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EINLEITUNG oder Das Klosett als zentrales Element der abendländischen Wohnkultur

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1. Das Haus

Das Haus, um das es geht, war schon zu dem Zeitpunkt, als ich es zum erstenmal betrat, ein Anachronismus. Und zwar deswegen, weil es dem hohen Zweck, den jedes Stück Eigentum, also auch ein Haus, besitzt, nämlich seinem Besitzer etwas einzubringen, eigentlich nicht genügte. Mit anderen Worten, die Eigentümer verdienten nicht viel damit, hatten dafür aber jede Menge Ärger. Ein besonderes Geschäft war es nicht, dieses Haus in der Schützengasse.

Das war vermutlich nicht immer so. Gebaut wurde dieses Haus meiner Einschätzung nach irgendwann in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die voranschreitende Industrialisierung Wiens Massen von Arbeitern erforderte, die ja auch irgendwo wohnen mußten. In den 2-Zimmer-Wohnungen dieses Hauses tummelten sich sicherlich keine illustren Persönlichkeiten, mit denen das Wien der Jahrhundertwende gerne in Verbindung gebracht wird, sondern eher schlecht ernährte und schlecht gekleidete Gestalten, wie sie in Petzolds Buch "Das rauhe Leben" dargestellt werden. Das Haus in der Schützengasse war nicht für wohlbestallte Bürger gebaut worden, auch nicht für Kulturschaffende, sondern für das Salz der Erde: Das Proletariat.

Das Haus war ungefähr 20 Meter breit und ganze 5 Meter tief, mitsamt den Außenmauern. Es hatte etwas von einer großen aufgestellten Schokoladetafel an sich. In der Mitte war die Wendeltreppe, die in jedem Stockwerk in einen ca. 2 Quadratmeter großen Treppenabsatz mündete, von dem sich 2 Türen in die Wohnungen öffneten. In jedem Stockwerk befanden sich 2 Wohnungen, bestehend aus einem Vorraum, der gleichzeitig Küche war, und von dem/der aus man in eines und durch dieses in ein zweites Zimmer gelangte. Auf der einen Seite waren beide Zimmer gleich groß, auf der anderen – auf der ich wohnte – war das hintere halb so groß wie das vordere: ein sogenanntes Kabinett. Die kleinere Wohneinheit hatte insgesamt 33 Quadratmeter, die größere 41.

2. Das Klosett

Normalerweise hatten Häuser dieses Alters und dieser Ausstattung die Toiletten am Gang, und oft eines für mehrere Wohnungen. Das führte zu ständigen Reibereien zwischen den Parteien, die ein und dasselbe Häusl benutzen mußten. Einmal ließ der eine das Licht brennen – das alle gemeinsam bezahlten –, dann benützte einer das Klopapier vom anderen, dann wiederum war das Klo zugeschissen und keiner wars gewesen, wollte es daher auch nicht putzen, usw. usf.

Ein Freund von mir mußte auf Anweisung seiner Klo-Mitbenutzer vor dem Verrichten größerer Geschäfte zu diesem Zweck bereitliegende Zeitungsausschnitte in die Klomuschel legen, damit selbige durch seine Geschäfte unberührt und dadurch das Klobürstl scheißefrei blieb! Er bekam diesbezüglich genaue Anweisungen von seiner Klo-Teilhaberin. Diese, eine ältere Frau mit sozialdemokratischen Überzeugungen (die auch noch einen Mann hatte, aber die Klo-Verhandlungen liefen ausschließlich über sie ab), hatte ihn erst nach langem Hin und Her in „ihr“ Klo aufgenommen, nachdem sie ihn zunächst in das andere Klo am Gang verbannen wollte, das von einem älteren Herren adeliger Abstammung benützt wurde. „Scheißens ihm nur eini in sein Klo, dem Herrn Baron! Der braucht net glauben, daß er was Besseres ist!“ ermunterte sie ihn zum Klassenkampf. Der ältere Herr versuchte über die Klassensolidarität, meinen Freund aus seinem Häusl loszuwerden: „Schauen Sie, Herr Berger, wir, unter Akademikern, können ja offen reden: Ein alter Mann braucht ein eigenes Klo!“ So wurde mein armer Freund zum Pingpong-Ball, an dem sich die weltanschaulichen und herkunftsmäßigen Gegensätze seiner beiden Nachbarn sozusagen einen Schlagabtausch lieferten. Solange, bis sich die Sozialdemokraten seiner erbarmten, nachdem ihn die Frau in die hausüblichen (oder eher kloüblichen) Sitten eingeweiht hatte. Weißt du, sagte er seufzend, als er mir das alles erzählte, ich mache halt aus der Not eine Tugend. Aus den Zeitungsausschnitten, die immer fertig und in der richtigen Größe dort liegen – die Sozialdemokraten sorgten immer für ausreichende Mengen –, suche ich mir die vom Staberl(1) heraus und auf die laß ich dann was fallen, was meiner Meinung über ihn den adäquaten Ausdruck verleiht!

