Читать книгу Grundlagen und Perspektiven der Liturgiewissenschaft - Albert Gerhards - Страница 25

2.2.6 Die Gewichtung des Faches durch das Zweite Vatikanische Konzil und die Nachkonzilszeit

Оглавление

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) erhob in der am 4. Dezember 1963 verabschiedeten Liturgiekonstitution die Liturgiewissenschaft zum Hauptfach innerhalb des Theologiestudiums (SC 16) und beschrieb für die theologische Lehre ein breites Feld, das den vielfältigen Dimensionen der Liturgie entspricht. So sollen neben Theologie und Geschichte auch Spiritualität, Pastoral und Rechtsfragen der Liturgie behandelt werden. Das korrespondiert der Neugewichtung der Liturgie als Quelle des Glaubens durch das Konzil: Liturgie sei »der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt« (SC 10). Deshalb ist die Liturgie nicht nur Gegenstand der Liturgiewissenschaft; vielmehr sollen alle Fächer der Theologie – explizit werden Dogmatik, Exegese, Spiritualität und Pastoraltheologie genannt – sich von den je eigenen Fragestellungen her so mit dem Christusgeschehen und der Heilsgeschichte beschäftigen, dass der Zusammenhang mit der Liturgie deutlich wird (SC 16).

Andere konziliare und nachkonziliare Dokumente betonten entsprechend die Bedeutung der Liturgie für die gesamte Theologie sowie den Stellenwert der Liturgiewissenschaft, so unter anderem das Dekret des Konzils über die Priesterausbildung »Optatam totius« (OT 4,16), die Grundordnung für die Priesterausbildung »Ratio fundamentalis« von 1970 (hier DEL 2004–2018; Neuausgaben 1985: DEL 5732a–5732p, und 2016), die Apostolische Konstitution »Sapientia christiana« über das Studium an kirchlichen Universitäten und Fakultäten und ihre Ausführungsbestimmungen (hier DEL 3698–3705; 3710–3714), eine Instruktion über die liturgische Ausbildung der Priesteramtskandidaten (DEL 3722–3859), alle 1979 veröffentlicht, sowie die 2017 veröffentlichte Apostolische Konstitution »Veritatis Gaudium« über die kirchlichen Universitäten und Fakultäten (Veritatis Gaudium/102; dazu Kranemann/125). Insgesamt unterstreichen viele dieser kirchlichen Dokumente die Bedeutung der Doxologie, des Lobpreises und der Verherrlichung Gottes in den Feiern des Glaubens für die christliche Existenz. In der Doxologie artikuliert sich der Glaube der Kirche wie des einzelnen Menschen. Ihn zu reflektieren ist Aufgabe der Theologie (»Glaubenswissenschaft«); Aufgabe der Liturgiewissenschaft ist, ihn in den historischen und gegenwärtigen Formen des gottesdienstlichen Lebens zu bedenken. So verdeutlichen diese Dokumente zugleich, dass die Liturgiewissenschaft in allererster Linie eine theologische Disziplin ist. Ihr Gegenstand ist die betende Kirche (Romano Guardini). Schien die Relevanz von Glaube, Liturgie und Gebet über lange Zeit unstrittig zu sein, sind sie nun durch die Kirchen-, Glaubens- und Gotteskrise des 20. Jahrhunderts in besonderer Weise in Frage gestellt. Die Liturgiewissenschaft ist deshalb herausgefordert, den christlichen Glauben und das Glaubensleben in diesem Umfeld zu reflektieren. Sie greift die Anfragen zeitgenössischer Kultur an die Liturgie auf und stellt vor dem Hintergrund dessen, was die Liturgie feiert, kritische Rückfragen an diese Kultur. »Veritatis Gaudium« entwirft das Bild einer Theologie, die sich in der Öffentlichkeit vom Evangelium her mit Fragen der Gesellschaft auseinandersetzen soll. Papst Franziskus versteht Theologie als ein »kulturelles Laboratorium« (Veritatis Gaudium/102, Nr. 3), das Ort einer »performative[n] Interpretation der Wirklichkeit« (Veritatis Gaudium/102, Nr. 3) sein soll. Mit der Theologie insgesamt ist demnach auch die Liturgiewissenschaft über ihre Themen zum Dialog und zum Beitrag für »eine wahre Kultur der Begegnung« mit allen Christen und allen Menschen anderer Religionen und Weltanschauungen aufgerufen (Veritatis Gaudium/102, Nr. 4b). Sie darf sich nicht allein auf den binnenkirchlichen Raum konzentrieren, sondern muss sich mit Liturgien, kirchlichen und allgemein religiösen Ritualen in der pluralen Gesellschaft auseinandersetzen.

Grundlagen und Perspektiven der Liturgiewissenschaft

Подняться наверх