Читать книгу Marie und das rosa Schaukelpferd - Anna Pfeffer - Страница 5

Tante Marie

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Es gab ihnen allen ein Rätsel auf. Sie sahen noch einmal die Karte an. Es war Tante Maries Handschrift. Aber wie sollte das gehen?

„Jetzt fällt mir gerade etwas ein“, sagte Karl.

„Und was?“, fragte Gabi.

„Als Marie so alt war wie unsere Marie, da wünschte sie sich auch ein Schaukelpferd. Es musste aber nicht rosa sein. Nur einfach ein Schaukelpferd. Aber unsere Eltern konnten sich damals so etwas nicht leisten. Sie waren froh, dass sie uns die Kleidung kaufen konnten, die wir brauchten. Aber sie hatte nie aufgehört, davon zu träumen. Sie zeichnete auch immer wieder ein Schaukelpferd, mal in der einen Farbe, mal in einer anderen Farbe. Aber wie kommt Marie darauf? Mädchen träumen doch von einer Puppe oder einer Prinzessin.“

Sie sprachen noch lange über dieses Ereignis, als sie zu Bett gingen. Marie bestand darauf, dass ihr Schaukelpferd in ihrem Zimmer stehen müsse. Da sie ansonsten nicht schlafen gehen würde, taten sie ihr den Gefallen. Marie schlief auch sofort glücklich ein. In der Nacht stand Maries Mutter auf, weil sie etwas gehört hatte. Aber in Maries Zimmer war alles ruhig und Marie schlief. Sie überlegte kurz und legte sich dann auch wieder ins Bett.

„Hallo Marie! Wie gefällt dir denn dein Geschenk?“, fragte eine Frau die schlafende Marie.

Sie machte die Augen auf und sah eine ihr unbekannte Frau.

„Wer bist du?“, fragte sie schlaftrunken.

„Ich bin deine Tante Marie.“

„Die ein Engel ist?“, fragte Marie gleich hellwach.

„Ja.

„Aber Mama sagte, du hättest blonde Haare und Flügel. Aber du hast braune Haare und braune Augen und keine Flügel!“

„Deine Mama weiß das nicht besser. Die Menschen glauben, dass alle die Engel werden, dann blond sind und Flügel haben. Zum Teil stimmt das auch. Aber damit wir nicht so schnell erkannt werden, verstecken wir unsere Flügel.“

„Also verkleidet ihr euch?“

„Nein, wir bleiben so, wie wir sind. So erkennen uns die wenigsten. Denn sie erwarten einen blonden Engel mit weißen Flügeln. Aber so können wir den Menschen besser helfen.“

Sie wartete noch, ob sie das auch alles verstanden hatte.

„Und wie gefällt dir jetzt dein Geschenk? Leider habe ich als Kind keines bekommen, darum sollst du ein ganz besonderes bekommen.“

„Ganz wunderbar! So eines habe ich mir gewünscht“, sagte sie laut.

„Pst! Wir müssen leise sein, sonst hört uns deine Mutter“, sagte Tante Marie leise.

„Ja, es ist auch ganz nach deinen Wünschen gemacht worden“, fügte Maries Tante noch hinzu.

„Kann es auch fliegen?“

„Ja sicher, wenn du am Abend alleine bist, dich darauf setzt und auf ihm reitest, werde ich kommen und wir machen einen Ausflug.“

„Oh wunderbar! Dann kommst du jede Nacht?“

„Nein, nur wenn es notwendig ist.“

„Och schade“, maulte Marie.

„Du musst mir aber einen Gefallen tun. Kannst du das?“

„Ja sicher, alles was du willst!“

„Du musst deinem Papa sagen, dass er nicht so traurig sein soll. Mir geht es gut und ich passe auf euch auf. Und dann sagst du noch: Charlie sei nicht traurig. Kannst du dir das merken?“

„Ja sicher! Ich soll sagen: Charlie sei nicht traurig, denn Tante Marie passt schon auf uns auf. Passt das so?“

„Ja ganz genauso. Und zu deinem Großvater, also Papas Vater, sagst du:

Opa, es wird Zeit, dass du ein neues Foto von Marie in deine Brieftasche gibst.“

Marie nickte und wiederholte es.