Die Touristen, die Wien Jahr für Jahr mit ihrer werten Anwesenheit beglücken, erfreuten sich an den Fassaden der Zinshäuser, der berühmten Altbausubstanz Wiens, stießen Schreie des Entzückens aus: "oh, isn't it wonderful!!" und hatten natürlich keine Ahnung davon, was in den hübschen Häusern für Klokriege tobten.

Das alles blieb den glücklichen Bewohnern der Schützengasse erspart. Das Haus war vermutlich von Anfang an zu klein für dergleichen Luxus. Beim Stiegenhaus wurde so gespart, daß für die Klos kein Platz mehr war. Also mußte man sie notgedrungen in die Wohnungen verlegen. Die elegante Lösung dieses Dilemmas bestand in einem Holzkasten in der Küche, der das Klo beherbergte. Ein Freund von mir verglich ihn mit einem aufgestellten Sarg: Bei der Amelie geht man immer in einen Sarg hinein, wenn man pinkeln muß!

Dieses Klo war, wie man sich vorstellen kann, auch nicht gerade geräumig angelegt. Die Mauer war zu einer Art Gebetsnische ausgehöhlt, in die die Klomuschel hineingepfropft war. Selbige stand in rechtem Winkel zur Eingangstüre des "Sarges". Diese Türe des Holzkastens hatte in geschlossenem Zustand eine Entfernung von ca. 2 Zentimetern zur Klobrille, als ich in die Wohnung einzog. Damals stand das Haus bereits seit 90 oder 100 Jahren. Seither hatten also alle, die dieses Klo benützten, entweder bei offener Tür erledigt, was sie zu erledigen hatten. Oder mit extrem zur Seite gekniffenen Knien, was auf die Tätigkeit, um die es geht, nicht gerade förderlich wirkt. Oder, wie mir eine Freundin, die dieses Klo noch im Urzustand benützte, später einmal gestand: Mit extrem gegrätschten Beinen ließ sich die Sache auch noch bei geschlossener Türe abwickeln.


Man konnte dieses fehlkonstruierte Klo nicht nach vorne erweitern, weil dort die Eingangstüre war. Sie hätte sich dann nicht mehr öffnen lassen.

Ich löste das Problem, indem ich die Gebetsnische durch Abschlagen einiger Ziegel erweiterte, die Klomuschel drehte und den Sarg in Richtung Küchenfenster verlängerte. (In Richtung Eingangstür gings ja nicht.) Für dieses ehrgeizige Projekt benötigte ich eineinhalb Jahre, weil der Hausverwalter es mit allen Mitteln hintertrieb. Der Umbau war nämlich für ihn mit Unkosten verbunden, und deswegen bediente er sich zu seiner Verhinderung aller ihm zur Verfügung stehender Möglichkeiten, des Hausinstallateurs und eines Baumeisters.

