des anderen Dämons in meinem Kopf erinnere ich mich, allerdings sind diese Verletzungen wohl schon verheilt, bevor ich das Bewusstsein wiedererlangt habe.

Ich liege halb erhoben und schlagartig wird mir klar, dass mich jemand in den Armen hält. Mühsam öffne ich die Augen. Mühsam deswegen, weil sie zugeklebt sind vom Blut, das vermutlich mein gesamtes Gesicht bedeckt.

„Oh Gott, das ist unglaublich ...“ Ben.

Ich zwinge meine Augen, endlich aufzugehen. Über mir sehe ich das Gesicht von Ben. Auch mein Mund ist voller Blut, kein Wunder, wurden doch auch meine Lungen völlig zerfetzt. Ich drehe den Kopf zur Seite und würge das Blut aus mir heraus, aus meinem Mund, aus meiner Luftröhre, aus der Speiseröhre. Ich hasse das.

Dann wende ich mein Gesicht wieder Ben zu. „Hi ...“

„Fiona … Fiona … oh mein Gott, das ist völlig unglaublich! Sie brachten dich total zerfetzt hier rein und ich konnte zusehen, wie dein Körper wieder zusammenwuchs. Das … so was … ich … ich wusste ja, dass du anders bist … aber das ...“

„Dann hast du mir etwas voraus ...“

„Wie … was?“

„Ich habe mich noch nie dabei beobachten können, wie mein Körper sich regeneriert.“ Meine Stimme wird wieder fest. Wunderbar.

„Oh Scheiße … glaub mir, ich will das nie wieder sehen!“

„Dann … dann solltest du dich nie wieder entführen lassen.“

„Du … du bist gekommen, um mich zu retten?“

„Das war der Plan. Oder nein, in Wirklichkeit wollte ich nur Pilze sammeln, und weil ich keinen Pilzsammelschein hatte, wurde ich zu Pilzbrei verarbeitet.“

Ben kriegt einen Lachkrampf. Vielleicht weint er auch nur. Ich weiß es nicht, mein Kopf ist noch nicht wirklich klar. Vorsichtig setze ich mich auf, um mich umzusehen.

Wir befinden uns augenscheinlich in einem Kellerraum, dafür sprechen auch die hochangesetzten, schmalen Fenster. Die Betonwände sind weder verputzt noch sonst wie verkleidet. Bis auf ein paar Gartenstühle und einen Eimer befindet sich nichts in dem Raum.

„Wir werden Michelin anrufen, die 5 Sterne verlieren die danach garantiert“, sage ich.

„Was?“

„Du weißt doch, wie die Sterne an Hotels vergeben werden?“

„Ja, schon … ich verstehe nur nicht, wie du schon wieder solche Witze machen kannst, so wie du vorhin noch ausgesehen hast.“

„Übung.“ Ich erhebe mich etwas schwerfällig. „Viel Übung.“ Ich sehe zu ihm hinunter. „Ben, glaub mir, ich fühle mich wie durch den Wolf gedreht und dann ausgekotzt. Im Vergleich zu dem, wie es sich angefühlt hat, als die Axt durch meine Lungen und mein Herz ging, geht es mir trotzdem super. Und in ein paar Minuten habe ich mich vollständig regeneriert.“

Ben erwidert meinen Blick und wirkt etwas unbeholfen. Er scheint mit der Situation überfordert zu sein. Ich kann ihn verstehen, viel besser geht es mir auch nicht. Das war nicht der Plan, dass ich nun auch hier festsitze. Improvisation ist angesagt.

„Erzähl erst einmal, was geschehen ist“, fordere ich ihn auf, während ich zum Fenster gehe und versuche, draußen etwas zu erkennen. Da sich das Fenster aber unterhalb der Erdoberfläche befindet, sehe ich nur den taghellen Himmel.

„Sie waren plötzlich da … wir … wir waren grad beim Essen. Plötzlich klirrte es, und dann waren sie durch das Fenster da. Fünf Zwerge und eine junge Frau. Rob ist auf sie los, aber die Zwerge haben ihn in Sekunden ...“ Ben verstummt. Ich fahre herum. Er starrt den Boden an, sein Gesicht ist tränenüberströmt. Ich gehe zu ihm hin und nehme ihn in die Arme. Er reagiert nicht, aber er wehrt sich auch nicht dagegen. Ich halte ihn einfach nur fest, bis er weiterredet. „Dann sagte mir die Frau, dass sie mich lebend haben wollen. Aber wenn ich versuchen würde zu fliehen, dann schneiden sie mir die Hände ab und essen sie, während ich zuschaue.“

„Ben, es tut mir leid ...“

„Hast du … ihn gesehen?“

Ich nicke.

