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Medea – die Stiefelherrin

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Kind! Hab keine Angst! Du wirst deine Realität unverändert wiederfinden», hörte ich eine vertraute Stimme, die mein Herz zum Stottern brachte, «sobald du in deiner Alltagswelt wieder erwachst. Hast du mir die verdrängten Bilder aus deiner Kindheit zurückgebracht?»

Während ich am Schreibtisch eingeschlafen war, hörte ich ein klirrendes Geräusch. Scherben splitterten, und als ich in meinem Sessel auffuhr, sah ich links von mir einen illuminierten runden Gegenstand unter der Fensterbank flimmern. Ich ging zum Fenster und hob ihn auf: «Sieh da, ein Bote», stellte ich überrascht fest, denn er leuchtete in einem schwachen, fluoreszierenden Schein. Als ich mich weiter fragte, ob er wohl die Botschaft in sich barg, auf die ich angesprochen worden war, sah ich plötzlich Akrons Gesicht durch das Licht hindurchschimmern: «Erschrick nicht, ich bin’s nur, der dich gerufen hat», sagte er, indem er mich schelmisch anlächelte, «auch wenn der Ruf aus der Unterwelt offenbar zu stark für dein Raum-Zeit-Kontinuum war und dir die Fensterscheibe auf der Bewußtseinsebene zertrümmert hat. Denn der höhere Geist, der sich gegen das duale Bewußtsein richtet, richtet sich gegen die Strukturen des überlieferten Denkens selbst und gewinnt sich, indem er sich verliert, im Verlust seiner realistischen Bilder und Vorstellungen.»

Ich war mir nicht sicher, ob ich wachte oder träumte, deshalb drehte ich mich um, um festzustellen, woher die Stimme kam. Aber da war niemand. Nur ein schwaches Glimmen. Eine Sekunde lang schien ich über die Schwelle meines Empfindens hinausgelangt zu sein und mit meinem Spiegelbild auf den Gewässern meiner inneren Gesichter zu verschmelzen. Gleichzeitig spürte ich aber auch, wie ich die Kontrolle über meine inneren Bilder verlor, und einen Augenblick war’s mir, als wäre ich ein Stein, der durch den schwerelosen Raum segelte, bis er, von der Schwerkraft wieder angezogen, irgendwo auf der Bewußtseinsoberfläche aufklatschte und in der Tiefe des Unbewußten versank. Als ich aus meiner Ohnmacht erwachte, sahen meine Augen auf eine Urinlache zwischen meinen Beinen, und ich mußte heftig weinen.

«Kind!» hörte ich die vertraute Stimme wieder, die mein Herz fast zum Stehen brachte: «Wo ist die Hose, die du mir bringen solltest?» Bei der Forderung nach dem, was die Stimme mit dem Wort «Hose» umschrieb, zuckte ich heftig zusammen und bemerkte, daß ich in Gedanken den Stein in meinen Händen offenbar noch immer festhielt. Für mich war er kein besonderes Objekt, das Leuchten war weg und was blieb, war nur ein abgeschliffener Flußkiesel, wie man ihn oft an Flüssen und Seen findet, mit interessanten, aber nicht außergewöhnlichen Einschlüssen. Ich strich mit meinen Fingern über seine glatte Oberfläche und bemerkte, daß plötzlich Zimmer und Umgebung verschwunden waren. Nur Akron war da. Und ein weites, glitzerndes Gewässer, auf dessen Oberfläche sich der Mond spiegelte.

Er befahl mir, mich hinzusetzen, die Augen zu schließen und mich ausschließlich auf den Stein zu konzentrieren: «Versuche dir seine Gestalt zu visualisieren, ohne ihn anzusehen», flüsterte er mir ins Ohr, «denn er ist der Bote, der dich in eine andere Wahrnehmung trägt. Die nächste Hölle hat keinen sichtbaren Raum, den wir durchqueren können. Sie manifestiert sich auf einer Ebene, die man die Angst der Seele vor ihren eigenen Gefühlen nennen könnte, und man erreicht sie nur durch die schockartigen Erinnerungen verdrängter Erlebnisse.»

