Читать книгу Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann - Alex Wheatle - Страница 6

1 DREI MAHLZEITEN PRO TAG

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»MUM! WIESO HAST DU ihm erlaubt, dass er sich mein Essensgeld nimmt?«

Sie saß auf dem Bett, band den Gürtel ihres Morgenmantels um die Taille – eigentlich musste er gewaschen werden, aber ich hatte am Vortag die letzten Waschmittel-Pods für meine Sportsachen verbraucht. Schlaf hing ihr in den Augen. Ihre Wimperntusche sah jetzt aus wie mit dem Wischmopp aufgetragen. Die blöde Kuh konnte sich vor dem Schlafengehen nicht mal die verfluchte Schminke aus dem Gesicht waschen.

»Mum!«, wiederholte ich.

Sie streckte sich und gähnte erst mal, bevor sie antwortete.

»In der Küche sind noch ein paar Brötchen und ich glaube, im Schrank steht auch noch ein Rest Erdnussbutter.«

Ihre Stimme klang heiser, als hätte sie Fußmatten gefuttert.

»Soll er doch die Brötchen essen«, fauchte ich.

Sie hielt sich die Ohren zu.

»Mum. Ich brauch Geld für die Schule!«

»Hör auf zu schreien, Mo. Dabei kann kein Mensch denken, verdammt; ich hab Wahnsinnskopfschmerzen. Zieh ab in die Schule. Bist du nicht schon spät dran?«

Ich nahm mein Handy aus der Hosentasche. Zwanzig nach acht. Verdammt! Holman zieht mir die Ohren lang.

»Ich geh wieder ins Bett«, sagte Mum. Sie kratzte sich den Schlaf aus den Augen, schmierte ihn an ihren Morgenmantel und warf sich auf die Matratze. »Mo, nimm die Brötchen und lass mich in Frieden, ja? Wir sind erst nach drei zu Hause gewesen.«

Die halbe Decke hing auf den Boden. In der Matratze war eine Kuhle, wo er geschlafen hatte. Der Aschenbecher war voll. Im Zimmer stank es nach Bier. Der Mülleimer war voller Dosen. Ich schwor mir, niemals Alkohol zu trinken. Mum zog sich die Decke über den Kopf, drehte mir den Rücken zu und kauerte sich zusammen wie ein ungeborenes Baby.

Frust knisterte in mir. »Du bist echt zu nichts zu gebrauchen.«

»Sagst du mir ja ständig. Darf ich jetzt schlafen?«

Ich stand mit verschränkten Armen da, starrte sie an, aber sie rührte sich nicht. Dann hörte ich ein Geräusch aus der Küche. Er war noch da. Ich ging aus Mums Zimmer, knallte die Tür hinter mir zu und bog in den Flur ab.

Er saß am Küchentisch, trank Tee aus einem Becher, warf mir einen Ach-du-Scheiße-Mo-ist-noch-nicht-in-der-Schule-Blick zu. Ich hoffte, er würde sich die Lippen verbrennen. Markensneaker zierten seine Füße. (Wo hatte er die her? Angeblich war er doch pleite.) Er trug ein zu enges Real-Madrid-Trikot mit der Nummer sieben hinten auf dem Rücken. Beim Anblick seiner Männertitten darunter wär’s mir fast hochgekommen. Auf seinen fetten rechten Oberarm hatte er Jack Sparrow tätowiert. Auf den linken ein Piratenschiff. Sein Ziegenbärtchen kratzte seinen Hals. Wie konnte Mum bloß so einem die Zunge in den Hals stecken?

Ich sah ihn direkt an. »Die fünf Pfund, die Mum dir gegeben hat – das ist mein Essensgeld.«

»Für dich sind die Brötchen in der Küche«, sagte er. Sein vernünftiger Tonfall pisste mich krass an.

»Ich will keine scheiß trockenen Brötchen zum Mittag; gib mir einfach die fünf Pfund, dann hast du mich von der Backe und ihr könnt eure Saufparty fortsetzen.«

»Für eine Fünfzehnjährige hast du ein ganz schön dreckiges Mundwerk«, sagte er. Er glotzte mich an, als würde er denken, ich sollte wegen seiner erbärmlichen Bemerkung lächeln, aber die Genugtuung würde ich dem Arschgesicht auf keinen Fall gönnen.

