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Krems

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In Krems an der Donau erwachte am Neujahrstag im Gasthof ´Zum Pfennigfuchser` ein Mann, dessen Hass auf die Türken so groß war, dass selten ein Tag verstrich, ohne dass er über Mittel und Wege nachgedacht hätte, ihnen Schaden zuzufügen. Von dieser Obsession abgesehen, gab es nichts Auffälliges an ihm. Er führte einen gewöhnlichen deutschen Namen – Konrad von Breitenbrunn - war groß gewachsen und kräftig, ohne riesig zu wirken. Er mochte Frauen und diente dem Kaiser wie viele andere Männer auf Sold und Ehre. Im letzten Jahr war er auf der Karriereleiter zwei Sprossen nach oben gestiegen und hatte es zum Kommandeur eines Bataillons gebracht. Das Bataillon war in Wien vor die Hunde gegangen, genauer gesagt, mit Wien vor die Hunde gegangen. Nach der Explosion des Pulverturms waren sie gegen die türkischen Belagerer auf verlorenem Posten gestanden, hatten sich so gut es ging gewehrt, bis das Ende kam. Gewisse Verdienste, die der gewesene Stadtkommandant Starhemberg in seinem Offizierspatient festgehalten hatte, machten Breitenbrunn Hoffnung auf ein neues Kommando, sobald der Kaiser neue Regimenter aufstellte. Zunächst aber beschäftigte ihn an diesem Morgen die banale Frage, ob er sich eine Uhr zulegen sollte, eines dieser modischen Chronometer nämlich, die so klein waren, dass sie in den Brustbausch passten und einhundert Gulden oder mehr kosteten. Abends am Offizierstisch hatte ihn ein Major spöttisch angesehen, weil er nach der Uhrzeit fragte. Mon Dieu, ein Obrist ohne Uhr? Incroyable! Ein dummes Wort und er hätte dem blasierten Pimpf aufs Maul gehauen! Teure Uhren waren Luxus, solange die Sonne gratis vom Himmel schien. Das Gleiche galt für teure Kleider, Duftwasser, Schmuck und Perücken. Man brauchte sie nicht wirklich! Mit dieser Meinung hielt er meist hinter den Berg, weil sie den Argwohn der parfümierten Kavaliere und geistlosen Schwätzer erregt hätte. Es gab da nämlich ein diskretes Detail, das der Welt verborgen bleiben musste. Einen ´von Breitenbrunn` gab es erst, seit ihm die Brandenburger aus Gefälligkeit einen Freiherrentitel ins Offizierspatent geschrieben hatten, um ihm den Übertritt ins kaiserliche Heer möglich zu machen. Dort hatten ihn dann alle gleich als Baron angeredet und er den Irrtum nicht korrigiert. Wozu auch? Als Baron lebte es sich höchst angenehm. Seine ungeschliffene Art und derbe Sprache ein wenig abzumildern und sich eine passende Biographie zurechtzulegen, war kein großes Ding gewesen. Und dass er knapp bei Kasse war, fiel bei der Armee, wo es von mittellosen adligen Offizieren wimmelte, nicht auf. Bloß sein enger Freund Joachim Beck, der schlaue Kerl, wäre ihm beinahe auf die Schliche gekommen. Weil er wie ein Bär focht und derbe Lektüre wie den `Simplizius Simplizissimus` oder die `Landstörtzerin` bevorzugte.

Konrad Breitenbrunner, so lautete sein richtiger Name, wickelte sich die Decke um den Leib und öffnete das mit Eisblumen verkrustete Fenster. Der Sonne nach musste es neun oder ein Viertel darüber sein. Mit der kalten Luft drang das verzweifelte Gackern von Hühnern, vermischt mit dem dumpfen Gebrumme der Milchkühe ins Zimmer. Die wackeren Kremser vernachlässigten nach der Silvestersauferei ihr Vieh und begingen damit ein Unrecht! Er selbst hatte sich nach drei Gläsern Wein auf den ganzen Abend verteilt, in heiterer, aber nicht angeheiterter Stimmung zum Schreiben und Zeichnen zurückgezogen. Eine seiner Lebensweisheiten besagte, dass Glück und Wohlbefinden eines Mannes unter anderem davon abhingen, wie er am Abend zu Bette ging. Er sollte weder Hunger noch Durst verspüren, Aufregungen meiden, nicht ins Grübeln verfallen und - wenn ihm das Einschlafen nicht leicht fiel - zuvor einer erbaulichen Tätigkeit nachgehen, die seine Sorgen verblies. In der Kindheit hatten sie mit dem Vater in der Schlafkammer Luthers Nachtgebet gesprochen. Auch jetzt noch hatte er den tönenden Bass des Vaters, den brechenden Sopran des halbwüchsigen Bruders und das Gezwitscher der kleinen Schwester im Ohr. An den Klang der eigenen Stimme erinnerte er sich nicht, wohl aber an das wonnige Gefühl im warmen Nest zu liegen und sich auf das frohe Erwachen am nächsten Morgen zu freuen.