„Wie hast du mich gefunden? Sind meine Kollegen ...?“

„Nein, ich wollte sie da nicht reinziehen. Das hätte nur ein Blutbad bedeutet. – James hat in der Datenbank nach Objekten gesucht, die außerhalb liegen und unbewohnt sind. Das hier war das dritte, das ich mir angesehen habe.“

„Dann weiß also James, wo du bist?“

„Zumindest weiß er, wo er in etwa suchen muss. Aber ich hoffe sehr, dass er das nicht tut, zumindest nicht, ohne sich passende Hilfe zu holen.“

„Katharina?“

„Ja, Katharina.“ Ich hoffe sehr, dass er nicht bemerkt, wie meine Stimme plötzlich am Zittern ist. Und wenn doch, sind es eben die Nachwirkungen meines brutalen Sterbens. Nur mit Mühe kann ich die Tränen unterdrücken. Verdammt, wieso tut es immer noch so weh?

„Hast du eine Zigarette, Ben?“ Er nickt und holt eine zerknüllte Schachtel aus der Hosentasche. Viele sind nicht mehr drin, wir werden bald Nachschub brauchen. Ich taste meine Hosentaschen ab und mache die freudige Entdeckung, dass nichts abhandengekommen ist. Ben gibt mir Feuer, dabei kommt er mir sehr nahe und blickt mir in die Augen. „Was ist los, Fiona?“

„Was meinst du?“, erwidere ich und nehme einen tiefen Zug.

„Fiona, wie lange kennen wir uns schon?“

„Vier Jahre. Oder drei?“

„So ungefähr. Deine Augen glänzen. Habe ich was Falsches gesagt?“

Ich verneine kopfschüttelnd. „Es hat nichts mit dir zu tun. Nicht wichtig. Eins meiner Probleme, die ich irgendwann noch lösen muss. Wir sollten uns lieber mit der aktuellen Situation beschäftigen. Hast du zum Beispiel eine Ahnung, was sie wollen?“

„Ja, sie wollen, dass ich David für sie finde.“

„David? Und sein Nachname?“

Ben zuckt die Achseln. „Das wissen sie nicht. Und Schneewittchen wurde sehr böse, als ich sagte, dass es einige tausend Davids in dieser Stadt geben dürfte. Sie hat ganz schön rumgetobt.“

„Heißt sie wirklich Schneewittchen?“

„Nein, Emily. Einfach nur Emily.“

„Emily?“ Ich habe Mühe, das Lachen zu unterdrücken. „Kein Wunder, dass sie lieber Schneewittchen heißen möchte. Aber gut. Sonst haben sie nichts gesagt?“

„Doch, sie erwähnten noch jemanden. Jemanden mit einem ungewöhnlichen Namen. Nasat … Nasnat … so ähnlich jedenfalls.“

Ich starre ihn an. Verdammt. Dieser verdammte Mistkerl! Dieses verdammte Arschloch!

„Was … was ist los? Kennst du ihn?“

Ich nicke langsam. „Oh ja, ich kenne Nasnat. Oh Mann … er wird mir was zu erklären haben. Ich frage ihn noch und er tut, als wüsste er von nichts!“

„Wen hast du was gefragt?“

„Nasnat. Ich habe Nasnat gefragt. Nach Schneewittchen … verdammt!“ Ich lehne mich gegen die nächstbeste Wand und vergrabe das Gesicht in den Händen.

„Fiona ...“

„Ben, ich bin in Ordnung. Ich muss das erst einmal nur verkraften. Also gut, die suchen einen David, der irgendwie was mit Nasnat zu tun hat.“

„Wer ist Nasnat?“

Ich sehe ihn an. „Das willst du nicht wissen.“

„Und wenn doch?“

Ich seufze. „Ben, das Wissen brächte dir keine Vorteile, aber es würde dich möglicherweise in Gefahr bringen.“

„Fiona, ich bin Polizist, vergiss das nicht.“

„Ja. Und Nasnat ist kein Verbrecher. Nur ein Arschloch. Ein verdammtes!!“ Ich atme tief durch und betrachte das Loch in der Wand, das ich grad hineingeschlagen habe. „Na gut. Nasnat ist kein gewöhnlicher Mensch. Wenn er überhaupt ein Mensch ist, so genau weiß ich das gar nicht. Aber zumindest hielt ich ihn bislang für einen Freund. Übrigens ist er auch noch schuld daran, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben verhaftet wurde.“