Leicht und völlig mühelos gelang es mir, das Bild des Steines, den ich in meinen Händen hielt, zu imaginieren. Dazu hörte ich Akron sagen: «Ein ins Wasser geworfener Stein verursacht Wellen – doch der Flug setzt den Augenblick des Werfens eines Werfenden voraus und beginnt beim Loslassen des Steins. Karmisch relevant sind beide Aspekte: die Vergangenheit der zukünftigen Absicht des Werfenden ebenso wie die Zukunft der Wellen, die der Stein auslöst. Sie überlagern sich im Moment des Aufschlagens des Steins auf der Wasseroberfläche. Du mußt jetzt einfach versuchen, in die Vergangenheit deiner beabsichtigten Handlung einzudringen. Damit kannst du dich genau an den Schnittpunkt tragen lassen, wo der Stein aufschlägt, denn genau an der Stelle, wo der Stein die Bewußtseinsschwelle berührt, ist der nächste Raum zentriert. Es ist die urinale Hölle aus deiner Kinderzeit, die sich hier mit deinen Gedanken überschneidet, denn sie wurde in deiner Erinnerung fixiert. Willst du’s erleben? Dann wirf den Stein!»

«Was macht der Kerl im Kinderbett?» hörte ich eine längst vergessene Stimme in mir kreischen, als ich den Stein in die Luft warf und dabei selbst einen Augenblick über den Wassern meines Unbewußten dahinsegelte: «Warum ist er zurückgekehrt?» Dann spürte ich, wie ich die Kontrolle über den Flug allmählich verlor und in die Tiefe sackte, weil meine Gedanken immer weniger Auftrieb hatten, bis ich irgendwo auf dem Wasser aufklatschte. Verwesungsdunst breitete sich im Zimmer aus, und in meinem Hirn öffnete sich eine Fiebertür. Ich kam zum Pissoir am Ende der Kindheit. In der unschuldig weißen Schüssel brodelte und schwoll die Brühe wie in einem Taufbecken an. In der Algenflora dieser Nacht lag ich nackt da. Mein embryonalisierter Leib dümpelte in einer Wolke aus Fäkalien. Gleichzeitig hörte ich Mutters Schritte, die sich langsam entfernten, nur um von der anderen Seite mit wütender Stimme desto eindrücklicher in meine Kindheitserinnerungen einzudringen: «Wißt ihr was, Leute, er hat sich ins Kinderzimmer gelegt und ins Bett gepißt. Ist das nicht unverschämt?»

«Hab keine Angst», sagte Akron und legte mir seine Hand auf den Arm, dabei spürte ich seine wohltuende Nähe, «dies ist der Ort verdrängter frühkindlicher Aggressionen, und er führt die Sünder in die Abgründe ihrer unbewältigten Gefühlsmuster zurück. In dem Augenblick, in dem der Stein die Bewußtseinsoberfläche durchschlägt, erwachen die unbewußten Ängste und verbinden sich mit dem Verstand, und du erlebst die Hölle all jener, die von den Flammenzungen ihrer ungelösten Kindheitstraumen ständig aufs schmerzlichste durchdrungen werden. Los, versuch dich zu entspannen, damit du deinen eigenen Aggressionen nicht schutzlos ausgeliefert bist!»

