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Liturgietheologie

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Die katholische Liturgiewissenschaft interpretiert Liturgie der Kirche heute, unbeschadet aller unterschiedlichen Deutemodelle, als ein von Gott her ermöglichtes, pneumatisches, also als geistliche Wirklichkeit zu verstehendes Geschehen zwischen Gott und den Menschen (Überblick geben u.a.: kath.: Liturgische Theologie/223; Knop/205; ev.: Arnold/421; Haspelmath-Finatti/188). Liturgie ist Feier des Pascha-Mysteriums Jesu Christi, also von Leiden, Tod und Auferstehung. Die Botschaft ist, dass das Leben im Tod siegt. Sie ist der Ort, an dem sich Kirche je neu konstituiert. Das wird in den gottesdienstlichen Feiern zeichenhaft erfahrbar (Gemeindepartizipation; Amt im Dienst an der Gemeindeversammlung; Einbindung der Gemeinden in die ecclesia catholica durch Fürbitte, Interzession, gemeinsame Ordnung des Gebets). Liturgie ist eng verwoben mit der zeugnishaften Weitergabe des Glaubens (Martyria) und dem gelebten Glauben für andere (Diakonia). Zusammen bestimmen diese drei Grundvollzüge die Identität von Gemeinde. Liturgie ist damit bedeutsam für Existenz und Leben der Christinnen und Christen, die aus ihr gestärkt werden und immer neu zu ihr hingeführt werden.

Die Theologie der Liturgie beschäftigt sich deshalb nicht allein mit der Theologie der Feier sakramentlicher Liturgien und damit im engeren Sinne der inneren Verfasstheit der Liturgie. Da in der Liturgie Gottesbeziehung, Kirchesein und Identität des Christseins realisiert werden, formuliert die Liturgietheologie eigenständige Beiträge z.B. zur Anthropologie, Christologie, Ekklesiologie.

Dass die Liturgie Feier des Glaubens und damit rituelle Realisierung der Beziehung zwischen Gott und Mensch ist, macht es für die Liturgiewissenschaft zwingend, Liturgie in explizit theologischer Perspektive zu reflektieren. Mehr noch: Die Liturgie selbst soll wieder zu einer Quelle der Theologie werden (Liturgie/215). Das Zweite Vatikanische Konzil wies einer neuen Qualifizierung des Gottesdienstes den Weg, als es diesen als Quelle und Höhepunkt kirchlichen Tuns bezeichnete (SC 10; LG 11). Man unterscheidet zwischen einer liturgischen Theologie und einer Theologie der Liturgie; beiden eignet ein ganz unterschiedliches Fragespektrum.

Eine liturgische Theologie, wie sie von dem orthodoxen Theologen Alexander Schmemann (1921–1983) (Schmemann/252) entworfen wurde und unter anderem von Aidan Kavanagh (1929–2006) (Kavanagh/200), dem evangelischen Theologen Gordon W. Lathrop (Lathrop/214) und Reinhard Meßner (Meßner/231) vertreten wird, geht vom Glaubensgeschehen und den Glaubenserfahrungen aus, die in der Liturgie gemacht werden und aus denen der christliche Glaube lebt (Knop/205). Der Theologie kommt die Aufgabe zu, dieses pneumatische Geschehen zu reflektieren. Einem von Tiro Prosper von Aquitanien († um 455) stammenden Axiom zufolge, wonach die Regel des Betens die Regel des Glaubens bestimmt (»legem credendi lex statuat supplicandi« [DH 246]), geht es um das Verhältnis von Lex orandi und Lex credendi: Der liturgische Ritus begründet eine Glaubensnorm (Stuflesser/259: 23–26). Kavanagh bezeichnet die Liturgie als »primary theology« (theologia prima). In der Liturgiefeier handelt Gott im Heiligen Geist. Nach Kavanagh stammt die Liturgie wie die Heilige Schrift von Gott. Sie ist das Fundament aller Reflexion, der »secondary theology« (theologia secunda), und das Konstitutivum einer Theologie, die insbesondere nach den Handlungsvollzügen der Liturgie, nach Wort und Symbol fragt. Aus dem zentralen Glaubensvollzug, also letztlich aus der Doxologie, soll eine Theologie entwickelt werden, die nicht durch eine liturgiefremde Hermeneutik gleichsam gefiltert oder verfremdet wird. Der liturgischen Theologie wird paradigmatische Bedeutung für die gesamte Theologie beigemessen.