»Wenn du mir die fünf Pfund nicht gibst, wird’s noch viel dreckiger«, drohte ich.

»Und du willst Medien am College studieren? Mit der Klappe? Damit lassen die dich bestimmt nicht die Sechs-Uhr-Nachrichten lesen.«

»Fotografie und Medienwissenschaften. Und das ist kein Spaß, Lloyd. Gib mir die verdammten fünf Pfund!«

»Ich muss heute zum Arbeitsamt und morgen zu einem Bewerbungsgespräch in Ashburton – Lagerarbeit. Du solltest mir Glück wünschen.«

»Dann benutz den kostenlosen Nahverkehr – deine Füße. Bisschen Bewegung tut dir gut.«

Er bedachte mich mit einem bösen Blick, aber mir war’s scheißegal. Er war nicht mein Dad.

»Hättest vielleicht lieber nicht dein ganzes Geld versaufen sollen«, setzte ich hinzu. »Was hat dich das denn gekostet? Oder besser Mum?«

Lloyd stand auf. Scharrend fuhr sein Stuhl nach hinten. Sein durchdringender Blick wurde noch durchdringender. Er machte zwei Schritte auf mich zu, aber ich wich nicht zurück, sondern erwiderte seinen Blick, starrte ihn an wie ein Hai.

»Ich hatte Geburtstag am Sonntag… «

»Na und?«, fiel ich ihm ins Wort. »Heute ist Dienstag. Ich sehe neue Markenschuhe, hast du wohl geschenkt bekommen? Vor zwei Monaten hatte ich auch Geburtstag und hab nicht mal ein ›N‹ für ein Nichts gekriegt!«

»Hab deine Mum seit Freitag nicht gesehen. Müssen wir dich jetzt um Erlaubnis bitten, wenn wir mal feiern wollen?«

»Ist mir scheißegal, wie ihr feiert«, fuhr ich dazwischen. »Gib mir einfach nur meine fünf Pfund!«

»Am Freitag krieg ich Stütze«, sagte Lloyd. »Davon geb ich dir’s wieder. Ich lad dich sogar auf eine Pizza ein oder geh mit dir in die Cheesecake Lounge.«

Ich soll mich mit ihm in die Cheesecake Lounge setzen? Spinnt der? Der muss gestern Nacht noch mehr getrunken haben, als ich dachte. O Gott! Sollte ich jemals zechen wie die beiden, dann hoffe ich, dass mich jemand aus meinem Elend erlöst.

»Such’s dir aus«, bot er an. »Ich lad dich ein.«

Seine Ruhe raubte mir die Geduld. Ich trat auf ihn zu und wollte in seine Tasche greifen. Er packte mich am Handgelenk und stieß mich weg. Lloyd war zwar fett, aber auch stark. Er zog seine Trainingsjacke von der Stuhllehne und schlüpfte rein. Bevor er zur Haustür ging, erwischte er mich noch einmal mit seinem bösen Blick. »Mo, reg dich ab. Komm runter. Was soll das eigentlich? Hm? Hast du Probleme mit Sam?«

»Wie oft soll ich das noch sagen? Sam ist nicht mein Freund.«

»Wer’s glaubt. Hab einen schönen Tag in der Schule.«

Als er sich an mir vorbeischob, roch ich sein Resterampe-Deo.

Wie konnte Mum bloß mit so einem Knastarsch schlafen? Er tat immer ganz gelassen und freundlich, behandelte uns aber genau genommen wie Dreck und kam auch noch damit durch. Mum wollte es nicht wahrhaben, dass er sie bloß ausnutzte. Lernte sie denn nie aus den Fehlern, die sie gemacht hatte? Sobald ein Mann ihr Aufmerksamkeit schenkte, war sie total Ich tu alles für dich, mein Starker.