„Wie bitte? Verhaftet? Du?“

Ich erzähle ihm kurz die Geschichte, und ihm bleibt der Mund offen. „Das ist ja krass. Und du weißt nicht, was das Ding von deinem … Freund wollte?“

„Nein, keine Ahnung. Uns blieb wenig Zeit für Smalltalk.“ Ich spaziere zur Tür und betrachte sie genauer. Wer auch immer diesen Keller gebaut hat, wollte wohl sichergehen, dass nichts, was er hier eingesperrt wird, aus eigener Kraft entkommen kann. Einen Versuch ist es dennoch wert. Ich nehme Maß, dann atme ich mit geschlossenen Augen ein paarmal durch, bevor ich meine Faust explosionsartig gegen die Tür schießen lasse.

Das Ergebnis ist frustrierend. Immerhin eine Beule.

Ich reibe meine Faust und wende mich kopfschüttelnd ab.

„Hm“, macht Ben. „Ich weiß ja nicht, wie stark du tatsächlich bist ...“

„Du siehst doch das Loch in der Wand, und da habe ich mich nicht vorher konzentriert. Eine gewöhnliche Stahltür wäre aus den Angeln geflogen.“ Ich seufze. „Jetzt muss ich pullern. Und es ist mir egal, ob du dich umdrehst oder nicht.“

Ich schiebe die Hose hinunter und hocke mich über den Eimer. Da er leer ist, klingt es metallisch hohl, als der Strahl auf den Eimerboden trifft. Ich mustere Bens Rücken.

„Ben? Darf ich dich was fragen? Bin dir auch nicht böse, wenn du nicht antworten möchtest.“

„Frag einfach.“

„Wann … wann hast du gemerkt, dass du schwul bist? Schon als Kind?“

Es kommt erst mal keine Antwort, und ich befürchte schon, dass ich ihm zu nahe getreten bin. Dabei suche ich nach Papier, doch selbst an so einfacher Ausstattung fehlt es in dieser Unterkunft. Papiertaschentücher finden sich in meinen Hosentaschen auch nicht. Dann eben nicht. Ich ziehe Schlüpfer und Hose hoch.

„Nein. Ich hatte als Teenager zwei, drei Freundinnen. Nichts von langer Dauer. Später wurde mir auch der Grund klar, nachdem ich gemerkt hatte, dass mich Mädchen eigentlich nicht interessieren. Sie fanden es wohl sehr seltsam, dass ich höchstens einmal die Woche Sex mit ihnen haben wollte. Was heißt wollte. Es war mehr wie eine Pflichtübung, weil es halt dazugehörte. Ich war 20, als ich mich zum ersten Mal bewusst in einen Mann verliebt habe. Er war deutlich älter als ich, erfahren, zärtlich. Da passte es auf einmal auch mit dem Sex, es ging täglich zur Sache, mindestens einmal. – Warum fragst du?“

Ich bin nahe dran, ihm von Katharina zu erzählen.

„Hast du was mit einer Frau?“

Ich seufze. „Das ist kompliziert. Zumindest dachte ich sehr lange, ich sei so was von hetero. Aber vielleicht verliebt man sich ja auch in ganz bestimmte Menschen, und wenn der mal zufällig das eigene Geschlecht hat … wie gesagt, es ist kompliziert.“

„Und James?“

„Ich liebe ihn. Nach wie vor. Alles andere geht einfach nicht.“

„Ich verstehe. Ich vermute, es geht um Katharina.“ Scheiße. Wieso kann ich bloß nicht meine dämliche Schnauze halten? „Komm schon, Fiona, das war jetzt nicht schwer zu erraten. Dauert es noch an?“

„Es hat nie … angedauert. In … ach, auch egal, jetzt kann ich dir die ganze Geschichte erzählen.“ Das Ende vom Lied ist, dass ich mich mal an seiner Schulter ausheulen kann. Dennoch bringt es keine Erleichterung. Kann ja auch nicht. Wie denn? Dazu bräuchte es ein Wunder. Und Wunder gibt es nicht, das habe ich inzwischen gelernt. Die Magie der Realität ist unromantisch.

„Trefft ihr euch denn noch?“, erkundigt sich Ben, und in seiner Stimme klingt echtes Mitgefühl.