„Opa, du sollst ein neues Foto von Tante Marie in deine Brieftasche geben.“

„Ja genauso.“

Sie streichelte über ihren Kopf und sagte dann noch:

„Vergiss es nicht und träum heute Nacht etwas Schönes! So und jetzt machst du die Augen zu und schläfst weiter, denn deine Mutter kommt gleich.“

Marie sah einen braunen Fleck an Tante Maries Hand, der sah so ähnlich aus, wie der auf Omas Wange auf den Fotos. Den man aber jetzt nicht mehr in ihrem Gesicht sah. Dann legte sie sich nieder und schloss sofort die Augen. Maries Mutter sah ihre Tochter nur mehr schlafend.

Tante Marie schickte ihr einen unsichtbaren Kuss zu. Maries Mutter spürte einen leisen Windhauch auf ihrer Wange. Dann holte Tante Marie die Karte und versteckte sie unter dem Sattel vom Schaukelpferd.

Vormittags trudelten die Großeltern schon früher ein. Erst gegen 11 Uhr war ausgemacht, aber keiner konnte so lange warten, denn jeder wollte das Schaukelpferd sehen und die Karte. Vor allem Tante Maries Eltern. Marie begrüßte alle und sie zeigte ihnen freudestrahlend ihre Geschenke.

„Und das Beste steht in meinem Schlafzimmer!“, sagte sie ganz stolz und zog alle mit sich. Sie staunten nicht schlecht, als sie das rosa Schaukelpferd sahen, mit blauer Schleife und Sattel. Danach spielten sie alle mit Maries Spielsachen. Sie drückte jedem eines in die Hand. Ihre Mutter kam auch kurz dazu. Da hörte Marie eine Stimme:

„Marie … jetzt … der Gefallen.“

Sie ging auf Papa zu und sagte:

„Papa, Charlie. Du sollst nicht traurig sein, Tante Marie geht es gut und sie wacht über uns.“

Sofort wurde es still. Gabi fiel der Kochlöffel aus der Hand und Karl wurde kreidebleich. Marie hob den Löffel auf und gab ihn ihrer Mutter.

„Mama, nicht alle Engel bekommen blonde Haare und Flügel. Sie verstecken sie, damit sie nicht erkannt werden.“

„Marie?“, fragte ihr Vater ganz verwirrt.

„Marie, woher weißt du das?“

„Was?“

Sie kam wieder auf ihren Vater zu, der sie auf seinen Schoß hochhob.

„Von wem weißt du, dass Charlie mein Spitzname ist.“

„Von Tante Marie! Sie war letzte Nacht bei mir.“

Es war mucksmäuschenstill im Wohnzimmer. Sie sahen sich ganz verwirrt an. Woher konnte Marie das wissen? Kindliche Fantasie? Der Vater erholte sich rasch.

„Wie sah diese Frau aus?“

„Braune Haare, Locken und braune Augen. Ach ja, und außerdem hatte sie das gleiche Muttermal an der Hand, das Oma nicht mehr im Gesicht hat.“

Sie sahen sich irritiert an. Das konnte sie unmöglich wissen!

„Woher weißt du das von Omas Muttermal?“

„Von den Fotos! Da sieht man es noch und Tante Marie hatte es auf dem Arm.“

Okay, das war ihnen klar, aber wie konnte sie wissen, dass Marie es am Arm hatte. Es war auf keinen Fotos drauf und außerdem hatte Marie noch keine Fotos von Tante Marie gesehen.

„Ach ja, und Opa, du sollst endlich ein neues Foto von Tante Marie in deine Geldbörse geben.“

Alle waren stumm und keiner sagte etwas. Das war Marie zu viel und sie sagte:

„Ich gehe jetzt schaukeln, wenn ihr euch nicht freut über die Nachrichten von Tante Marie!“, rutschte von Papas Schoß und verschwand in ihrem Zimmer. Sie sahen sich noch lange verstört an.

„Hast du ihr irgendwann mal Fotos von Marie gezeigt?“, fragte Gabi Karl, die sich als Erste aus der Erstarrung löste.

„Nein, sicher nicht! Oder ihr?“, fragte er die anderen.

