Читать книгу Das hungrige Biest - Zsolt Majsai - Страница 8
ОглавлениеDas Biest hat einen makabren Humor, so viel steht fest.
Es sieht aus wie eine Vogelscheuche. Fast. Nur dass diese hier aus echten menschlichen Teilen zusammengebastelt wurde. Der Kopf ist skelettiert, anscheinend stand kein gut erhaltener Schädel mehr zur Verfügung. Die in die Höhlen gepressten Augen hingegen wirken recht frisch. Der Körper ist nackt, der aufgeschlitzte Bauch notdürftig zusammengenäht. Das Biest hat eindeutig keine chirurgische Erfahrung. Und während der Oberkörper einer Frau gehört hat, stammt der untere Teil von einem Mann. Die Reste lassen das ganz gut erkennen, auch wenn nicht alles, was einen Mann so gewöhnlicherweise ausmacht, noch vorhanden ist.
Die Arme gehörten nicht der Frau, die den Oberkörper zur Verfügung stellt, sie gehörten nicht einmal demselben Menschen. Ein Arm ist so angewinkelt, dass die Hand ein Schild halten kann, auf dem in kraxeliger Schrift die eindeutige Aufforderung steht: „Kehr um!“
Der andere Arm zeigt mit ausgestrecktem Mittelfinger in die Richtung, aus der ich gekommen bin.
Ich denke darüber nach, ob ich dem Befehl folgen sollte. Was geht mich das hier überhaupt an? Okay, ich bin eine Kriegerin, ich habe gefälligst für das Gleichgewicht zu sorgen. Wobei, stört das Ding hier wirklich das Gleichgewicht? Ab wie vielen Opfern kann ich davon ausgehen? Und außerdem, vielleicht sollte ich dabei auch berücksichtigen, wen er sich holt. Klar, eigentlich ist das politisch sehr unkorrekt, den Wert von Menschen gegeneinander abzuwägen. Aber für das Gleichgewicht spielt es nun einmal eine Rolle, wer was tut in seinem Leben. Auch wenn es mich ankotzt, muss ich das berücksichtigen.
Seufzend beschließe ich, den Hinweis zu ignorieren, und gehe an der zusammengebastelten Vogelscheuche vorbei tiefer in den Tunnel hinein.
Um mich herum wird es immer dunkler. Warum konnte mir niemand vorher sagen, dass ich eine Taschenlampe brauchen werde? Missmutig betaste ich die Beule an meinem Kopf; das heißt, dank meiner Heilkräfte ist sie schon verschwunden. Aber es hat verflucht wehgetan, als das Biest mir mit dem Hammer den Kopf fast eingeschlagen hat.
Die Luft ist stickig und kalt. Und es stinkt. Wenn das Biest hier seine Opfer zum Verwesen aufbewahrt, dann ist das aber auch kein Wunder.
Ich merke, wie es in meinem Bauch rumort. Jetzt ist es schon ein halbes Jahr her, dass ich erfahren habe, eine Kriegerin zu sein und was das bedeutet. Habe ich mich deswegen schon daran gewöhnt? Ganz sicher nicht. Ich muss wahnsinnig sein, als unerfahrene Gleichgewichtsbewahrerin hier einem Wesen hinterherzujagen, das verweste, menschliche Leichen für eine Delikatesse zu halten scheint. Es wäre besser gewesen, Nilsson zu fragen. Oder zur Not auch Michael, obwohl der seltsame Vampir mir unheimlich ist. Bei ihm weiß ich nie genau, was er denkt.
Konzentrier dich lieber auf deine Aufgabe, erkläre ich mir. Wer weiß, ob du dich auch dann regenerierst, wenn du aufgefressen wirst.
Mit Sicherheit, erwidere ich mir und muss grinsen, als mir bewusst wird, was für Selbstgespräche ich führe. Ich sollte mich lieber auf meine Umgebung konzentrieren, sonst gibt es gleich den nächsten Schlag auf meinen Kopf.