Unkosten hatte die Hausverwaltung nicht am Ende deswegen, weil die bequeme Gestaltung des Klos irgendwie in ihren Zuständigkeitsbereich gefallen wäre. Keineswegs. Was in der Wohnung ist, war zumindest nach den damaligen österreichischen Mietgesetzen das ausschließliche Problem des Mieters. Nur was sich den Zwischen- und Außenwänden und in Decke und Fußboden abspielt, fällt in die Zuständigkeit der Hausverwaltung. Aber hier lag der Hund begraben. Der Hauptabflußstrang war nämlich undicht, und wie sich bei seiner schließlich doch erfolgten Reparatur herausstellte, glich er einem Schweizer Käse. Wie sich ebenfalls im Laufe der Zeit herausstellte: Die Stützbalken der Decke waren schadhaft und deshalb reparaturbedürftig.

Vorher jedoch rieselte jedesmal der Putz(2), wenn man die Klo- bzw. Sargtür öffnete, weil die alten Sandputze, die in Häusern dieses Alters verwendet wurden, ihren Zusammenhalt verlieren, sobald sie naß werden. Außerdem hatte einer meiner Vorgänger – anstatt das Übel bei der Wurzel zu packen und die Quelle der Feuchtigkeit zu suchen – allzu schadhafte Teile des Verputzes mit Zementputz erneuert. Dabei hatte er den Spülkasten eingemauert, und zwar dergestalt, daß der Deckel nicht mehr exakt draufpaßte und sich deshalb in labilem Gleichgewicht befand.

Die Benützung des Klos gestaltete sich also folgendermaßen: Man öffnete die Tür. Da das den hölzernen Sarg – der in Boden und Decke eingestemmt war – in leichte Schwingungen versetzte, begann der Putz zu rieseln. Man bürstete die Klobrille ab, um sich nicht in den Schutt zu setzen und setzte sich hin. Daraufhin – weil das offenbar den Spülkasten in Schwingungen versetzte, fiel einem der emaillierte – und daher kalte! – Deckel desselben ins Kreuz(3)(. Man entfernte ihn und stellte ihn auf den Boden. Die Tür ließ sich, wie gesagt, nicht schließen. Nun konnte es losgehen.

Ein untragbarer Zustand.

Zunächst schlug ich den Putz ab.

Das hätte ich nicht tun sollen.

Erstens aus rechtlichen Gründen. Der Hausverwalter konnte nämlich jetzt behaupten – und das tat er auch – der Putz wäre völlig in Ordnung gewesen und ich hätte ihn zu meinem rein privatem Vergnügen entfernt. Er konnte jede Verpflichtung, den Putz erneuern zu lassen, von sich weisen.

Zweitens aus bauphysikalischen Gründen. Der lose Putz war nämlich auch ein Schutz gegen die Feuchtigkeit gewesen. Kaum war er weg, regnete es bei mir im Klo jedesmal, wenn meine Nachbarin oberhalb die Spülung betätigte.

Ich rief bei der Hausverwaltung an und forderte eine Reparatur. Ich könne mein Klo nur mehr mit Regenschirm benützen.

Man versprach, Abhilfe zu schaffen.

Am nächsten Tag erschien bei meiner Nachbarin, nennen wir sie von nun an Gudrun, ihrer Beschreibung zufolge ein Installateurslehrling mit einem Gegenstand in der Hand, den sie als "Gummiquastl" bezeichnete.

Es handelte sich um einen Holzstab mit einem Gummipfropfen am Ende, den man zum Freilegen verstopfter Abflüsse bei Waschbecken oder Dusche zu verwenden pflegte. Er war schon für diesen Zweck ungeeignet, aber für ein Klo vollends unbrauchbar, weil sich der kreisrunde Pfropfen gar nirgends ansetzen läßt..

Er solle hier ein verstopftes Klo wieder in Gang bringen, meinte der 15- bis 16jährige junge Mann. Gudrun entgegnete ihm mit der nötigen Schärfe – über die diese Frau durchaus verfügt – daß es sich nicht um Verstopfung, sondern im Gegenteil um unerwünschte Durchlässigkeit handle, und er verschwand wieder, um sich ein angemesseneres Werkzeug zu besorgen.

