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1. Aufklärung und Absolutismus

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Staatsnähe der deutschen Aufklärung

Als eine im westeuropäischen Vergleich augenfällige Besonderheit der deutschen Aufklärung hatte Horst Möller deren Staatsnähe bezeichnet (126, S. 87): Staatsnähe wegen der zu einem Gutteil beamteten Trägerschicht, Staatsnähe aber auch wegen ihrer dadurch bedingt deutlich geringeren Radikalität. Aufgeklärte Ideen, so der britische Historiker Charles Ingrao, die jenseits des Rheins eine systemzerstörende destruktive Kraft entwickelten, ließen sich hier problemlos in die Matrix traditioneller Auffassungen, Werte und Institutionen einfügen (72, S. 224). Tatsächlich setzte diese aufgeklärte Elite mehrheitlich auf den Reformwillen jener etwa 20 Territorialherren (78, S. 5), die der von Paris aus urteilende Melchior Grimm um 1770 als der Aufklärungsbewegung aufgeschlossen bezeichnet hatte (83, S. 25). Als „despots éclairés“, so die zeitgenössische Bezeichnung, galten neben dem längst kritisch gesehenen Preußenkönig Friedrich II. Kaiser Joseph II., Markgraf Karl Friedrich von Baden, Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel, Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig, Fürst Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau oder Herzog Karl August von Sachsen-Weimar. Der Aufklärung standen aber auch geistliche Landesfürsten nahe: die Würzburger respektive Salzburger Fürstbischöfe Franz Ludwig von Erthal und Hieronymus Graf Colloredo, die Erzbischöfe Emmerich Joseph (Mainz), Clemens Wenzeslaus (Trier) und Maximilian Franz (Köln).

Was charakterisiert einen „aufgeklärten Monarchen“?

Was machte diese „despots éclairés“ für Zeitgenossen wie Nachwelt zu „aufgeklärten Fürsten“? Die Aufklärungsepoche honorierte die Beteiligung am aufgeklärten Diskurs: Korrespondenz, mitunter persönliche Kommunikation mit ihren Protagonisten sowie deren Förderung; im Idealfall aktive Partizipation am Aufklärungsprozess mit eigenen Beiträgen. Zarin Katharina II. stand im Briefwechsel mit den Enzyklopädisten, berief Diderot gar an ihren Petersburger Hof; Markgraf Karl Friedrich von Baden korrespondierte mit den französischen Physiokraten, deren Theorien er wenn auch erfolglos praktisch erproben ließ. Friedrich II. schließlich, der „Prototyp“ des aufgeklärten Monarchen, holte sich Maupertuis als Berliner Akademiepräsidenten, d’Argens, La Mettrie und vor allem Voltaire als Gesprächspartner nach Sanssouci, gleich zu Beginn seiner Herrschaft den einst vom Vater vertriebenen Aufklärungsphilosophen Christian Wolff zurück an die Universität Halle. Den Ruf des „roi philosophe“ hatte er als Verfasser historisch-politischer und philosophischer Essais, so zuerst des Antimachiavell (117) begründet.

Naturrechtliches Herrschaftsverständnis

Indiz der Aufklärungsnähe war zweitens ein verändertes, naturrechtliches Herrschaftsverständnis. Friedrich II. etwa verstand sich nicht länger als Herrscher von Gottes Gnaden, sondern als ein im Lockeschen Sinne vertragsrechtlich legitimierter Regent. Dies implizierte für ihn jedoch weder die Entwicklung seiner Herrschaft zur konstitutionellen Monarchie noch die Kündbarkeit des gedachten Herrschaftsvertrages. Die Erblichkeit der Monarchie stand für ihn wie für andere aufgeklärte Fürsten außer Frage. Die vertragsrechtliche Legitimierung von Herrschaft bedeutete für ihn vielmehr eine Selbstverpflichtung, eine Identifikation mit dem Staatsinteresse als viel zitierter erster und – wie Wolfgang Reinhard hervorhob – „im Grunde einziger Diener des Staates“ (77, S. 51). „[…] der liebe Gott hat euch auf den trohn gesetzet nicht zu faullentzen, sondern zur arbeitten und seine Lender wohll zu Regiren“, war Friedrich II. vom Vater instruiert worden (306, S. 224). Geändert hatte sich das bis an Sklaverei grenzende Arbeitsethos, der monarchische Habitus, der bis zur Knauserigkeit gesteigerte Umgang mit den Staatsfinanzen. Dass ein Regent wie Joseph II. sein Privatvermögen zur Abtragung des Staatsdefizits einsetzte, dies seinem in Florenz residierenden Bruder Leopold, Großherzog Pietro Leopoldo von der Toscana, gar zur Nachahmung empfahl, war ein bis dahin ungekanntes Novum.

Hat der aufgeklärte Absolutismus eine „aufgeklärte Substanz“?