Wozu braucht ein Wasserwerk überhaupt so einen Tunnel? Und will ich das wirklich wissen? Hoffentlich ist er außer Betrieb, wie der Rest. Möchte nicht plötzlich mit irgendwelcher Kloake geflutet werden. Obwohl, das Biest ist ja hier drin …
Ich halte inne. Eigentlich habe ich es hier nicht hineingehen sehen. Lediglich die komische Vogelscheuche im Eingang ließ mich das glauben. Was, wenn es zum makabren Humor des Wesens gehört, Leute auf völlig falsche Fährten zu locken?
Ich lausche angestrengt in die Dunkelheit hinein und verfluche meinen Leichtsinn, keine Taschenlampe dabei zu haben. Memo an mich: Auf Einsätze als Kriegerin immer, wirklich immer, eine Taschenlampe mitnehmen.
Es ist nichts zu hören. Und zu sehen schon mal gar nicht. Andererseits stinkt es derart abartig, als stünde ich inmitten der Vorratskammer des menschenfressenden Biestes.
Vielleicht stimmt das ja sogar.
Ich gehe langsam in die Hocke und taste den Boden ab. Es fällt mir schwer, keinen Schrei auszustoßen, als ich in etwas Glitschiges packe und mir kurze Zeit später klar wird, dass ich im Bauch von einem Menschen herumwühle.
Okay, also Vorratskammer stimmt schon einmal und auf falsche Fährte gelockt wurde ich auch nicht. Dann müsste das Biest doch eigentlich in der Nähe sein …
Ich spüre den Luftzug, bevor ich getroffen werde, und das rettet mich diesmal. Etwas Hartes streift meinen Kopf zwar trotzdem und reißt mir fast das linke Ohr ab, aber ich werde nicht bewusstlos.
Allerdings verliere ich das Gleichgewicht und falle in das, was ich gerade eben noch als offenen Bauch eines Menschen identifiziert habe. Ich schreie auf, halb vor Wut und halb vor Ekel.
Dann wird mir klar, dass ich es meinem Gegner nicht so leicht machen sollte, und rolle mich zur Seite. Das ist jedoch nur bedingt eine gute Idee, denn logisch, dass der Bauch nicht allein auf dem Boden herumliegt. Ob es die dazugehörigen Eingeweiden sind, in denen ich lande, oder etwas gänzlich anderes, kann ich auf die Schnelle nicht erkennen.
Und um ehrlich zu sein, will ich es auch gar nicht.
Das Biest scheint im Dunkeln sehen zu können, denn plötzlich packt es mich an den Schultern und hievt mich hoch. Ich spüre seinen Atem im Gesicht und denke darüber nach, ohnmächtig zu werden, derart gräßlich ist der Gestank, der plötzlich meine empfindlichen Geruchssinne bombardiert.
„Hör auf!“
Wie? Was? Hat wirklich gerade das Biest mit kaum zu verstehender Stimme, die einem Subwoofer Ehre machen könnte, darum gebeten, aufzuhören?
Ich beschließe, dass ich wohl halluziniere, was kein Wunder wäre angesichts dessen, was ich gerade einatmen muss. Ob sich bei der Verwesung auch Halluzinogene bilden, die nun konzentriert aus dem Magen dieses Monsters entweichen und mich der Sinne berauben?
Ich schlage wild in die Richtung, aus der die Stimme kam, und treffe etwas Hartes. Obwohl ich vom Kampfsport her gewohnt bin, Ziegelsteine und Ähnliches zu zertrümmern, habe ich das Gefühl, sämtliche Knochen meiner Faust wären gebrochen. Anscheinend habe ich das Biest voll im Maul getroffen, und seine Zähne sind verflucht hart.
Wir schreien beide auf und taumeln voneinander weg. Wenigstens kann ich meinen Gegner jetzt hören und so lokalisieren. Er scheint in Richtung Ausgang zu laufen und ich folge ihm, wenn auch etwas langsamer, da ich nichts sehen kann. Ich werde bei Gelegenheit Michael fragen, ob es irgendeinen Trick gibt, wie sich Vampire auch bei völliger Dunkelheit orientieren. Wobei, so wie ich ihn kenne, wird er sagen, dass sie es genauso machen wie die Fledermäuse.