Breitenbrunner zog das knielange Leinenhemd durch die Unterhosen und schlüpfte in das wollene Unterkleid. Dann setzte er sich an das Tischlein und betrachtete seine letzte Zeichnung, einen Esel, der mit hängenden Ohren verlassen in einer verschneiten Landschaft stand. ´Asinus Breitenbrunnensis` - Esel Breitenbrunn` stand daneben. Esel deswegen, weil er seinen Bruder hatte ziehen lassen und jetzt wieder alleine dastand.

„Ein glücklich Neujahr, wünsch ich dir Bruder Michael“ sagte er halblaut „und auch dir liebe Grete!“ Die Grete hatte sich Michael vor Wien am Sklavenmarkt gekauft, als er noch bei den Türken diente. Von Fleischeslust getrieben war er hingegangen, ohne zu ahnen, was daraus werden würde. Nach ein paar Tagen war er so verschossen in Grete gewesen, dass er sie für immer behalten wollte. Ihn hatte das nicht gewundert, weil Grete ebenso hübsch und aufgeweckt war wie seine Ursula, die ihm die Türken geraubt hatten. Gerne hätte er gewusst, wo Michael und Grete sich gerade aufhielten und was sie anstellten. Was die Ursula gerade tat, oder tun musste, wollte er lieber nicht wissen.

Während er sich die knielangen Strümpfe anzog, fasste er den Entschluss, die Einladung des Savoyer Prinzen zum gemeinsamen Besuch der Neujahrsmesse um elf sausen zu lassen. Er hatte nicht gebetet, seit eine türkische Bande sein Dorf überfallen hatte. Wozu einen Gott anreden, der sich um die Seinen nicht kümmerte? „Gott hat sich wohl um dich gekümmert, Konrad“ hatte ihn der Verwandte in Würzburg, zu dem er sich geflüchtet hatte, belehrt, „sonst stündest du nicht neben mir.“ Er hatte ihn ausgebessert: "Wenn Gott seine Pflicht getan hätte, Onkel, wären sie alle noch am Leben und ich müsste nicht bei dir sein!" Dafür hatte er eine Tracht Prügel bezogen. Auch die geistlichen Herren im Gymnasium konnten seine Zweifel an der Liebe Gottes nicht ausräumen. Vom Katecheten mehrmals der Gottesleugnung überführt, hatte er viele Tage im Karzer verbracht mit keiner anderen Speise als der öfters aufgetischten Prügelsuppe. Sie nährte seine Liebe zur Kirche nicht. In einem verbotenen Buch - solche gab es gut versteckt im Kloster - fand er Abbildungen von kopulierenden Hexen und Zauberern. Gerne wäre er mit denen zum Sabbat geflogen, allein die Inquisition hatte die Hexerei in Würzburg ausgerottet und die selbst hergestellten Hexensalben drehten statt des Geists den Magen um. Mit siebzehn nahm er nach Spanien Reißaus, um Soldat zu werden. Auf Spaniens Thron saß Carlos II., von seinen Untertanen später ´der Verhexte` genannt. Sie gaben ihm die Schuld an Spaniens Unglück. Doch in Wahrheit hatte das unselige Wirken der übermächtigen Kirche den Niedergang des riesigen Reiches verschuldet. Diese Erkenntnis kam dem jungen Breitenbrunn, als er bei einem Autodafé auf der Plaza Mayor in Madrid Wache stand. Die Sonne glühte vom wolkenlosen Himmel, aber Fünfzigtausend waren zur Urteilsverkündung gekommen. In der Menge Denunzianten, damit die Gefängniszellen der Inquisition nicht leer wurden. Das Urteil lautete: Tod durch Verbrennen! Unter den Delinquenten zwei Kinder! Die verrohte Menge jubelte und der Inquisitor verneigte sich wie ein Schauspieler vor seinem Publikum, während eine kleine Schar Männer, die protestiert hatten, abgeführt wurden. Mit gleichgültigen Mienen hatten die in drei Reihen stehenden Soldaten das Geschehen verfolgt. Sie standen als reiner Aufputz dort. Vom Volk ging keine Gefahr für die Herrschaft aus, die Inquisition hielt Spanien im eisernen Griff. Nein, er würde nicht mit Eugenio den Gottesdienst besuchen!