„Nein. Sie ist verheiratet, ich bin verheiratet, sie hat eine Tochter ...“

„Das allein wäre noch kein Grund.“

„Ja, das stimmt.“ Ich blicke ihn an. „Es … die Verborgene Welt ist so anders, so völlig anders. Unbeschwert, selbst wenn sie düster ist, düsterer noch als hier. Und dennoch … da ist eine Leichtigkeit drin, die hat diese Welt nicht. Aber man nennt diese Welt ja auch die Gefrorene Welt. Die Welt, in der selbst die Atome Gefangene sind. Und … es kann nicht so sein, wie es war.“

„Dessen bist du dir ganz sicher?“

Ich schüttle den Kopf und denke an unsere erste und einzige Erfahrung in der Gefrorenen Welt. Es war genauso. Überwältigend, berauschend, ekstatisch. Auch für sie. Deswegen geht sie mir seitdem aus dem Weg, vermeidet jede Begegnung, ist fast nie auf ihrem Anwesen. Ich hatte ihre Augen gesehen, bevor ich aus dem Auto stieg am Ende jener Nacht.

„Oh, oh“, sagt Ben. „Das ist ja heftig. Du hättest grad dein Gesicht sehen sollen.“

Scheiße. Ich mag nicht weinen, aber die Tränen brechen sich sturzflutartig Bahn. Wenn es bloß Erleichterung bringen würde …

Diesmal sorge ich dafür, dass es aufhört. Ben hat noch Taschentücher, ich putze meine Nase, mein Gesicht und werfe das Taschentuch in den Eimer. Es schwimmt oben. Dann lasse ich mir eine Zigarette und Feuer geben und gehe auf und ab.

Allerdings nicht lange, denn ich höre plötzlich Schritte, gleich darauf dreht sich ein Schlüssel im Schloss und die Tür geht auf.

Zuerst kommen zwei der hüpfenden Dämonen rein, mit riesigen Äxten in den Händen, die sie drohend in meine Richtung schütteln. Ich hebe die Hände. „Bleibt ruhig, ich bin nur am Rauchen.“

Dann folgt sie. Schneewittchen. Emily. Aber Schneewittchen passt wirklich gut. Tiefschwarze Haare, ein sehr ebenmäßig geschnittenes Gesicht, hellgrüne Augen. Sie ist von schlanker, hochgewachsener Gestalt.

Und sie ist ungewöhnlich schön.

Sie bleibt vor der Tür stehen und starrt mich an. „Was hast du im Mund?“

„Freut mich, dich kennenzulernen. Ich heiße Fiona“, erwidere ich.

Sie stutzt, dann lächelt sie. „Ich bin Emily. Was hast du da im Mund?“

„Das ist eine Zigarette. Willst du auch eine?“

„Ja!“

Ich sehe Ben an. Er reicht mir die Schachtel und das Feuerzeug. Ich nehme eine Zigarette raus, dann betrachte ich die Dämonen.

Emily versteht sofort. „Die Gopfs werden dir nichts tun, außer du versuchst etwas, was nicht gut für mich wäre. Dann … du weißt schon.“

„Oh ja, ich weiß.“ Ich mustere die kleinen Kerle. Gopfs heißen sie also. Na gut. Ich trete an Emily heran. „Das sind Zigaretten, die raucht man. Weißt du, wie Rauchen geht?“

„Nur aus Pfeifen.“

„Na schön. Hier brennt das Papier. Wenn ich gleich die Zigarette anzünde, musst du kräftig dran ziehen, sonst funktioniert das nicht. Bist du bereit?“

Sie nickt und ich schiebe ihr die Zigarette zwischen die Lippen. Vielleicht könnte ich sie sogar töten, aber ob Ben dann noch lange am Leben bliebe, ist mehr als zweifelhaft. Also bin ich ganz brav. Ihre Lider zucken kurz, als ich das Feuer anmache, ansonsten bleibt sie ruhig. Sie beobachtet mich, während ich die Zigarette anzünde und nimmt einen tiefen Zug. Für einige Sekunden scheint sie wie erstarrt zu sein, dann bläst sie langsam den Rauch aus.

„Gefällt mir“, sagt sie.

„Super.“ Ich stecke Zigaretten und Feuerzeug ein, dann zeige ich ihr, wie eine edle Dame die Zigarette nicht hält. Schweigend rauchen wir und beobachten uns gegenseitig. Ich glaube, wir wissen beide, dass wir unser Gegenüber nicht unterschätzen dürfen.