Am nächsten Tag erschien er mit dem Werkzeugkasten, stemmte den Boden von Gudruns Klo auf und tauschte das defekte Verbindungsrohr zwischen Klomuschel und Hauptabflußstrang aus. Dann betonierte er den Boden wieder zu. Dazwischen lag ein Wochenende, an dem Gudrun mein Klo benützen mußte.

Für diese Tätigkeit borgte der Installateurslehrling sich meine Wasserwaage aus. Das tat er nicht deswegen, weil er sicher sein wollte, daß der Fußboden von Gudruns Klo nachher gerade war. Nein, er hatte seine Aluminiumlatte zum Verstreichen des Estrichs vergessen, und bediente sich dafür meiner Wasserwaage. Der Boden war nachher schief, und die Wasserwaage hatte Kratzer.

Wie sich später herausstellte, war der Durchmesser dieses neuen Rohres um einige Zentimeter geringer als derjenige der Einmündungsöffnung in den Abflußstrang. Die verbleibende Öffnung hatte der junge Mann mit Gips „abgedichtet“.

Gips ist kein Dichtungsmaterial und auch die Dachrinne mündete in den Hauptabflußstrang. Außerdem existierte bei dieser Öffnung des Abflußrohres, der „Muffn“, ein sogenanntes Gegengefälle: Der Abfluß der Klomuschel lag niedriger als die „Muffn“. Mit anderen Worten, das Rohr zwischen Klosettabfluß und Abflußstrang des Hauses neigte sich in Richtung Klomuschel. Wenn es regnete, so strömte Regenwasser durch den Gips in die Wand. Weniger zwar als vorher, es tropfte nicht, und es handelte sich nur um Regenwasser, aber dennoch. Die Wand blieb feucht. Es stellte sich später heraus, daß auch der Hauptabflußstrang selbst, wie schon erwähnt, löchrig war.

Inzwischen hatte ich als Folge meiner Freilegungstätigkeiten festgestellt, daß durch die jahrelange, vielleicht jahrzehntelange Feuchtigkeit die Decke tragenden Balken, die sogenannten „Tram“, völlig vermodert waren. In der Nähe der Außenwand verjüngten sie sich, als ob sie ein Biber angenagt hätte, und sie wiesen dort auch eine sehr ungesund dunkle Farbe auf. Ich konnte mit ausrechnen, daß es nur eine Frage der Zeit war, wann Gudrun samt Klomuschel bei mir unten landen würde.

Ich rief wieder einmal bei der Hausverwaltung an, schilderte den Sachverhalt und verlangte die Behebung des Gebrechens.

Einige Wochen (Wochen, nicht Tage!) später erschien ein von der Hausverwaltung geschickter Baumeister. Er betrachtete die modrigen Tram mit prüfendem Blick. Er überlegte anscheinend krampfhaft, wie er das augenscheinliche Gebrechen in meinen Zuständigkeitsbereich verweisen konnte. Dann fiel ihm auf, daß ich bei der Mauer weiter unten einige Ziegel entfernt hatte. Na, kein Wunder, meinte er, wenn sie unten die Ziegel abschlagen, daß dann oben die Balken hin werden!

Einen Moment lang traute ich meinen Ohren nicht. Dann öffnete ich die Wohnungstür und sagte leise und mit äußerster Selbstbeherrschung: „Hinaus!“

Nach Beratungen mit Freunden und der Mieterschutzvereinigung – der ich bald einmal beitrat, weil ohne das wären die auftretenden Probleme nicht zu bewältigen gewesen – entschloß ich mich, eine Anzeige bei der Baupolizei zu machen.

Der Vertreter der Baupolizei erschien und schüttelte angesichts des Zustandes des Klos den Kopf. Er teilte mir mit, die Hausverwaltung gut zu kennen, da es schon oft zu Beanstandungen in von ihr verwalteten Häusern gekommen war, und erstatte Anzeige gegen die Verwaltung.

