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Kapitel 1

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Hans Ludher hatte beschlossen, mit seinem ältesten Sohn Martin über Eisenach nach Erfurt zur Intitulation zu reisen. Er war stolz auf ihn. Martin hatte nicht nur in der Lateinschule im heimischen Mansfeld und in der Domschule in Magdeburg gute Leistungen erbracht. Nein, er hatte diese sogar noch übertroffen und sich in den letzten vier Jahren an der Pfarrschule St. Georg in Eisenach zu einem wohlerzogenen und gebildeten jungen Mann entwickelt. In der Grammatik und in lateinischen Versen war er seinen Gesellen weit überlegen. Natürlich war das zu einem großen Teil auch der wohlhabenden Bürgersfrau Ursula Cotta zu verdanken, die seinen Knaben, wie sie einmal schrieb, um seines hellen Singens und seiner aufrichtigen Andacht willen lieb gewonnen hatte und ihn unter Zustimmung ihres Eheherrn an ihren Tisch nahm. Ihr wollte Hans noch einmal persönlich danken.

Anfang April hatte Martin in Eisenach die Schule beendet, war nach Hause gekommen und sie hatten kaum eine Woche Zeit gehabt, sich um seinen Umzug nach Erfurt zu kümmern. Die Erfurter Universität war die größte, beste und vor allem nächste. Darüber hinaus neben der Kölner die einzige, an der nicht nur Kirchenrecht, sondern auch bürgerliches Recht gelehrt wurde – man sprach vom »Bologna des Nordens«. Martin würde ein hervorragender Jurist werden, Berater hoher Herren, vielleicht sogar der Rechtsbeistand eines Fürsten oder Herzogs. Wer konnte es schon voraussagen! Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg, Gott allein lenkt seinen Schritt!

Hans goss sich zufrieden etwas von der heißen Milch auf dem Herd in seinen Becher, schnitt eine Scheibe Brot vom Laib und setzte sich damit an den großen Holztisch neben dem Ofen. Es war still im Haus. Seine Frau Margarethe, die nur »Grete« gerufen wurde, war draußen bei den Hühnern. Martin schlief noch. Ja, er sollte sich nur ruhig ausschlafen. Er hatte es sich verdient. Ein wohlhabender Rechtsgelehrter würde er werden, in eine reiche Familie einheiraten. Hier hatte Hans schon genaue Vorstellungen, wie sich das Haus des Ratsherrn von Eisleben und das seine verbinden würden. Martin würde es einmal leichter haben als sein Vater. In Eisenach hatte er höfliche Sitten gelernt. Hans hatte ihn wohlwollend beobachtet und musste sich eingestehen, dass er zu tun hatte, einen ebenso feinen Eindruck zu machen wie sein Sohn. Wir Bergbauern, dachte er, ein bräunlich Volk, die wir weder Wind noch Sonnenbrand scheuen und einen großen Teil unserer Zeit im dunklen Schacht tief unter der Erde zubringen. Er seufzte, nahm einen großen Schluck, schaute in den Sonnenstrahl, der durch das kleine Fenster fiel, und sein Gesicht nahm einen zuversichtlichen Ausdruck an. Dank seines Onkels ging es ihm jetzt recht gut. Der hatte eine eigene Hütte im Kupferbergbau, der er als Vorarbeiter vorstand. Die harte Arbeit machten nun andere. Er führte die Aufsicht, eignete sich kaufmännische Kenntnisse an, verwaltete die Bücher und war bei Vertragsverhandlungen dabei. Oft hatten sie schon im Wirtshaus zusammengesessen und geplant, wie er bald seine eigene Hütte haben würde. Ja, er wurde langsam in die bessere Gesellschaft eingeführt. Mittlerweile konnte er es sich leisten, seinen Sohn auf die Universität zu schicken. Wenigstens den ältesten.

Die schwere Holztür, die zum Hof ging, öffnete sich knarrend, und Grete, mit Holz auf dem Rücken und einem Korb Eier in der Hand, schob sie mit der Schulter weiter auf. Hans erhob sich von seinem Stuhl, hielt ihr die Tür und nahm ihr die Trage vom Rücken. »Du sollst mir doch Bescheid sagen, wenn wir Holz brauchen.«

»Ich habe es mein ganzes Leben selbst gesammelt. Es geht schon. Außerdem ist es nicht viel. Es wird heute warm. Ich brauche nur ein wenig zum Kochen. Wie wäre es mit ein paar Eiern? Komm, deck den Tisch! Ich höre schon die Kinder. Ich mache Rührei mit Kräutern, dazu Brot mit Butter. Schenk doch schon mal sechs Becher von der Ziegenmilch ein und gib in jeden einen kleinen Klecks Honig!« Sie lächelte ihn freundlich an und machte sich am Herd zu schaffen.

Wie immer trug sie ihr weißes Kopftuch streng bis in die Stirn gezogen. Kein Haar schaute hervor. Nur Hans wusste, dass sie wunderschönes langes, mittlerweile grau-blondes Haar hatte, das sie sich jeden Morgen zu einem Knoten band. Die Enden des weißen Kopftuchschals hingen rechts und links über ihre Brust. Die Furchen um ihre Lippen waren tiefer geworden. Sie hatten nicht wenig Sorgen gehabt, und wenn seine Grete etwas besonders beschäftigte, pflegte sie die Lippen zusammenzupressen und die Stirn in Falten zu legen. Bald würde er sich für sie eine Haushaltshilfe leisten können.