Ich lehnte mich langsam nach hinten, das Wasser floß in dünnen Wellen über meine Bauchhaut und umspülte allmählich meinen Körper. Vor meinen Augen begannen die Bilder zu flimmern, während im selben Augenblick ein großes Loch vor mir aufging. Dann geschah etwas Unerwartetes. Das Loch dehnte sich in meiner Vorstellung plötzlich zu den weiblichen Umrissen einer saugenden Vulva aus, und aus den Wassern meiner Erinnerungen tauchte langsam die übermächtige Erscheinung einer höllischen Verführerin auf. Sie trug hochhackige, rote Stiefel und verzierte, breite Lederbänder um Oberschenkel und Arme. Dazu hatte sie einen roten Catsuit an, der in den Falten ihres üppigen Körpers die Geheimnisse eher freigab als verbarg. Ein breiter schwarzer Gürtel schmiegte sich eng um ihre Taille, und darunter schimmerte ihr Schlitz durch den dünnen Stoff. Zwischen den straffen Wülsten schienen die Reste ihrer Wollust verborgen, denn mit einer Mischung von Aggressivität und Hingabe funkelte sie mich an: «Kind!» hörte ich ihre vertraute Stimme, «hast du mir die verpißte Hose zurückgebracht?»

Bei ihren Worten zuckte ich zusammen und merkte, daß mir der silberne Mondschleim auf die Hände fiel. Er begann in meinen Handflächen zu glimmen und schimmerte in einem kalten, fluoreszierenden Glanz. «Sei vorsichtig», hörte ich Akrons Stimme durch meine Libido dringen, und gleichzeitig leuchtete sein Gesicht geheimnisvoll im flimmernden Lichtkranz auf, «die Vergangenheit deiner zukünftigen Absicht verlangt nach einem dominanten Mutterbild, und hier wird die kinderfressende Medea aus den tiefsten Schichten der kollektiven Seele nach außen projiziert, denn Mond im Widder löst bei Adams Söhnen jene geilen Horrorbilder aus, von der Mutter entweder lustvoll verschlungen oder zumindest in irgendeiner ähnlichen Form gepiesackt zu werden.»

Dann verschob sich meine Perspektive, und einen Augenblick später sah ich wieder die rote Teufelin im Mittelpunkt stehen. «Hinknien», hatte sie rauh befohlen und mich dabei unbeirrt mit ihren Katzenaugen angesehen: «Welche seelische Hypothek möchtest du abtragen, unter deren Last du stöhnst?» Schon spürte ich jene magische Kraft der Liebe, die die Liebenden lähmt, denn mein ganzer Körper verwandelte sich in einen orgiastischen Eingeweide-Dschungel, der von der Lust am Schmerz noch mehr erhitzt wurde, während mir ihre erläuternden Wort in den Ohren klingelten: «Ich wurde schon als kleines Mädchen vom Vater im Stich gelassen und von Männern verführt. Hilflos mußte ich ihr Gestöhne über mich ergehen lassen, denn ich war schwach und konnte mich nicht wehren. Seit jener Zeit war ihre Bestrafung für mich beschlossene Sache. Seither brauche ich ihre Demütigung. Seitdem verlangt es mich nach der einzigen Lust, die mich noch befriedigen kann. Die Lust, sie zu quälen. Dafür opfere ich der Hölle meine Seele!»

Ihre Augen glühten. Ohne ihren Blick von mir wegzunehmen zog sie eine neunschwänzige Katze unter dem Gürtel hervor: «Diese negative Fixierung wirkte sich in meinem weiteren Leben dann in dem Sinne aus, daß ich nur Männer akzeptierte, die ich aus meiner negativen Prägung als Strafe gegen den Vater demütigen konnte, was auf eine unbefriedigende Weise auch gelang. Als Strafe bin ich nun dazu verdammt, solange in dieser Hölle zu verharren, bis ein Mann aus freien Stücken zu mir findet, dessen Lust sich darin erschöpft, sich mir mit Haut und Haaren hinzugeben.»

Schmerzerfüllt schaute sie mich an, und als ich erwachte, erkannte ich, daß es das Gesicht des Vollmonds war, mit dem ich sprach, und der sich auf der Oberfläche des Unbewußten spiegelte, das ich in meinen Träumen überflog. Gleichzeitig spürte ich den Kuß der Lederzunge, die sich um meine Lenden wand, als sollte meinem Körper die Lust an der Unterwerfung eingeprägt werden. Unter der peinigenden Glutspur der Schlange kroch ich in die klammernde Umarmung begehrender Hingabe zurück. Dabei dirigierte sie meine Seele mit den hämmernden Worten zu den glitzernden Tempel wonnevoller Liebeserfüllung: «Nimmst du das Opfer an?»