Jeder verneinte. Sein Vater sagte:

„Selbst wenn sie mein Foto irgendwann gesehen hätte, würde sie nichts erkennen“, zog seine Börse aus der Hosentasche und holte das Foto von Marie heraus.

Es war schon sehr vergilbt und es war kaum etwas zu erkennen. Alle starrten nur auf das Foto, auf dem nur mehr die Umrisse von Tante Marie zu erkennen waren.

Gabis Vater meldete sich zu Wort.

„Ich habe mal von einer Bekannten gehört, dass Kinder Geister sehen können, insbesondere wenn es Verwandte sind.“

„Mir war gestern Abend, als hätte ich Marie mit jemanden reden gehört. Als ich nachsah, schlief Marie. Doch es kam mir vor, als hätte mir jemand einen Kuss auf die Wange gehaucht.“, erzählte Gabi.

„Und wo ist jetzt die Karte?“, fragte Karls Mutter.

Karl suchte sie im Wohnzimmer. Er wusste, er hatte sie auf dem Tisch liegen gelassen.

„Gabi? Hast du die Karte woanders hingelegt?“

„Welche Karte?“, rief sie zurück.

„Die auf der Schachtel vom Pony war.“

„Nein, die hast du ja auf den Tisch gelegt, als du sie fotografiert hast.“

Bei diesen Worten kam sie aus der Küche und ging zum Tisch. Doch auch sie konnte die Karte nicht finden. Keiner konnte die Karte finden. Sie war auf wunderbare Weise verschwunden.

„Sieh am Handy nach“, riet ihm Gabi.

Er fand zwar ein Foto, nach den Pony-Aufnahmen, aber es war so verschwommen, dass man nichts erkennen konnte.

„Warte, ich sehe auf meinem nach. Ihr habt es uns ja geschickt. Wir konnten es lesen, aber es war leider sehr klein.“

Sein Vater sah nach. Doch auch seines war verschwommen. Elvira, Gabys Mutter konnte auf ihrem auch nichts erkennen. Sie sahen sich nur ratlos an. Hatte Marie wirklich mit Tante Marie gesprochen? Oder hatte es ihr jemand anderes erzählt? Aber wer? Dass Karls Schwester zu ihm als Kind immer Charlie sagte, das wusste kaum einer. Und das Muttermal? Man sah es auf keinen Fotos. Außerdem hatte Marie noch keines davon gesehen. Warum wünschte sie sich gerade zu ihrem vierten Geburtstag ein Pony?

„Das hatte Marie sich damals auch gewünscht, doch wir konnten ihr den Wunsch nicht erfüllen.“, erzählte Karls Mutter.

Sie gingen essen und warteten ab, ob Marie noch etwas davon erzählte. Sie wollten sie nicht ausfragen, denn sonst wäre sie vielleicht verwirrt gewesen. Sie sagte nichts mehr und es war, als wäre nichts gewesen. Die Karte blieb unauffindbar. Beim Nachmittagskaffee holte man die Fotoalben her und zeigte sie Marie, doch sie sagten ihr nicht, wer ihre Tante wäre und warteten ab. Sie erklärten ihr Einiges, was sie wissen wollte und dann rief sie:

„Da ist Tante Marie!“, und zeigte auf ein Foto, wo sie bei ihrer Firmung war. Und auch bei den nächsten freute sie sich, sie zu erkennen. Auf einem Foto erkannte man sogar Maries Muttermal. Aber Marie hätte nie die Fotoalben vom Kasten nehmen können und sie ansehen. Und wer hätte ihr erklären sollen, wer wer ist?

So fuhren alle mit bedrückten Gedanken und in bedrückter Stimmung nach Hause. Von Maries Zimmer hörte man ihre fröhliche Stimme:

„Hü hott Pferdchen! Wir fliegen mit Tante Marie um die Wette.“

Hatte sie nur eine lebhafte Fantasie oder war wirklich der Geist von Marie hier? An den nächsten Feiertagen besuchten sie die Großeltern. Doch noch immer konnte sich keiner einen Reim auf Maries Aussagen machen. Sie sagte auch nichts mehr darüber.

Marie und das rosa Schaukelpferd

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