Währenddessen stand bereits das Klo offen in der Küche, da ich den Holzkasten entfernt hatte, um meinem Installateur – der etwas dicklich ist – Raum für das Drehen der Klomuschel zu verschaffen. Außerdem hätte die gedrehte Muschel in dem bestehenden Spülkasten genauso viel Enge verursacht bei der Verrichtung einschlägiger Tätigkeiten, wie in ungedrehtem Zustand. Es war klar, daß man bei Veränderungen auch die hölzerne Kasten-Konstruktion mit einbeziehen mußte.

Zu diesem Zeitpunkt rechnete ich nicht mit den beschriebenen Komplikationen. Ich dachte, daß es eine Frage von Wochen sein würde, bis die offensichtlichen Mängel an Rohren, Wand und Balken behoben sein würden.

Beim Lösen der Klomuschel, die mit Zement am Boden befestigt war, brach von dieser unten ein Stück ab. Sie wackelte. Der Installateur meinte, es sei nicht sinnvoll, eine neue Klomuschel zu montieren, solange die anderen Reparaturen noch ausständig seien. Sie könnte dabei beschädigt werden. Also ließen wir die alte und wackelige Klomuschel als Provisorium stehen, bis das Klo, die Tram und die Wand saniert würden.

Den völlig verrosteten Spülkasten montierte er ab. Auch hier meinte er: Wenn alles fertig ist, bring ich dir einen neuen. Aus Kunststoff, der kann dann auch nicht mehr rostig werden.

Wie gesagt, wir beide meinten, es würde nicht lange dauern, bis das ganze in Ordnung käme.

Wenn ich die Tür öffnete, sah der vor der Tür Stehende zuerst mich, dann die Klomuschel. Diesen Anblick genossen im Laufe der folgenden anderthalb Jahre Briefträger, Nachbarn, der Gaskassier, Zeugen Jehovas, Besucher und der Rauchfangkehrer.

Wollte jemand, der bei mir auf Besuch war, das Klo benützen, so schloß ich während der Zeit der Benützung die Tür von der Küche ins Wohnzimmer und verweilte während der Dauer der Klobenützung im Wohnzimmer. Nicht, ohne dem Klobenützer vorher Instruktionen zu erteilen: Vorsicht! Das Klo wackelt. Da ist ein Kübel, füll ihn vorher voll, damit du nachher gleich hinunterspülen kannst.

Besonders neckisch war das alles, wenn ich Feste veranstaltete – was in eineinhalb Jahren ja hin und wieder vorkommen kann. Im Wohnzimmer bildeten sich Schlangen. Der Kübel kam nicht zur Ruhe.

Manchmal war jemand auf Besuch und ich kochte für die betreffende Person. Bitte setz dich doch und leiste mir Gesellschaft! sagte ich und wies mit einladender Handbewegung auf die Klomuschel. Aber Vorsicht! Sie wackelt!

Die ganze Situation wurde noch dadurch erschwert, daß ich oft Mitbewohner hatte. Nein, es waren nicht die Freuden der Liebe, die mir immer wieder Gesellschaft bescherten. Es handelte sich ausnahmslos um Notlagen, die Leute als Mitbewohner in meine Wohnung führten. Ich hatte damals einen recht unsoliden Freundeskreis. (Daran hat sich leider bis heute nicht viel geändert, trotz teilweise wechselnden Personen. Allerdings nistet sich heute keiner mehr bei mir ein.) Diese Notlagen hatten verschiedenste Ursachen: Ein schlechtes Verhältnis zu den Eltern, Umzug vom Land in die Stadt, vom Ausland nach Österreich, überhaupt chronische Wohnungslosigkeit, Beziehungskrisen, oder höchst verrückte Kalkulationen, die sich nachteilig auf die Wohnsituation auswirkten. In allen Fällen: Kein Geld, und der Umstand, daß es in unserer Gesellschaft eben keine Selbstverständlichkeit ist, ein Dach über dem Kopf zu haben. Wenn man nicht aufpaßt, kann es einem leicht abhanden kommen.