«Jaaa! Jaaah!» schrie ich stöhnend und küßte ihre Stiefel. Ich spürte die Lust, die meinen Körper peitschte, Lust, unter der die Haut aufschrie, wenn ihre Welle meine Hüften umspannte und sich tief in die Seele fraß, denn nur auf diese Weise konnte ich mich spüren. Ich wand mich genußvoll unter ihren kraftvollen, gleichmäßigen Schlägen und spürte, wie meine Geilheit wuchs. Während sie meinen Rücken peitschte, bis mir das Wasser in die Augen schoß, kamen mir die Bilder meiner Kindheit wieder in den Sinn, wo ich von Mutter jedesmal verhauen wurde, wenn ich ins Bett pißte. Jede Strieme ließ mich erneut den Schmerz fühlen, den ich verspürt hatte, wenn sie mich strafte. Sie ließ mich niederknien und jeden der empfangenen Hiebe laut mitzählen. Ich wand mich, rieb mich an ihr und schnappte selbst immer keuchender nach Atem, denn nur in der totalen Aufgabe spürte ich ihre Lust in mir. «Warum willst du leiden? Warum suchst du Strafe?» züngelte sie: «Warum wünschst du immer mehr von jener Situation, die gleichzeitig auch deine Frustration aufbaut? Sprich’s aus!»

«Weil ich das Weibliche in mir bekämpft, vergewaltigt oder auf andere Weise unterdrückt habe», schoß die Lösung plötzlich wie ein mächtiger Urinstrahl aus mir heraus, schlagartig fühlte ich meinen Körper wieder, und im selben Augenblick zischte die Stimme meiner Mutter wie eine Klapperschlange aus den dunklen Kammern meiner Kindheit: «Du hast schon wieder ins Bett gepinkelt», baute sie sich drohend vor mir auf, «gleich kommt die Strafe. Zieh dich aus!»

Entsetzliche Qualen. Panik stieg in mir auf. Mit saugendem Blick stand sie vor mir. Ich faßte sie am Handgelenk und schüttelte sie. Sie wuchs und erfüllte das Gemach, und plötzlich stand ich unter Schock. Ich spürte, wie ich die Kontrolle über den Flug verlor und in die Tiefe sackte, bis ich irgendwo auf dem Wasser aufklatschte. Dann spürte ich einen elektrischen Schlag, aber ich hätte nicht sagen können, daß diese Stromstöße der Ableitung meiner angestauten Gefühle entsprachen, denn ich hatte noch nie im Leben die Strahlen energetisierten Wassers gespürt. «Wasch dich!» hallte das Echo ihrer Stimme in meinen Ohren nach: «Deine Pisse stinkt!»

Tu, was sie befiehlt, sonst ist es aus», hörte ich Akrons Stimme wie aus weiter Ferne sagen, «und versuch dich an das Erlebnis zu erinnern. Sonst bleibst du in den Gewässern deiner kindlichen Gefühle kleben …» Ich spürte den Schlag, heftige Wärmestöße durchströmten meinen Körper, und in der Erinnerung rannte ich zu den vergessenen Quellen meiner Kindheit zurück. Dort sah ich einen schmutzigen Jungen in einer vollgepinkelten Unterhose stehen, der mit dem großen Zeh das Gesicht des Mondes berührte, das sich auf der Wasseroberfläche reflektierte. Einen Moment hatte ich das Gefühl, als ob er schmerzhaft zusammenzuckte, als er mit der aufgeladenen Libido des Wassers in Berührung kam. Dann sprang er in die mondweiße Flut.

Dantes Inferno I

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