„Es macht Spaß, mit dir zu rauchen“, stellt Emily schließlich fest. „Ich glaube, Ben ist ein guter Freund von dir. Aber er ist viel schwächer als du. Wenn du also willst, dass er gesund bleibt, tust du nichts, was die Gopfs falsch verstehen könnten. Dass du keine Angst vor dem Tod und vor Schmerzen hast, weiß ich.“

Eine ungewöhnliche Frau. Sie weiß nicht nur genau, was sie will, sie kann das auch noch kurz und präzise zum Ausdruck bringen. Ich werde neugierig.

„Und was hast du mit uns vor?“, erkundige ich mich.

„Ihr habt bestimmt Hunger. Kommt mit.“ Damit dreht sie sich um und verlässt den Raum. Die Gopfs deuten an, dass wir ihr folgen sollen, sie wiederum gehen hinter uns her. Draußen erst bemerke ich zwei weitere Gopfs.

„Wo sind die anderen drei?“

Emily wendet mir im Gehen ihr Gesicht zu. „Wie kommst du darauf, dass es noch mehr gibt?“

„Schneewittchen und die 7 Zwerge.“

Jetzt lächelt sie sogar. „Du hast recht. Sie sorgen dafür, dass uns niemand überrascht.“

„Wieso nennst du dich eigentlich Schneewittchen?“

Sie zuckt die Achseln. „David meinte, ich wäre wie Schneewittchen.“

„Wer ist David?“

„Bald ein toter Mann“, erwidert sie düster.

„Das klingt nach einem Beziehungsdrama. Schließlich nannte er dich Schneewittchen und nicht die böse Stiefmutter.“

„Gibt es eigentlich etwas, wovor du Angst hast?“, fragt Emily, während wir den Speisesaal betreten, erkennbar am großen, gedeckten Tisch.

„Vor der Dummheit meiner Mitmenschen.“

„Ah … kann ich verstehen.“

„Und, was ist jetzt mit David?“

„Ich sagte schon, er ist bald tot. – Nehmt Platz! Und keine Sorge, das Essen ist … menschlich.“

„Aus Menschen?“

„Nein, obwohl es dann besser schmecken würde. Es ist aus der Vorratskammer dieses Hauses.“

„Oh, oh ...“ Ich beäuge misstrauisch die Töpfe, aus denen Dampfschwaden aufsteigen.

„Mach dir keine Sorgen. Ich habe schon als Kind Kochen gelernt und kann schlechte Sachen von guten unterscheiden. – Bedient uns!“ Das gilt den Gopfs. Zwei von ihnen werden aktiv, einer hält den Topf, der andere schöpft etwas, was Ähnlichkeit mit Suppe hat, in die Teller. Dann verteilen sie Brotscheiben. Ich muss zugeben, dass tatsächlich alles gut riecht und aussieht. Trotzdem warte ich ab, bis Emily anfängt zu essen. Ihr Blick verrät, dass sie mich durchschaut, und sie lächelt leicht, als ich schließlich auch vom Brot abbeiße und den Löffel in die Suppe tauche.

„Ich könnte Gegengift genommen haben“, bemerkt sie.

„Wozu solltest du dir solche Umstände machen?“

„Genau. Worauf also hast du gewartet?“

„Gift ist nicht das Einzige, was mit dem Essen sein könnte.“

Sie nickt.

„Nachdem wir jetzt gemeinsam geraucht und gegessen haben, verrätst du mir, wer du bist? Fiona?“

„Ich bin Fiona und neugierig, wer David ist und warum du so sauer auf ihn bist.“

„Oh.“ Sie hält mitten in der Bewegung inne, mit der sie den Löffel zum Mund führen wollte. „Er hat mir etwas gestohlen, was mir sehr wichtig ist. Das will ich zurückhaben.“

„Und warum willst du ihn töten? Hat er dir vorgegaukelt, in dich verliebt zu sein, um an das Etwas heranzukommen?“

„Genau.“ Für einen Moment zeigt sie ihre wütende Dämonenfratze, doch dann ist dieser Moment auch schon wieder vorbei. „Er machte mich glauben, er interessiere sich nur für mich, um dann die erstbeste Gelegenheit zu nutzen, sich mit … um mit dem, was ich zurückhaben will, abzuhauen.“

„Wieso denkst du, du findest ihn hier, in Skyline?“

„Er hat nicht ordentlich hinter sich aufgeräumt. Ordnung scheint überhaupt nicht seine Stärke zu sein. Ich fand einen Zettel, auf dem Skyline stand. Und ein weiterer Name. Nasnat. Sagt dir das etwas?“