So lebte mit Unterbrechungen mehrere Wochen ein Pärchen bei mir. Sie stammte aus einer niederösterreichischen Kleinstadt, er aus einer Landeshauptstadt. Er hatte wegen Drogenhandel einige Zeit im Gefängnis verbracht und sich nachher bei ihr eingenistet und von ihr parasitiert, obwohl bei ihr auch nicht gerade viel vorhanden war. Sie hatte sich für ihn aufgeopfert, um dieses gefallene Geschöpf wieder in die Gesellschaft zu integrieren.

So weit, so gut. Das wäre mich ja alles nichts angegangen. Sie wohnte nämlich in einer Ein-Zimmer-Gemeindebauwohnung(4), die sie sich mit einer Mischung aus Intervention (seitens des damaligen Direktors der Österreichischen Nationalbank) und Theater (Ich bring mich um, weil ich hab nix zum Wohnen!!) über die Gemeinde Wien organisiert hatte. Aber das Geld war, wie gesagt, knapp bei ihr und so kam sie auf die Idee, sich eine Einkommensmöglichkeit darüber zu erschließen, daß sie diese billige Gemeindewohnung für einen Monat oder 2 Monate an einen amerikanischen Universitätsprofessor vermieten würde, um sich Einkünfte zu verschaffen.

Soweit ich mich erinnere, zahlte sie ca. 900 Alpendollar(5) für die Wohnung und der Universitätsprofessor ihr 5.000 oder 5.500. Also, so rechnete die verrückte Schachtel, ein Reingewinn von 4.500 Schilling! Oder 4.000, abzüglich Strom und Gas.

Ich hab sie, nennen wir sie ab jetzt Ulli, noch gefragt, als sie mir von diesem Geniestreich erzählte: Wo wohnst du in dieser Zeit? Du und er?

Darauf hat sie gesagt: Kein Problem, hab ich schon mit einer Freundin aus meinem Heimatort besprochen, wir können bei ihr wohnen.

Besagte Freundin wohnte in einem Krankenschwesternheim in einer Bett-Kochnische-Kombination, wo schon eine einzelne Person Platzangst kriegt. Da sind diese zwei Subjekte dann auch noch eingezogen. Das hat ca. 2-3 Tage gehalten, dann hat die gute Frau sie verständlicherweise hinausgeschmissen.

Dann hat Ulli bei mir angeklopft. Was sollte ich machen, ich hatte 1981 selbst monatelang keine Wohnung, ich wollte nicht wen anderen vor der Tür stehen lassen. Die beiden gaben sich natürlich keiner vernünftigen Beschäftigung hin, wie man aus der bisherigen Beschreibung unschwer erschließen kann. Ihr hauptsächlicher Zeitvertreib bestand darin, sich den ganzen Tag mit einer zur Wasserpfeife umgebauten Blumenvase mit Haschisch zuzutörnen. Da ich Nichtraucher bin, wünschte ich nicht, daß in den Zimmern geraucht wird und wies ihnen die Küche-Klo-Kombination als Raucherzimmer zu.

Ich hielt mich damals nicht viel zu Hause auf, sondern auf der Universität, in Büchereien, in Kantinen, Mensen und Wirtshäusern. Zum Glück, weil die beiden waren aufgrund des Blödsinns, den sie daherredeten, unerträglich. Sie beschäftigten sich mit Schamanismus.

Wenn ich am Abend mein trautes Heim betrat, bot sich mir regelmäßig der gleiche Anblick: Einer von beiden saß, oder besser: hing auf der Klomuschel, der andere am Badewannenrand. (Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich in der Vorraum-Küche-Klo-Kombination von 9 Quadratmetern eine Badewanne und einen Durchlauferhitzer einbauen lassen.) Auf dem Eiskasten stand die Blumenvase. Beide blickten mich mit verträumtem Blick an, als käme ich von einem anderen Stern, und lächelten milde.

Es kostete mich einige Mühe, die beiden wieder loszuwerden. Sie drangen dann noch einmal in meiner Abwesenheit in meine Wohnung ein und versauten sie gründlich.