"Herein!" rief Breitenbrunn, weil es an der Tür klopfte.

Ein junges Mädchen trat ein. Es erschrak wegen des halbbekleideten Mannes am Tisch. In der Mägdekammer war am Morgen über diesen Herrn getuschelt worden. Er wäre ein kaiserlicher Obrist und als einziger, der Katastrophe in Wien entkommen. Einen Obristen hatte sie sich als Alten mit Bart und Bauch vorgestellt. Der hier war jung und stattlich. Das Gesicht zwar ein bißl streng mit einer dunklen Narbe auf der Wange. Aber die dunkelblauen oder grauen Augen darunter schauten sie freundlich an. „Gesegnet Neujahr, Jungfer!“ rief er ihr zu. "Gesegnet Neujahr, der liebe Herr!" grüßte sie zurück und hantierte nervös am Ofen. Mutter hatte ihr strikt verboten, sich mit so einem einzulassen. Höflich grüßen sollte sie und nicht mehr! „Fein, dass mein erster Mensch am Neujahrstag eine hübsche Jungfer ist!“ sagte er und stand auf. "Willst mir einheizen? Das ist brav!" Sie tat, als ob sie nichts gehört hätte und schaufelte mit der Kelle Asche in den mitgebrachten Eimer. Im Wirtshaus wurde viel über die Offiziere geredet, die hier verkehrten. Wie gefährlich sie für Weiberleute waren und dass man es sich dreimal überlegen sollte, zu antworten, wenn sie einen anredeten. Allerdings hatte die alte Vroni von ihm geschwärmt. „Ein Bild von einem Mann, würd für ihn die Beine breit machen, wenn ich eine Junge wär.“ Und er hatte ihr ein Trinkgeld gegeben! Vielleicht würde sie auch eins kriegen, wenn sie freundlich war. Betatschen würde sie sich aber nicht lassen.

"Ist auch bitterkalt draußen" sagte sie und drehte sich um. "Heute sind schon welche übers Eis gegangen.“

Er nahm an, dass sie die zufrierende Donau meinte. „Aber nein, doch nicht über den Fluss!“ Sie kicherte nach Art der Halbwüchsigen, wenn sie einen großen Unsinn hören. „Über unseren Fischteich sind sie gegangen.“

„Wie alt seid Ihr Jungfer?“

´Ihr` sagte er und ´Jungfer`! Sie musste wieder kichern.

„Dreizehn der Herr!“

„Oh!“ Er schien das Interesse an ihr verloren zu haben, denn er setzte sich wieder an den Tisch und fuhr mit einem Stift übers Papier, dass es knirschte. Ein wenig enttäuscht arbeitete sie am Ofen weiter.

"Bittschön, der Herr, der Ofen zieht, fertig bin ich" sagte sie fünf Minuten später.

"Weißt du, ob Durchlaucht schon aufgestanden ist?"

"Durchlaucht?"

"Der kleine Prinz mit der großen Perücke."

"Nein."

"Aber ob es bald Frühstück gibt, weißt du vielleicht?"

"In knapp einer Viertelstund´, bitt´schön der Herr."