„Nein. Es klingt aber nicht wie der Name eines … gewöhnlichen Menschen.“

„Das mag schon sein. Vermutlich ist David ja auch kein gewöhnlicher Mensch, abgesehen von seiner diebischen Natur.“

„Unter anderen Umständen fände ich eine philosophische Diskussion darüber, wie weit es zur menschlichen Natur gehört, sich einfach zu nehmen, was einem gefällt, ganz interessant. Aber im Moment habe ich andere Prioritäten.“

„Ich weiß.“ Emily macht eine herrische Handbewegung, woraufhin einer der Gopfs aufspringt, zur Anrichte stürmt und von dort mit einem Kästchen zurückkommt. Er öffnet den Deckel und hält es mir hin. Ich werfe einen Blick hinein und sehe – Kekse.

Emily lacht schallend, wahrscheinlich ist es mein Gesichtsausdruck, der sie so erheitert. „Ich habe Kekse gebacken, das ist meine große Leidenschaft. Kekse aus meiner Heimat. Probier mal!“ Und als sie mein Zögern bemerkt, fügt sie hinzu: „Auch die sind weder vergiftet noch schlecht. Einfach nur Kekse. Aber wenn du willst, nehme ich zuerst davon.“

„Geht schon.“ Ich greife in das Kästchen und nehme eine Handvoll. Dann halte ich einen Keks vor den Mund. Er riecht nach Vanille und noch einem anderen Gewürz, das ich nicht einordnen kann. Ich beiße vorsichtig hinein. Der Keks hat genau die richtige Konsistenz, weder zu hart noch zu weich, nicht zu krümelig, aber auch nicht halbroh.

„Schmeckt gut. Ich versuche seit Jahren, solche Kekse hinzubekommen, aber sie werden entweder steinhart oder klebrig.“

„Du musst sie auf kleiner Flamme und lange backen.“

„Hä?“

„Wahrscheinlich hast du das anders gelernt. Aber das ist das Geheimnis meiner Kekse. – Warum isst du nicht?“ Das gilt Ben, der den Kopf schüttelt, als der Gopf ihm das Kästchen auch unter die Nase hält.

„Ich habe keinen Appetit“, murmelt er. Armer Kerl. Ich kann mir vorstellen, wie er sich fühlt. Doch darauf kann ich keine Rücksicht nehmen.

„Was bist du bloß für ein Waschlappen“, stellt Emily fest. „Nimm dir ein Beispiel an Fiona ...“

„Na, na, das ist ein schlechter Vergleich. Er ist ein Polizist, normalerweise hat er es mit menschlichen Verbrechern zu tun.“

„Ach ja? Und du?“ Emily schaut mich forschend an. „Wieso bist du so selbstsicher und ohne Angst? Du kennst Schmerzen, du kennst den Tod, und dein Körper scheint unsterblich zu sein. Ich habe dich gesehen, nachdem die Gopfs mit dir fertig waren. Ganz abgesehen davon, welchen Widerstand du geleistet hast. Was bist du?“

„Eine Kriegerin. Meine Aufgabe ist, auf das Gleichgewicht zu achten.“

„Oh“, sagt sie nur. Ich habe das Gefühl, sie weiß genau, was Krieger sind.

„Ich bin nicht nur wegen Ben hier. Du bist eine Gefahr für das Gleichgewicht und es ist meine Aufgabe, das Gleichgewicht wiederherzustellen.“

„Du meinst, mich zu töten?“

„Nein, nicht unbedingt. Krieger arbeiten für den Statthalter und letztlich für Gott. Und Gott ist kein Fan vom Töten, obwohl er damit auch kein großes Problem hat. Vermutlich hat er dieses Geburts-Sterbens-Spiel nur zur Belustigung erfunden, damit es nicht langweilig wird.“

„Du meinst, Gott beobachtet uns?“

„Damit es für uns nicht langweilig wird.“

„Ach so. – Nun, das wird eine echte Herausforderung für dich, schätze ich.“ Sie betrachtet mich mit einem leisen Lächeln. „Ich glaube, ich mag dich, aber ich hetze sofort die Gopfs auf dich, wenn du versuchst, meine Pläne zu vereiteln.“

„Das glaube ich dir sofort.“ Ich deute auf Ben. „Lass ihn gehen. Er kann dir nicht helfen, er behindert dich nur. Lass ihn gehen. Lebend.“

„Hm. Ich könnte ihn einfach töten lassen. Die Gopfs haben Hunger.“

„Es gibt genug zu essen. Sonst hättet ihr ihn schon längst gegessen.“

„Ja, da hast du recht.“ Emily mustert nachdenklich den sehr bleichen Ben. „Wahrscheinlich hast du recht, dass er uns mehr behindert als nützt. Aber ist es dir wirklich wichtig, dass er unversehrt gehen darf?“

„Wie meinst du das?“ Mir schwant nichts Gutes. Frauen haben manchmal sehr seltsame Ideen.