Blödes Arschloch.
Doch jetzt sollte ich mich auf das menschenfressende Biest konzentrieren. Und weil es zunehmend hell wird, kann ich immer schneller laufen. Leider ist sein Vorsprung inzwischen so groß, dass ich ihn aus den Augen verliere, als er den Ausgang erreicht. Und bis ich ebenfalls dort ankomme, ist er verschwunden.
Na super.
Ich mustere die Vogelscheuche.
Dann meine Hände.
Und dann ist es vorbei. Zu viel ist zu viel.
Ich falle würgend auf die Knie und gebe die kümmerlichen Reste meines Abendessens von mir.
Als ich schließlich den Kopf hebe, sehe ich seine Füße.
Direkt vor mir.
Scheiße.
„Warum verfolgst du mich?“
Ich erhebe mich stöhnend, wische die Überreste meines Mageninhalts vom Kinn und starre das Biest dabei entgeistert an.
„Warum frisst du Menschen?“
„Das ist eine lange Geschichte“, erwidert es mit seiner tiefen, brummigen Stimme, und ich muss mich sehr konzentrieren, es überhaupt zu verstehen. „Aber ich habe niemanden getötet!“
„Na ja, die Krankenschwester, die du gebissen hast, hat einen Schock fürs Leben.“
„Das tut mir leid“, erwidert es mit gesenktem Kopf. „Ich wollte es nicht. Es überkam mich einfach.“
Das wird ja immer lustiger. Ein Monster mit Gewissensbissen?
„Hast du eigentlich einen Namen?“
„Ich heiße Theodor Calvan. Und du?“
Wie? Was? Ich atme tief durch, bevor ich antworte: „Nenn mich Fiona. - Hast du zufällig auch einen Personalausweis?“
„Nicht bei mir.“
Mich überkommt urplötzlich das tiefe Gefühl von Surrealität. Ich stehe hier vor einem Tunnel des stillgelegten, alten Wasserwerks von Skyline, mitten in der Nacht, es ist fast Vollmond, saukalt, und ein Monster, das aussieht wie eine Kreuzung aus Quasimodo und einem Zombie aus „Die Nacht der lebenden Toten“, erzählt mir, dass es zwar einen Personalausweis hat, ihn aber nicht bei sich trägt.
Vielleicht sollte ich mich mal kneifen. Obwohl, inzwischen weiß ich ja, dass das nichts bringt.
„Wo hast du ihn denn?“
„Zu Hause. Aber dort kann ich nicht mehr hin.“
„Wieso nicht?“
„Ich habe mich verändert.“ Er seufzt laut. „Ich war mal ein ganz normaler Mensch. Das Menschenfleisch hat mich zu dem gemacht, was ich bin.“
„Was sagst du da? Du wurdest zu einem Monster, weil du Menschenfleisch frisst?“
„Ja.“ Das Biest lässt den Kopf hängen, was bei einem Zwei-Meter-Quasimodo-Zombie-Verschnitt einfach nur lächerlich wirkt. Trotzdem gelingt es mir unter Aufbietung all meiner Selbstbeherrschung, nicht laut loszulachen.
„Warum frisst du überhaupt Menschenfleisch? Selbst wenn du niemanden tötest dafür, zumindest bislang, ist das doch irgendwie ziemlich … irre.“
„Das ist eine lange Geschichte.“
„Ich habe Zeit.“ Ich sehe es herausfordernd an. „So oder so, ich kann dich ja nicht gehen lassen.“
„Wie willst du das verhindern?“ Es richtet sich zu seiner vollen Größe auf und funkelt mich wütend an.
Nach einem Tritt zwischen die Beine und einem Faustschlag gegen seinen Rücken findet es sich auf dem Boden wieder.
„So“, erwidere ich ruhig. Langsam macht es mir Spaß, so was wie ein Engel zu sein. „Das war übrigens die Rache für den Schlag mit dem Hammer.“
„Das war keine Absicht“, sagt es dumpf, während es sich schwerfällig wieder aufrichtet. Seiner monströsen Fratze sehe ich an, dass es dabei Schmerzen hat, und plötzlich empfinde ich Mitleid für es.