»Hey, schubs mich nicht!« Die zwei Mädchen hüpften die Holztreppe hinunter, gefolgt von den beiden Brüdern, die noch etwas verschlafen die Stufen hinunterschlichen. Alle hatten sie noch Schulferien und deshalb länger liegen bleiben dürfen.

»Morgen!«, sagte einer nach dem anderen und setzte sich auf die lange Bank an den Tisch. »Flegelt euch nicht hin! Sitzt aufrecht! Und es heißt ›Guten Morgen‹! Sind eure Hände sauber?« Hans war entschlossen, aus allen Kindern wenigstens Menschen mit gutem Benehmen zu machen. Er hatte in den letzten Jahren gelernt, wie alleine die Wortwahl und das Verhalten darüber entschieden, ob man in die höhere Gesellschaft aufgenommen wurde oder nicht. Er machte ein strenges Gesicht. Ließe er zu viel des Spaßes zu, verlören sie ihr Pflichtbewusstsein. »Dorothea, geh und hol Martin. Ich möchte, dass wir zusammen frühstücken!«

Dorothea stand wieder auf, lief die Treppe nach oben und pochte an die Tür zu Martins Kammer. »Aufstehen! Es ist spät. Wir sitzen schon alle am Tisch. Die Eier sind fertig!«

»Komme, danke!«, tönte es schwach von innen.

Wenig später saßen sie alle gemeinsam in der Küche, die Hände zum Gebet gefaltet.

»Wir danken dir, Herrgott, himmlischer Vater, dass Du uns Speise und Trank gegeben hast. Lass uns teilhaben am ewigen Gastmahl. Amen.«

Dann aßen sie still. Während des Frühstücks schaute Martin zu seiner Mutter herüber, die seinen Blick mit einem liebevollen Lächeln erwiderte. Wie viel besser es ihr und Vater doch nun geht, dachte er. Sie meinen es herzlich gut mit uns, mit mir. Und er erinnerte sich an die Zeit, in der sie um ihr tägliches Brot ringen mussten und seine Mutter ihn um einer einfachen Nuss willen so ohrfeigte, dass seine Nase blutete. Auch sein Vater hatte ihn einmal so geschlagen, dass er vor ihm davonlief und lange nicht mit ihm sprach, bis er wieder Vertrauen zu ihm gefasst hatte. Aber Martin wusste, dass sein Vater ihn liebte. Als er klein war, hatte er ihn immer den steilen Weg zur Schule hinauf in seinen Armen getragen, bis er ihm irgendwann zu schwer geworden war. Viel Zeit war seitdem vergangen. Die letzten vier Jahre in Eisenach hatten ihn erwachsen gemacht. Davor war er ein Jahr in Magdeburg gewesen. Er schaute zu seinen Geschwistern, die zufrieden schmatzend am Tisch saßen. Ihnen erging es richtig gut, jetzt, da es die Eltern leichter hatten.

Als Hans gegessen und seine Milch ausgetrunken hatte, brach er das Schweigen. »Martin, ich habe eine Antwort von Frau Cotta erhalten. Sie würde sich freuen, wenn wir sie in Eisenach besuchen kämen, bevor du dein Studium in Erfurt aufnimmst. Wir werden einen Umweg machen und ebenfalls bei Mutters Verwandtschaft vorbeischauen. Mutter möchte ihrer Schwester Honig von unseren Bienen zukommen lassen. Wir grämen uns nicht mehr, dass sie dich damals nicht aufnehmen wollten oder konnten – am Ende war es eine Fügung des Schicksals, dass du bei vornehmen Leuten aufwachsen und lernen durftest.« Er blickte nachdenklich zur Seite, lächelte und klopfte dann, sich selbst bestärkend, mit der Hand auf den Tisch. »Ja, eine glückliche Fügung! Grete, ich möchte Frau Cotta auch von deinem Honig, deiner Wurst und deinem Wein mitbringen. Wir brauchen einen Wagen für den Weg. Schließlich müssen wir Martin ein paar Sachen für sein Studium einpacken.«

Jeder, der fertig gegessen hatte, stimmte nun in das Gespräch ein. Wie Eisenach denn wäre, dass man mitfahren wolle, später vielleicht einmal, was Martin denn genau studieren würde. Und er solle noch einmal erzählen, wie er in Eisenach vor den Türen für seinen Unterhalt singen musste.

»Nun, mit mir zogen noch andere Schulgenossen mit guten Stimmen singend von Haus zu Haus. Dafür erhielten wir kleine Gaben, Parteken genannt – oder auch große Scheltworte! Ja, ich war ein richtiger Partekenhengst.« Alle brachen sie in großes Gelächter aus. Es war ein lustiges Geplapper, das sich am Tisch entspann, während Grete Teller, Becher, Pfanne und Topf reinigte. Draußen läutete die Glocke erst viermal, dann neunmal. Volle Stunde, neun Uhr, Zeit zum Fertigmachen für die Morgenandacht. Danach würde langsam alles für die Reise zusammengesucht, in Haus und Hof geholfen und das Gepäck letztmalig überprüft werden. Für übermorgen war die Abreise geplant. Ein Donnerstag. Dann könnten sie bis Samstag in Eisenach sein. Ostersonntag würden sie abends in Erfurt ankommen und am Ostermontag in der Michaeliskirche dem Ostergottesdienst, der gleichzeitig mit der Intitulation gefeiert würde, beiwohnen. Am Dienstag musste Hans wieder zurück nach Mansfeld. Dann hätte Martin noch gut zehn Tage bis zum 23. April, dem Semesteranfang.

Die Pfaffenhure

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