„Wenn du willst, dass ich ihn gehen lasse, musst du dir selbst einen Finger abschneiden und einem der Gopfs zu essen geben“, erwidert Emily.

„Nein!“, schreit Ben. „Das kommt nicht infrage! Nimm meinen Finger!“

„Ben! Dein Finger wächst nicht wieder nach!“

„Aber der Schmerz“, sagt er mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck.

„Den bin ich gewohnt.“ Ich mustere meine Hände. Für einen Moment kommt die Erinnerung an die Zerstückelung hoch, doch ich schicke sie wieder in den Keller. Im Moment kann ich sie überhaupt nicht gebrauchen. Aber ich sollte mal was dagegen unternehmen, sobald diese Scheiße hier vorbei ist.

„Du machst es also? Du bist bereit, dieses Opfer für deinen Freund zu bringen?“

Ich sollte Nein antworten, aber es wird ein gepresstes Ja daraus. Das ist eine neue Qualität, mich selbst zu verstümmeln. Ohne das Wissen, dass der Schmerz nach einigen Minuten nachlässt und der Finger nachwächst, wäre es sicherlich noch einmal schlimmer. Und dass ich am falschen Ort für Gleichgewicht sorgen will. Mir kommen die Bilder in den Sinn, von Menschen, die im Namen der Scharia verstümmelt werden.

Dämonen gibt es überall, nur ihre Gesichter wechseln.

Auf einen Wink von Emily bringt mir einer der Gopfs ein Fleischermeister. Wenigstens soll ich meinen Finger nicht mit einem Reisschneider zerschnippeln. Ich prüfe die Schärfe der Klinge und stelle erleichtert fest, dass sie sehr scharf ist.

„Wir sind keine Sadisten“, erklärt Emily.

„Ach?“

„Nein. Es geht nicht darum, dass du leidest, sondern darum, ob deine Worte deine Worte sind.“

„Ein Dämon mit Prinzipien?“

„Ich bin kein Dämon!“, sagt sie aufbrausend und zeigt auf die Gopfs. „Das sind Dämonen, ich nicht!“

„Was bist du dann? Ein Mensch jedenfalls nicht.“

„Ich bin eine Lilith!“, erwidert sie aufgebracht.

„Eine Lilith? Oder die Lilith?“

„Die Lilith, wie du das nennst, war unsere Quelle und Vorfahrin.“

„Oh, von dir gibt es also noch mehr?“

Emily starrt mich wütend an, doch dann werden ihre Gesichtszüge wieder weicher und schließlich lächelt sie sogar. „Du bist raffiniert, Fiona. Wirklich raffiniert. Genug geredet. Du hast eine Minute, sonst schneiden wir deinem Freund alle Finger ab und du isst mit uns.“

Nachtragendes Weib. Das kann ja noch heiter werden. Doch vorher wird es schmerzhaft. Ich atme tief durch, vermeide jeden Blick in die Richtung von Ben. Dann lege ich meine rechte Hand so an die Tischkante, dass nur der Zeigefinger aufliegt. Eigentlich gefällt er mir ganz gut, der Finger, auch wenn er nicht das erste Mal erneuert wird. Aber das erste Mal, dass ich ihn selbst … abnehme.

Mit der linken Hand positioniere ich die Klinge so, dass sie wie ein Fallbeil möglichst schnell sogar den Knochen durchschneidet. Das verringert den Schmerz auf ein hoffentlich halbwegs ertragbares Maß.

Jetzt werfe ich doch noch einen Blick auf Ben, der mich fassungslos anstarrt.

„Los jetzt!“, befiehlt Emily. „Finger abschneiden und verfüttern!“

Arschloch. Ich atme tief ein und während ich die Luft stoßartig ausatme, drücke ich die Klinge mit einer schnellen und starken Bewegung nach unten.