Davon abzusetzen ist eine Theologie der Liturgie, die sich deutlich vom vorigen Ansatz unterscheidet (dazu Knop/205). Anhand von Vorgaben aus der Systematischen Theologie wird eine Theologie entwickelt, deren Kennzeichen der Rückgriff auf die Liturgie als Grundvollzug des Christseins ist. Es handelt sich um eine Theologie der Liturgie, nicht aus der Liturgie. Der Methodist Geoffrey Wainwright folgt beispielsweise im ersten Teil seiner »Doxology« dogmatischen Traktaten, wenn er nacheinander Gottesbild, Christus, Heiligen Geist und Kirche behandelt (Wainwright/267). Edward J. Kilmartin (1923–1994) legt eine trinitarische Theologie der christlichen Liturgie vor und orientiert sich dabei an der Systematischen Theologie. Entscheidend ist für ihn aber auch, dass gerade im Gottesdienst das Erlösungsgeschehen in Christus mitgeteilt wird (Kilmartin/202). Josef Wohlmuth hat eine mystagogische Christologie entwickelt, die Texte und Vollzüge der Liturgiefeier zu ihrer Grundlage nimmt, wählt aber als hermeneutischen Zugang eine aus der zeitgenössischen Philosophie stammende Ästhetik (Wohlmuth/272). Bei ihm kommt es zum Gespräch zwischen Systematik und Liturgie, wofür man die Liturgie und damit die ästhetische Gestalt des Glaubens zum Ausgangspunkt nimmt. Beachtliche Arbeiten zur Liturgietheologie hat Emil Joseph Lengeling (1916–1986) vorgelegt (ausgewählte Aufsätze in: »Liturgie – Dialog zwischen Gott und Mensch« [Lengeling/130]). Sein Anliegen war die theologische Reflexion des nachvatikanischen Reformwerkes und insbesondere die theologische Durchdringung der gemeindlichen Liturgiefeier. Nicht zuletzt Studien von Liturgiewissenschaftlern wie Lengeling nahmen Einfluss auf die Liturgiereform des 20. Jahrhunderts.

Eine liturgische Theologie reflektiert und argumentiert ganz aus der Liturgie heraus, während die Theologie der Liturgie Vorgaben folgt, die nicht der Liturgie entlehnt sind. Beide Ansätze besitzen Stärken. So bietet vor allem die liturgische Theologie einen originären Beitrag innerhalb der Theologie und radikalisiert die Feststellung, die Liturgie sei Quelle des Glaubens. Aufgrund der Bedeutung der Liturgie für die Kirche muss dieser Strang der Theologie deutlich zu Gehör gebracht werden. Er muss zugleich in anderen theologischen Disziplinen stärker wahrgenommen werden, um verschüttete Dimensionen theologischer Traditionen neu zur Geltung zu bringen und die Bedeutung gottesdienstlicher Doxologie für die Theologie insgesamt präsent zu halten.

Allerdings dürfen die Grenzen beider Ansätze nicht übersehen werden. So stellt sich die Frage, ob und inwieweit nicht auch die Theologia prima Konstruktion einer Theologia secunda ist, folglich die liturgische Theologie unter nicht reflektierten Voraussetzungen steht. Der Nachteil der Theologie der Liturgie besteht darin, dass ihre Kriterien nicht unmittelbar aus der Liturgie stammen. Doch bietet sie mehr Raum zur kritischen Distanz gegenüber der Liturgie.

Beide Formen der Theologie greifen aber den besonderen Charakter und die Geschehensdichte der Liturgie auf. Die Brennpunkte, zwischen denen sie sich bewegen, sind zum einen die Praxis der Liturgie, der gegenüber sie eine reflektierende Haltung einnehmen, und zum anderen die theologische Theorie, deren Grenzen sie mit Blick auf die Doxologie bewussthalten. Das reflektierende Erschließen der Feier und der Verweis auf das gegenüber aller Reflexion je größere Mysterium kennzeichnet eine solche Theologie als mystagogische Theologie (Schilson/250: 234).

Aufgabenstellung jeder Liturgietheologie und letztlich der Liturgiewissenschaft insgesamt ist zudem die ökumenische Orientierung (Liturgiewissenschaft und Kirche/222). Sie ist theologisch begründet. Gemeint ist damit nicht allein Interdisziplinarität zwischen den Theologien verschiedener konfessioneller Provenienz. Im Mittelpunkt jeder christlichen Liturgie steht die Feier des Christusmysteriums. Diese Feier entfaltet sich in den unterschiedlichen historisch gewachsenen Ausdrucksformen der verschiedenen christlichen Kirchen. Nach Friedrich Lurz nimmt die ökumenische Liturgiewissenschaft die Perspektive des Verstehens ein, geprägt von der »Hermeneutik einer anderen Liturgie« (Lurz/225: 280). Das den Christen gemeinsame Glaubensfundament veranlasst dazu, die Liturgie der je anderen Kirche zu reflektieren und verstehen zu wollen. Es bietet zugleich den Maßstab, um die theologische Legitimität und Qualität der verschiedenen Liturgien zu beurteilen und Defizite zu verdeutlichen, aber auch um Vielfalt würdigen zu können. Wahrnehmung und Verständnis anderer Liturgien, Untersuchung von Genese, Struktur und Theologie sowie kritische Auseinandersetzung, die zugleich Selbstkritik im Hinblick auf die Ökumene impliziert, sind Aufgabenstellungen einer solchen ökumenischen Liturgiewissenschaft, die sich der Spannung von Vielfalt und Einheit verpflichtet weiß.

Grundlagen und Perspektiven der Liturgiewissenschaft

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