Die Frage nach der aufgeklärten Substanz dieses „aufgeklärten Absolutismus“ wurde und wird seitens der historischen Forschung sehr unterschiedlich beantwortet. Einig ist man sich darüber, dass das begrifflich sehr viel später geprägte Amalgam zumindest Widersprüchliches vereine. „Es ist keine neue Erkenntnis“, folgerte Karl Otmar von Aretin, „wenn wir feststellen, dass sie sich in letzter Konsequenz ausschließen“ (83, S. 22). Das „Aufgeklärte“, jene Verbindung von Aufklärung und Absolutismus, wurde seit den 1960er Jahren mehr und mehr kritisch betrachtet und dabei wenig aufgeklärte Substanz vorgefunden, dafür „sehr viel Zynismus“ (François Bluthe). Vor allem die aufgeklärten Prinzipien wenig entsprechende Machtpolitik der „despots éclairés“ nach außen mochte hierbei als Beleg dienen: Kabinettskriege, militärischer Expansionismus, der wie eh mit zweifelhaften Erbansprüchen begründet wurde, und schließlich als Fanal die Teilungspolitik gegenüber der polnischen Adelsrepublik. Was unterschied denn eigentlich Friedrich II., der seinen Beinamen „der Große“ eben dieser Machpolitik, nicht aber der Teilhabe am Diskurs der Aufklärung verdankte, vom expansionistischen Louis le Grand? mochten Kritiker fragen. Auch das innere Reformwerk wurde nunmehr einer kritischen Revision unterzogen. Auf der Liste der Aktiva hatten bislang die zu Charakteristika des Vernunftzeitalters erhobenen Toleranzpatente und Meliorationen gestanden: die Abschaffung der Tortur und Reduktion der Todesstrafe auf wenige Delikte; die Tolerierung konfessioneller Minderheiten, 1781 der Protestanten und Juden in den habsburgischen Erblanden; die Aufhebung von Zensur, der Leibeigenschaft 1783 auf den Domänen des badischen Markgrafen. Hinzuzuzählen waren Maßnahmen wie die Vermittlung von basic skills, den Elementartechniken des Lesens, Schreibens und Rechnens durch die Einführung einer allgemeinen Schulpflicht 1763 in Preußen, 1774 in der Habsburgermonarchie; die Verbesserung der medizinischen Versorgung, der Frauen im Kindbett einerseits, der Verwundeten im Krieg andererseits, schließlich eine allgemeine Immunisierung durch Pockenimpfung. Zu ergänzen wäre die Einrichtung von Waisen- und Armenhäusern, die Urbarmachung des Oderbruchs, die Peuplierungspolitik, die Aufhebung von Binnenzöllen, die Zurückdrängung des Zunftwesens und der Aufbau von Manufakturen, die importunabhängig Tuche oder Luxusgüter produzierten. Dass die getroffenen Modernisierungsmaßnahmen selten originär waren, war dabei ein minder zu gewichtender Einwand. Substantieller war die Kritik, dass viele der aufgezählten Schritte eher kameralistischem, auch religiös-paternalistischem, weniger dezidiert aufgeklärtem Denken entsprangen und in erster Linie der Steigerung staatlicher Effizienz und Macht dienten. Nicht wenige Maßnahmen hatten bereits die absolutistischen Monarchen des 17. Jahrhunderts initiiert, einzelne vollzogen selbst jene Herrscher des 18. Jahrhunderts, die kaum als genuin aufgeklärt anzusehen waren. Manche Reformmaßnahme bremsten die ständestaatlichen Strukturen, wie Wolfgang Neugebauer am Beispiel des preußischen Schulwesens dokumentiert hat (245, 246). Die brisante Frage der Erbuntertänigkeit rührte Friedrich II. gegen seine persönliche Überzeugung nicht an, da er eben an jenen Fundamenten des Ständestaates nicht rütteln wollte. Und manches Novum verdankte schließlich seine Entstehung weit eher privater denn landesherrlicher Initiative, so etwa das Schulexperiment des Freiherrn Friedrich Eberhard von Rochow auf seinem Gut Reckahn (41, S. 140) (vgl. Kapitel 3).

Aufgeklärter Absolutismus – Kalkül im Sinne der Staatsräson?

Was war, um in das Zentrum der Kritik zu lenken, die Intention aufgeklärt-absolutistischen Reformhandelns? War dieses nicht doch primär utilitaristisches Kalkül im Sinne der Staatsraison? Ging es nicht in erster Linie um die Erhöhung der Steuereinnahmen, die Vergrößerung der Heeresstärke? War dann das innere Reformwerk nicht doch wenig mehr als Camouflage, der „aufgeklärte Absolutismus“ letztlich eine „historiografische Chimäre“ (88, S. 119)? Die Sozialdisziplinierung eine Grundtatsache und Leitidee des Zeitalters der Aufklärung (Gerhard Oestreich)? Der Terminus ein „abgenutztes Werkzeug zur Erforschung einer Übergangsperiode zwischen Feudalismus und der kapitalistischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts“ (85, S. 408)? War dann der Kunstbegriff des „aufgeklärten Absolutismus“ nicht mehr als revisionsbedürftig, wenn er so wenig Realitätsbezug hatte? Es wird im Folgenden nicht nur die Kontroverse um die Tauglichkeit dieses Begriffs darzustellen, sondern diese Debatte auch am historischen Fallbeispiel zu vertiefen sein.

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