Blöde Kuh. O Gott! Bei mir zog sich alles zusammen, wenn sie ihn »mein Starker« nannte. Das musste aufhören. Ohne ihn kamen wir viel besser klar. Wenn sie nicht für uns einstand, dann musste ich das eben machen.

Ich rannte Lloyd hinterher und trat ihm so fest ich konnte gegen das linke Bein. Er hüpfte, drehte sich um. Erst lag Erschrecken, dann Zorn in seinem Blick. Ich wollte ihm gegen die Rippen boxen, aber meine Faust traf nur Schwabbelspeck. Dann zielte ich mit dem Fuß auf seine Eier. »Gib mir meine verdammten fünf Pfund, du Arsch!«

Er packte mich fest an den Armen und bohrte mir seine Finger ins Fleisch, zog mich ganz nah an sich ran. Ein Schwall abgestandenes Bier wehte mir aus seinem Mund entgegen. Wieder trat ich ihn. So richtig erwischte ich seine Kokosnüsse nicht, traf ihn aber irgendwo in der Leistengegend. Er schloss die Augen und verzog das Gesicht. Gut!

Seine Nägel bohrten sich immer tiefer in meine Haut, seine Augen verengten sich zu hasserfüllten Schlitzen. Dann löste er seinen Griff und stieß mich von sich. Ich verlor den Halt und krachte auf den Hintern.

»Es reicht, Mo!«

Seine fetten Wangen zuckten. Er ballte die Hände zu Fäusten. Kochte. Angst durchflutete meine Adern. Er würde es nicht wagen.

»Treib es nicht zu weit, Mo! Ich will dir nicht wehtun. Wieso kannst du nicht einfach akzeptieren, dass deine Mum und ich zusammen sind? Kapier’s doch endlich.«

»Machst du das mit Mum genauso, wenn du nicht kriegst, was du willst? Wenn sie dir nicht das Geld gibt, das du haben willst? Macht’s dir Spaß, Mädchen rumzustoßen? Warst du deshalb im Knast? Wieso verpisst du dich mit deiner verkorksten Schlägermentalität nicht einfach wieder in den geschlossenen Vollzug, wo breite Fettärsche wie du hingehören?«

Lloyd hielt inne. Ich wusste, dass ihn meine letzte Bemerkung gewaltig fuchste. Gut!

»Geh in die Schule, Mo.« Er machte die Tür auf. »Und beruhig dich.«

»Komm nicht wieder!«, brüllte ich ihm hinterher.

Er knallte die Tür zu. Ich riss sie noch mal auf und schrie ihm durchs Treppenhaus hinterher. »Lass Mum und mich in Ruhe!«

Lloyd antwortete nicht. Ich ging wieder rein.

Stampfte zurück zu Mum ins Zimmer. »Hast du das gesehen, Mum? Dein Freund war kurz davor, mir eine reinzuhauen. Dein arbeitssuchender Knastbruder-Fettarsch-Freund. Und nicht zum ersten Mal.«

Nichts.

»Mum?« Sie schlief tief und fest. Ich rüttelte sie wach. »Ich hab gesagt, er wollte mich gerade wieder schlagen, Mum!«

Sie rollte auf den Rücken, öffnete aber nicht die Augen. »Er hat versprochen, niemals wieder die Hand gegen dich zu erheben. Das Versprechen hab ich ihm abgenommen, da warst du dabei. Und hat er sich nicht entschuldigt? Seitdem hat er doch wirklich versucht, es wiedergutzumachen, Mo, aber du lässt ihn nicht. Jetzt sieh zu, dass du loskommst! Ich will nicht noch mehr Briefe bekommen.«

Und damit kauerte sie sich wieder zusammen. Ich stierte sie finster an. Ich hasste es, hier zu wohnen. Hasste es!

Ich ging in mein Zimmer, meine Sachen holen. Sah mich im Spiegel an – meine Haare sahen aus wie aus einem schlechten Achtzigerjahre-Popvideo, aber egal. Ich schnappte meinen Schulrucksack und zog los.

Ich würde mir eine andere Bleibe suchen müssen. Vielleicht konnte ich bei Elaine unterkommen.

Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann

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