Er stand auf und drückte ihr eine Münze in die Hand. Nachdem sie gegangen war, stellte er sich mit dem Rücken zum Ofen und dachte über seine Reise nach. Nach Linz würden er und der Prinz im Schlitten fahren, den der Savoyer requiriert hatte. Aber über Linz hinaus? Sein türkisches Halbblut würde in der Kälte draufgehen. Am liebsten hätte er es an Ort und Stelle verkauft, aber im Winter kaufte keiner Pferde. Es musste in einem Stall untergestellt werden. Als die Viertelstunde vorbei war, ging er in die Wirtsstube hinunter. Aus der Küche kamen das Klappern von Kellern und der Geruch von Schweinefleisch. Gegen das Essen im ´Pfennigfuchser` ließ sich nichts sagen. Es war beinahe so gut wie im ´Schwarzen Elephanten` in Scheibbs (Stadt in den niederösterreichischen Voralpen), wo er die letzten Wochen gespeist und das Bett mit der verwitweten Wirtsfrau geteilt hatte. Geliebt hatte er sie nicht, aber ihren Leib mit der gebotenen Zärtlichkeit genossen. Im ´Pfennigfuchser` war die Wirtin hässlich und das Essen teuer. Wegen der knappen Lebensmittel, behauptete der Wirt. Und überhaupt sollten die Offiziere froh sein, dass er das Wirtshaus noch offen hielt. Schließlich konnten jederzeit die Türken über Krems herfallen. Jetzt kam er beflissen mit einem Becher heißen Wein und wies ihn zu einem Tisch beim Kachelofen.

„Bring mir statt des Weins warme Milch! Was gibt’s zum Frühstück?“

„Saurüssel, der Herr Obrist! Mit Linsen.“

„Saurüssel ist klar am Neujahrstag, aber weshalb Linsen statt Knödel?“

„Weil Linsen Geld ins Neue Jahr bringen.“

„Dann bring mir eine doppelte Portion! Ist Ihre Durchlaucht schon aufgestanden?“

„Schon vor Tagesanbruch. Hat für den Herrn Nachricht hinterlassen. Hole sie gleich!“

Er kam mit zwei versiegelten dünnen Papierrollen zurück und wischte mit einem Tuch über den ohnehin sauberen Tisch. "Fort ist er ohne Bezahlen! Wenn ihn die Türken erschlagen, schau ich durch die Finger!"

Die Bemerkung ärgerte Breitenbrunner. Weil aber Neujahr war und der Wirt gut bediente, öffnete er kommentarlos die Rolle mit seinem Namen. Sie war in hastiger Schrift auf Französisch verfasst, einer Sprache, die er ebenso mangelhaft beherrschte wie der Prinz das Deutsche. Nach hartem Nachdenken meinte er, den Sinn begriffen zu haben. Eugenio war eilends wegen einer Ansammlung feindlicher Truppen beim Markt Mistelbach nach Osten geritten. Colonel Breitenbrunn sollte entweder in Krems seine Rückkehr erwarten - wann das sein würde, war ungewiss - oder besser sofort nach Linz reisen und beim Kriegsminister Hermann von Baden vorstellig werden. Dabei würde ihm das beiliegende Schreiben helfen. Spätestens in sechs Wochen sollte er zurück sein und ihn, Eugenio, gegen die aufständischen Ungarn und ihre türkischen Helfer mit einem Regiment Infanterie unterstützen. Das war neu. Sie hatten sich auf acht Wochen geeinigt, weil Breitenbrunn erst in die Schwäbische Alp wollte.

Der Wirt kam mit einem dampfenden Teller und der Milch.

"Schlechte Nachrichten, der Herr?"

"Nein. Aber ich muss stante pede nach Linz."

"Jesus, jetzt bis Linz! Dorthin fährt keiner in einem Stück. Aber der Hilffinger kann Euch bis Melk mitnehmen. Sein Schlitten steht im Hof. Der Knecht spannt schon die Pferde ein. Sputet Euch!“

Liebenswürdiger Weise wartete Herr Hilffinger, ein Weinhändler, bis Breitenbrunner fertig gegessen, seine Truhe gepackt, die Rechnung bezahlt und einen Stall für sein Pferd gefunden hatte. Seine Begleitung war ihm wegen der Unsicherheit auf den Straßen sehr willkommen. Während der Schlitten unter blauem Himmel wie ein Blitz über die einsame Straße sauste, schwatzte der Weinhändler von Räuberbanden, aufmüpfigen Bauern und einem Rebellen, der Stefan Fadinger geheißen hatte. "Wenn jetzt einer wie der Fadinger lebte, würden Schlösser und Klöster brennen! Sind ein eigensinniges und dumpfes Volk, die Bauern. Aber wehe Gott, es ist ein Gescheiter unter ihnen, der ihre mörderische Wut steuert!" Breitenbrunner fiel ein Vorfall beim Markt Lunz im letzten Oktober ein. Bewaffnete Bauern hatten den Flüchtenden die Brücke blockiert und Weggeld gefordert. Ein glatter Fall von Landfriedensbruch! Wäre der Anführer nicht ein aufgeblasener feiger Kerl gewesen, hätte es übel geendet.