„Klar, der Hammer hat deine Hand gezwungen, ihn gegen meinen Kopf zu führen.“
„Ich geriet in Panik, als du plötzlich da warst. Ich bekam es mit der Angst zu tun, weil ich wusste, das war wegen der Sache mit der Krankenschwester.“
„Genau, die du gebissen hast. Also gut, du erzählst mir jetzt schön deine Geschichte und ich überlege mir, was wir tun können.“
„Wer bist du überhaupt?“
„Sagte ich doch schon: Fiona.“
Es, oder eigentlich er, Theodor, mustert mich nachdenklich. „Dich kenne ich aber irgendwoher.“
„Kann schon sein. Vor zweieinhalb Jahren war ich viel in den Zeitungen und im Fernsehen.“
„Ich erinnere mich“, sagt er und nickt. „Wir können uns da drin hinsetzen.“ Er deutet auf den Tunnel und mich schüttelt es.
„Nein, danke, das muss nicht sein. Gibt es hier keinen gemütlicheren Ort? Sonst setzen wir uns in mein Auto.“
Wie auf ein Stichwort klingelt plötzlich mein Handy. Ben ist dran.
„Brauchst du Verstärkung?“, erkundigt er sich ohne Umschweife.
„Nein.“
„Hast du das Ding?“
„Äh … ja und nein.“
„Was zum Teufel heißt das denn?“
„Dass ich noch etwas Zeit brauche. Ich rufe dich an, wenn ich fertig bin.“
„Wenn du womit fertig …?“ Ich lege auf. Mir ist grad nicht nach Diskussionen mit ihm.
„War das die Polizei?“, erkundigt sich das … Theodor.
„Eigentlich nur ein Polizist. Die Polizei kann nicht telefonieren.“ Ich ignoriere seinen ratlosen Gesichtsausdruck und zeige auf mein Auto. Dann fällt mir ein, wie viel Blut und andere menschlichen Teile an uns kleben und ich entscheide mich um. „Das heißt, warte mal. Bestimmt gibt es hier irgendwo verlassene Büros, oder?“
Theodor nickt ergeben und geht voraus. Ich beobachte ihn aufmerksam, falls er fliehen oder mich angreifen will, möchte ich es rechtzeitig merken. Aber anscheinend hat er sich mit seinem Schicksal abgefunden. Direkt eine Kämpfernatur scheint er eh nicht zu sein. Jedenfalls führt er mich in ein Bürogeböude, wo wir uns in einem heruntergekommenen Meetingraum niederlassen. Immerhin gibt es hier Mobiliar.
„Fehlt nur noch die Sekretärin, die uns Kaffee bringt“, bemerke ich.
„Was?“
Ich beschließe, Theodor nicht zu überfordern. Er muss seine ganze Lebensportion Humor aufgebraucht haben, als er die Vogelscheuche gebaut hat.
„Also gut, dann erzähl mal. Wieso hast du angefangen, Menschenfleisch zu essen?“
„Daran war Yvonne schuld.“
„Wer ist Yvonne?“
„Yvonne ist … war eine Kollegin. Ich … ich dachte, ich könnte bei ihr landen, als sie mich zu einer besonderen Party eingeladen hat. Eine Art Tupperparty, sagte sie, nur interessanter.“
„Und da gab es Menschenfleisch?“
„Ja“, erwidert er langsam und starrt an mir vorbei ins Nichts. „Da habe ich zum ersten Mal Menschenfleisch gegessen.“
„Aus Tupperware?“
„Nein, von Tellern. Wieso?“
Fiona! Du wolltest ihn doch nicht überfordern!