Und das alles, obwohl die besagte Gemeindebauwohnung von Ulli über ein funktionsfähiges Klo und eine abgetrennte Dusche verfügte!!

Schließlich zeitigte die Intervention der Baupolizei Früchte und die Reparatur wurde in Angriff genommen. Zunächst demontierten die Handwerker einer Baufirma wieder einmal Gudruns Klo und stemmten ein großes Loch in meine Decke bzw. ihren Fußboden. Dann zogen sie anstelle der vermoderten Balken Stahlbetonträger ein, füllten die Zwischenräume und verputzten das Ganze wieder.

Während dieser Zeit war Gudrun selbstverständlich wieder auf mein Klo angewiesen. Ich gab ihr wieder einen Wohnungsschlüssel und versicherte sie meiner Gastfreundschaft. Tu dir keinen Zwang an. Mein Klo ist dein Klo!

Gudrun war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr allein auf ihren 33 Quadratmetern. Sie hatte sich mit einem ausgesprochen gut aussehenden ägyptischen Rosenverkäufer zusammengetan. Dieser junge Mann, nennen wir ihn Said, war sofort bei ihr eingezogen und teilte seither alle Wohnungs-Freuden und -Leiden mit ihr.

Er erschien während dieser 4 oder 5 Tage, die die Reparatur der Zwischendecke in Anspruch nahm, allmorgendlich um 8 Uhr in Gudruns Schlafrock (blau-gelb kariert) bei mir am Bett, weckte mich auf und bat mich, in den nächsten 10 Minuten die Küche NICHT zu betreten, da er auf dem Klo säße.

Auch diese Episode ging zu Ende, die Decke war repariert und ich gewann die Alleinverfügbarkeit über mein stilles Örtchen wieder, obwohl dieses während dieser Zeit eigentlich nicht als still bezeichnet werden konnte.

Irgendwann danach wurde auch die Mauer aufgestemmt und der löchrige Hauptabflußstrang ersetzt.

Zuletzt erschienen zwei jugoslawische Maurer und verputzten die Mauer inklusive der Gebetsnische neu und sehr gut. Sie schlugen die Hände zusammen vor Mitgefühl über meine Wohnverhältnisse. Und das bei einer Österreicherin, einer Frau, einer Studentin! So was gibt es ja nicht einmal bei uns auf dem Balkan!

Sie verschafften mir auch eine neue Klomuschel auf Kosten der Hausverwaltung, weil sie angaben, sie hätten die alte bei den Verputzarbeiten ruiniert. Und sie riefen mich ans Fenster und zeigten mir, daß aus dem Haus gegenüber gerade eine Klomuschel abtransportiert wurde – mit einer intakten hölzernen Klobrille! Ich sauste hinunter, bemächtigte mich der Klobrille, putzte und montierte sie später und sie hat mich von da an fast 20 Jahre auf meinem Lebensweg begleitet.

Ich malte das Klo aus – schwarz-rot –, stellte den Kasten wieder auf, erweiterte ihn mit Spanplatten, ergänzte die Stufe am Fußboden, der Installateur brachte einen neuen Spülkasten und von da an war die Benützung des Klos eine reine Wonne. Ich veranstaltete gleich ein Fest zur Feier des Anlasses, ein Klo-Einweihungs-Fest. Später verflieste ich den Fußboden auch noch.

Viele Besucher, vor allem aus Osteuropa, haben später den Kopf über dieses eigenartige Räumchen geschüttelt und gemeint, so etwas hätten sie noch nie gesehen bzw. in Wien aber wirklich nicht erwartet, usw.

Sie wußten gar nicht, was für einen Luxus es darstellte und wie holprig der Weg zu diesem von ihnen vorgefundenen Zustand gewesen war!


Es wurde und wird in Literatur und Publizistik viel über die anale Phantasie und Fluchkultur der Wiener geschrieben. Und darüber, wie häufig und leichtfertig das Wort "Scheiße!" in dieser Stadt verwendet wird.

Aber ist es denn ein Wunder, bei solchen Zuständen?!

Ein Haus in Wien

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