„Wer war dieser Fadinger?“

„Ein Kind des Teufels“ antwortete der Weinhändler. „Protestant natürlich und kriegserfahren. Konnte reden, planen und Ordnung unter den Seinen halten. Vor sechzig Jahren hat er Linz mit einem Bauernheer belagert. Nach seinem Tod war im Großen und Ganzen Ruhe. Bis jetzt! Seid auf der Hut vor den Bauern! Wohin soll die Reise gehen?“

„In die Schwäbische Alp.“

„Und welche dringenden Geschäfte rufen Euch dorthin?“

„Keine Geschäfte, sondern ein Versprechen! Ich muss den Schwestern eines toten Freundes die Erbschaft auszahlen.“

In einem Felleisen am Boden seiner Truhe befanden sich Geld, Schmuck, allerlei Krimskrams und ein großer Brocken Weihrauch. Ein kleiner Schatz, den sein guter Freund Joachim Beck beim Hasardieren gewonnen hatte. Joachim war ein geriebener Falschspieler gewesen, der seinen Opfer das letzte Hemd auszog. Wie er an den kostbaren Weihrauch gekommen war, blieb ein Rätsel. Der Brocken reichte für hundert Kirchen. Mindestens.

„Die Damen werden Euch hochhalten“ versprach Hilffinger.

„Das will ich auch gehofft haben!“ Wie die Magier aus dem Morgenland würde er in der schwäbischen Alp mit Gold und Weihrauch auffahren! Joachim hatte seine Schwestern als hübsch und liebreizend beschrieben. Leider hatte er ihm beim Seelenheil der Mutter schwören müssen, sie nicht anzurühren.

„Seht Ihr die zwei Gestalten am Waldrand?“ rief Hilffinger aufgeregt. „Drücken sich zwischen den Büschen herum und beobachten uns!“ Hilffinger griff nach seiner Flinte.

Breitenbrunn spannte pflichtschuldig seine Pistolen, obwohl er die Männer für Holzsammler hielt. Und selbst wenn es sich um Räuber handelte - um dem Schlitten den Weg abzuschneiden, hätten ihnen Flügel wachsen müssen!

Sie erreichten Melk unbeschadet vor der Dunkelheit. Der Weinhändler bot ihm Quartier für die Nacht. Natürlich mit dem Hintergedanken, dass der Gast an der Tafel Gattin und Töchter mit Erzählungen aus dem Krieg unterhalten würde. Bei Breitenbrunn hatte er sich geschnitten. "Als Weinhändler kennt ihr das Sprichwort vom Fass und vom Spund“ sagte der Gast nach den ersten zwei Fragen. Wilffinger kannte es. Ist der Spund einmal heraußen, hört das Fass nicht auf zu laufen. Proteste halfen nicht. Breitenbrunn hatte keine Lust, Zivilisten mit Kriegserlebnissen zu unterhalten. Bevor er sich zum Zeichnen und Reimen zurückzog, präsentierte er der Frau des Hauses als Trost ein Ringlein mit einer kleinen Perle. Den Beckschwestern würde der Ring nicht abgehen. In der warmen Kammer, die sie ihm überlassen hatten, blätterte er in seiner Mappe. Die meisten Zeichnungen waren unter dem Eindruck der blutigen Kämpfe entstanden. Musquetiere kämpften gegen Soldaten mit Turbanen und Pickelhauben, eine hochgehende Mine riss Männer in den Tod, Starhemberg winkte frische Kräfte nach vorne. Es war eine Chronik des Untergangs. Am Ende wehte der türkische Halbmond vom Turm St. Stefans wie eine Freibeuterfahne vom Mast eines gekaperten Schiffs

Auch an Portraits hatte er sich versucht. Ein Kunst sinniger Mensch hätte über die verschmierten Kohlezeichnungen die Nase gerümpft. Aber darauf kam es nicht an. Er würde weiter zeichnen. Die Arbeit saugte den Schmerz auf wie ein Schwamm. Nachdem er eine weitere Zeichnung beendet hatte, versank er friedlich in Hypnos Armen.

Die Stadt des Kaisers

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