Der Schmerz geht. Zumindest im ersten Moment. Dann raubt er mir den Atem. Füllt meine Augen mit Tränen. Lässt mich das Messer krampfartig festhalten. Ich verharre regungslos, Sekunden oder Minuten lang. Dann atme ich langsam wieder aus. Der Schmerz wird weniger. Ich lasse das Messer los und wische mir die Tränen aus den Augen, um wieder sehen zu können. Die Gopfs stehen erwartungsvoll um mich herum.

„Du musst den Finger einem von ihnen in den Mund geben“, erklärt Emily. „Sie warten darauf und sind schon ganz gespannt, wen du auserwählst.“

Mit zusammengebissenen Zähnen schaue ich sie kurz an, dann packe ich den abgeschnittenen Finger. Es ist ein unheimliches Gefühl, weil ich den Gegenreiz nicht spüre. Ich halte meinen Finger fest, aber der Finger spürt es nicht. Pervers.

Ich atme tief durch. Dann strecke ich den Finger dem Gopf, der mir auf der linken Seite am nächsten steht, entgegen. Er öffnet den Mund, und als ich den Finger hineinschiebe, packt er mit den Zähnen zu. Der Knochen kracht, dann ist der Finger verschwunden.

Ich betrachte meine rechte Hand. Sie sieht irgendwie lustig aus, ohne den Zeigefinger. Aber der Schmerz hat fast völlig aufgehört, und ich kann zusehen, wie sich langsam ein neuer Finger formt. Er wächst aus der Hand heraus, Stück für Stück baut er sich auf, bis das erste Glied fertig ist. Dann entsteht das Gelenk und das nächste Glied. Als Letztes wächst der Nagel nach, bis auf das Blut deutet nichts mehr darauf hin, dass ich mir grad den Finger abgeschnitten habe.

Ben schnappt nach Luft.

„Lass ihn jetzt gehen“, sage ich gepresst. „Oder bist du eine Lügnerin?“

„Nein, ich halte mein Wort. – Bringt ihn weit weg und setzt ihn aus. Er darf nicht wissen, wo das Haus ist!“

Zwei der Gopfs springen zu Ben und zerren ihn mit sich, obwohl er wild um sich schlägt. Zumindest bis es den Gopfs zu bunt wird und sie ihn auf ihre Art beruhigen.

Emily wendet sich mir zu. „Du hast mich beeindruckt, Fiona. Sehr sogar.“

„Wie schön für dich.“

„Du bist jetzt sauer auf mich. Aber ich habe meine Gründe für das, was ich tue.“

„Das haben wir alle“, erwidere ich und atme tief durch.

„Ja, das ist richtig. Ich möchte jetzt mit dir rauchen. Auf der Terrasse.“

Was für ein Glück, dass ich Zigaretten und Feuerzeug von Ben eingesteckt habe, sonst wäre die Prinzessin jetzt enttäuscht. Prinzessin? Hat nicht mich mal jemand so genannt? In einer ruhigen Minute sollte ich darüber vielleicht nachdenken. Jetzt vibrieren meine Nerven noch im Nachgang des Schmerzes. Meine Hand zittert leicht, als ich Emily Feuer gebe.

„Die Nachwirkungen des Schmerzes“, stellt sie fest.

„Was du nicht sagst.“

„Und immer noch bist du sauer. Warum eigentlich? Wir wussten beide, dass dein Finger nachwachsen wird. Etwa wegen des Schmerzes? Dann solltest du niemals ein Kind bekommen!“

„Du hast Kinder?“

„Nein. Aber ich war oft genug dabei, wenn unsere Frauen … bei Geburten, und ich weiß, was für Schmerzen damit verbunden sind.“

„Die Schmerzen müssen nicht zwingend sein.“

„Wenn du Glück hast, geht es ohne. Aber manchmal hat man auch Pech. – Rauchen macht wirklich Spaß!“ Sie pustet den Rauch aus und beobachtet, wie er langsam aufsteigt und sich dabei in der Luft immer mehr verteilt.

Ich beschließe, einen Versuch zu wagen. Was sollte schon schiefgehen? Ich bin allein mit einer Wahnsinnigen und ihren sieben Zwergen. Vielleicht würde ich es sogar schaffen zu entkommen, wenn ich mich in die Büsche schlüge. Nur, das will ich gar nicht. Mir geht es, als Kriegerin, darum, Emily und die Dämonen aufzuhalten. Und dazu muss ich mich im Auge des Hurrikans befinden – so wie jetzt.

Fiona - Gefühle

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