Ich winke ab. „Nicht so wichtig. Du bist also wegen Yvonne mit auf eine Tuppermenschenparty gegangen. Und wie ging es dann weiter?“
„Ich habe mit Yvonne geschlafen.“
Jetzt starre ich ihn an. „Äh … Okay. Auf der Party?“
„Nein, danach.“
„Und was passierte auf der Party?“
„Zuerst war alles ganz normal. Ich wusste da ja auch noch nicht, dass es um Menschenfleisch geht. Viele wussten das nicht, die zum ersten Mal dabei waren. Und zuerst habe ich mich auch nicht gewundert, dass wir, als serviert wurde, eine weniger waren als am Anfang. Sie wird nach Hause gegangen sein, dachte ich. Bis ich ihren Ringfinger in der Suppe fand.“
„Hast du ihn gegessen?“, erkundige ich mich.
„Was?“ Theodor sieht mich irritiert an.
„Den Finger.“
„Nein! Ich wusste dadurch, dass sie nicht nach Hause gegangen ist.“
Nicht überfordern, Fiona, nicht überfordern! Vermutlich hat die Verwandlung auch sein Gehirn verändert. Vielleicht ist das eine Art Evolution rückwärts. Also, überfordere ihn nicht!
„Schon gut. Wie ging es weiter?“
„Ich … Ich weiß wirklich nicht, wieso ich dort hingegangen bin.Und wieso ich Fleisch gegessen habe. Menschenfleisch. Einige waren nicht zum ersten Mal da und schwärmten besonders von Babyfleisch.“
Ich atme tief durch. In meinem Magen ist nichts mehr, was ich wieder nach oben befördern könnte.
„Ihr habt Babyfleisch gefressen?“
„An dem Abend nicht. Wie gesagt, wir haben erst während des Essens erfahren, dass wir Menschenfleisch essen. Und irgendwie fühlte es sich normal an. Obwohl einige von uns das noch nie getan haben.“
„Möglicherweise habt ihr Drogen verabreicht bekommen. Ich frage mich nur, wieso eigentlich.“
„Drogen?“
„Meinst du nicht? Ich meine, du hast gerade gesagt, dass ihr nicht alle gewusst habt, was das für eine Party sein würde. Und dann wurde eine von euch sogar gekocht und gegessen. Ich glaube, die meisten Menschen, die in einer westlichen Kultur aufwachsen, lehnen das Verspeisen eines Menschen mehr oder weniger ab. Das ist eine Art angelernter Schutz, ein Tabu. So was lässt sich ziemlich gut mit Drogen ausschalten.“
„Und wieso wurde ich zu so … so einem Monster?“
„Das ist allerdings eine gute Frage. Was passierte denn nach der Party und nachdem du mit Yvonne geschlafen hast?“
„Woher weißt du davon?“
„Hast du vor ein paar Minuten noch selbst erzählt.“
„Ach so. Ja, das stimmt, ich habe dann wirklich mit ihr geschlafen. Aber nur einmal. Danach war sie verschwunden und ich habe sie nie wiedergesehen.“
„Könnte sie sich auch in ...ein Monster verwandelt haben?“
„Das weiß ich nicht. Aber möglich ist es.“
Ich überlege, schon allein, um mich zu erholen. Einerseits von dem, was Theodor mir erzählt, anderseits von der Anstrengung, die das Zuhören verursacht, denn er spricht extrem undeutlich.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich jemand nur dadurch, dass er Menschenfleisch isst, so verwandelt. Dass er sich überhaupt verwandelt. Dann müssten sich ja alle verwandeln, die Fleisch irgendwelcher Art essen. Nein, es gibt einen anderen Grund, und der wird mit den Drogen zu tun haben, die Theodor und einige der anderen offensichtlich verabreicht bekommen haben.
Aber wozu? Dahinter stecken vermutlich die Gastgeber der Party, doch was bezwecken sie? Ich habe den Verdacht, dass Theodor kein normaler Fall ist. Irgendwas ist bei ihm vermutlich schiefgelaufen und es entspricht gar nicht dem Plan, dass er sich so verändert hat.
Hilft alles nichts, ich muss sie selbst fragen.
„Führ mich hin.“
„Wohin?“, fragt Theodor erstaunt.
„Zu dem Haus, in dem du Menschenfleisch gegessen hast.“
„Was hast du vor?“
„Ich will herausfinden, was das alles zu bedeuten hat. Schon allein, weil ich es nicht zulassen werde, dass Newopes Bevölkerung aufgegessen wird.“
„So viele waren es gar nicht.“
Ich beschließe, den letzten Satz zu überhören. Alles andere wäre zu anstrengend.
Ich springe auf und mustere Theodor. Er sieht ja nicht wirklich unauffällig aus, nicht einmal im Schutz der Dunkelheit. Außerdem sind wir beide immer noch besudelt von … von was auch immer. Ich will es so genau gar nicht wissen.
„Gibt es hier eine Möglichkeit zu duschen?“
„Duschen?“
„Ja, duschen!“ Ich atme tief durch. „Sorry. Wir müssen mit dem Auto fahren, schätze ich, und so setzt du dich nicht in mein Auto. Und ich auch nicht!“
„Ich glaube nicht, dass es hier fließendes Wasser gibt“, sagt Theodor vorsichtig. „Aber einen kleinen Fluss ...“
Hm. Es ist Winter und es ist kalt. Ich sterbe vor Kälteschock, wenn ich in Klamotten baden gehe. Und ohne Klamotten erst recht. Aber den Gestank würde ich nie wieder aus dem Auto kriegen … Verdammt!
„Also gut, wir gehen im Fluss baden. Und danach setzen wir uns bei voll aufgedrehter Heizung sofort ins Auto.“
„Mir ist nicht kalt.“
„Aber mir!“ Diesmal entschuldige ich mich nicht.
Das Wasser ist tatsächlich kalt. Sehr, sehr kalt. Handy und andere empfindliche Sachen deponiere ich zuvor am Ufer, bevor ich in voller Kleidung ins Wasser wate.
Es. Ist. Verdammt. Kalt!
Dann sitze ich zitternd im Auto, Klimaanlage und Sitzheizung auf volle Kraft gestellt, die Fenster heruntergelassen, weil die Scheiben sonst sofort beschlagen, und blicke Theodor an, dem die Kälte anscheinend wirklich absolut gar nichts ausmacht.
„Wohin?“
„Wohin?“
„Warum wiederholst du meine Frage?“
„Ich habe nicht verstanden.“
Anscheinend geht es mit seinem Verstand im Stundentakt bergab. Ich sollte mich vielleicht beeilen.
„Wo wir hin müssen“, erkläre ich also geduldig, beide Hände unter den Oberschenkeln zu Fäusten geballt.
„Nach Summarit.“
Oh Gott. Noch kälter! Das Dorf liegt ja einiges höher als Skyline!
Seufzend löse ich die Handbremse und lasse den Wagen anrollen.
Mein Kopf …
Wieso habe ich Kopfschmerzen?
Ich öffne langsam die Augen, zugleich beginne ich, meinen Körper wieder zu spüren. Ich liege auf dem Rücken und kann meine Hände nicht bewegen. Sie scheinen gefesselt zu sein, außerdem liege ich auf ihnen. Das ist unbequem und in dem Maße, wie ich wach werde, auch schmerzhafter.
Neben mir bewegt sich etwas. Ich drehe vorsichtig den Kopf und sehe Theodor. Er liegt ebenfalls gefesselt auf dem Boden.
„Was ist passiert?“, erkundige ich mich.
„Ich weiß nicht.“
Habe ich etwa eine andere Antwort erwartet?
Ich sehe mich um. Der Raum, in dem wir uns befinden, könnte einem Horrorfilm, in dem die Menschen zum Verspeisen zerlegt werden, jede Ehre machen. Dann fällt mir ein, wo wir sind und warum, und mir wird klar: Wir befinden uns tatsächlich in genau so einem Raum.
Nur ist es kein Horrorfilm, sondern die düstere Wirklichkeit.
Ich schließe die Augen, um mich auf meine Erinnerungen zu konzentrieren. Allmählich lichtet sich die Dunkelheit um meinem Verstand.
Nachdem Theodor mir gesagt hatte, dass wir nach Summarit müssen, fuhren wir los. Dank des extremen Einsatzes von Klimaanlage und Sitzheizung waren meine Sachen fast trocken, als wir die kleine Stadt erreichten.